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Aktuelles von und über die Kollegin Eren Keskin

Stellungnahme zur Repression gegen Kolleginnen und Kollegen in der Türkei und den kurdischen Gebieten
Am 11.04.2008 berichteten wir über das Strafverfahren gegen unsere Kollegin Eren Keskin in der  Türkei wegen ihrer Aussagen in einem Interview für den Tagesspiegel. Über ihr Rechtsmittel gegen ihre Verurteilung zu 6 Monaten Haft und zusätzlicher Geldstrafe wegen Verunglimpfung und Herabwürdigung des türkischen Militärs ist durch den Kassationsgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der Umstand, dass die Verurteilung unserer Kollegin noch nicht rechtskräftig ist, hinderte den Disziplinarausschuss der Rechtsanwaltskammer Istanbul, welcher auf die Aufforderung des Präsidiums des militärischen Generalstabs hin bereits mit Beschluss vom 06.12.2007 ein Disziplinarverfahren gegen Eren Keskin eingeleitet hatte, jedoch nicht, eine eigne Entscheidung zu treffen: Am 03. Februar 2010 entschied der Ausschuss der Kammer einstimmig, gegen die Rechtsanwältin Eren Keskin eine offizielle Verwarnung auszusprechen. Begründet wurde dies damit, dass Frau Keskin durch ihre Äußerungen über das Militär gegenüber dem Tagesspiegel gegen die Artikel 34 und 134 des Türkischen Gesetzes über das Anwaltswesen sowie gegen die Regel Nr. 5 der Berufsregeln der Nationalen Anwaltskammer der Türkei verstoßen habe. Nach dieser Bestimmung hat eine Anwältin sich der heiligen (!) Bedeutung ihres Berufes würdig, ehrlich und ehrenhaft sowie den Berufsregeln der Kammern folgend zu verhalten. Regel 5 der Nationalen Kammer lautet: „Anwält_innen haben sowohl in ihren Schriften als auch in ihrer Rede ihre Meinungen reif und objektiv darzulegen. Während der Berufsausübung haben sie sich Äußerungen, welche mit dem Recht und den Gesetzen in keinem Zusammenhang stehen, zu enthalten.“ Gerade in Ländern, in denen weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen vorkommen, ist es auch Aufgabe der Anwältinnen und Anwälte auf die Verletzungen internationalen Rechts hinzuweisen und die Verantwortlichen zu benennen. Aufgabe der Berufskammern sollte es sein, ihren Mitgliedern, die nicht selten so wie auch Frau Keskin sowohl mit Todesdrohungen als auch mit Strafverfahren für ihre diesbezüglichen unliebsamen Äußerungen überzogen werden, bei dieser Aufgabe den Rücken zu stärken. Wir halten es für höchst problematisch, dass sich eine Anwaltskammer quasi im vorauseilenden Gehorsam auf die Seite des Generalstabs schlägt, statt eine Kollegin zu schützen. Da bereits 2002 eine Disziplinarentscheidung der Kammer gegen Frau Keskin wegen ähnlicher Meinungsäußerungen ausgesprochen worden war, hat dies zur Folge, dass bei einem wie auch immer gearteten weiteren „Vergehen“ unserer Kollegin endgültig die Zulassung als Anwältin entzogen werden kann. Da die Disziplinarmaßnahme noch nicht rechtskräftig ist und die Kollegin Eren Keskin hiergegen Einspruch erhoben hat, halten wir eine Korrektur seiner Entscheidung durch die Istanbuler Kammer für dringend notwendig. Dies umso mehr, als es wieder verbreitet vorkommt, dass Anwältinnen und Anwälte für ihre kritischen Äußerungen Staat und Militär betreffend, besonders dann, wenn diese im Ausland fallen, mit Strafverfahren überhäuft und sogar in Haft genommen werden: So wurde am 24.12.2009 der Rechtsanwalt Muharrem Erbey, Vorsitzender des Menschenrechtsvereins IHD Diyarbakir und Vizevorsitzender des Gesamt-IHD, festgenommen und befindet sich seitdem unter dem Vorwand der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ in Haft. Die Anklage ist noch nicht gefertigt. Aus einem offenen Brief, den er in der Haft verfasste, ergibt sich jedoch, dass er während der Verhöre insbesondere mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, während seiner Auslandsbesuche (Reden vor den Parlamenten in Schweden, Belgien und England sowie vor den Vereinten Nationen in Genf) und  in Interviews in internationalen Medien das Ansehen der Türkei verunglimpft zu haben. Auch der Kollege Firat Anli, ein bekannter kurdischer Menschenrechtsanwalt, der zuletzt auch Vorsitzender der kurdischen Partei DTP des Regierungsbezirks Diyarbakir war, wurde bei der Massenfestnahme gegen aktive kurdische Menschenrechtlerinnen und Politikerinnen im Dezember 2009 inhaftiert. Das Vorgehen türkischer Regierungs- und Sicherheitskreise, die Träger_innen unliebsamer Ansichten und Meinungen durch Verhaftung, Bedrohung und uferlose Strafverfahren zum Schweigen bringen zu wollen, ist illegitim. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsanwaltskammern, dieses staatliche Vorgehen durch zusätzliche eigene Diziplinierungsmaßnahmen gegen Kolleginnen und Kollegen, welche letztlich auch die Vernichtung der beruflichen Lebensgrundlage zur Folge haben, im Nachhinein zu legitimieren. Berlin, den 24.03.10 Für den RAV e.V. Jutta Hermanns, Rechtsanwältin
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