Sie sind hier: RAV > PublikationenMitteilungen

Entwurf des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen- Anhalt

RAV-Stellungnahme, 22.9.22

Berichterstatter: RA Michael Plöse

I. Allgemeine Einschätzung

Der vorgelegte Gesetzentwurf der Landesregierung zielt neben der Einführung kameragestützter Geschwindigkeitsüberwachung auf festgelegten Verkehrsabschnitten als Modellprojekt (Section Control) in erster Linie auf eine Verstetigung und teilweise umfangreiche Erweiterung bislang zu Erprobungszwecken befristeter polizeilicher Eingriffsbefugnisse zur Überwachung, Verhaltenssteuerung und Beweissicherung des als Bedrohung wahrgenommenen „polizeilichen Gegenübers“ von erheblicher Grundrechtsrelevanz. Dabei tritt vor dem Hintergrund zweifelhafter Wirksamkeit und auf ungenügender empirischer Entscheidungsgrundlage die präventive Zielrichtung der gesetzlichen Befugnisse hinter ihrer primär repressiven Praxisbedeutung zurück, was (kompetenz-)verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die mit der im Entwurf vorgeschlagenen deklaratorischen Klarstellung, dass die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten „gleichrangige“ Teilaufgabe der Polizei sei, womöglich retuschiert, aber kaum beantwortet werden können. Dabei fehlen nicht nur wirksame Regelungen zum Schutz von durch Amts- oder Berufsgeheimnis geschützten Vertrauensverhältnissen, sondern auch hinreichende Beteiligungsrechte der Betroffenen, um eine notwendige Erweiterung der Transparenz des polizeilichen Handelns zu erreichen. Damit genügt der Entwurf auch nicht den vom Bundesverfassungsgericht auferlegten Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten des Gesetzgebers. Schließlich sollen mit den vorgeschlagenen Befugnissen – nicht nur reflexhaft – auch Eingriffe in die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt werden können, wogegen nicht nur systematische, sondern auch durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Die im RAV organisierten Anwältinnen und Anwälte raten daher nicht zu einer Entfristung der Eingriffsbefugnisse und fordern deren unabhängige wissenschaftliche Evaluation auch unter Berücksichtigung ihrer Zusammenwirkung mit anderen Befugnissen unter dem Aspekt einer Überwachungsgesamtbilanzierung.

II. Ausführungen zu den einzelnen Maßnahmen des SOG LSA

1. Verfolgungsvorsorge für künftige Straftaten als Polizeiaufgabe (§ 2 SOG LSA)

Mit der Aufnahme der Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten neben deren Verhütung in § 2 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA solle klargestellt werden, dass die Verfolgungsvorsorge gleichrangige Teilaufgabe der Polizei im Rahmen der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten sei. Die Regelung hat rein deklaratorische Bedeutung, denn auch bisher schon stellte § 2 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA klar, dass die Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten nach Maßgabe der allgemeinen und besonderen Befugnisse des SOG LSA (allein) der Polizei obliegt. Dabei macht die Begründung klar, dass es der Landesregierung in erster Linie um die Weiternutzung von Daten aus Strafverfahren zu polizeilichen Zwecken geht, selbst, wenn das für die Datenverarbeitung Anlass gebende Verfahren bereits abgeschlossen ist (§ 484 Abs. 4 StPO i.V.m. § 23 SOG LSA). Dass auf dieser Grundlage bereits seit Jahren doppelfunktionalen Zwecken dienende Datenbanken von der Polizei betrieben werden, ändert nichts daran, dass die Gesetzgebungskompetenz für die Verfolgung von Straftaten gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG grundsätzlich beim Bund liegt. Datenerhebung zum Zwecke der Vorsorge zukünftiger Strafverfolgung ist nach insoweit übereinstimmender Rechtsprechung von BVerfG und LVerfG LSA nur soweit zulässig, wie ihr lediglich eine Begleitfunktion gegenüber der vorrangig der Regelungsbefugnis des Landesgesetzgebers obliegenden Straftatenverhütung zukommt (BVerfGE 113, 348, 372) bzw. dieser vordergründig präventive Zwecke verfolgt, für seine Regelung jedoch den „Effekt“ einer wirksameren Strafverfolgung „genutzt“ wird (LVerfG LSA, Urteil vom 11. Dezember 2014, LVG 9/13, S. 28 BA). Schon aus diesem Grund kann die Verfolgungsvorsorge keine „gleichrangige Teilaufgabe“ der Polizei im Rahmen der „Vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ gegenüber der Straftatenverhütung darstellen, zumal beide Ziele von ihrer Zweckrichtung her miteinander in Konflikt stehen.

In diesem Licht müssen die im Gesetzentwurf verstetigten Befugnisse betrachtet werden. Denn soweit „Daten […] nur zum Zweck der Verfolgung einer in der Zukunft möglicherweise verwirklichten konkreten Straftat und damit letztlich nur zur Verwertung in einem künftigen Strafverfahren, also zur Strafverfolgung, erhoben“ werden, fällt die Regelung der Erhebung in die Kompetenz des Bundesgesetzgebers (BVerfGE 113, 348, 370). In diesem Zusammenhang begegnen insbesondere die Befugnisse zu Bild- und Tonaufzeichnungen im Pre-Recording-Verfahren verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Dauerhafter Einsatz von Body-Cam und sonstiger Bild- und Tonaufzeichnungen (§ 16 SOG LSA)

Die Landesregierung empfiehlt die dauerhafte Einführung gesetzlicher Befugnisse zur Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen im Pre-Recording-Modus zur Abwehr von Gefahren für Leib oder Leben der Polizeibeamt*innen oder von Dritten.
Systematisch regelt § 16 SOG LSA die „Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen sowie an gefährlichen Orten und an oder in besonders gefährdeten Objekten sowie zur Eigensicherung“. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs soll der neu gefasste Absatz 3 den Einsatz von Body-Cams regeln, wobei deren Einsatzbereiche gegenüber der im Testbetrieb geltenden Regelung (vgl. § 16 Abs. 3a SOG LSA in der Fassung des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt vom 12. Juli 2017, GVBl. LSA Nr. 12/2017, S. 130) sowohl tatbestandlich erheblich ausgeweitet als auch auf die gesamte Landesfläche erstreckt werden sollen. Dabei lässt die vorgeschlagene Regelung jedoch jegliche Präzisierung der hierbei zum Einsatz kommenden Technik vermissen. Von der Neufassung des Absatz 3 werden nunmehr sowohl Videoaufzeichnungen aus und in Dienstfahrzeugen (Dashcams) sowie in Diensträumen (statische Videoüberwachung) als auch durch mobil am Körper getragene Geräte (Bodycams) im Pre-Recording-Modus bei der Durchführung polizeilicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr oder zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im öffentlichen Verkehrsraum, in Arbeits-, Betriebs-, Geschäfts- und sonstigen der Öffentlichkeit zugänglichen Räumen im Sinne von § 43 Abs. 7 SOG LSA erfasst. Nach dem Entwurf würde eine Bereichsausnahme für solchermaßen verhaltenslenkende, offene Videoüberwachung – von § 17 Abs. 6 SOG LSA abgesehen – lediglich noch für die unter den Schutz von Art. 13 GG stehenden Wohnräume sowie Hafträume verbleiben.

a) Fehlerhafte Ausgangspunkte
Wie schon bei ihrer erstmaligen Erprobung 2017 steht die ganz im Bundestrend liegende Diskussion um die Einführung der Body-Cam in Sachsen-Anhalt ganz im Zeichen des von den Polizeigewerkschaften unterstützten Narrativs einer stetigen Zunahme von Gewalttaten gegenüber Dienstkräften. Die hierzu als Beleg angeführte Zunahme einschlägiger Strafverfahren nach dem Bundeslagebild „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten“ des BKA (vgl. Drs. 7/685, S. 18; demgegenüber differenzierend Polizei Sachsen-Anhalt, Abschlussbericht Modellversuch Body-Cams, 2020, S. 6 f.) reflektiert jedoch nur unzureichend die durch gesellschaftlichen Wandel und polizeigewerkschaftliche Politisierung dieses Narrativs gesteigerte Anzeigenbereitschaft, die sie begleitende Veränderung und Ausweitung der strafgesetzlichen Bestimmungen (§§ 113–115 StGB) sowie den engen Zusammenhang zwischen polizeilicher Zwangsausübung und statistisch erfasster Widerstandshandlung – ganz unabhängig vom Ausmaß der konkreten Gefährdung einer Dienstkraft (vgl. Derin/Singelnstein, Die Polizei, S. 157 m.w.N., Arzt, Stellungnahme 5 zur Drs. 7/685, S. 7 ff. m.w.N.). Demgegenüber bleiben die berechtigten Interessen von Betroffenen polizeilicher Zwangs- bzw. Gewaltausübung, die neben der Forderung nach unabhängigen Polizeibeschwerdestellen sehr viel stärker den anglo- amerikanischen Diskurs um die Dokumentation polizeilicher Aufgabenwahrnehmung geprägt haben, weitgehend außer Betracht (vgl. Arzt/Schmidt, Bodycam als Objekt staatlichen Sehens und Zeigens, FS f. T. Feltes 2021, S. 319; Eick/Plöse, Re-Monopolisierung des polizeilichen Blicks?, in: FG f. R. Will 2016, S. 724). Vor diesem Hintergrund wurde aus dem RAV heraus dafür plädiert, bis zu einer Einführung unabhängiger Beschwerdestellen, bei denen das Videomaterial verwahrt, der Zugang für Betroffene und Polizei gleichermaßen sichergestellt und über die Löschung der Daten gewacht wird, auf die Einführung von Body-Cams als ein wichtiger Schritt zur gegenseitigen Abrüstung zu verzichten (Plöse/Eick, BodyCams an Polizeiuniformen, RAV- InfoBrief #112, 2016). Es kam bekanntlich anders.

b) Fehlende Evidenz
Vor diesem Hintergrund erscheint die Auswertung des Modellversuchs Body-Cam im Land Sachsen-Anhalt zwischen 2018 und 2019 beachtlich, die in der mit dieser Technik ausgestatteten Testgruppe nicht nur eine unzureichend signifikante deeskalierende Wirkung (zwischen 1% und 12%), sondern teilweise sogar eskalative Effekte (zwischen 1% und 4%) feststellte, wobei alkoholisierte oder unter Drogeneinfluss stehende Personen (2% bis 15%) von vornherein unberücksichtigt blieben, bei denen nach bisherigen Studien zur Videoüberwachung gerade nicht mit einer gewaltvermindernden Wirkung der Body-Cam zu rechnen ist. Dass ausgerechnet in der Testgruppe gewalttätige Übergriffe gegen Dienstkräfte gestiegen sind, während sie in der nicht mit Kameratechnik ausgestatteten Kontrollgruppe im Modellversuchszeitraum sanken, mag auch auf methodischen Fehlern bei der Vergleichsgruppenbildung beruhen (vgl. Zurawski, Protokoll des Innenausschusses der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg vom 18.11.2014, NR . 20/33, S. 34 ff.), liegt jedoch durchaus im Trend aktueller Vergleichsstudien (vgl. Ariel et al., Wearing Body Cameras Increase Assaults against Officers and does not Reduce Police Use of Force, 2016; Pang & Pavlou, Armed with Technology, 2016). Maßgeblich bleibt der Befund, „dass die erhoffte positive Wirkung der Body-Cam in der Verbesserung der Eigensicherung der Polizeivollzugsbeamten weder in den Zahlen der PKS, noch in der Bewertung der Nutzer sowie aus den Berichten der beteiligten Behörden erkennbar ist“ (Abschlussbericht S. 43; vgl. auch Antwort der Landesregierung auf die kleine Anfrage des Abgeordneten Sebastian Striegel, Drs. 7/6558 vom 03.09.2020, S. 4 f.). Es ist daher nur konsequent, mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz die Geeignetheit der Body-Cam zur Erreichung des gesetzlichen Ziels des Eigenschutzes in Frage zu stellen und die Maßnahme vor dem Hintergrund des mit ihr einhergehenden massiven Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger*innen als nicht gerechtfertigt anzusehen. Zur Erreichung des von der Landesregierung verfolgten Ziels einer verstärkten „gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit der zunehmenden Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung“ hat sich der Einsatz von Body-Cams zudem als gänzlich untauglich herausgestellt, wollte man nicht „ausufernde Diskussionen über Sinn und Rechtmäßigkeit der Maßnahme“ sowie ein in Einzelfällen „nur durch das Ausschalten der Kamera“ deeskalierbares aggressives Verhalten (Abschlussbericht S. 36) als Beiträge in diesem Sinne verstehen.

Für die im RAV organisierten Anwält*innen ist es nicht nachvollziehbar, dass sich dieser Befund durch eine gesetzliche Ausweitung der Einsatzbereiche der Body- Cam verbessern soll. Vielmehr wird ein verfassungsrechtlich hoch problematisches und gesellschaftspolitisch riskantes Sozialexperiment auf die wesentlichen Bereiche des sozialen Lebens ausgeweitet sowie die mit dem panoptischen Blick der Polizei einhergehende Definitionsmacht über Lebensräume einseitig aufgerüstet. Dies lehnen wir ab.

c) Fehlende Verfassungsmäßigkeit
Die vorgeschlagene Regelung ist zudem unbestimmt und trägt den von Verfassungs wegen beachtlichen schutzwürdigen Belangen der Betroffenen nicht ausreichend Rechnung. Die vorgelegte Neufassung von § 16 Abs. 3 SOG LSA erlaubt Bild- und Tonaufzeichnungen – scheinbar – anlasslos an oder in den zugelassenen Einsatzorten im Pre-Recording-Modus als kurzzeitige technische Erhebung (§ 16 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SOG LSA-E), d.h. als bis zu zwei minütige Speicherung (§ 16 Abs. 3 S. 2 SOG LSA-E). Im Modellbetrieb war der Einsatz noch auf – durch andere gesetzliche Ermächtigungen legitimierte – Maßnahmen der Identitätsfeststellung beschränkt gewesen. Damit geht die gesetzliche Ermächtigung auch insofern über den Modellbetrieb hinaus, als durch die tatbestandliche Beschränkung auf IDF- Maßnahmen ein Betrieb der Geräte im Pre-Recording-Modus mit dem Beginn solcher Maßnahmen zusammenfiel. Nunmehr ist für den Pre-Recording-Betrieb der Body-Cam nur noch das Erfordernis einer Diensthandlung – „Maßnahme“ im Gegensatz zur schlichten-hoheitlichen Handlung (z.B. Streifendienst) – sowie eine Beschränkung des Einsatzraums auf nicht unter den Schutz von Art. 13 GG fallende Räume vorgesehen. Auch wenn derartige „Erhebungen“ nach spätestens zwei Minuten automatisch zu löschen sind, rückt die „mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ unvereinbare Dystopie einer Gesellschaftsordnung, in der Unsicherheit darüber besteht, ob „abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden“ (BVerfGE 65, 1, 43), in greifbare Nähe. Vor diesem Hintergrund erscheint nicht nur die Dauer der Pre-Recording-Funktion mit 2 Minuten unverhältnismäßig lang. Die Formulierung „höchstens“ legt zudem nahe, dass der Dienstkraft hier ein Ermessen über die Dauer des Pre-Recording-Verfahrens im Einzelfall zukommen soll (so auch die Stellungnahme der Landesregierung in Drs. 8/1231, S. 8), was weder sinnvoll noch realistisch ist und dem Charakter der „automatischen“ Löschung entgegensteht.
Auch Verordnungsermächtigungen, die eine abstrakt-generelle Regelung durch das zuständige Ministerium erlauben würden, sind nicht erkennbar.

Aus Gründen der Normenklarheit und Normenwahrheit sollte bereits die gesetzliche Formulierung deutlich machen, dass mit der Erhebung zugleich eine (jedenfalls) kurzzeitige Speicherung verbunden ist, auch wenn der Begriff der „Aufzeichnung“ dies nahelegt (vgl. aber die Unterscheidung zwischen Aufzeichnung und Aufnahme in § 16 Abs. 2 SOG LSA sowie in § 18 Abs. 1 und 4 VersammlG LSA). Soweit dieser Begriff nach der Gesetzesbegründung (S. 19) „auch die Befugnis zur Übertragung des Bild- und Tonsignals an eine Lage- und Führungsstelle der Polizei“ umfassen soll, kann dies nicht nachvollzogen werden. Eine solche Befugnis erschließt sich weder aus dem systematischen Zusammenhang des Begriffs zu anderen Regelungen des SOG LSA (insbesondere § 22 SOG LSA) noch im Hinblick auf die Begriffsbestimmungen in § 2 DSUG LSA. Sie widerspricht aber vor allem dem teleologischen Verständnis der Regelung in § 16 Abs. 3 Satz 2 SOG LSA, wonach eine automatisierte Löschung innerhalb von 2 Minuten zu erfolgen hat, was regelmäßig nur sichergestellt werden kann, wenn die Daten nicht zwischenzeitlich ausgeleitet und auf einem anderen Server (zwischen-)gespeichert werden.
Regelungen zum Schutz der Tätigkeit von Berufsgeheimnisträger*innen (vgl. § 17 Abs. 4d SOG LSA) fehlen gänzlich, sind aber von Verfassung wegen erforderlich, wenn die Body-Cam im betriebsbereiten Einsatz auch in Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen während der Arbeits-, Geschäfts- oder Aufenthaltszeiten zum Einsatz kommen dürfen soll. Dabei darf es keinen Unterschied machen, ob die Räume (erkennbar) der Ausübung entsprechender Tätigkeiten gewidmet sind, die dem Schutz von durch Amts- oder Berufsgeheimnis geschützten Vertrauensverhältnissen unterfallen (z.B. Anwält*innenkanzleien, Ärzt*innenpraxen oder Kliniken), oder ob die berufliche Tätigkeit im öffentlichen Verkehrsraum durchgeführt wird (vgl. etwa § 33a Abs. 5 Satz 2 PAG Thüringen).

Soweit im Pre-Recording-Modus auch Tonaufzeichnungen erlaubt werden sollen, verlässt dies vor dem Hintergrund der zwischen 1% und 3% liegenden Abschreckungswirkung des Kurzspeichermodus den Bereich der präventiven Funktionalität. Dies wird schon dadurch deutlich, dass eine dauerhafte Aufzeichnung nach § 16 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SOG-LSA-E aufgrund „verbaler Ungebühr“ (vgl. Abschlussbericht, S. 38) regelmäßig ausscheidet, weil von ihr allein keine Gefahr für Leib oder Leben der Polizeikräfte oder Dritter ausgehen kann, mögen ihr auch „tatsächliche Anhaltspunkte“ hierfür entnommen werden können; daher kommt für sie allenfalls eine Speicherung auf der Grundlage der StPO in Betracht.
Entsprechend wurden die gesicherten Aufnahmen im Probezeitraum 2018/2019 in mindestens 22 Fällen zur Verfolgung von Beleidigungsdelikten weiterverwendet (vgl. Anlage 4 zum Abschlussbericht). Damit erfolgt die Tonaufnahme allerdings allein „zum Zweck der Verfolgung einer in der Zukunft möglicherweise verwirklichten konkreten Straftat und damit letztlich nur zur Verwertung in einem künftigen Strafverfahren, also zur Strafverfolgung,“ welche außerhalb der Regelungsbefugnis des Landesgesetzgebers für das Polizeirecht liegt.

d) Unzulässige Ausweitung auf Versammlungsgeschehen
Soweit die Gesetzesbegründung den Einsatz von Body-Cams ausdrücklich auch neben § 18 VersammlG LSA „in einer Versammlung“ eröffnen möchte und dies durch die Wahrung des Zitiergebots in § 2 des Gesetzentwurfes unterstreicht, widerspricht dies nicht nur systematischen Gründen; es ist auch – anders als die Landesregierung nahelegt – mit der Rechtsprechung des BVerfG und des LVerfG LSA nicht vereinbar. § 18 VersammlG LSA erlaubt die Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen von Teilnehmenden bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen.
Demgegenüber soll es nach § 16 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SOG LSA-E genügen, dass sich die Versammlung z.B. im öffentlichen Verkehrsraum oder in der Öffentlichkeit zugänglichen Räumlichkeiten aufhält und die Polizei dort Maßnahmen trifft. Bereits durch das Pre-Recording-Verfahren werden personenbezogene Daten erhoben, (kurzzeitig) gespeichert und potentiell für eine dauerhafte Speicherung bis zu 2 Minuten bereitgehalten. Damit verfolgt die Landesregierung ausdrücklich verhaltenslenkende Zwecke (vgl. auch Arzt, in: Reeder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht, § 19a Rn. 19). Die typischerweise von derartigen Überwachungsmaßnahmen ausgehenden Chilling effects berühren jenen Bereich legitimer staatsbürgerlicher Paranoia, den das BVerfG ausdrücklich in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbststimmung einbezieht, wenn es davon ausgeht, dass „wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, […] möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten“ wird (BVerfGE 65, 1, 43).
Insoweit verkennt die Landesregierung den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich von Art. 8 Abs. 1 GG als ein grundsätzlich staatsfreies und unreglementiertes Freiheitsrecht (BVerfGE 69, 315, 349) grundlegend, wenn sie in der Gesetzesbegründung (S. 20) ausführt, „von der Durchführung von Bildaufzeichnungen zur Eigensicherung [gehe] keine spezifische Abschreckungswirkung in Bezug auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus“. Dabei kann sie sich insbesondere nicht auf die Begründung der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts LSA vom 11. November 2014 berufen. Dieses hatte sich ausgehend von Befugnissen nach § 11 Nr. 7 SOG LSA lediglich zu Videoaufzeichnungen an Kontrollstellen „auf dem Weg zu Versammlungen“ geäußert und hier unter der Voraussetzung einer konkreten Gefahr für Leib und Leben von Polizeikräften lediglich eine „Reflexwirkung“ durch die zu Abschreckungszwecken erfolgende offene Videoüberwachung im Verkehrsgeschehen angenommen, die „keine zusätzliche Abschreckungswirkung in Bezug auf die Versammlungsteilnahme“ erzeuge (S. 30 BA). Eine solche ist jedoch mit einer im Pre-Recording-Modus mitgeführten Body-Cam, deren Aufnahme- und Speichertätigkeit im Versammlungsgeschehen für die Teilnehmenden kaum nachvollzogen werden kann, durchaus anzunehmen. Insofern ist schon zu bezweifeln, dass es sich bei einer Body-Cam im Versammlungsgeschehen noch um eine offene Datenerhebung handelt (vgl. Arzt, a.a.O., § 19a Rn. 36).

Anders als bei dauerhaft gespeicherten Erhebungen nach § 16 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SOG LSA-E, die regelmäßig auch die Schwelle des § 18 Abs. 1 VersammlG LSA überschreiten, werden im Pre-Recording-Modus auch keinesfalls Personen aufgenommen, die sich in Folge eigener Gewalttätigkeit nicht mehr auf den Schutz von Art. 8 Abs. 1 GG berufen könnten. Die Auffassung der Landesregierung steht auch in Widerspruch zum Stand der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. So stehen bei der Rechtsprechung des OVG NRW im Versammlungsgeschehen Aufzeichnungen in Frage, welche „die gesamte – möglicherweise emotionsbehaftete – Interaktion der Teilnehmer optisch fixieren und geeignet sind, Aufschluss über politische Auffassungen sowie weltanschauliche Haltungen zu geben. Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken.“ Dies gelte ausdrücklich auch für „flüchtige“, d. h. nicht (dauerhaft) gespeicherte Aufnahmen bzw. Bildübertragungen (Beschluss vom 13.03.2020 - 15 B 332/20 -, Rn. 13 und 15). Nach Auffassung des RAV sollte der Einsatz von Body-Cams in Versammlungsgeschehen ausdrücklich ausgeschlossen werden.

e) Fehlende Betroffenenrechte
Unzureichend ist der Entwurf von § 16 Abs. 3 und 6 SOG LSA schließlich hinsichtlich der Sicherungen der erhobenen Daten gegen Manipulationen durch Beteiligte; außerdem fehlen signalgebende Vorschriften zum Betroffenenschutz. Bei der Einführung der Body-Cam wird der Aspekt der Erweiterung der Transparenz des polizeilichen Handelns immer wieder betont (vgl. Abschlussbericht S. 5 m.w.N.). Durch die gefertigten Aufzeichnungen unterlägen Beschwerden gegen behördliche Maßnahmen, „sowohl seitens der Polizei als auch der Öffentlichkeit einer besseren Überprüfbarkeit, Nachvollziehbarkeit und Beurteilung.“ (ebd.) Dies setzt jedoch voraus, dass der den Bild- und Tonaufzeichnungen zugeschriebene Sicherungseffekt nicht nur einseitig zugunsten von Dienstkräften zur Wirkung kommt, sondern mit dem Ziel der Transparenz polizeilicher Handlungen als hoheitliche Maßnahmen, die im besonderen Maße den Diskriminierungsverboten des Art. 3 GG unterfallen, auch ein subjektiv-öffentlicher Anspruch von Betroffenen polizeilicher Maßnahmen begründet wird, die Einschaltung der Recording-Funktion der Body-Cam verlangen zu können. In diesem Fall begegneten auch Tonaufzeichnungen im Pre-Recording-Modus keiner kompetenziellen Regelungssperre des Landesgesetzgebers, weil dieser nicht nur den Schutz von Leib und Leben der Dienstkräfte bezweckte, sondern den Schutz der Betroffenen gegen „verbale Ungebühr“ seitens der Dienstkräfte. Dies setzt ferner voraus, dass die erhobenen Aufnahmen nach ihrer Speicherung weder von den am Einsatz beteiligten Dienstkräften noch ihren unmittelbaren Dienstvorgesetzten gelöscht oder verändert werden können und die Betroffenen auch in realistischer zeitlicher Distanz noch ein ausdrückliches Recht zur Einsicht und Sicherung ihrer Daten haben (Sperrung bzw. Einschränkung).

Polizeigesetze anderer Länder sehen daher eine Aufzeichnungspflicht auch auf Verlangen der von der polizeilichen Maßnahme Betroffenen (vgl. etwa § 33a Abs. 5 S. 5 PAG Thüringen) bzw. eine Aufzeichnungsobliegenheit bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs (vgl. etwa § 24c Abs. 2 S. 1 ASOG Bln) vor, ferner Vorkehrungen gegen eine Veränderung der Aufzeichnungen (vgl. § 24c Abs. 4 S. 1 und 2 ASOG Bln). Zwar steht den Betroffenen in Sachsen-Anhalt über § 32c SOG LSA i.V.m. §§ 13, 14 DSUG LSA ein (beschränktes) Auskunftsrecht über die sie betreffenden Daten zu, dieses ist jedoch regelmäßig an das LKA zu richten. Die kurze Sperrzeit von 3 Monaten in § 16 Abs. 6 SOG LSA-E würde es aus anwaltlicher Sicht erforderlich machen, eine längere Speicherung im Interesse des Betroffenen vorsorglich im Eilverfahren gerichtlich durchzusetzen, insbesondere, wenn Betroffene bis dahin keine Einsicht erhalten haben. Hier sollte in der Befugnisnorm selbst ein direkter Anspruch für die Betroffenen auch als Rechtsgrund für eine einschränkende Datenspeicherung „für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von polizeilichen Maßnahmen“ (vgl. § 24c Abs. 4 S. 3 Nr. 2 ASOG Bln) vorgesehen werden.


3. Einführung von Section Control als Modellprojekt (§ 16a SOG LSA)

Auch die Einführung kameragestützter stationärer Geschwindigkeitskontrollen stellt einen Beitrag zur Ausweitung der Überwachungstechnologie dar und unterliegt somit nicht nur im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung besonderen Rechtfertigungsanforderungen. Der vorliegende Entwurf eines neuen § 16a SOG LSA übernimmt dabei weitgehend die erstmals in Niedersachen eingeführte Rechtsgrundlage des § 32 Abs. 6 NPOG, die zunächst das OVG Lüneburg als Maßnahme zur Verhinderung von Unfallgefahren in Folge von Geschwindigkeitsübertretungen für kompetenzrechtlich unproblematisch und hinreichend bestimmt erachtet hatte (Urteil vom 06.10.2020, 11 LC 149/16), was das BVerwG bestätigt (Beschluss vom 31.07.2020, BVerwG 3 B 4.20) und das BVerfG nicht zum Anlass für eine eigene Entscheidung genommen hat. Begrüßenswert sind insoweit die gesetzlichen Vorgaben zur Datensparsamkeit in Abs. 2 sowie die ministeriale Berichtspflicht gegenüber dem Landtag. Letztere sollte allerdings nicht einmalig, sondern periodisch erfolgen. Da sich die Einrichtung der Abschnittskontrollen finanziell nicht selbst tragen (z.B. durch eingenommene Bußgelder bei festgestellten Geschwindigkeitsübertretungen) und vordergründig dem Schutz von Leib und Leben der Verkehrsteilnehmenden zu dienen bestimmt sind, wird empfohlen, die Datenerhebung durch Abschnittskontrollen unter einen Erforderlichkeitsvorbehalt zu stellen, in dem diese auf unfallbelastete Verkehrsabschnitte beschränkt werden. In der Umsetzung wird darauf zu achten sein, dass die gesetzlich vorgesehenen Hinweise rechtzeitig und nachvollziehbar über die Maßnahme informieren und mehrsprachig gestaltet sind. Ferner fordern die vom RAV vertretenen Rechtsanwält*innen, dass die vor Durchführung der Maßnahme nach § 23 DSUG LSA anzufertigende Datenschutzfolgenabschätzung veröffentlicht, das Modellprojekt zeitlich befristet und eine Evaluationspflicht vorgesehen wird.


4. Dauerhafte Befugnis der elektronischen Fußfessel zur Abwehr von terroristischen Straftaten (§§ 36c und 106 SOG LSA)

Die präventivpolizeiliche elektronische Aufenthaltsüberwachung wird von den durch den RAV vertretenen Anwält*innen grundsätzlich abgelehnt. Es handelt sich um eine tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifende Maßnahme. Die Person, die eine derartige Fessel trägt, weiß, dass jeder ihrer Schritte nachvollzogen werden kann.
Die Betroffenen sind dieser Beobachtung rund um die Uhr unausweichlich ausgesetzt, was – auch empirischen Studien zufolge – zu psychischen Problemen führen kann. Diese Maßnahme führt auch zur Stigmatisierung, da die Geräte für andere Menschen in der Umgebung wahrnehmbar sind (Luczak, Stellungnahme RAV zum Gesetzentwurf des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg, 17.9.19).

Soweit das BVerfG elektronische Fußfesseln im Bereich der Führungsaufsicht im Strafvollstreckungsverfahren für verfassungskonform hält (vgl. BVerfGE 156, 63), konnte es hierbei jedoch von der zur Verurteilung führenden Anlasstat des Betroffenen als Grundlage der erforderlichen Prognose über seine Gefährlichkeit in Bezug auf bestimmte Rechtsgüter ausgehen. Demgegenüber erlauben §§ 36a, 36c SOG LSA den Einsatz elektronischer Fußfesseln bereits bei einer konkreten Wahrscheinlichkeit einer in absehbarer Zeit begehbaren terroristischen Straftat und weiten die Zulässigkeit dieser Beschränkung weit ins Vorfeld einer konkreten Gefahr auch gegenüber nicht vorbestraften Personen aus. Dabei weitet der Katalog des § 3 Nr. 5 SOG LSA das begriffliche Verständnis dessen, was als terroristische Straftat erfasst sein soll, weit in Deliktsgruppen der allgemeinen Kriminalität aus (z.B. §§ 211, 212, 224, 226, 227 StGB), wenn diesen eine Nähe zu terroristischen Aktivitäten zukommt. Damit hat die gesetzliche Regelung ihre an den Grundrechten orientierte Beschränkungsfunktion weitgehend verloren und erweist sich als unverhältnismäßig.

Dabei sind derartige Prognosen stigmatisierungsanfällig (vgl. BVerfGE 115, 320, 351) und durch eine „hohe Ambivalenz der potenziellen Bedeutung einzelner Verhaltensumstände geprägt“ (BVerfGE 113, 348, 377). Da der Eingriff sich auf mögliche zukünftige Aktivitäten bezieht, kann er sich häufig nur auf Tatsachen stützen, bei denen noch offen ist, ob sie sich zu einer Rechtsgutverletzung weiterentwickeln (vgl. BVerfGE 110, 33, 59), während die mit der polizeilichen Entscheidung einhergehenden Freiheitsbeschränkungen stets unmittelbar wirksam und Verstöße hiergegen strafbewährt sind (vgl. § 106 SOG LSA). Im Falle polizeilicher Fehleinschätzungen, die wegen der grundsätzlichen Schwierigkeit, solche Prognosen zu treffen, unvermeidbar sind, haben auch Personen das Tragen einer Fußfessel zu dulden, von denen tatsächlich gar keine Gefahr ausgeht.

Dass von dieser weitgehenden Befugnis im Probezeitraum nur in einem Anwendungsfall für eine relativ kurze Dauer Gebrauch gemacht wurde, spricht einerseits für einen zurückhaltenden Gebrauch dieser Befugnis, wirft andererseits aber auch Fragen nach ihrer Erforderlichkeit auf. Das BVerfG hat daher den Gesetzgeber in der Fußfessel-Entscheidung dazu verpflichtet, „die spezialpräventiven Wirkungen und technischen Rahmenbedingungen der elektronischen Aufenthaltsüberwachung empirisch zu beobachten und das gesetzliche Regelungskonzept gegebenenfalls den dabei gewonnenen Erkenntnissen anzupassen“ (BVerfGE 156, 63, 64, Leitsatz 4 und 123 ff.). Vor diesem Hintergrund fordern die im RAV organisierten Anwält*innen, nicht nur die §§ 36c und 106 SOG LSA nicht zu entfristen, vielmehr die Befristung auch auf die §§ 36a und 36b SOG LSA auszuweiten und auch hier eine begleitende Evaluationspflicht durch unabhängige wissenschaftliche Institutionen einzuführen.

Die StN als PDF