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»Er hat sich stets bemüht«

Chancen und Grenzen des neuen Lieferkettengesetzes

Antonia Klein und Miriam Saage-Maß

Am 1. Januar 2023 tritt das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (im Folgenden: Lieferkettengesetz oder LkSG) in Kraft. Damit gelten für deutsche Unternehmen mit einer bestimmten Größe erstmals verbindliche Regelungen über die Einhaltung von Sorgfaltspflichten in den Lieferketten, womit Menschen-, Arbeits- und umweltbezogenen Rechtsverletzungen entgegengewirkt werden soll. Deutschland folgt damit einer jüngeren Rechtsentwicklung, nimmt jedoch keine Vorreiterrolle ein.

Auf die Verabschiedung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrecht im Jahr 2011, die erstmals einen, wenn auch unverbindlichen, Rechtsrahmen zum Schutz von Menschen- und Arbeitsrechten formulierten, folgten in der EU und in einigen europäischen Staaten Regelungen, die Unternehmen Sorgfaltspflichten hinsichtlich bestimmter Menschenrechtsverletzungen oder in Bezug auf besonders risikobehaftete Sektoren auferlegen. Hierzu zählen etwa der britische Modern Slavery Act aus dem Jahr 2015, das im Jahr 2019 in den Niederlanden eingeführte Gesetz gegen Kinderarbeit oder die EU-Konfliktmineralienverordnung aus dem Jahr 2021. Aufgrund ihrer beschränkten Anwendungsbereiche und weil diese Gesetze Betroffenen keine subjektive Rechtsposition einräumen, ist ihre Bedeutung für Arbeiter*innen im globalen Süden jedoch gering. Vor diesem Hintergrund verdient das in Frankreich im Jahr 2017 verabschiedete Loi de Vigilance Beachtung, da es nicht von vornherein auf einzelne Rechtsverletzungen begrenzt ist und zudem etwa eine zivilrechtliche Haftung französischer Unternehmen vorsieht.
In Deutschland machten die verheerenden Katastrophen in Textilfabriken in Pakistan[1] im September 2012 und in Bangladesch[2] im April 2013 zunächst nicht hinreichend Eindruck auf die Politik. Es folgte öffentliche Frustration im Januar 2019, als Schadensersatzforderungen der Angehörigen von beim Brand in der Ali Enterprises Fabrik in Karatschi Verstorbenen gegen den deutschen Textildiscounter KiK, der zur Zeit des Brandes Hauptkunde der Fabrik war, ins Leere liefen.[3] Kurze Zeit später legte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen Gesetzesentwurf für ein deutsches Lieferkettengesetz vor.

Die Regelungen des Lieferkettengesetzes im Überblick

Das Lieferkettengesetz wird im Jahr 2023 zunächst für in Deutschland ansässige Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden gelten und ab 2024 auf solche mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden ausgeweitet werden, § 1 Abs. 1 LkSG. Die lange Umsetzungsfrist seit Verabschiedung des Gesetzes im Juli 2021 dürfte es den Unternehmen ermöglicht haben, sich auf die im Gesetz vorgesehenen Pflichten vorzubereiten.
Konkret sieht das Lieferkettengesetz vor, dass Unternehmen in ihrem Geschäftsbereich sowie im Hinblick auf ihre direkten Zulieferer Risikoanalysen durchführen und bei Feststellung negativer Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt angemessene Präventions- und Abhilfemaßnahmen ergreifen, §§ 5-7 LkSG. Mittelbare Zulieferer werden in den Pflichtenkreis von Unternehmen einbezogen, wenn in deren Produktionsbereich eine besondere Risikolage bekannt ist, § 9 Abs. 3 LkSG. Betraut mit der Überwachung der Einhaltung der Sorgfaltspflichten ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Dieses wird außerdem tätig, um eingetretene oder bevorstehende Rechtsverstöße zu beseitigen oder zu verhindern, § 14 Abs. 1 Nr. 1 LkSG. Zum Einschreiten kann das BAFA auch gezwungen sein, wenn es über Berichte von Gewerkschaften und NGOs oder journalistische Recherchen entsprechende Kenntnisse erlangt. Vor allem können aber auch Betroffene Rechtsverletzungen vor dem BAFA geltend machen, § 14 Abs. 1 Nr. 2 LkSG, und bei Untätigkeit des BAFA ihre Rechte verwaltungsgerichtlich einklagen. Das BAFA hat umfangreiche Instrumentarien an die Hand bekommen, um seine Aufgabe erfüllen zu können. Schienen Klagen Betroffener in der Vergangenheit angesichts undurchsichtiger globaler Lieferketten und der Möglichkeit von Unternehmen, sich weitgehend auf Geschäftsgeheimnisse zu berufen, regelmäßig aussichtslos, so kann das BAFA in seinen Ermittlungen auf Betretensrechte sowie Auskunfts- und Herausgabepflichten und Duldungs- und Mitwirkungspflichten von Unternehmen zurückgreifen, §§ 16-18 LkSG. Zudem kann es die notwendigen Anordnungen zur Beseitigung von Verstößen erlassen, § 15 LkSG, und Verstöße daneben mit Sanktionen ahnden, etwa durch Bußgelder i.H.v. bis zu 2 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes und durch den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge, §§ 22 Abs. 1, 24 Abs. 1,2 und 3 LkSG.

Chancen und Grenzen

Die nun anstehende erste Phase der Umsetzung des Lieferkettengesetzes wird entscheidend dafür sein, ob das Lieferkettengesetz seinem Ziel, grundlegende Menschenrechte in Lieferketten von Unternehmen zu schützen und menschenrechtliche und umweltbezogene Verbote durchzusetzen, gerecht wird.[4]
Dem BAFA kommt dabei eine zentrale Aufgabe zu. Dies ist aufgrund seiner Rolle bei der Genehmigung von Rüstungsexporten kritisch zu sehen.[5] Durch progressive Rechtsanwendung kann sich das BAFA hier jedoch einen anderen Ruf erarbeiten. Daneben wird die Interpretation der Vorschriften durch die Gerichte maßgeblichen Einfluss auf die Bedeutung des Lieferkettengesetzes für Betroffene von Rechtsverstößen haben.
Um eine bedeutungsvolle Umsetzung des Lieferkettengesetzes zu gewährleisten, muss die Perspektive von Betroffenen, insbesondere auch denen im Globalen Süden am anderen Ende der Lieferkette, leitend bei der Auslegung sein. Der von der deutschen Wirtschaft befürchtete Bürokratieaufwand[6] und der Anspruch, die Belastungen für Firmen zu verringern[7], wird angesichts der vom Gesetz geschützten elementaren Rechtspositionen und der typischerweise schweren Rechtsverletzungen in der Regel nur zweitrangig sein. Zudem können Unternehmen bürokratischem Aufwand selbst durch Entschlackung ihrer Lieferketten begegnen.
Von zivilgesellschaftlicher Seite wird kritisiert, dass mit dem vorgesehenen Risikomanagement sowie angemessenen Präventions- und Abhilfemaßnahmen lediglich eine ›Bemühenspflicht‹ verankert ist, Unternehmen jedoch nicht dafür verantwortlich sind, dass die Menschenrechtsverletzung letztlich eingestellt wird.[8] Dies bedeutet, dass ein Unternehmen sehenden Auges weiter unter menschen- und umweltwidrigen Bedingungen produzieren lassen kann, soweit es seinen Pflichten gerecht geworden ist. Hier liegt es beim BAFA und bei den Gerichten, den unbestimmten Rechtsbegriff der ›angemessenen‹ Maßnahmen, die Unternehmen zu ergreifen haben, derart mit Leben füllen, dass die Bedürfnisse von Betroffenen mit dem primären Ziel, menschenrechtliche und umweltbezogene Verbote durchzusetzen, vorrangig einbezogen werden.
Darüber hinaus stärkt das Lieferkettengesetz die Rolle von NGOs, Gewerkschaften und Journalist*innen, die durch ihre Tätigkeit auf menschenrechtliche und umweltbezogene Missstände aufmerksam machen können.[9] Auf diese Weise können sie einerseits dazu beitragen, dass Unternehmen auch zu Sorgfaltspflichten bezüglich ihrer mittelbaren Zulieferer angehalten sind, § 9 Abs. 3 LkSG. Auf der anderen Seite wird es zunächst vor allem Aufgabe von NGOs und Gewerkschaften sein, das Gesetz auch für Betroffene zugänglich zu machen. Betroffene werden nur dann ihre Rechte geltend machen können, wenn sie den für sie fremden Rechtsrahmen kennen, verstehen und Zugang zu einem rechtlichen Beistand haben. Eine Lücke im Gesetz besteht zudem insoweit, als das Gesetz nur eine Prozessstandschaft für das zivilgerichtliche, nicht jedoch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren vorsieht. Zudem bezieht sich die Prozessstandschaft lediglich auf »überragend wichtige« Rechtspositionen. Dies berücksichtigt nicht die Realität, mit der Betroffene am anderen Ende der Lieferkette häufig konfrontiert sind: Ein Eintreten für die eigenen Rechte gegenüber dem Arbeitgeber führt regelmäßig zu Sanktionen mit gravierenden Folgen, etwa brutaler Gewalt oder dem Verlust des Arbeitsplatzes.
Dass die Prozessstandschaft nur für das Zivilverfahren vorgesehen ist, ist insofern zynisch, als kein eigener zivilrechtlicher Anspruch im Lieferkettengesetz verankert ist, über den Betroffene Entschädigungszahlungen von den Unternehmen verlangen könnten, die von ihrer Arbeitskraft maßgeblich profitieren. Betroffenen bleibt damit der Zugang zu Schadensersatz weiterhin faktisch verwehrt, wie der oben erwähnte KiK-Fall vor Augen führte. Hoffnung besteht insofern noch mit Blick auf die EU. Die Kommission arbeitet derzeit an einer Richtlinie, die sich auch auf das deutsche Lieferkettengesetz auswirken wird, soweit sie weiterreichende Regelungen verankert.
Im Hinblick auf die EU-Richtlinie brüstet sich die Bundesregierung damit, für wirksame Vorschriften einzutreten. Diese beinhalten nach dem derzeitigen Entwurf auch eine zivilrechtliche Haftung.[10] Dabei wird es jedoch darauf ankommen, dass diesbezüglich auch etwa entsprechende Beweiserleichterungen für Betroffene geregelt werden, damit die zivilgerichtliche Geltendmachung nicht weiterhin von vornherein ausweglos erscheint.

Fazit

Tritt das Lieferkettengesetz zur Unzeit in Kraft, da Unternehmen in der derzeitigen Weltlage bereits mit vielfachen Krisen wie dem Energiepreis, der Inflation oder gestörten Lieferketten zu kämpfen haben? Nein, denn die Kosten für unseren Konsum müssen wir tragen und nicht die Menschen im Globalen Süden. Das ewige Zögern des Gesetzgebers und die lange Umsetzungsfrist, die Unternehmen gewährt wurde, um sich auf ihre Pflichten einzustellen, dürfen sich nicht zulasten der Betroffenen auswirken, weil wir uns heute mit Krisen konfrontiert sehen. Jetzt ist der wichtigste Moment, dem Lieferkettengesetz eine echte Bedeutung zuteilwerden zu lassen, da jetzt die Grundsteine für seine zukünftige Anwendung gelegt werden.

Antonia Klein ist Rechtsanwältin und Senior Legal Advisor beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Miriam Saage-Maß ist Rechtsanwältin und Legal Director beim ECCHR.

[1]  Im September 2012 kostete ein verheerender Brand in der Ali Enterprises-Textilfabrik in Karatschi 258 Menschen das Leben; weitere Menschen wurden z.T. schwer verletzt.
[2]   Im April 2013 stürzte der Fabrikkomplex Rana Plaza in Dhaka ein, 1.130 Menschen starben, mehr als 2.500 wurden zum Teil schwer verletzt. Der TÜV Rheinland hatte wenige Monate vor dem Einsturz die Produktionsstätte im Rahmen eines sog. Social Audits überprüft.
[3]   Deutschlandfunk, Prozess gegen KiK – Klage wegen Verjährung abgewiesen, 10.01.2019, https://www.deutschlandfunk.de/prozess-gegen-kik-klage-wegen-verjaehrung-abgewiesen-100.html [01.11.2022].
[4]   BMZ, Fragen und Antworten zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, Stand: 2022, abrufbar unter: https://www.bmz.de/resource/blob/60000/84f32c49acea03b883e1223c66b3e227/lieferkettengesetz-fragen-und-antworten-data.pdf, zuletzt aufgerufen am: 01.11.2022.
[5]   Saage-Maaß, Vor der Bewährungsprobe: Das neue Lieferkettengesetz, Blätter für deutsche und internationale Politik, Oktober 2021, https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/oktober/vor-der-bewaehrungsprobe-das-neue-lieferkettengesetz [01.11.2022]. Schliemann-Radbruch, Blinded by the Light? – Rüstungsexportkontrolle unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine, Verfassungsblog, 07.04.2022, https://verfassungsblog.de/blinded-by-the-light/ [01.11.2022].
[6]   WirtschaftsWoche, Wirtschaftsverbände zweifeln am Augenmaß der Regierung, 04.10.2022, https://www.wiwo.de/politik/deutschland/aerger-um-das-lieferkettengesetz-wirtschaftsverbaende-zweifeln-am-augenmass-der-regierung/28720304.html [01.11.2022].
[7]   WirtschaftsWoche, »Wenn jemand das Gesetz nicht befolgen will, werden wir hart durchgreifen«, 09.10.2022, https://www.wiwo.de/politik/deutschland/lieferkettengesetz-wenn-jemand-das-gesetz-nicht-befolgen-will-werden-wir-hart-durchgreifen/28727482.html [01.11.2022].
[8]   Saage-Maaß, Vor der Bewährungsprobe: Das neue Lieferkettengesetz, Blätter für deutsche und internationale Politik, Oktober 2021, https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/oktober/vor-der-bewaehrungsprobe-das-neue-lieferkettengesetz [01.11.2022].
[9]   Ebd.
[10] Tagesschau, »Zahnloser Papiertiger«, 27.10.2022, https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/lieferketten-105.html [01.11.2022].