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Umweltthemen verbinden

Editorial

Umwelt-fokussierte Strafverteidigung

Henrike Lindemann

Politisches und wirtschaftliches Handeln verstößt mitunter gegen geltendes Recht. Nach dem Motto »Wo kein Kläger, da kein Richter«, werden Gasfelder erschlossen oder Kohlekraftwerke gebaut und dabei internationale Verträge wie das Paris-Abkommen oder nationale Gesetze missachtet. Auch die (fehlenden) nationalen politischen Entscheidungen zu einem wirksamen Einhalten des Paris-Abkommens ergeben rechtliche Widersprüche.

WARUM GEHÖREN UMWELTINHALTE IN DIE STRAFVERTEIDIGUNG?

Hier kann die Zivilgesellschaft die Einhaltung im demokratischen Prozess einfordern. Aktivist*innen, die gegen derartige Rechtsverstöße protestieren, überschreiten dabei zum Teil bewusst und im Interesse des Gemeinwohls das geltende Strafrecht und werden wegen Straftaten wie Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Hausfriedensbruch angeklagt. Bei ihrer Verteidigung sollten der Anlass und Auslöser ihrer Aktionen und damit die Klimakatastrophe berücksichtigt und vorgebracht werden. So haben die Gerichte die Möglichkeit, sich mutig in die Debatte einzubringen, die Aktivist*innen auf ihre Art zu unterstützen und gegebenenfalls das Recht fortzuentwickeln.
Zum einen kann die Erläuterung des Hintergrundes der Tat zu einem milderen Urteil oder gar Freispruch des/der Mandant*in führen, zum anderen kann – in Absprache mit dem/der Mandant*in – der Prozess auch als politische Bühne genutzt werden.

WIE KÖNNEN UMWELTINHALTE IN DIE VERTEIDIGUNG EINFLIEßEN?

Wie und in welchem Umfang zum Beispiel die drohenden Gefahren der Klimakatastrophe oder die Umweltwissenschaft erläutert werden, ist von Ziel und Gegenstand der Verteidigung abhängig. In jedem Fall ist es aus unserer Sicht wichtig, den Anlass der Aktion deutlich zu schildern, z.B. den Bau der Gaspipeline, die Sitzung der Kohlekommission oder den Ausbau einer Autobahn. Damit macht die Verteidigung klar, dass es sich um gemeinwohlbezogene Aktionen handelt und nicht um selbstbezogene. Dies kann sich positiv auf den Strafrahmen und – womöglich – auf die Abwägungsentscheidungen auswirken. So spielt die Gemeinwohlorientierung bei der Verwerflichkeit der Nötigungshandlung eine Rolle.
Ob es – wie Mathis Bönte in seinem Artikel erwägt und wie ein Gericht in der Schweiz es auch schon entschieden hat(1) – für einen rechtfertigenden Notstand reicht, und wie die verschiedenen Gerichte damit umgehen, wird sich zeigen. Sicherlich ist es aber möglich, in der Verteidigung eine notstands-ähnliche Sachlage darzulegen und die Möglichkeit der Rechtsfortbildung durch Gerichte hervorzuheben. Außerdem kann mit Hinweis auf die mangelnde politische Führung klargestellt werden, dass das, wogegen im Sachverhalt demonstriert wurde, gegen Recht verstößt.

DAS ANGEBOT VON GREEN LEGAL IMPACT

Green Legal Impact will in Zusammenarbeit mit dem Umwelt-Treuhandfonds die Besonderheiten der Verteidigung für Umweltaktivist*innen herausarbeiten und stärken. Wir wollen Anwält*innen, die in diesem Bereich Mandate haben (wollen), vernetzen und dadurch unterstützen. Denn bisher werden Erfahrungen aus Verhandlungen und über positive Ergebnisse wie Verfahrenseinstellungen viel zu selten ausgetauscht. Gemeinsam können wir auch Textbausteine für die Darstellung der Gefahren bei fortschreitendem Klimawandel erarbeiten oder die Arbeit durch eine gemeinsame Beschreibung des Hintergrunds einer Aktion erleichtern.

WER IST GREEN LEGAL IMPACT?

Die Vernetzung von Strafverteidiger*innen ist aber nicht das einzige Ziel des Vereins. Green Legal Impact Germany e.V. ist ein neuartiger Akteur in der Landschaft der deutschen Umweltverbände. Der Verein vernetzt, moderiert und unterstützt die juristische Arbeit hinter der Umweltbewegung auf vielfältige Weise und setzt sich auf politischer Ebene für eine Stärkung der Verbandsklagerechte ein.
Hinter dem Verein stehen führende Umweltjurist*innen mit langjähriger Erfahrung. Sie sehen vier strukturelle Defizite, um das Recht für die Umweltbewegung wirksam werden zu lassen. Um diese Defizite zu minimieren, ist GLI in folgenden Bereichen aktiv:

Verbandsklage
Um das Vollzugsdefizit im Umweltbereich zu reduzieren, stärkt GLI das Verbandsklagerecht durch Vernetzung der Verbände und Anwält*innen und durch Lobbyarbeit. Auf unseren Plattformen entwickeln wir Strategien und wollen das Image der Klagerechte in der Öffentlichkeit verbessern.

Internationales
Deutsches Geld, deutsche Unternehmen und deutsche Politiken können weltweit oft ungestraft Umweltzerstörung betreiben. Darum schafft GLI einen Anlaufpunkt für Anwält*innen im globalen Süden, um Wissen aus dem deutschen Recht in die lokalen Verfahren einzubringen.

Weiterbildung
GLI bietet Schulungsprogramme für angehende Anwält*innen im Bereich strategische Klagen, um den Bedarf der Verbändelandschaft an qualifizierten Anwält*innen zu decken. Dabei nutzen wir unser Netzwerk für den Austausch der jungen mit den erfahreneren Jurist*innen.

Klimabewegung
Zur Unterstützung der Klimabewegung stellt GLI gut zugänglich und klar formuliert Wissen bereit, vernetzt die Verteidigung untereinander und die Mandant*innen mit passenden Verteidiger*innen und leistet in Kooperation mit dem Umwelt-Treuhandfonds Rechtshilfe.
Weitere Informationen stehen auf www.greenlegal.eu bereit.

Einladung zur Vernetzung
Im Herbst 2021 gab es das erste Vernetzungstreffen zur Strafverteidigung bei Mandaten aus der Umwelt- und Klimabewegung. Fachlicher Austausch, gegenseitige Unterstützung, gemeinsame Strategieentwicklung und terminliche Absprachen stehen im Vordergrund. Wer über nächste Treffen informiert werden möchte, schreibe bitte eine Mail an post@greenlegal.eu.

Henrike Lindemann ist Geschäftsführerin von Green Legal Impact Germany e.V.

(1)   Vgl. etwa NZZ v. 13.01.2020, https://www.nzz.ch/schweiz/klimaaktivisten-wegen-protest-bei-der-credit-suisse-verurteilt-ld.1533574; zu den Gründen Stucki, In Defence of Green Civil Disobedience: Judicial Courage in the Face of Climate Crisis and State Inaction, VerfBlog, 2020/10/30, DOI: 10.17176/20201030-235847-0; in 2. Instanz wurden sie trotz Unterstützung durch einige renommierte Klimawissenschaftler*innen – die anders als in der 1. Instanz nicht persönlich angehört wurden – verurteilt (ETH-News v. 24.09.2020, https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2020/09/zukunftsblog-sonia-seneviratne-ja-wir-sind-besorgt.html).