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Recht in der Klimakrise

Für ein Zusammendenken

Ida Westphal

Klimagerechtigkeit ist noch lange nicht im Klimaschutz und im Recht angekommen. Dafür braucht es gerade diejenigen Personen, die sich bereits 
an anderen Stellen im Recht mit Gerechtigkeitsfragen auseinandersetzen.

Klimagerechtigkeit ist mehr als die Reduktion von Treibhausgasen

Der gern genutzte Begriff der ›Klimagerechtigkeit‹ geht weit über Klimaschutzmaßnahmen hinaus, auf die sich die Diskussion oft beschränkt. Klimagerechtigkeit setzt die Anerkennung voraus, dass die Folgen der Klimakrise Menschen unterschiedlich treffen. Diese Unterschiede entstehen nicht zufällig. Es trifft diejenigen am härtesten, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben: ohnehin marginalisierte Minderheiten, Gemeinschaften oder Personen, die zu benachteiligten sozialen Kategorien gehören. Für sie hat die Klimakrise bereits jetzt schwerwiegende Auswirkungen, sodass selbst eine Temperaturerhöhung um 1,5 Grad Celsius – das ambitionierteste Ziel des Pariser Klimaabkommens – schon zu viel ist. Auch im Bundesklimaschutzgesetz ist dies bisher nicht das maßgebende Ziel, sondern die maximale Temperaturerhöhung von 1,5 Grad nur »möglichst« zu erreichen.(1) Es stellt sich daher die Frage, wer eigentlich durch das internationale Klimaregime geschützt wird.
Nicht nur die unterschiedliche Betroffenheit, auch die Verursachung der Klimakrise muss in den Blick genommen werden: Nach Zahlen von Oxfam hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung im Zeitraum von 1990 bis 2015 mehr als doppelt so viel Treibhausgase ausgestoßen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.(2) Das Gerichtsverfahren des Peruaners Saúl Lliuya illustriert eine weitere Asymmetrie. Lliuya fordert von dem deutschen Energieunternehmen RWE den Ersatz von Kosten für den Schutz vor Klimawandelfolgen. Derzeit wird Beweis über einen Mitverursachungsanteil von RWE am globalen Treibhausgasausstoß von 0,47% erhoben.(3) Auch historisch erfolgt die Darstellung der Verursachung verzerrt: Im Klimabeschluss legte das Bundesverfassungsgericht zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Klimaschutzgesetzes einen Anteil von 2% zugrunde, die Deutschland zum Ausstoß von Treibhausgasen beiträgt.(4) Jüngst wurde jedoch berechnet, dass der Beitrag Deutschlands historisch gesehen viel größer ist.(5)
Aktivist*innen, die für Klimagerechtigkeit streiten und diese Ungerechtigkeiten anprangern, mahnen an, dass Klimaschutz im Sinne der staatlich verordneten Reduktion von Treibhausgasemissionen gerade nicht ausreicht.(6) Da sie den Status Quo herausfordern, trifft ihr Handeln auf Machtdemonstrationen: Umwelt- und Klimaaktivist*innen fürchten an vielen Orten der Welt um ihr Leben(7), und Repressionen durch staatliche Gewalt oder Einschüchterungsversuche durch private Unternehmen(8) sind nicht selten.
Auf (rechts-)politischer Ebene wird hingegen sichtbar, wie sehr das Wirtschaftsmodell von fossilen Energieträgern abhängig ist. Zum Beispiel war es in Deutschland trotz des hohen Ausstoßes an Treibhausgasen aus dem Energiesektor nicht möglich, sich auf einen schnellen Kohleausstieg zu einigen. Umgekehrt bergen einige der diskutierten Klimaschutzmaßnahmen das Risiko, auf dem Rücken derer ausgetragen zu werden, die im Sinne einer Verursachungsgerechtigkeit nur einen geringen Anteil an dem Ausmaß der Klimakrise haben: Beschäftigte, Verbraucher*innen oder Mieter*innen.
Bereits dieser stark verkürzte Problemaufriss macht deutlich, welche grundlegenden Fragen sozialer Gerechtigkeit globalen Maßstabs die Klimakrise aufwirft und wie wichtig es ist, die Frage nach einem gerechten Klimaschutz mit anderen umkämpften Themen zusammenzudenken.

Recht: Teil des Problems?

Das Thema Klimaschutz gewinnt auch im Recht rasant an Bedeutung: Weltweit gibt es immer mehr Klimaschutzgesetze(9) und mit der hohen Zahl an Klimaklagen weltweit(10) nimmt auch die Zahl gerichtlicher Entscheidungen zu, die Staaten und Unternehmen wie Shell und RWE an ihre Verantwortung für den Klimaschutz erinnern.
Studierende aus den USA haben kürzlich die Rolle von Kanzleien bei der Verursachung der Klimakrise aufgezeigt. Unter dem Namen Law Students for Climate Accountability veröffentlichten sie kürzlich zum zweiten Mal ein Ranking.(11) Es zeigt, dass die größten und erfolgreichsten Kanzleien über Prozessführung, Unternehmenstransaktionen und Lobby-Aktivitäten aktiv auf der Seite der Klimakrisenverursacher tätig werden. Gerade Klagen werden als Mittel der fossilen Industrie eingesetzt, um Druck auf die Gesetzgebung gegen Klimaschutzmaßnahmen auszuüben. Ein eindrückliches Beispiel sind Klagen der Kohleunternehmen Uniper und RWE gegen die Niederlande wegen des dort beschlossenen Kohleausstiegs für das Jahr 2030.(12) Für die beteiligten Kanzleien ist das Geschäft mit der Klimakrise lohnend, solange fossile Unternehmen zu den größten und einflussreichsten Unternehmen weltweit zählen. Und die Arbeit der Kanzleien trägt wiederum ihren Teil dazu bei, dass dies so bleibt. Diese lukrative Zusammenarbeit beschreiben die Studierenden als komplizenhaftes Zusammenwirken zwischen der fossilen Industrie und Anwaltskanzleien.
Leicht aus dem Blick gerät auch, dass selbst dort, wo es Vorschriften zum Umwelt- und Klimaschutz gibt, eben dieser dennoch oft zu kurz kommt. Denn Recht begrenzt die Klimawirkung nicht nur, über Recht werden die Nutzung natürlicher Ressourcen und der Ausstoß von Treibhausgasen umgekehrt auch ermöglicht. Ein Beispiel ist die Vorhabengenehmigung für die Erdgaspipeline Nordstream 2. Dort fordert die Deutsche Umwelthilfe nun gerichtlich ein, dass die Klimawirkungen bei der Genehmigung Berücksichtigung finden müssen.(13) Auch die Einordnung von umwelt- und klimaschädlichen Großprojekten als im Allgemeinwohlinteresse liegend wird zunehmend problematischer, aber häufig von Behörden und Gerichten immer noch angenommen. RWE will noch heute Menschen enteignen und Dörfer für den Braunkohleabbau zerstören; immer wieder müssen Mensch und Natur dem Straßenbau weichen.(14)
Dabei ist es nicht nur das Umweltrecht, das sich mit der Klimakrise auseinandersetzen muss. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte im Klimabeschluss jüngst, dass alle Lebensbereiche künftig von Fragen des Klimaschutzes betroffen sein werden, da so gut wie jedes alltägliche Verhalten mit CO2-Emissionen einhergehe.(15) Damit sind auch weitere Rechtsbereiche auf ihre Bedeutung für den Klimaschutz abzuklopfen: Inwiefern fördern oder hindern Vorschriften der zivilrechtlichen Gewährleistung das Angebot nachhaltiger Produkte? Welche Arbeits- und Lebensmodelle werden durch Arbeits-, Familien- oder Steuerrecht gefördert und was sind ihre Auswirkungen auf das Klima?

Nicht nur für Umwelt
rechtler*innen

Für die Bewältigung der Klimakrise sind nicht nur Umweltrechtler*innen gefragt. Auch für in anderen Rechtsbereichen tätige Anwält*innen kann es um weit mehr gehen als nur eine klimafreundliche Kanzleiorganisation. Mit Blick auf die Schwerpunkte des RAV werden in der Folge kurz einige Bereiche dargestellt, in denen eine Integration der Klimaperspektive wichtig ist oder werden kann:
Zunächst führen die vielfältigen Formen des Klimaaktivismus häufig zu Rechtskonflikten, die aus anderen Kontexten bekannt sind. Fragen zu Reichweite und Grenzen des Versammlungsrechts bei Klimastreiks, Klimacamps, etc. sind für die Fridays for Future und andere Gruppen zentral, die etwa über Demonstrationen nach außen auftreten. Auch stellen sich Fragen des rechtlichen Vorgehens gegen Repressionen oder der strafrechtlichen Verantwortung von Klimaaktivist*innen, die zur Abwendung der Klimakatastrophe handeln.
Ein alltäglicher Lebensbereich, auf den sich Klimaschutzmaßnahmen auswirken werden, ist das Wohnen: Mit dem großen Anteil am Ausstoß von Treibhausgasen durch den Gebäudesektor ist klar, dass Klimaschutz hier zu massiven Veränderungen führen muss. Eine wesentliche Frage wird sein, wie eine gerechte Lastenverteilung aussehen kann, die Mieter*innen angesichts der vielerorts ohnehin angespannten Wohnsituationen nicht zusätzlich belastet. Die derzeitigen Regelungen schaffen zwar einen Anreiz für hohe Investitionen auch in klimaschützende Effizienzmaßnahmen. Da darüber aber auch höhere Mietmehreinnahmen erzielt werden können, bedeutet dies eine Lastenverteilung hin zu den Mieter*innen.(16)
Auch im Asylrecht wird die Klimakrise eine immer größere Rolle spielen. Bereits jetzt verlassen mehr Menschen ihr Zuhause aufgrund von Klimawandelfolgen als aufgrund von militärischen Konflikten – obwohl Letztere ebenfalls durch Ressourcenkonflikte oder durch infolge von (vermeintlichen) Naturkatastrophen angespannte Situationen ausgelöst oder angeheizt werden können. Schätzungen eines australischen Think Tanks zufolge könnten 2050 bereits 1,2 Milliarden Menschen von klimawandelinduzierter Migration betroffen sein.(17) Der UN-Menschenrechtsausschuss schloss die Möglichkeit nicht aus, dass die Klimakrise zu einem irreparablen Schaden (irreparable harm) für das Recht auf Leben führen kann und damit das Non-Refoulement-Gebot aufruft.(18)
Schließlich geraten Umweltorganisationen auch in Deutschland immer weiter unter Druck. Dieser wird durch wiederkehrende Forderungen der Einschränkung der Verbandsklagerechte oder nach gesetzlichen Regelungen zur Planungsbeschleunigung bei Infrastrukturvorhaben aufgebaut. Ein weiteres Thema ist das Gemeinnützigkeitsrecht, wie die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für Campact, einem Verein für Online-Kampagnen, oder die immer wiederkehrende Hinterfragung der Gemeinnützigkeit und des Geschäftsmodells der Deutschen Umwelthilfe zeigen. Und auch in der öffentlichen Debatte handeln sich klageberechtigte Verbände immer wieder Kritik ein, wenn sie den Rechtsweg wegen vermuteter Rechtsverstöße gegen Großprojekte beschreiten, wie der Verein Grüne Liga im Falle der Rodungen für die Tesla-Gigafabrik in Grünheide.

Fazit

Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe. Für mehr Klimagerechtigkeit im Recht wird es gerade die Aufmerksamkeit, kritische Intervention aber auch das vorausschauende Denken von Anwält*innen brauchen, die sich in anderen Bereichen als dem Umwelt- und Klimaschutzrecht tagtäglich gesellschaftlichen Machtverhältnissen entgegenstellen.

Ida Westphal promoviert an der Humboldt-Universität zu Berlin im Bereich Umweltrecht und Gender. Zuvor arbeitete sie zu rechtlichen Fragen des Kohleausstiegs bei der Umweltrechtsorganisation ClientEarth und ist Vorstandsvorsitzende von Lawyers for Future (https://lawyers4future.org/).

(1)   § 1 S. 3 KSG.
(2)   Oxfam, Confronting Carbon Inequality, September 2021, abrufbar unter: https://oxfamilibrary.openrepository.com/bitstream/handle/10546/621052/mb-confronting-carbon-inequality-210920-en.pdf
(3)   Hierüber wird derzeit Beweis erhoben, s. OLG Hamm, Beschluss vom 30. November 2017 – I-5 U 15/17, ZUR 2018, 118 (119).
(4)   BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021, 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, Rn. 30.
(5)   Unter Einbeziehung der historischen Emissionen (1850-2021) liegt Deutschland global gesehen auf Platz 6 der größten Klimaverursacher, s. Carbon Brief, Analysis: Which countries are historically responsible for climate change?, Oktober 2021, abrufbar unter: https://www.carbonbrief.org/analysis-which-countries-are-historically-responsible-for-climate-change.
(6)   Geographin und Umweltgerechtigkeitsforscherin Sibylle Bauriedl spricht in dieser Hinsicht von einem struktur-konservativen staatlichen Klimaschutzhandeln, s. Bührmann/Dobusch/Weller, Interview mit Sybille Bauriedl: „Es fehlen offensive Debatten zu impliziten Gerechtigkeitsverständnissen klimapolitischer Strategien“, ZDfm 2021, 6 (1), 39 (40).
(7)   Ausführlich zur Situation von Umweltaktivist*innen s. etwa Menton/Le Billon (Hg.), Environmental Defenders – Deadly Struggles for Life and Territory, Routledge 2021.
(8)   S. z.B. den Fall einer Unterlassungsaufforderung an Daniel Hofinger, über den die taz am 12. Juni 2019 berichtete: https://taz.de/RWE-fordert-Strafgeld/!5599180/.
(9)   Eine Datenbank der LSE listet etwa 2347 Klimagesetze und -politiken, s. https://climate-laws.org/.
(10) S. die Datenbank des Sabin Centers for Climate Change Law, http://climatecasechart.com/climate-change-litigation/. Auch gibt es einen Atlas von Umweltkonflikten, die nicht zwangsläufig bereits in Gerichtsverfahren gemündet sind: https://ejatlas.org/.
(11) Abrufbar unter: https://static1.squarespace.com/static/5f53fa556b708446acb4dcb5/t/611dba29c5ad3077663d4947/1629338162366/2021+Law+Firm+Climate+Change+Scorecard.pdf
(12) FAZ vom 4. August 2021, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/rekordbetrieb-vor-schiedsgericht-17470078.html.
(13) S. hierzu die Informationen zum Projekt unter https://www.duh.de/projekte/nord-stream-2/ sowie einzelne Pressemitteilungen mit Informationen zu den Klagen beim OVG Greifswald sowie vor dem VG Hamburg.
(14) Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine Schriftliche Frage des Abgeordneten Sven-Christian Kindler zur Zahl der Enteignungen für den Fernstraßenbau vom 3. August 2020, abrufbar unter: https://www.enteignungspartei.lol/Antwort-BMVI-Enteignungen-2020.pdf.
(15) BVerfG, Beschluss v. 24. März 2021, 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, Rn. 37, 248.
(16) Henger/Braungardt/Köhler/Meyer, Ariadne-Analyse: Wer zahlt für den Klimaschutz im Gebäudesektor?
 Reformoptionen der Modernisierungsumlage, 3. August 2021, abrufbar unter: https://ariadneprojekt.de/publikation/analyse-reformoptionen-modernisierungsumlage/, S. 13.
(17) https://www.theguardian.com/environment/2020/sep/09/climate-crisis-could-displace-12bn-people-by-2050-report-warns.
(18) Schloss, Human Rights Committee: Internationale Konvention über bürgerliche und politische Rechte, Recht auf Leben, Rückführung in einen stark von der Klimaänderung betroffenen Staat, Kiribati EZAR NF 51 Nr. 55, ZAR 2020, 335 (338).