Sie sind hier: RAV > PublikationenInfoBriefeSonderBrief Rassismus & Recht 2016 > Mediterrane Migrationsregime

Mediterrane Migrationsregime

Mehr Militär im Mittelmeer

VOLKER EICK

260.000 Menschen stellten im Jahr 2010 in EU-Mitgliedsstaaten einen Asylantrag, meldet das UNHCR – etwa 10.000 von ihnen erreichten seinerzeit Europa über das Mittelmeer. 2014 waren es 570.800 Flüchtende, die in EU-Mitgliedsstaaten einen Antrag stellten – insgesamt waren es 866.000. Von ihnen flohen 219.000 über das Mittelmeer.(1) Auch nachdem die Landesgrenzen weitgehend mit Zäunen, Sensortechnologien, aufgerüsteten Grenztruppen und kommerziellen Sicherheitsdiensten abgeschottet wurden, erreichten 2014 also immer noch drei Viertel aller Flüchtenden die ›Festung Europa‹ auf dem Landweg. Das änderte sich offenbar 2015.
Zwischen Januar und Juli 2015 landeten 310.000 Flüchtende nach illegalisierten Überfahrten über das Mittelmeer in Europas Lagern und Internierungszentren an. Nach notwendigerweise unklaren Statistiken – es kümmert ja die nicht, die sonst alles vorher wissen und erfassen wollen – starben im selben Zeitraum rund 2.500 Flüchtende auf See; im gesamten Jahr 2014 ertranken oder wurden im Mittelmeer als vermisst gemeldet nur etwa 3.700 Menschen;(2) von Januar 2016 bis zum 8. Februar bereits 360, zehn am Tag. Politisch wie juristisch ist es gleichwohl eine Bankrotterklärung, das Mittel- zum »Mordmeer« zu erklären.(3)
Im Rahmen dieser durchaus disparaten mediterranen Überwachungs- und Pazifierungsregime kommt es zu einer dreifachen, wenn auch widersprüchlichen Bewegung, die u.a. auch internationale Vereinbarungen zur Neutralität internationaler Gewässer – die Hohe See – unterminiert;(4) um diese Seegrenzräume soll es hier am Beispiel des Mittelmeers gehen. 

GRENZRÄUME UND MILITARISIERTE INNENPOLITIK 

Erstens wird die Grenze als Demarkationslinie oder Checkpoint zu einem Grenzraum umdefiniert, der sich nach außen auch über geographisch-nationalstaatliche Grenzen hinaus etwa in die Hohe See oder in andere (Dritt-)Staaten hinein erstrecken können soll. Wenn etwa Spanien der Vorstellung anhängt, dort, wo seine Grenzschutzkommandos sich jeweils gerade aufhalten, sei die Staatsgrenze zu Marokko – vor, neben oder hinter Ceuta und Melilla –, dann ist das so ein Fall (vgl. Rau, in diesem Heft).(5) Ein anderer ist das Seerechtsübereinkommen der UN (UNCLOS) von 1982. Es schuf internationale Regelungen zum freien Seeverkehr (Seevölkerrecht), die eine ungehinderte Passage durch die Hohe See garantieren sollten.(6) UNCLOS eliminierte indes durch die Schaffung neuer national-nasser Hoheitsflächen erhebliche internationale Seeflächen und mithin weitgehend belästigungsfreie Gewässer.(7) Die USA, die UNCLOS nie zeichneten (Australien trat 2002 aus), hatten des ungeachtet bereits im Jahr 2000 mit 29 anderen Staaten bilaterale Abkommen geschlossen, die ihnen einseitig jederzeit ›Besuchsrechte‹ (›stop and search‹) auf Schiffen dieser Nationen in internationalen Gewässern einräumten.(8)
Zweitens wird aus dem Scheitern eines ursprünglich vorwiegend nach außen und auf Flüchtlingsabwehr gerichteten staatlichen Grenzschutzes die Notwendigkeit einer neuen Innenpolitik unter Beteiligung von kommerziellen und ›zivilgesellschaftlichen‹ Akteuren abgeleitet. Dazu gehört etwa der – in Griechenland bereits in der Umsetzung befindliche – Vorschlag der EU-Kommission, dass freiwillige Hilfsorganisationen bei staatlichen Stellen vorstellig werden und sich registrieren lassen müssen, bevor sie humanitäre Leistungen für Geflüchtete erbringen dürfen;(9) man wird das getrost als Vorbereitung ›effektiverer‹ Kriminalisierung betrachten dürfen. Immerhin weiß die EU-Kommission dann, gegen wen genau sie gegebenenfalls vorgehen kann. Dass in Österreich ein kommerzielles Sicherheitsunternehmen in einer grenzüberschreitenden Privatbahn die Überprüfung von Personaldokumenten beim Grenzübertritt übernimmt und ein Wiener Rechtsprofessor darin kein Problem erkennen kann, ist ein weiteres Beispiel.(10)  Die ›Rückführung‹ von Migrantinnen und Migranten durch kommerzielle Wachschutzunternehmen wie G4S in Großbritannien oder in Österreich entwickelt sich zum Modell für einen Migrationsmarkt.(11) 

VERPOLIZEILICHUNG DER NATO ZUR SEE 

Im Rahmen der Technisierung des Migrationsmanagements wird, drittens, eine Militarisierung von Innen- und Außenpolitik betrieben. Für die NATO etwa bedeutete das bereits ab 1992, eine Flotte dauerhaft im Mittelmeer zu stationieren. Ab 1994 wurde der Mediterranean Dialogue mit den zur NATO ›antagonistischen‹ Anrainerstaaten eingeleitet – aus zunächst 60 gemeinsamen Operationen mit diesen Staaten wurden im Jahr 2007 mehr als 600 Einsätze.(12) Aus diesem ›Dialog‹ ging nach 9/11 die zunächst auf das östliche Mittelmeer fokussierte ›Operation Active Endeavour‹ hervor, die im März 2004 auf das gesamte Mittelmeer ausgeweitet wurde und beispielsweise über 30 Monate die ›Begrüßung‹ (hailing) von 69.000 Schiffen durch die NATO umfasste; knapp 70.000 Schiffskapitäne im internationalen Teil des Mittelmeers hatten so der NATO mitzuteilen, wer sie sind und wohin sie wollen.(13) Ist die NATO mit den Antworten unzufrieden, werden seit 2003 die Schiffe durch Rapid Response Teams aufgebracht.(14)
Unter der Überschrift ›The Changing Face of Maritime Security‹ beschreibt ein NATO-Werbefilm, dass und wie die NATO Polizeiaufgaben in internationalen, aber auch Küstengewässern im Namen der ›Sicherheit‹ zu übernehmen habe. Diese Verpolizeilichung der NATO (›policization of NATO‹) umfasst dabei auch die Bekämpfung ›irregulärer‹ Migration. In einer Pressemitteilung der NATO vom 25. März 2006 heißt es, sie habe auch Griechenland bei der Flüchtlingsabwehr unterstützt: »Im Rahmen der Anti-Terror-Operationen im Mittelmeer haben NATO-Schiffe, die im Rahmen der Operation Active Endeavour tätig sind, die griechischen Polizeibehörden bei der Abwehr illegaler Migration unterstützt«.(15)

GRENZRAUM MITTELMEER 

Historisch ist die Flüchtlingsabwehr als Handlungsfeld von Regierungen freilich nicht neu – und die historischen Parallelen einigermaßen erschreckend, wie nur zwei Beispiele zeigen sollen. 

Die Mittelmeerblockaden von 1939 und 1945
Die vermutlich erste systematische Abschottung gegen ›irreguläre‹ Migration im Mittelmeer setzte die britische Marine um: Zwischen Juli und September 1939 sowie zwischen 1945 und 1948 stellten sich britische Kriegsschiffe jüdischen Migrantinnen und Migranten auf dem Weg nach Palästina in den internationalen Gewässern des Mittelmeers in den Weg. Dabei ging es nicht nur um die Abriegelung der territorialen Gewässer, sondern um das Abfangen sowie Aufbringen der Schiffe und die Internierung der Passagiere, die vorwiegend nach Zypern deportiert wurden.(16) Zuvor hatte schon die Konferenz von Évian im Juli 1938 sichergestellt, dass Jüdinnen und Juden keine Fluchtmöglichkeiten aus Österreich und Deutschland in die USA und nach Großbritannien und Frankreich finden – ›leider‹ seien alle 32 an der Konferenz beteiligten Länder ›bereits voll‹.(17)
Die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 war in gewisser Weise eine Reaktion auf dieses Versagen, sollte aber mit ihrer eingeschränkten Definition von ›Flüchtling‹ zugleich sicherstellen, dass die reichen Staaten des Westens nicht unnötig mit Flüchtenden behelligt werden; Immerhin aber wurde in der Konvention – die Bürger- und politische Rechte artikuliert, aber zu sozialen und ökonomischen schweigt – das Prinzip des non-refoulement festgelegt, also das Verbot, Geflüchtete in ihre Fluchtländer zurückzuschieben.(18) Aus dieser Perspektive überrascht es daher nicht, dass gegenwärtig – etwa rund ums Mittelmeer – ein neo-refoulment-Regime etabliert wird, das darauf hinausläuft, Flüchtenden den Zugang zu EU-Ländern, in denen sie Asyl beantragen und Schutz finden könnten, gar nicht mehr zu ermöglichen (vgl. Böhlo, in diesem Heft).(19)

Der ›Marineeinsatzverband 448‹ im Seegebiet des Libanon, 2006 –
Seit 2006 hat auch die seit 1978 bestehende UNIFIL-Mission im Libanon eine maritime Komponente, den Marineeinsatzverband Maritime Task Force ›MTF 448‹; der Einsatz umfasst – wie bei den Landstreitkräften – ein ›robustes Mandat‹. 15 Länder haben sich bisher an der Überwachung des seeseitigen Grenzraums des Libanon in dessen Hoheitsgewässern beteiligt – von Bangladesch über Brasilien, Spanien und Schweden bis zur Türkei. Offizielles Ziel des Einsatzes ist die Aufklärung, Kontrolle und gegebenenfalls Abschottung der Seegrenzen gegen Waffenlieferungen an die Hisbollah sowie die Umleitung der Schiffe im Verdachtsfall. Zurzeit sind sieben Schiffe, seit Februar 2008 unter der Leitung der European Maritime Force (EUROMARFOR), im Einsatz. Mit Beginn der Operationen im Oktober 2006 hat ›MTF 448‹ rund 63.000 Schiffe ›begrüßt‹ (hailed), also aufgefordert, sich und ihre Ladung zu identifizieren; etwa 6.000 davon wurden der libanesischen Marine zur weiteren Inspektion gemeldet.(20) 

Die Operation ›European Union Naval Force Mediterranean‹, 2015 –
Die vorerst vorletzte militärische Mission im Mittelmeer stellt die von den Regierungen der 28 EU-Mitgliedstaaten Ende Juni 2015 beschlossene vierstufige(21) militärische Mission European Union Naval Force Mediterranean (EU NAVFOR MED) dar, die auch unter dem Namen ›Operation Sophia‹ bekannt ist.(22) Die Seenotrettung gehört, anders als etwa bei der italienischen Militäroperation ›Mare Nostrum‹,(23) nicht zum Auftrag der bei EUNAVFOR MED eingesetzten Schiffe. Laut Bundesregierung handele es sich vielmehr um eine »Krisenbewältigungsoperation«, die das »Geschäftsmodell der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetze im südlichen zentralen Mittelmeer« unterbinden soll.(24)
Es ging seit Juni 2015 zunächst um das Aufspüren von Fluchthelfer-Netzwerken (Phase 1); diese Phase läuft unter Einsatz von »Auswertung elektro-magnetischer Ausstrahlungen, elektro-optischer Beobachtungen oder auch [durch] Gespräche mit Menschen, die aus Seenot gerettet wurden«, weiter.(25) Deren Infrastrukturen – vor allem Schiffe und Boote – werden derzeit, auch unter Einsatz von Waffen, in internationalen Gewässern angehalten, durchsucht, beschlagnahmt, umgeleitet oder zerstört (Phase 2a). Die deutsche Marine hat bereits – nach einer ersten Zerstörungsaktion von Booten im Mai 2015(26) – mehrfach rechtswidrig Boote zerstört.(27) Durch den »Entzug der notwendigen Wasserfahrzeuge« werde ein Beitrag »zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Schleuser geleistet«, so die Bundesregierung.(28) Dass, insbesondere wenn die Schiffe und Boote nationale Hoheitszeichen (Flaggen) tragen, der jeweilige Flaggenstaat solchen Aktionen auch dann zustimmen muss, wenn sich die Aktion etwa auf das UNTOC-Protokoll gegen Menschenschmuggel oder, wie hier, eine EU-Mission, berufen will, stört offenbar nicht; der Umgang mit (möglicherweise) staatenlosen Booten in internationalen Gewässern ist juristisch umstritten.(29)
Der Operationsplan sieht weiter vor, in »fremden Gewässern« (Phase 2b) – gemeint ist vorrangig die libysche Küste – und auf »fremdem« Territorium – gemeint ist vorrangig Libyen – gegen von Schleppern genutzte Boote und Infra­strukturen vorzugehen (Phase 3). Weder für ein Vorgehen im nassen, noch für ein Vorgehen auf trockenem Hoheitsgebiet liegen die Voraussetzungen vor, denn weder gibt es eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, noch die Zustimmung des betreffenden Staates. Völkerrechtliche Voraussetzungen liegen also für die geplanten Aktivitäten nicht vor, die in der Endphase die ›Neutralisierung‹ von Schleuserbooten, Treibstoff­lagern und sonstigen Einrichtungen vorsehen.
Dennoch begann Phase 2a im Oktober 2015 unter dem Namen ›Operation Sophia‹. Der Bundestag beschloss, dass sich die Bundeswehr mit bis zu 950 Soldatinnen und Soldaten am ›aktiven Kampf‹ gegen ›Schlepper‹ im Mittelmeer beteiligt. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete im Oktober 2015 die Resolution 2240, die die Phase 2a ebenfalls legitimiert und damit zugleich – wie die Bundesregierung(30) – ›Schleusung von Migranten‹ mit ›Menschenhandel‹ auf eine Stufe stellt. Durch seine wachsweichen Formulierungen ist der Sicherheitsrat zudem mit dafür verantwortlich, dass der Eindruck entsteht, jedwede militärische Aktion sei gegen jedwedes Schiff,(31) gegen seine Besatzung und seine Passagiere »für einen Zeitraum von einem Jahr ab dem Datum der Verabschiedung dieser Resolution […] auf hoher See vor der Küste Libyens« legitim.(32) Grundsätzlicher muss noch gefragt werden, inwieweit eine gegenwärtig florierende Migration eine ›Friedensbedrohung‹ im Sinne der UN-Charta darstellen kann.
Bundeskanzlerin Merkel überzeugte sich in Kiel »von der Durchschlagskraft der Deutschen Marine«, hieß es unlängst in einer Presserklärung, die Kräfte seien »sehr gut ausgebildet und hoch motiviert«.(33)
Der Truppenbesuch verdeutlicht eine der zentralen Verschiebungen von Zuständigkeitsachsen seit dem Maastricht-Vertrag von 1992. Hatten seinerzeit Grenzfragen einen noch vorwiegend von Wirtschaftsregulation und Logistiksicherung (spätere 1. Säule, Gemeinschaft) sowie von Gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik (2. Säule, GASP) geprägten Charakter, wurden also Grenzfragen maßgeblich durch Wirtschafts- und Außenministerien behandelt, sind es heute vorwiegend Innen- und Verteidigungsministerien, die zum Thema Grenzregime den Ton angeben.(34) Die jüngeren Bemühungen der Bundesregierung und der EU-Institutionen zielen nunmehr darauf, Militär, Grenzpolizei, Geheimdienste, Datenbanken und die Grenzschutzagentur FRONTEX enger zu verzahnen.

ÄGÄISCHE AUFKLÄRUNG 

Der ›Nasse Grenzraum Mittelmeer‹ zeigt wie der ›Wüste Grenzraum Mexiko-Arizona‹: MigrantInnen oder Flüchtlinge lassen sich mit dem vorhandenen Polizei-, Militär- und sonstigen Material nicht aufhalten. Im Ergebnis ›sehen‹ die neuen und alten Grenzschutzbehörden mehr – auch mehr Tote – und die Grenzschutz- und Rüstungsfirmen mehr Umsatz. Im und über dem Mittelmeer drängen EU und NATO gleichwohl auf noch einen militärischen Einsatz. 

Standing NATO Maritime Group 2, 2016 –
Die NATO hat im Februar 2016 Details ihrer geplanten Aktivitäten gegen illegalisierte Migration in der Ägäis vorgestellt. Demnach können NATO-Schiffe künftig auch in türkischen und griechischen Hoheitsgewässern zum Einsatz kommen. Die NATO leiste damit einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung der ›Schlepper‹, so Verteidigungsministerin von der Leyen, die sich auf Vorschlag der Türkei, Deutschlands und Griechenlands mit VertreterInnen der anderen Bündnisstaaten auf die Richtlinien zur Seeraumüberwachung geeinigt hatten.
Die maritimen Einheiten der Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG 2) waren bereits nach der Grundsatzentscheidung der NATO-Verteidigungsminister am 10. Februar in die Ägäis aufgebrochen; es handelt sich um drei Kriegsschiffe. Der Marineverband SNMG 2 – 1969 gegründet und seit 1990 dauerhaft im Mittelmeer – widmet sich vor allem der Aufklärung und Überwachung vor Ort. Die gesammelten Informationen stellt der Verband den Küstenwachen Griechenlands, der Türkei und auch FRONTEX zur Verfügung, damit diese gegen illegalisierte Fluchthelfer vorgehen können.
Der Einsatz begann am 19. Februar 2016 im Ägäischen Meer zwischen Griechenland und der Türkei.(35) Die Mission soll mit der EU-FRONTX-Mission ›Poseidon Sea‹ kooperieren und zur Eindämmung der übersetzenden Schiffe und Boote in Richtung Europa beitragen. Die SNMG 2 wird aktuell vom Flottillenadmiral Jörg Klein auf dem Einsatzgruppenversorger ›Bonn‹ mit rund 210 Sol­daten geführt.(36)
»Die NATO kann einen wertvollen Beitrag leisten, dass die zuständigen Küstenwachen vor Ort und FRONTEX im Kampf gegen die Schlepper und Schleuser in der Ägäis erfolgreich sind«, so Verteidigungsministerin von der Leyen in einer Pressemitteilung der Bundesregierung.(37) Flüchtlingsboote sollen von den NATO-Schiffen weder gestoppt noch zurückgeführt werden. Es gehe allein darum, Daten zu sammeln und Flüchtlingsströme zu überwachen. Sollte ein Schiff unter NATO-Kommando auf ein Flüchtlingsboot in Seenot treffen, würden ›selbstverständlich‹ Rettungsmaßnahmen ergriffen. Rettet der NATO-Marineverband Flüchtlinge, die aus der Türkei übersetzen wollen, werden diese in die Türkei zurückdeportiert. NATO und die beteiligten Bündnisstaaten legen derzeit einen Zeitplan dafür fest. Wäre man in Afghanistan, Pakistan oder im Jemen, man hätte von der Erprobung von signature strikes europäischer Prägung im Mittelmeer zu sprechen. Das Ziel sind dann ›irgendwie‹ Flüchtende. 

Volker Eick ist Politikwissenschaftler und arbeitet im erweiterten Vorstand des RAV.

Literatur
Gammeltoft-Hansen, T. & Nyberg Sorensen, N. (Eds.) (2013), Migration Industry and the Commercialization of International Migration. New York: Routledge.
Jansen, Y., Celikates, R. & de Bloois, J. (Eds.) (2015), The Irregularization of Migration in Contemporary Europe. London: Rowman & Littlefield.
Naples, N.A. & Bickham Mendez, J. (Eds.) (2015), Border Politics. New York: New York University Press.
Vallet, E. (Ed.) (2014), Borders, Fences and Walls. Farnham: Ashgate.

Fußnoten
(1) UNHCR (2015): Asylum Levels and Trends 2014. Geneva.
(2) An allen abgeschotteten Grenzregionen weltweit steigt die Zahl der Flüchtenden (und Toten) weiter, vgl. V. Eick (2015): ›Grenzwertig…‹. Drohnen im Migrationsregime. In: Datenschutz Nachrichten, 37(2): 69-75. Das trotz oder wegen des Ausbaus der Grenzräume und deren Verlagerung in Drittstaaten, die, wie etwa Libyen, mit Grenzdrohnen ausgerüstet werden, vgl. Amnesty International (2014): Submission to the Council of Europe Committee of Ministers: Hirsi Jamaa and Others v. Italy (Application No. 27765/09), Brussels: 5. Oder weil, wie nun für die Türkei, die EU für die ›Lagerhaltung‹ Geflüchteter bezahlen wird (vgl. Hermanns, in diesem Heft).
(3) Denn politisch ist eine solche Bewertung eher eine literarisch verbrämte unterlassene Hilfeleistung als eine ernsthafte Analyse. So aber der Rechtsanwalt und Publizist Detlef Hartmann im ersten Band seiner als Trilogie angekündigten Reihe Krisen. Kämpfe. Kriege. Alan Greenspans endloser ›Tsunami‹ (Berlin 2015), in dem er u.a. die These vertritt, der damalige US-Zentralbank-Chef Alan Greenspan hätte den Crash 2000 und die Subprime-Krise ab 2003 gleichsam aus und für sich selbst entwickelt und umgesetzt – mit Bertolt Brecht (1935) möchte man ihm zurufen, »Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?«, vgl. ›Fragen eines lesenden Arbeiters‹. In: B. Brecht Werkausgabe (1977): Gesammelte Werke 9. Gedichte 2. Frankfurt/M.: 656). Aber das wäre eine andere Geschichte…; hier jedenfalls S. 7.
(4) D. Guilfoyle (2009): Shipping Interdiction and the Law of the Sea. Cambridge.
(5) D. Koos & K. Thiel (2015): Kaugummigrenze? Push-backs in Melilla und Ceuta, In: Kritische Justiz, 48(4): 376-389.
(6) Vgl. http://www.un.org/depts/los/convention_agreements/texts/unclos/UNCLOS-TOC.htm.
(7) Das Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS, 1974), die Internationale Konvention über die Suche auf See und die Seenotrettung (SAR, 1979) und das Internationale Übereinkommen über Bergung (SALAVAGE, 1989) regeln hingegen die notwendig zu leistende Hilfe für Schiffe in Seenot auf Hoher See.
(8) J.E. Kramek (2000): Bilateral Counter-Drug and Immigrant Interdiction Agreements. In: University of Miami Inter-American Law Review, 31(121): 121-162.
(9) European Commission (2015): Progress Report on the Implementation of the Hotspots in Greece (COM 2015 678 final). Strasbourg; vgl., Statewatch News (22.02.2016): NGOs and volunteers helping refugees in Greece to be placed under state control (http://www.statewatch.org/news/2016/feb/greece-state-control-ngos.pdf).
(10) A. Dobler (2015): »Durch die Flüchtlingswelle werden am Bahnhof Salzburg Grenzkontrollen durchgeführt«. In: Kronen Zeitung, 30.12.2015. Auch skandinavische Länder lassen ihre Grenzen durch kommerzielle Sicherheitsunternehmen kontrollieren, vgl. ›Ärger über dänische Grenzkontrollen‹ (05.01.2016), http://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Aerger-ueber-daenische-Grenzkontrollen-,grenzkontrollen178.html sowie ›Schwedische Bahn will Personenverkehr stoppen‹ (22.12.2015), http://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Schwedische-Bahn-will-Personenverkehr-stoppen,schweden908.html.
(11) M. Schenk (2015): Traiskirchen: ›Wir sind nur Dienstleister‹. Kommerzialisierung und Zähmung von Flüchtlings- und Sozialarbeit. In: Kurswechsel, 30(4): 75-79; N. Bernstein (2011): Companies Use Immigration Crackdown to Turn a Profit. In: The New York Times, 28. September; G. Menz (2009): The Neoliberalized State and Migration Control. In: Journal of Contemporary Central and Eastern Europe, 17(3): 315-332.
(12) Darunter Ägypten, Algerien, Israel, Jordanien, Libyen, Mauretanien, Marokko, Tunesien, mit denen, beginnend mit 60 koordinierten Einsätzen in 1997, im Jahr 2007 bereits 600 gemeinsame Übungen und vergleichbare Aktivitäten durchgeführt wurden; vgl. P. Razoux (2008): The NATO Mediterranean: Dialogue at the Crossroads. Rome.
(13) B.J. Ryan (2015): A Mediterranean Police Assemblage. In: J. Bachmann, C. Bell & C. Holmqvist (Eds.), War, Police and Assemblages of Intervention, New York: 158.
(14) Ebd.
(15) Zit.n. E. Guild & D. Bigo (2010): The Transformation of European Border Controls. In: B. Ryan & V. Mitsilegas (Eds.), Extraterritorial Immigration Control. Legal Challenges. Leiden: 273.
(16) B. Ryan (2010): Extraterritorial Immigration Control. In: B. Ryan & V. Mitsilegas (Eds.), a.a.O.: 23. Der zweite wichtige Fall – sie haben gemeinsam, dass jeweils nicht gegen die abschottenden Staaten wegen des Verstoßes gegen die non-refoulenment-Vereinbarung vorgegangen wurde – betraf die vietnamesischen ›boat people‹, die mehrfach zwischen 1975 und 1992 versuchten, die Nachbarländer zu erreichen.
(17) A.D. Morse (1968): Die Wasser teilten sich nicht. Bern: 181ff.
(18) P. Marfleet (2006): Refugees in a Global Era. Basingstoke: 146.
(19) J. Hyndman & A. Mountz (2008): Another Brick in the Wall? Neo-Refoulement and the Externalization of Asylum by Australia and Europe. In: Government and Opposition, 43(2): 249-269.
(20) Vgl. ›UNIFIL Maritime Task Force‹, http://unifil.unmissions.org/Default.aspx?tabid=11584.
(21) Phase 4 soll die Dislozierung der Kräfte umfassen.
(22) Sophia ist der Name eines somalischen Mädchens, das am 24. August 2015 an Bord der Fregatte ›Schleswig-Holstein‹ zur Welt kam – an Zynismus mangelt es der deutschen Marine nicht.
(23) Aus Platzgründen kann hier weder auf ›Mare Nostrum‹ (Oktober 2013-Oktober 2014) noch auf die nachfolgende FRONTEX-Mission ›Operation Triton‹ (November 2014- ) eingegangen werden; vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 109 (2016): Europas Staatsgewalten gegen Migration.
(24) ›Militärische EU-Mission EUNAVFOR MED zur Migrationskontrolle im Mittelmeer‹ (BT-Drs. 18/5730 v. 06.08.2015).
(25) ›Der Einsatz der Bundeswehr im Mittelmeer. EUNAVFOR MED – Operation Sophia‹ (www.einsatz.bundeswehr.de, 24.02.2016)‹, http://tinyurl.com/zvjd23n.
(26) ›Seenotrettung auf dem Mittelmeer und deutsche Rettungskapazitäten‹ (BT-Drs. 18/5572 v. 16.07.2015: 1).
(27) BT-Drs. 18/5730, a.a.O.: 13.
(28) ›Ausweitung der Militärmission EUNAVFOR MED der Europäischen Union gegen kommerzielle Fluchthilfe im Mittelmeer‹ (BT-Drs. 18/6544 v. 30.10.2015: 16).
(29) Guilfoyle (2011), a.a.O.: 16f, 184ff, 196f.; vgl. UN-Sicherheitsrat, S/RES/2240 (2015), Ziffer 5; T. Heinicke (2016): Schiffe versenken im Mittelmeer? In: Kritische Justiz, 49(1): 98-112.
(30) Vgl. BT-Drs. 18/6544 v. 30.10.2015, a.a.O.: 3.
(31) Abgesehen von jenen Schiffen, die ›Staatenimmunität‹ genießen (S/RES/2240 (2015): Ziffer 10).
(32) Der UN-Sicherheitsrat beschließt am 09.10.2015 in Ziffer 5 für »alle nicht beflaggten Schiffe, einschließlich Schlauchbooten, Flößen und Jollen…«, in Ziffer 7, »zur Rettung des bedrohten Lebens der Migranten oder Opfer von Menschenhandel, die sich an Bord der oben genannten Schiffe befinden, unter diesen außergewöhnlichen und besonderen Umständen die Mitgliedstaaten, die einzelstaatlich oder über die Schleusung von Migranten und den Menschenhandel bekämpfende Regionalorganisationen tätig werden […] zu ermächtigen, auf hoher See vor der Küste Libyens Schiffe zu kontrollieren, die ihnen hinreichende Gründe für den Verdacht liefern, dass sie für die Schleusung von Migranten oder den Menschenhandel aus Libyen verwendet werden, sofern diese Mitgliedstaaten und Regionalorganisationen sich redlich um die Zustimmung des Flaggenstaats des betreffenden Schiffes bemühen, bevor sie von der in diesem Absatz erteilten Ermächtigung Gebrauch machen« sowie in Ziffer 8, »[…] aufgrund der Ermächtigung nach Ziffer 7 kontrollierte Schiffe, die nachweislich für die Schleusung von Migranten oder den Menschenhandel aus Libyen verwendet werden, zu beschlagnahmen, und unterstreicht, dass im Einklang mit dem anwendbaren Völkerrecht und unter gebührender Berücksichtigung der Interessen Dritter, die nach Treu und Glauben gehandelt haben, weitere Maßnahmen in Bezug auf die aufgrund der Ermächtigung nach Ziffer 7 kontrollierten Schiffe ergriffen werden« sowie in Ziffer 10, »[…] alle den konkreten Umständen angemessenen Maßnahmen gegen Schleuser und Menschenhändler zu ergreifen und die Tätigkeiten nach den Ziffern 7 und 8 durchzuführen« (S/RES/2240 (2015), Hervorh. im Orig.).
(33) ›Marine im Auslandseinsatz stark gefordert‹ (19.01.2016), https://www.bundeskanzlerin.de/.
(34) Die 3. Säule (Justiz, Inneres) konsolidierte sich erst mit dem Vertrag von Amsterdam (1997). Mit dem Schengen Catalogue von 2002 und dem Vertrag von Lissabon (2007) zerfallen die drei Säulen, auch wenn die GASP eine eigenständige Rolle behält.
(35) ›Nato beginnt Beobachtungseinsatz in der Ägäis‹, Süddeutsche Zeitung, 19.02.2016, http://www.sueddeutsche.de/news/politik/nato-nato-beginnt-beobachtungseinsatz-in-der-aegaeis-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160219-99-871236.
(36) ›Wieder Unterwegs – EGV Bonn als Flaggschiff bei SNMG 2‹, marine.de, 21.01.2016, http://tinyurl.com/zwdxyrz.
(37) ›Wertvoller Beitrag im Kampf gegen Schlepper‹ (25.02.2016), https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/02/2016-02-25-natoeinsatz-schlepper.html.