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Gemeinsame Stellungnahme gegen die Inhaftierung von Asylsuchenden auf dem neuen Großflughafen BER Willy Brandt und gegen die Durchführung von Asyl-Schnellverfahren

Gemeinsame Stellungnahme 20.1.2012
Die UnterzeicherInnen lehnen aus menschenrechtlichen und humanitären Gründen Asylschnellverfahren (Flughafenverfahren) sowie die Inhaftierung von schutzsuchenden Flüchtlingen zur Durchführung des Asylverfahrens ab. Sie fordern die Länder Brandenburg und Berlin sowie die Bundesregierung auf, auf die geplante Errichtung und Inbetriebnahme einer sog. „Gewahrsamseinrichtung“ zur Durchführung von Asyl-Schnellverfahren auf dem Gelände des Flughafens BER Willy Brandt zu verzichten und stattdessen Asylsuchenden ein reguläres Asylverfahren in Freiheit zu ermöglichen. Sie fordern die Bundesregierung auf, an allen deutschen Flughäfen auf die Inhaftierung Schutzsuchender und das Asyl-Schnellverfahren zu verzichten und das sogenannte Flughafenverfahren (§ 18a AsylVfG) abzuschaffen. Begründung:
Auf dem Gelände des neuen Großflughafens in Berlin Schönefeld soll eine „Gewahrsamseinrichtung“ gebaut werden, um einreisende Asylsuchende zu inhaftieren und nach einem dort stattfindenden Asyl-Schnellverfahren möglichst rasch außer Landes schaffen zu können.
Im Rahmen der Grundgesetzänderung 1993, in deren Folge kein Flüchtling mehr, der regulär auf dem Landweg einreist, das Asylrecht erhalten kann, wurde als weiteres Instrument der Flüchtlingsabwehr eine Spezialregelung für die Einreise auf dem Luftweg entwickelt – das sog. Flughafenverfahren. Asylsuchende, einschließlich Kinder und minderjährige AsylbewerberInnen, können für die Dauer des Asylschnellverfahrens inhaftiert werden. Voraussetzung ist, dass auf dem Flughafengelände eine geeignete „Unterkunft“ existiert.
Im Zuge des Flughafenausbaus wird nun auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld eine Hafteinrichtung gebaut. Betreiber wird die zentrale Ausländerbehörde Brandenburg. Die „soziale“ Betreuung wird nach Auskunft der Landesregierung die private Wachschutzfirma B.O.S.S. übernehmen.
Innerhalb von zwei Tagen nach Stellung des Asylantrags ergeht eine Entscheidung, ob der Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt oder die Einreise erlaubt wird. Im Falle einer Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ bleibt den AsylbewerberInnen nur drei Tage Zeit, um Klage beim Verwaltungsgericht zu erheben sowie einen Eilrechtsschutzantrag einzureichen. Wird der Eilantrag gegen die Einreiseverweigerung binnen zweier Wochen abgewiesen, verbleiben sie in der Flughafenhaftanstalt, bis die Abschiebung möglich wird.
Der Zeitdruck macht es den gerade geflüchteten und teils schwer traumatisierten Menschen unmöglich, zur Ruhe zu kommen und ihre Asylgründe substantiiert vortragen zu können. Teilweise sind sie durch die Umstände der Flucht verhandlungsunfähig. Auch der erschwerte Zugang zu RechtsanwältInnen verhindert, dass sich die Asylsuchenden ausreichend auf ihre Anhörung vorbereiten können und schmälert ihre Aussicht erheblich, als Flüchtling in Deutschland anerkannt zu werden.
Die Eile des Verfahrens führt immer wieder zu eklatanten Fehlentscheidungen. So wurden die Asylanträge zweier Deserteure aus Eritrea im Flughafenverfahren als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Sie wurden unmittelbar nach ihrer Abschiebung in einem Geheimgefängnis in Eritrea inhaftiert. Erst nach der Abschiebung prüfte das Verwaltungsgericht den Fall mit der nötigen Gründlichkeit und gewährte Asyl.(1)
Darüber hinaus lässt die kurze Frist zur Einreichung eines Eilantrags ein sachgemäßes Beschreiten des Rechtswegs nicht zu. Es ist schlicht unmöglich, die geforderten schriftlichen Begründungen rechtzeitig beizubringen. Da die Ablehnung von Eilrechtsanträgen durch das Gericht bereits ohne schriftliche Begründung rechtskräftig wird, können die Betroffenen abgeschoben werden, bevor sie die Möglichkeit erhalten, weiteren Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Eine Abschiebung wird in der Regel nach der Abweisung des Eilantrages durchgeführt, obwohl die Klage gegen die Entscheidung des Bundesamtes noch anhängig ist. ExpertInnen bezeichnen das sog. Flughafenverfahren daher als „hastig, unfair, mangelhaft“ (2)  und „rechtsstaatswidrig“ (3).
Auf den meisten deutschen Flughäfen wird auf das Flughafenverfahren verzichtet, so auch in Berlin-Tegel, Stuttgart, Köln/Bonn und Hannover. In Berlin-Schönefeld werden aktuell jährlich zwei bis vier Flughafenverfahren durchgeführt. Die Zahlen der entsprechenden Verfahren für Hamburg, München und Düsseldorf sind ebenfalls marginal. Am neuen Berliner Großflughafen soll nun Platz für die Inhaftierung von jährlich 300 asylsuchenden Flüchtlingen einschließlich Kindern jeden Alters und allein reisenden Minderjährigen geschaffen und deren Asylanträge in dem höchst zweifelhaften Schnell-Verfahren abgefertigt werden.


Erstunterzeichner:
* Asyl in der Kirche e.V.
* AWO Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V.
* Prof. Dr. Klaus J. Bade, Migrationsforscher, Berlin
* Bundesarbeitsgemeinschaft PRO ASYL
* Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e.V.
* Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin
* Erzbistum Berlin
* Flüchtlingsrat Berlin e.V.
* Flüchtlingsrat Brandenburg e.V.
* Dr. med. Jürgen Hölzinger, Ausschuss für Menschenrechtsfragen der Ärztekammer Berlin
* Initiative gegen Abschiebehaft
* Jesuiten Flüchtlingsdienst Deutschland
* Landesjugendwerk der AWO Berlin
* Landesjugendwerk der AWO Brandenburg
* Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege Berlin
* (AWO, Caritas, dpw, DW, DRK, ZWST)
* Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege Brandenburg 
* (AWO, Caritas, dpw, DW, DRK, ZWST)
* Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
* Hanns Thomä, Beauftragter für Migration und Integration der Evangelischen Kirche Berlin-
* Brandenburg-schlesische Oberlausitz
* Zentrum Überleben
Berlin, 20. Januar 2012
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1 vgl. PRO ASYL, "Hastig, unfair, mangelhaft", www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/Hastig_unfair_mangelhaft.pdf, Kapitel 3.5
2 vgl. Dokumentation "Hastig, unfair, mangelhaft" a.a.O.
3 vgl. Pressemitteilung der Synode der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vom 29.10.2011, http://www.ekbo.de/1048149/alias.html?id=1058433Gemeinsame Stellungnahme gegen die Inhaftierung von Asylsuchenden auf dem neuen Großflughafen BER Willy Brandt und gegen die Durchführung von Asyl-Schnellverfahren (PDF)