Der RAV spricht sich vehement gegen eine Arbeitspflicht für Bürgergeldberechtigte aus. Dies plant etwa die CDU in Schwerin, basierend auf einem Antrag der AfD. Bundesweit entbrannt ist die Debatte, nachdem auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann gefordert hat, Menschen, die nicht arbeiten, die Grundsicherung komplett zu streichen.
„Das ist nicht nur absurd, es ist verfassungswidrig“, stellt RAV-Mitglied und Rechtsanwalt Sven Adam aus Göttingen klar. Er wünscht sich eine Versachlichung der Debatte und klärt über die rechtlichen Grundlagen auf: „Eine Arbeitspflicht für Bürgergeldberechtigte ist nicht möglich, allein weil Artikel 12, Absatz 2 Grundgesetz besagt, dass niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf. Die Debatte ist absurd, denn die rechtlichen Rahmenbedingungen sind hinreichend geklärt.“
Aus juristischer Sicht erreiche die Debatte gerade einen „neuen Tiefpunkt“, so der Anwalt. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits 2019 in einem Urteil zu Sanktionen klargestellt: Niemand darf unter dem „menschenwürdigen Existenzminimum“ leben (Az.: 1 BvL 7/16). Diese Anforderung ergibt sich aus Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 GG. Fundiert ist der Anspruch durch die Menschenwürde. Sie steht allen zu und geht „selbst durch vermeintlich ‚unwürdiges‘ Verhalten nicht verloren“, heißt es unmissverständlich in den Leitsätzen der BVerfG-Entscheidung vom 05.11.2019.
Das bedeutet: Auch wenn Menschen nicht das tun, was staatliche Stellen wie Jobcenter verlangen, etwa an Bewerbungstrainings teilnehmen oder bestimmte Jobs annehmen, dürfen zur Strafe nicht Leistungen unter das Existenzminimum gekürzt werden. Der Staat darf zwar sanktionieren (§31a SGBII) und bestimmte Tätigkeiten anordnen, aber das umfasst keine Arbeitspflicht für einen bestimmten Job. Die Maßnahmen müssen zudem immer zumutbar und verhältnismäßig sein.
„Wenn die CDU die deutsche Verfassung ändern und dabei die Würde des Menschen relativieren will, sollte sie dies wenigstens ehrlich sagen“, findet Adam. Er verurteilt die populistischen Parolen zu Wahlkampfzwecken. „Sie diffamieren wieder einmal die Schwächsten in unserer Gesellschaft, bauen Druck auf und erzeugen Angst. Es geht bei der Forderung gar nicht darum, tatsächlich staatliche Ausgaben zu senken“, ist er überzeugt. Das zeigen auch die Zahlen, denn faktisch gibt es kaum Menschen, die arbeitsfähig sind, ohne zu arbeiten. Von den insgesamt 5,6 Millionen Bürgergeldberechtigten ist jeder Fünfte bereits erwerbstätig, aber viele verdienen nicht genug, um davon leben zu können. Andere sind in Ausbildung oder pflegen Angehörige. Die populistische Forderung betrifft also ohnehin allerhöchstens 1,7 Millionen Menschen.
Schon jetzt gilt in einzelnen Orten wie im Thüringischen Greiz eine Arbeitspflicht für Asylbewerber, wie sie in Paragraf 5 AsylbLG steht. Aus Sicht des RAV ist diese ebenso verfassungswidrig und sollte dringend abgeschafft werden. Rechtsanwalt Adam klagt in einem Fall aus Greiz aktuell dagegen und will bis zum Bundesverfassungsgericht ziehen, um ein Grundsatzurteil zu erreichen.
Sven Adam ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Sozialrecht aus Göttingen. Der Experte für Existenzsicherungsrecht vertritt im thüringischen Greiz aktuell zum Beispiel einen 49-jährigen Asylbewerber aus dem Iran, der unter Androhung der Kürzung von Existenzsicherungsleistungen zu Hilfsarbeiten im städtischen Krankenhaus in Greiz für 80 Cent pro Stunde verpflichtet wurde. Das Eilverfahren läuft vor dem Thüringer Sozialgericht Altenburg (Az.: S 21 AY 1327/24 ER).
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Sven Adam, Rechtsanwalt in Göttingen und Mitglied im RAV
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Dr. Peer Stolle, Rechtsanwalt und RAV-Vorstandsvorsitzender
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