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Migration & Asyl in Europa

Im nationalen Migrations- und Asylrecht übt die europäische Rechtsetzung ebenso wie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zunehmenden Einfluss aus.
Die zunehmende Bedeutung europäischer Rechtssetzung lässt sich an der vom EGMR vor allem unter Berufung auf Art. 8 EMRK geschaffenen Rechtsfigur des „faktischen Inländers“ gut belegen. Nach deutschem Rechtsverständnis entfaltete die Tatsache, über einen mehrjährigen faktischen Aufenthalt zu verfügen und einen wesentlichen Teil der Sozialisation in Deutschland erhalten zu haben, in der Regel keine rechtlichen Wirkungen für den Erhalt eines Aufenthaltstitels. Aus der Rechtsprechung des EGMR lässt sich ein Recht auf Aufenthaltssicherheit ableiten und weiter entwickeln, welches bis dato nach dem deutschen Aufenthaltsrecht nicht denkbar war.
Andererseits werden aber auch im deutschen Recht verankerte, eher restriktiv gestaltete Normen, wie etwa beim Familiennachzug oder der Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge, auf die europäische Ebene übertragen. Gleichzeitig werden diese mit dem nationalen Kontext verbundenen Fragen zunehmend vom europäischen Grenzregime dominiert. Zugangsmöglichkeiten für Drittstaatsangehörige zum Territorium der EU bestehen nur äußerst begrenzt und werden weiter verschärft, Flüchtlingen der Zugang gar systematisch verweigert.
„In der Erkenntnis“, so formuliert es die Europäische Kommission, „dass ein neuer Ansatz der Migrationssteuerung notwendig war“, beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU anlässlich im Oktober 1999 in Tampere (Finnland) Eckpunkte einer gemeinsamen Einwanderungspolitik der EU. Die Eckpunkte wurden mit dem Haager Programms 2004 bestätigt, das die Ziele für die Stärkung der „Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ in der EU für den Zeitraum 2005-2010 festlegt.
In Tampere hatte man sich auf einen zweiphasigen Prozess geeinigt. Die erste Harmonisierungsphase betraf vor allem Zuständigkeitsfragen und Datentransfers, die zweite Phase das (gescheiterte) Ziel der Angleichung der Rechtstexte auf der materiellrechtlichen Ebene. Das Haager Programm (u.a. Vorratsdatenspeicherung, Schaffung von FRONTEX) wird in der zweiten Phase gekrönt durch den „Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl“ von 2008, der sein Augenmerk auf fünf „grundlegende Verpflichtungen“ der EU richtet, nämlich auf die Bekämpfung der illegalen Einwanderung, die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitstaaten und den Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur.
Als Weiterführung stehet nun das „Mehrjahresprogramm für Justiz und Inneres“ an. Angedacht sind u.a ein zentrales europäisches Bevölkerungsregister, grenzüberschreitende Onlinedurchsuchungen, systematische gemeinsame Abschiebeflugzeuge und -flüge, Flüchtlingslager in „Drittstaaten“, mehr polizeiliche Interventionen außerhalb der EU, Ausbau der „Europäischen Gendarmerietruppe“ und Einsatz von Militär zur Migrationsabwehr. Datenbanken sollen ausgebaut, vereinheitlicht und auf europäischer Ebene vernetzt, „e-borders“ eingeführt werden.
Konkrete, schon seit Längerem existierende Vorschläge betreffen außerdem das Konzept der zirkulären Migration – einer Wiederauflage des gescheiterten „Gastarbeitermodells“. Zur Arbeitsmigration sollen relativ kurz befristete Aufenthaltstitel erteilt werden. Für eine effektive Ausweitung der europäischen Visapolitik soll sie in die an Europa angrenzenden Regionen z.B. in Nordafrika oder Osteuropa exportiert werden. Vorgesehen sind die Speicherung der Flugdaten von Drittstaatsangehörigen und die Einführung sogenannter Bonitätslisten. Touristen, die etwa ihr Visum überschreiten, können hier erfasst und europaweit mit einer Visasperre oder einer Einreiseverweigerung belegt werden.
Allgemein ist festzustellen, dass aufseiten der Exekutive eindeutig der Wille besteht, den Betroffenen möglichst wenig bis keine autonomen Rechte zusprechen zu wollen, es sei denn, sie können sich als hoch qualifiziert präsentieren. Andere Initiativen z.B. vonseiten der Kommission, anerkannten Flüchtlingen sowie Personen im Besitz eines humanitären Aufenthaltstitels, die sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig in einem europäischen Staat aufgehalten haben, eine Daueraufenthaltsperspektive zu ermöglichen und den Familienachzug zu diesen Personen zu erleichtern, haben es deutlich schwerer, mehrheitsfähig zu werden. Das Europäische Parlament hat sich in einem Initiativbericht vom 10. März 2009 zustimmend zu den Vorschlägen der Kommission zur Reform von EU-Rechtsakten im Bereich des Asylrechts geäußert, die in Teilbereichen leichte aber vollkommen unzureichende Verbesserungen für Flüchtlinge vorsehen. Kritisiert wurde vom Parlament auch die sogenannte Dublin-II-Verordnung, die die Zuständigkeit eines Staates der EU für die Durchführung von Asylverfahren regelt und faktisch zu einem Verschiebebahnhof Europa und zu massiver Inhaftierung von Flüchtlingen innerhalb Europas führt, ohne dass in allen europäischen Ländern ein effektiver Zugang zum Asylrecht gewährleistet wäre.

Pressemitteilungen zum Thema

Diskussionsveranstaltung, Berlin, 21.5.10
Diskussionsveranstaltung mit:
Prof. Dr. Andreas Paulus, Richter am Bundesverfassungsgericht
RA Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des ECCHR
RAin Britta Eder
Moderation: Wolfgang Neškovic, MdB, Bundesrichter a. D. Die Terrorlisten der Europäischen Union stehen bereits seit längerer Zeit in der Kritik. Wer auf einer dieser Listen steht, den treffen Reiseverbote und Finanzrestriktionen. Für die betroffene Person hat eine Listung zunächst die Sperrung sämtlicher Konten zur Folge. Zugleich dürfen der gelisteten Person auch keine Gelder und wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Diese Sanktionen werden in einem demokratisch und rechtsstaatlich überaus fragwürdigen Verfahren verhängt. Das Vorgehen der Europäischen Union hat deshalb bereits scharfe Kritik erfahren. Dick Marty, der…
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Pressemitteilung
Das Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Frage, ob die Aufnahme einer Organisation in die EU-Terrorliste (hier der DHKP-C) wirksam ist und Grundlage nationaler Strafverfolgung sein kann, wenn die Organisation selbst keine Klage gegen die sie betreffenden Beschlüsse erhoben hat, aber deren Listung unter Verstoß gegen elementare Verfahrensgarantien zustande gekommen ist.

Der Fall:
Vor dem OLG Düsseldorf findet seit März diesen Jahres ein Verfahren gegen eine Frau und zwei Männer statt, denen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, der DHKP-C, vorgeworfen wird (§ 129b StGB). Darüber hinaus werden sie beschuldigt, Spendenkampagnen für die DHKP-C durchgeführt und Erlöse aus Veranstaltungen und dem Verkauf von Publikationen der Organisation zur Verfügung gestellt zu…
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Stellungnahme zur Vorlage des BVerwG an den EuGH
»Daß Du Dich wehren mußt, wenn Du nicht untergehen willst, wirst Du doch einsehen« (B. Brecht) Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor rund einem Jahr exemplarisch zwei Verfahren zu Fragen der Auslegung des so genannten Terrorismusvorbehalts i.S.d. Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtline) und § 3 Abs. 2 AsylVfG (alte Fassung: § 60 Abs. 8 AufenthG) vorgelegt und zugleich seine eigenen Rechtsansichten zu den aufgeworfenen Fragen formuliert (BVerwG 10 C 48.07 betreffend einem ehemaligen Mitglied der DHKP/C und BVerwG 10 C 46.07 betreffend einem ehemaligen Mitglied der PKK). Der Europäische Gerichtshof hat die beiden Sachen zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (C–57/09 und C 101/09). Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf den 9. März…
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Veranstaltung, Berlin, 1.10.2009
Die Verabschiedung des "Stockholm Programms" durch den Ministerrat der EU steht im Dezember in Stockholm bevor. Der neue Fünfjahresplan europäischer Innenpolitik weitet die Strategien der Politik "Innerer Sicherheit" aus und sieht umfassende Eingriffs- und Zusammenarbeitsformen in der EU-Innen- und Justizpolitik vor. Die EU betreibt: •   eine Asyl- und Migrationspolitik zur Abwehr von Flüchtlingen •   die Überwachung und Sicherung der Grenzen mittels eines umfassenden grenzüberschreitenden "Informationsmanagements" •   die Absicherung der "Festung Europa" durch FRONTEX, einer supranationalen Agentur, die sich der parlamentarischen Kontrollen weitgehend entzieht. Die Ausweitung geheimdienstlicher Kooperationen und die Vermischung der Aufgaben von Polizei und Militär werden die…
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Kampagne zu Auskunftsersuchen in europäischen Datenbanken
Europaweit sind personenbezogene Daten von Millionen von Menschen in Informationssystemen gespeichert, die von Polizei oder Geheimdiensten betrieben oder selbstverständlich abgefragt werden. Ergänzt und vernetzt werden die diversen nationalen Informationssysteme durch zentralisierte Datenbanken, wie das Schengen-Informationssystem (SIS) oder Europols Computersysteme, und die wachsende Automatisierung und Beschleunigung des grenzüberschreitenden Datenaustausches im Gefolge des Vertrages von Prüm und der „Schwedischen Initiative“. Betroffen sind längst nicht nur Personen, die wegen einer Straftat rechtskräftig verurteilt sind. Regelmäßig erfasst werden MigrantInnen – sei es, weil sie das „Verbrechen“ begangen haben, sich ohne vorherige Bewilligung im europäischen Wohlstandsraum aufzuhalten,…
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Veranstaltung, Berlin, 28.05.2009
Im Sommer 2004 rettete Stefan Schmidt als Kapitän der Cap Anamur – eigentlich mit Hilfsgütern für Westafrika und den Irak unterwegs – 37
afrikanische Flüchtlinge aus dem Mittelmeer. Seit 2007 steht er deshalb
gemeinsam mit dem damaligen Cap-Anamur-Chef Elias Bierdel im italienischen Agrigent wegen "Schlepperei" vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft beantragte jeweils 4 Jahre Gefängnis und 400.000 Euro Geldstrafe - das Urteil wird nunmehr für Juni erwartet.
Stefan Schmidt berichtet von einem ganz eigenen Stück des Dramas, das sich tagtäglich kurz vor und kurz hinter den Mauern der „Festung Europa“
abspielt. Zusammen möchten wir diskutieren, welche Perspektiven für eine
menschenwürdige europäische Flüchtlingspolitik denkbar wären.

Zur Vesper gibt es Brot und Käse, Wasser und Wein.
Veranstalter: Hum…
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Stellungnahme

Erklärung des Europäischen Bürgerrechtsnetzwerks (ECLN) zum neuen Fünfjahresplan der EU zur Justiz- und Innenpolitik [1,2]

Das "Stockholm-Programm" legt die Agenda für die europäische Justiz-und Innenpolitik sowie die Politik zur Inneren Sicherheit von 2009 bis 2014 fest. Die EU hat bereits durch die Schaffung militarisierter Grenzen, die Verpflichtung zu einem proaktiven Überwachungsregime und durch die zunehmend aggressive Außen-und Verteidigungspolitik einen bedenklich autoritären Charakter angenommen. Die laufende Diskussion unter politischen Entscheidungsträgern der EU lässt erwarten, dass dieser Ansatz in den nächsten fünf Jahren vertieft und ausgeweitet wird. Es ist davon auszugehen, dass das "Stockholm-Programm", das auf den Abschlussbericht der EU-Zukunftsgruppe gründet…

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