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im Hamburger Strafvollzug

Ein- und Ausgangssperre 
im Hamburger Strafvollzug

Zum Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts

Fenna Busmann und Lea Mechsner

Während sich die Stimmen in der aktuellen Mitgliederzeitschrift der Strafverteidigervereinigung mit dem Titel »Jeden Tag Lockdown – Corona und Strafvollzug« einig sind und zeitgemäße Kommunikation für Inhaftierte fordern [1] , entscheidet das Hanseatische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 2.3.2021, [2]  dass der Widerruf einer erteilten Nutzungserlaubnis eines Mobiltelefons durch die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel rechtmäßig war. Dem ging folgende Entwicklung voraus.

Lockdown

Innerhalb des Hamburger Strafvollzuges wurden im Zuge des bundesweit beschlossenen sog. Lockdowns die Besuchsmöglichkeiten der Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel im März 2020 zunächst vollständig eingestellt. Zur Kompensation der komplett gestrichenen Besuchsmöglichkeiten wurde den meisten Gefangenen im April 2020 unter bestimmten Bedingungen eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Nutzung von Mobiltelefonen erteilt. Neben den regulären Besuchen fielen auch Langzeitbesuche weg. Langzeitbesuche sind unüberwachte Besuche von einigen Stunden, die geeigneten Inhaftierten zur Pflege der partnerschaftlichen und familiären Beziehungen erlaubt werden. Diese werden bis heute noch nicht wieder gewährt. Auch Lockerungen, die für geeignete Inhaftierte des geschlossenen Vollzugs in Form von Ausführungen und Ausgängen möglich waren, wurden nur noch eingeschränkt und je nach konkretem Infektionsgeschehen genehmigt. Je nachdem, wohin die Ausführung ging und wie lange sie andauerte, mussten anschließend Quarantänen in Kauf genommen werden, die einer Isolationshaft gleichkamen.
Nach wenigen Wochen wurden Besuche im Rahmen des Hygienekonzepts sehr eingeschränkt (seltener und mit Hygienevorkehrungen versehen) wieder möglich. Besuche mit Kindern waren nur in zwei Besuchsräumen mit vollständig abgetrennter Gefangenenzelle möglich.

Der Widerruf

Im September 2020 wurde gegenüber allen Gefangenen die Genehmigung zum Besitz der Mobiltelefone mit gleichlautenden Bescheiden, ohne vorherige Anhörung der Gefangenen und ohne einzelfallbezogene Prüfung, widerrufen.
Vonseiten der Anstalt wurde begründet, man befinde sich nun in einer »neuen Normalität«, und die Gefangenen müssten die weiterhin bestehenden Einschränkungen in den Besuchsregelungen hinnehmen.
Die Strafvollstreckungskammern des Landgerichts Hamburg erließen auf die zahlreichen Eilanträge der Gefangenen hin Aussetzungsbeschlüsse, woraufhin die Gefangenen ihre Handys zunächst behalten durften. Zur Begründung verwiesen sie darauf, dass schon keine Einzelfallentscheidung vonseiten der Anstalt getroffen worden sei. In der Hauptsache erging zunächst nur in wenigen Fällen ein Beschluss, ebenfalls zugunsten des jeweiligen Gefangenen. Auf die Rechtsbeschwerde des Hamburgischen Justizvollzugsamtes wurde dieser aber vom HansOLG aufgehoben.

Der Beschluss

Das HansOLG kommt zu dem Ergebnis, die Anstalt habe trotz fehlender Einzelfallprüfung das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt, da die persönlichen Interessen des Inhaftierten hinreichend berücksichtigt worden seien. Und zwar dadurch, dass die Anstalt das Vorliegen bestimmter Umstände, die für den Gefangenen streiten, als pauschal gegeben unterstellt habe. Zwar seien jene Umstände, die sich als abwägungsrelevant erwiesen, in der Person des Antragsstellers liegen und sich zu seinen Gunsten auswirken, in die Entscheidung einzustellen. Deren tatsächliches Vorliegen hätte aber vom Landgericht festgestellt werden müssen, so das HansOLG. Über die Besuchsbeschränkungen hinausgehende außergewöhnliche Umstände, etwa wenn der Gefangene daran gehindert werde, Besuch von maßgeblichen Bezugspersonen zu empfangen, müssten darüber hinaus jeweils im Einzelfall vorgebracht werden. Derartige Umstände habe das Landgericht nicht festgestellt, ein entsprechender Vortrag des Gefangenen ließe sich der Entscheidung auch nicht entnehmen. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig, denn das legitime Ziel – Sicherheit im Strafvollzug, die durch die Nutzung von individuellen Handys gefährdet werde – sei gegeben, und dessen Verfolgung überwiege das individuelle Interesse des Gefangenen am Erhalt der Besitz- und Benutzungserlaubnis für das Mobiltelefon.
Das HansOLG führt weiterhin aus, dass auch das Vertrauen des Inhaftierten in die Besitz- und Benutzungserlaubnis, in der die vorübergehende Natur der Regelung zum Ausdruck gekommen sei, nur eingeschränkt schutzwürdig sei. Die Annahme der Anstalt, dass der Erwerb und die Nutzung für die Dauer der SARS-CoV2-Pandemie gestattet worden sei, sei »unglücklich« und »retrospektiv naiv«, so das HansOLG. Der Vertrauensschutz der Gefangenen habe sich in dem Maße relativiert, wie sich die Erkenntnis zu den Möglichkeiten einer schlichten Beendigung der Pandemie relativiert habe. Dem verfassungsrechtlich verbürgten Ziel der Resozialisierung werde hinreichend Rechnung getragen. Die Pflege und Festigung von Sozialkontakten außerhalb der Haft sei mittels Nutzung des Telio-Systems und der gegenwärtigen Besuchsmöglichkeiten hinreichend gewährleistet. Das Entfallen des Langzeitbesuchs stehe nicht in einem Kompensationszusammenhang mit der Nutzung eines Mobiltelefons, da auch die Mobiltelefonie keinen körperlichen Kontakt vermitteln könne.

Kritik

Diese Entscheidung verkennt vollständig den Gedanken des in Deutschland geltenden Angleichungsgrundsatzes, der besagt, dass das Leben im Vollzug den Lebensverhältnissen in Freiheit so weit wie möglich anzugleichen ist. Ein wesentlicher Baustein der Angleichung bildet dabei die Haftraumtelefonie sowie ein sicherer Zugang zu digitalen Medien.
Die Entscheidung des HansOLG erscheint zudem willkürlich. Das Gericht hätte nach § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG an das Landgericht zurückverweisen müssen, um die im Einzelfall relevanten individuellen Umstände durch die Strafvollstreckungskammer ermitteln zu lassen. Dies war bisher – wie dem HansOLG bekannt war – nicht erfolgt, da das Landgericht seine Entscheidung, den Widerrufsbescheid aufzuheben, allein darauf gestützt hatte, dass kein Ermessen im Einzelfall ausgeübt wurde. Entsprechend hatte es festgestellt: »Es kann dahinstehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen [des § 92 Abs. 2 Nr. 1 HmbStVollzG] erfüllt sind«. Dass der Tatbestand der Entscheidung des Landgerichts aus diesen Gründen keine Feststellungen zu den individuellen Umständen enthält, die aber vorgetragen worden sind, hat das Gericht erkannt und dennoch nicht berücksichtigt.
Dadurch wurde die Anstalt aus ihrer Ermittlungspflicht für die zu treffende Einzelfallentscheidung vollständig entlassen. Dies ist jedoch nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar, wonach – gerade vor dem Hintergrund des Resozialisierungsgedankens – im Einzelfall immer eine Interessenabwägung erfolgen muss. [3]  Das HansOLG schraubt die Anforderungen an eine Einzelfallentscheidung derart herunter, dass diese faktisch nicht mehr erforderlich ist und der Erlass hunderter gleichlautender Bescheide ermöglicht wurde.
Im Übrigen ist die Rücknahme auch unverhältnismäßig.
Von den Mobiltelefonen ging zu keinem Zeitpunkt eine schwere und unkontrollierbare Gefahr für die Anstaltssicherheit aus. Dies ergibt sich zum einem aus der geringen Anzahl und dem geringen Gewicht der dokumentierten Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen. [4]  Zum anderen ergibt sich dies aus dem Umstand, dass die Anstalt es zu Beginn der Pandemie für geboten erachtet hat, Mobiltelefone an die Gefangenen zu verteilen. Hätte eine Gefahr, wie von der Anstalt nun vorgetragen, tatsächlich bestanden, hätte sie die Mobiltelefone von Anfang an nicht erlauben dürfen. Es läuft dem streng geschützten Vertrauensschutzgrundsatz, der eine Ausprägung des Rechtsstaatsgebots aus Art. 20 Abs. 3 GG darstellt, entgegen, dass sich die Bewertung der Gefährlichkeit von Mobiltelefonen innerhalb kürzester Zeit – ohne dass die Gefangenen selbst oder sonstige äußere Umstände dafür einen Anlass gegeben hätten – durch die Anstalt so verändert, dass es zu einem Verlust von bedeutenden Rechtspositionen kommt.
Die Argumentation des HansOLG, dass der Vertrauensschutz des Gefangenen nur eingeschränkt schutzwürdig sei, überzeugt ebenfalls nicht. Ausweislich der Nutzungsbedingungen sollte die Nutzung des Mobiltelefons »für die Dauer der SARS CoV-2 (›Corona-‹)Pandemie« und bis eine »normale Besuchsregelung« umgesetzt werden kann, gestattet werden. Beide Bedingungen sind noch nicht einmal ansatzweise eingetreten.
Die dagegen streitenden Güter der Anstaltssicherheit wiegen weniger schwer, zumal der beste Schutz vor missbräuchlicher Verwendung der fehlende Wille hierzu ist und der Großteil der Gefangenen verantwortungsvoll und regelkonform mit den Handys umgegangen ist, wie sich den dazu vorgelegten Zahlen der Antwort auf die Kleine Anfrage des Hamburger Senats entnehmen lässt.
Schließlich geht die Argumentation des HansOLG fehl, wenn es heißt, für die weiterhin nicht stattfindenden Langzeitbesuche fehle es in Bezug auf die Mobiltelefonie an einem Kompensationszusammenhang, da auch die Mobiltelefonie einen Körperkontakt nicht vermitteln könne. Diese Argumentation hätte ansonsten ebenfalls für fehlende Besuche gelten müssen, da es bei allen Besuchen auch um die körperliche Anwesenheit der Besucher*innen geht. Die Besuche unter den aktuellen Bedingungen weichen erheblich von dem ab, was den Gefangenen vor dem sog. Lockdown zustand: Körperkontakt mit Besucher*innen, mit denen man sich ungehindert und privat unterhalten konnte, weil man sich nahekommen und damit auch leise sprechen konnte. Grundrechtlich ist hier neben dem Resozialisierungsinteresse, insbesondere auch Art. 6 GG berührt, denn der Schutzbereich dieses Grundrechts umfasst auch den privaten Kontakt zur Familie. Ein Telefonat ist keine Umarmung, kein Handhalten, kein „auf dem Schoß des Vaters sitzen“, kein Gesicht streicheln. Aber das Telefonieren in der Privatsphäre des eigenen Haftraums zu jeder Tages- und Nachtzeit stellt selbstverständlich gerade für den fehlenden unüberwachten Langzeitbesuch eine Kompensation dar. Die Möglichkeit, hierbei auch über intimste Inhalte zu sprechen, ist geeignet, den Zweck der Erhaltung der Beziehung im Sinne eines sozialen Empfangsraums zu erreichen. An einem Stationstelefon auf dem Flur ist dies keinesfalls möglich.
Die Hoffnung der Korrektur dieser falschen Entscheidung wurde enttäuscht. Anfang Mai erging ein Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts.

Fenna Busmann und Lea Mechsner sind Rechtsanwältinnen in Hamburg und RAV-Mitglieder. Die Redaktion hat die Unterüberschrift leicht modifiziert.

[1] Freispruch, Nummer 16, April/Mai 2021, darin Florian Knauer, 68, Helmut Pollähne, 56.
[2] HansOLG, B. v. 2.3.2021 – 5 Ws 3/21 Vollz.
[3] BVerfG, Kammerbeschluss v. 29.10.1993 – 2 BvR 672/93, Rn. 11, NStZ 1994, 100.
[4] Antwort des Senats auf die schriftliche Kleine Anfrage vom 26.8.2020, Bürgerschafts-Drs. 22/1195.