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Ist jetzt alles Terrorismus? Die politische Dimension des § 129a

Veranstaltung, Berlin, 30.9.2007

Informationsveranstaltung zum aktuellen § 129a-Verfahren in Berlin und zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung

Ende Juli 2007 wurden sieben Personen in Berlin von der Generalbundesanwaltschaft beschuldigt, Mitglieder einer 'terroristischen' Vereinigung, der 'militanten gruppe' (mg), zu sein (nach § 129a Strafgesetzbuch). Vier von ihnen wurden verhaftet. Drei befinden sich noch immer unter verschärften Haftbedingungen in Untersuchungshaft. Sie werden beschuldigt, an Fahrzeugen der Bundeswehr Brandsätze angebracht zu haben. Die anderen vier werden einer Art intellektueller Täterschaft bezichtigt. Ihre wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen enthalten Begriffe, die auch in Bekennerschreiben der 'mg' zu finden sein sollen. Ihnen wird vorgeworfen, sich an Debatten zu beteiligen, die etwa die gegenwärtigen Militäreinsätze der Bundesregierung, die Umstrukturierung von Städten oder Stadtteilen oder den Ausbau des Sicherheitsstaats kritisieren. Der Vorwurf der Generalbundesanwaltschaft, dass es sich bei den sieben Personen um eine 'terroristische Vereinigung' handeln soll, baut auf abenteuerlichen Konstrukten auf.

Die Vorfälle sind vorläufiger Höhepunkt einer Kriminalisierungs- und Stigmatisierungskampagne von kritischer Wissenschaft und politischer Praxis, die stark an die 1980er Jahre erinnert. Gleichzeitig sind sie Ausdruck einer zunehmenden Einschränkung politischer Grundrechte. Wenn es aufgrund des bundesanwaltschaftlichen Konstrukts zu Verurteilungen kommt, werden wir in einer anderen Republik leben. Dann könnten zukünftig alle kriminalisiert werden, die sich kritisch mit staatlicher Politik und ökonomischer Macht auseinandersetzen.

Die vier der 'intellektuellen Täterschaft' Beschuldigten werden bereits seit September 2006 rund um die Uhr überwacht. Die drei derzeit Inhaftierten wurden überwacht, nachdem sich im April 2007 einer von ihnen mit einem der vier, die der 'intellektuellen Täterschaft' beschuldigt werden, 'konspirativ' getroffen haben soll. Was Gegenstand dieser Treffen gewesen sein soll, kann die Generalbundesanwaltschaft nicht sagen.

Bisher haben im In- und Ausland eine Vielzahl von Initiativen und Tausende von Einzelpersonen Aufrufe unterschrieben und die Generalbundesanwaltschaft aufgefordert, das Verfahren nach § 129a sofort einzustellen. Dennoch scheint die Tragweite dieser Geschehnisse noch nicht öffentlich wahrgenommen zu werden. Es handelt sich hier nicht um einen Einzelfall. Vielmehr zeigen diese Ereignisse den Wandel des bürgerlichen Rechtsstaats zum präventiven Sicherheitsstaat – im Namen eines angeblichen Kampfes gegen den 'Terror'.

Das Konstrukt einer 'terroristischen Vereinigung' durch die Bundesanwaltschaft mit Hilfe des § 129a ist für die breite Öffentlichkeit kaum verständlich. Noch weniger verstanden wird bisher jedoch, welche Folgen dieses Verfahren für kritische Wissenschaft, Kunst und politisches Engagement haben wird. Die Freiheit der Rede, des künstlerischen Ausdrucks und der politischen Praxis drohen in einem Klima der Angst zu ersticken.

Die Veranstaltung wird über den aktuellen Fall und über den § 129a
informieren: Welche Geschichte hat der § 129a? Welchen Zweck hat dieser Paragraf heute? Sind politische Interessen im Spiel oder zeigt sich in seiner Anwendung nur die normale Funktionsweise der so genannten Inneren Sicherheit? Welche Gesetzesänderungen stehen an? Was bedeutet dies für politisches Engagement und kritische Wissenschaft? Werden demokratische Grundrechte aufgegeben?

Es sprechen:

• Christina Clemm (Rechtsanwältin) informiert zum aktuellen Stand des Verfahrens in Berlin.
• Dr. Rolf Gössner (Rechtsanwalt, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte) klärt über die historische und gegenwärtige Bedeutung des § 129 a, seine justizpolitischen Implikationen und dessen europäische Dimension auf.
• Dr. Fritz Storim (Politischer Aktivist und von mehreren Strafverfahren nach dem § 129a betroffen; Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz, MAUS e.V., Bremen) verdeutlicht, welche Auswirkungen dieser Paragraf – ohne dass Straftaten nachgewiesen werden – auf die davon Betroffenen hat.
• Prof. Dr. Roland Roth (Hochschule Magdeburg-Stendal, Komitee für Grundrechte und Demokratie) beschreibt die gegenwärtigen Bestrebungen der Bundesregierung, über den § 129a hinaus weitere Überwachungsmaßnahmen, Strafgesetze und Kriminalisierungen einzuführen – und er zeigt, was derartige Kriminalisierungen bereits heute für soziale Bewegungen bedeuten.
• Dr. Britta Grell (Moderation, INURA. International Network of Urban Research and Action, Berlin)


Sonntag, 30. September 2007, 11.00 – 13.30 Uhr
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Linienstraße 227, 10178 Berlin
[Anfahrt: U 2 Rosa-Luxemburg-Platz
S-Bahn Alexanderplatz
Busse: 200, 240, TXL ; Tram: M2, M8 an der Torstraße]
 
Veranstalter:
Bündnis für die Einstellung des § 129a-Verfahrens, Berlin
akj-berlin. arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin
Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Berliner Sozialforum
FelS – Für eine linke Strömung
INURA – International Network for Urban Research and Action, Berlin
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
PROKLA – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft
RAV – Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
Rosa Luxemburg Stiftung
Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte, Vorstand
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Unterstützer:
ak – analyse & kritik
Zeitschrift telegraph