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Gesetzesintiative zur Einführung einer Ausweisungs- und Kennzeichnungspflicht für Dienstkräfte der Ordnungsbehörden

Stellungnahme: Gesetzentwurf der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, Schles. Holst. Landtag
Der RAV begrüßt die Gesetzesinitiative zur Einführung einer Ausweisungs- und Kennzeichnungspflicht für Dienstkräfte der Ordnungsbehörden. Die Erfahrungen der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte des RAV zeigen, dass die bisherige Praxis, wonach Polizei- und Ordnungskräfte sich nicht ausweisen müssen und auch sonst nicht identifizierbar gekennzeichnet sind, die Kontrolle polizeilichen Handelns und die Sanktionierung polizeilicher Übergriffe wesentlich erschwert. Dabei stellen die Mitglieder des RAV fest, dass Personen, die Opfer polizeilicher Übergriffe geworden sind, sich grundsätzlich in einer schwierigen Position befinden. Deren Vorbringen wird zunächst pauschal die Vermutung entgegen gehalten, dass Angehörige der Polizei sich aufgrund ihrer Ausbildung und Funktion gesetzmäßig verhalten. Diese Regel-Vermutung ist innerhalb eines Straf- oder Disziplinar-Verfahrens kaum zu erschüttern, da in Deutschland die entsprechenden Ermittlungen durch die Polizei selbst geführt werden und nicht wie im europäischen Ausland, zum Beispiel in England oder Portugal, durch eine unabhängige Institution. Der Korps-Geist innerhalb der Institution Polizei macht es äußerst schwierig, diejenigen zu identifizieren, die sich nicht rechtmäßig verhalten haben, oder deren Kolleg/innen als Zeug/innen des rechtswidrigen Verhaltens zu gewinnen. Rechtsbeistände der Opfer berichten davon, dass, selbst wenn aufgrund von Ort und Zeitangaben die Polizeieinheit ermittelt werden kann, aus der der/die Täter/in stammen muss, regelmäßig alle der Einheit angehörigen Polizeibeamten den Vorfall nicht gesehen haben wollen. Insbesondere bei Einsätzen, bei denen ein Wiedererkennen des/der Täter/in wegen der getragenen Schutzkleidung mit Helm nicht möglich ist, ist die Aufklärung deshalb so unwahrscheinlich, dass eine Vielzahl von Betroffenen gar keine Verfahren anstrebt. Schließlich besteht sogar die Gefahr, dass Opfer, die dennoch ein Verfahren gegen Polizeibeamte anstreben, Gegenanzeigen wegen „falscher Verdächtigung“ (§ 164 StGB) oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) fürchten müssen. Die vorgesehene Ausweisungs- und Kennzeichnungspflicht würde diesen Problemen ein wirksames Mittel entgegen setzen. Sind die Polizeiangehörigen namentlich oder über eine Kennzeichnung identifizierbar, können deren Handlungen im Rahmen eines Einsatzgeschehens individuell nachvollzogen werden. Dies bietet nach den oben beschriebenen Erfahrungen zunächst überhaupt erst einen Ansatz für Ermittlungen und eine Grundlage für ein Verfahren, gewährleistet also effektiven Rechtsschutz. Wenn der oder die einzelne Polizist/in sich nicht länger hinter der Anonymität der Gruppe verstecken kann, wird die Gefahr verringert, dass die Ermächtigung, wenn nötig Gewalt anzuwenden, missbraucht wird. Gleichzeitig wird die Position derjenigen Polizeibeamten gestärkt, die ihre Befugnisse maßvoll nutzen und dies auch von anderen erwarten. Dass eine gesetzliche Regelung notwendig ist, zeigt nach Ansicht des RAV die Entwicklung in Berlin, wo eine entsprechende Vorlage des Polizeipräsidenten im Januar 2010 durch den Gesamtpersonalrat der Polizei unter anderem mit der Begründung abgelehnt wurde, dass die Kennzeichnungspflicht ein „pauschales Misstrauensvotum“ gegen die Polizei sei. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass Grundprinzip der Demokratie die Kontrollierbarkeit staatlicher Macht ist. Gerade die Polizei als staatliche Exekutivgewalt mit weitreichenden und tiefgreifenden Eingriffsbefugnissen muss sich daher einer intensiven und effektiven - unabhängigen - Kontrolle stellen. Soweit von Seiten der Polizei weiterhin die Sorge geäußert wird, dass eine Kennzeichnung Polizeibeamte und deren Familien gefährde, existiert  keinerlei empirische Grundlage. Angriffe auf Polizeibeamte stehen erfahrungsgemäß in Zusammenhang mit deren Einsätzen, nicht mit deren Person. Es ist so auch kein einziger Fall bekannt, in dem aufgrund eines – zum Beispiel wegen einer Zeugenaussage des Polizisten im Rahmen einer Gerichtsverhandlung – bekannt gewordenen Namens eines Polizisten dieser außerhalb des Dienstes zu Schaden gekommen wäre. Im Übrigen wird dieser Befürchtung im Gesetzentwurf mit der Einzelfallregelung des § 174 a Abs. 4 S. 2 LVwG begegnet. Schließlich wird eine allgemeine Kennzeichnungspflicht in Konfliktsituationen deeskalierend wirken. Bislang galt, dass Polizeibeamte auf Nachfrage ihre Dienstnummer mitteilen müssen. Gerade in angespannten Situationen führte die Notwendigkeit entsprechender Nachfragen jedoch zu nicht sanktionierbaren Falschangaben („007“) oder wurde – selbst gegenüber Journalisten – gänzlich verweigert. Der RAV regt an, für die Entbindung von der Kennzeichnungspflicht nach § 174 a Abs. 4 S. 2 LVwG weitere Voraussetzungen vorzusehen. Dem Antrag sollte nur dann stattgegeben werden, wenn für Polizeiangehörige aufgrund ihres Tätigkeitsgebiets oder des konkreten Einsatzes nachweisbar eine persönliche Gefährdung besteht. Der RAV lehnt die Ausnahmeregelung des § 174 a Abs. 3 LVwG ab. Der in der Formulierung des Abs. 3 enthaltene Verweis auf eine „Bedrohung der öffentlichen Sicherheit“, derentwegen von der Kennzeichnung abzusehen ist, würde der Missachtung der Kennzeichnungspflicht Tür und Tor öffnen und keine hinreichende Bindungswirkung entfalten.. Sollte für die nicht-uniformierten Polizeikräfte ebenfalls eine Ausnahmeregelung von der Verpflichtung als notwendig erachtet werden, muss diese jedenfalls an enge Voraussetzungen wie die konkrete Gefahr für Leib oder Leben der Polizeibeamten gebunden sein. Abschließend ist festzuhalten, dass Schleswig-Holstein mit der angestrebten Einführung einer Kennzeichnungspflicht der Selbstverpflichtung Deutschlands aus dem European Code of Police Ethics des Europarats von 2001 genüge täte, der Rechenschaftspflicht und Ausweisung der amtlichen Identität festschreibt. Für den RAV
Rechtsanwältin Dr. Anna Luczak, Berlin (PDF)