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RAV-Anwältin klagt gegen Trojaner-Einsatz durch Hamburger Verfassungsschutz und gegen predictive policing-Befugnisse der Hamburger Polizei

Pressemitteilung 16/20, 23.11.2020

Hamburgs Verfassungsschutz und die dortige Polizei verfügen seit April 2020 über scharfe Überwachungsinstrumente: Der Verfassungsschutz darf mit Trojanern verschlüsselte Kommunikation ausforschen, die Polizei mittels Algorithmen Personenprofile erstellen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) und weitere NGOs erheben heute Verfassungsbeschwerde gegen die entsprechenden Gesetzesänderungen – eine der Kläger*innen ist unser RAV-Mitglied Britta Eder, Strafverteidigerin in Hamburg.

»Angesichts der umstrittenen Überwachungspraxis von Geheimdiensten und wiederkehrender Polizei-Skandale sind neue Befugnisse für diese Behörden höchst bedenklich. Wie diese Befugnisse in Hamburg geregelt sind, ist darüber hinaus verfassungswidrig«, sagt Bijan Moini, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF.

Geheimdiensttrojaner verletzt Grundrechte

Seit einer Änderung des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes im April 2020 darf sich das Hamburger Amt für Verfassungsschutz ohne Gerichtsbeschluss oder ähnliche Vorab-Kontrolle in Geräte bestimmter Personen hacken (§ 8 Abs. 12). Das verletzt Betroffene in ihrem IT-Grundrecht (Recht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme), und es verletzt ihr Telekommunikationsgeheimnis. Zudem gefährdet der Geheimdiensttrojaner die vertrauliche Kommunikation von Berufsgeheimnisträger*innen wie Anwält*innen und Journalist*innen. Er verletzt damit sowohl die Pressefreiheit, als auch die geschützte Kommunikation.  »Das Gesetz ermöglicht das Mitlesen von Kommunikation zwischen Rechtsschutzsuchenden und ihren Rechtsvertretungen«, so Dr. Peer Stolle, Vorstandsvorsitzender des RAV. »Das macht unsere Arbeit unmöglich. Diesen Eingriff in die Berufsfreiheit können wir nicht hinnehmen«.

Hamburger Regelungen zum Trojaner-Einsatz sind verfassungswidrig

Trojaner in Händen von Geheimdiensten sind verfassungswidrig, jedenfalls, wenn ihr Einsatz nicht hinreichend begrenzt ist und der Staat Sicherheitslücken in IT-Systemen ausnutzt, statt sie den Betreibern zu melden. All das ist in Hamburg der Fall. Zudem urteilte das Bundesverfassungsgericht nach einer Verfassungsbeschwerde der GFF gegen die Auslandsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst im Mai 2020, dass die heimliche Überwachung bestimmter Personen einer gerichtsähnlichen Vorab-Kontrolle unterliegen muss. »In Hamburg werden die Überwachungsbefugnisse deutlich erweitert, ohne das Kontrollregime zu verbessern – damit ist der Verfassungsverstoß programmiert«, sagt Moini.

Hamburger ›predictive policing‹-Ansatz ist verfassungswidrig

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich außerdem gegen die automatisierte Auswertung von Daten durch die Hamburgische Polizei (§ 49 HmbPolDVG). Die Polizei darf automatisierte Personenprofile aus einer nicht näher bestimmten Menge an Daten erstellen, darunter ggf. auch öffentlich verfügbare Daten aus sozialen Netzwerken. Es ist unklar, von wem Profile angefertigt werden können und welche Konsequenzen etwaiger ›Beifang‹ für die Betroffenen hat, also die Erfassung von Personen, die selbst nicht als gefährlich gelten. Unklar ist auch, für welche Zwecke genau Software eingesetzt werden kann und wie lange die Profile gespeichert werden. In Hamburg soll dadurch die vorbeugende Verbrechensbekämpfung (›predictive policing‹) halten – allerdings unter Verletzung der Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht der weniger eingriffsintensiven Rasterfahndung gesetzt hat.

Die GFF koordiniert die Verfassungsbeschwerde. Initiiert wurde und unterstützt wird sie von der Humanistischen Union Hamburg, den Kritischen Jurastudierenden Hamburg, der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Zu den Kläger*innen zählen Rechtsanwältin und RAV-Mitglied Britta Eder sowie Aktivist*innen und Journalist*innen, darunter Sebastian Friedrich (NDR u.a.) und Katharina Schipkowski (taz). Sie werden vertreten durch Jun.-Prof. Dr. Sebastian Golla (Ruhr-Universität Bochum).

Der GFF-Verfahrenskoordinator Dr. Bijan Moini und weitere Verfahrensbeteiligte stehen für Gespräche zur Verfügung.

Weitere Informationen zur Verfassungsbeschwerde finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/verfassungsbeschwerde-polizei-verfassungsschutzgesetz-hh

O-Töne der Kläger*innen Sebastian Friedrich und Katharina Schipkowski finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/journalistinnen-klagen-verfassungsschutzgesetz-hh

O-Töne der Klägerin Britta Eder finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/strafverteidigerin-klagt-verfassungsschutzgesetz-hh


Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Daniela Turß, presse@freiheitsrechte.org
Tel. 030.549 08 10 55 oder 0175.610 2896

Rechtsanwältin Britta Eder, eder@anwaltsbuero-s36.de

Rechtsanwalt Dr. Lukas Theune, Geschäftsführer des RAV e.V.
Tel. 030.235 644 36, lukas.theune@rav.de

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