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»Schon mal eine Grundlage…«

NAZIS ALS SICHERHEITSBEHÖRDEN UND GEHEIMDIENSTE

Lukas Theune


»Schließt Euch an!«, so beschreiben Christian Jakob und Konrad Litschko in ihrem Beitrag im kürzlich erschienenen Sammelband ›Extreme Sicherheit‹ Aufrufe der rechtsradikalen Szene an Beamt*innen, ›Widerstand‹ zu leisten. Dabei scheinen viele aus den Reihen der Polizei, des Verfassungsschutzes, aber gerade auch in Justizkreisen diesen Aufruf nicht mehr nötig zu haben, wie sich aus anderen Beiträgen des Bandes ergibt. ›Mit Sicherheit keine Einzelfälle‹, so ist ein Teil des Buches zwischenbetitelt, in dem mehrere Beiträge nachweisen, dass die staatlicherseits verbreitete Mär von den wenigen ›Einzelfällen‹ rechtsradikaler Einstellungen bei Staatsdienern sich mit der Faktenlage nicht in Einklang bringen lässt. Viele RAV-Mitglieder sind als Autorinnen und Autoren in dem Sammelband vertreten, der insgesamt eine wenig optimistisch stimmende Lage schildert.
So scheint sich insbesondere eine deutlich besorgniserregende Entwicklung innerhalb der Polizei abzuzeichnen, auch wenn dort bedauerlicherweise keine Bereitschaft für empirische Studien von nicht-polizeilicher Seite besteht und die Datenlage daher prekär ist, wie der langjährige Polizeiausbilder und international forschende Kriminologe Joachim Kersten im Interview bestätigt (S. 201). Aber auch die Justiz, der ein eigener Abschnitt des Sammelbandes gewidmet wird, zeichnet sich durchaus mitunter durch eine Nähe zu rechten Einstellungen aus. Gerade in den Bundesländern, in denen die AfD hohe zweistellige Wahlergebnisse verbucht, scheint sich auch in der Justiz eine immer stärkere Bagatellisierung rechter Gewalt zu etablieren. Dies gilt sowohl bei den Staatsanwaltschaften, wie Henriette Scharnhorst und Sebastian Scharmer (S. 225) wie auch Matthias Meisner mit Bezug auf den Geraer Staatsanwalt Martin Zschächner (S. 211), der Ermittlungen gegen das Kunstkollektiv Zentrum für politische Schönheit nach dem § 129 StGB geführt hatte, darlegen. Der Befund gilt auch bei jedenfalls einzelnen Richterinnen und Richtern, etwa dem mittlerweile für die AfD und den dortigen ›Flügel‹ im Bundestag sitzenden Richter am Dresdner Landgericht, Maier.
Vergleichbare justizielle Aufarbeitung findet sich auch zum rechtsradikalen ›Sturm auf Connewitz‹ durch die Leipziger Staatsanwaltschaft und das dortige Amtsgericht. Während nach den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg etliche linke Demonstrant*innen lange Monate und sogar Jahre in Untersuchungshaft verbrachten und zu Haftstrafen verurteilt wurden und werden, obwohl es zu keinen körperlichen Schäden gekommen war, enden die dortigen Strafverfahren gegen die 215 festgesetzten Rechtsradikalen, die im alternativ geprägten Stadtteil Leipzigs 2016 mit Macheten, Böllern und Knüppeln Jagd auf Andersdenkende und -aussehende gemacht hatten, mit Bewährungsstrafen.

GERICHT UND STAATSANWALTSCHAFT

In diese Aufzählung gehören aber auch Richter*innen und Staatsanwält*innen, die Zusammenhänge zwischen rechtsradikaler Einstellung und Straftaten konsequent verharmlosen, wie etwa der Fall Bernd S. zeigt, den Robert Andreasch beschreibt: Nachdem S., rechtsradikaler Waffennarr und Reichsbürger mit Hitler Bild und Hakenkreuzfahne an der Wohnungswand, wegen vorsätzlichen Besitzes von Kriegswaffen und mehrfachen Waffenbesitzes vom Amtsgericht zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden war, legt die Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten Berufung gegen das Urteil ein; eine laut Gesetzestext denkbare Konstellation, die - empirisch betrachtet - so überschaubar häufig vorkommt, wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen – oder wie die Verurteilung von Beamt*innen wegen Polizeigewalt im Dienst.
Jedenfalls fordert die Staatsanwaltschaft im Berufungsprozess eine Bewährungsstrafe, denn der Angeklagte sei sozial voll integriert und nicht gefährlich. Dem folgt das Landgericht; ein Zusammenhang zwischen rechtsradikalem Gedankengut und den Waffen sei nicht erkennbar, auch wenn es komisch sein möge, dass Hitler-Bild und Hakenkreuzfahne immer noch im Wohnzimmer hingen…

ZUM BEISPIEL H_SS_EN

Besondere Beachtung verdient und erhält zurecht die hessische Polizei. Dort hatten Beamt*innen mehrere Droh-Faxe an unsere Kollegin Seda Başay-Yıldız versandt,(1) die auch ein Vorwort zu dem Band beisteuert. Die Autoren, Pitt von Bebenburg und Hanning Voigts, erinnern an einige Ungewöhnlichkeiten bei den Ermittlungen: So wurden die Ermittlungen lange bei der Frankfurter Polizei, aus deren Reihen die Verdächtigen kamen, selbst geführt und nicht beim Landeskriminalamt. Das Landesparlament wird erst spät informiert. Die betroffene Kollegin erhält kaum Informationen über den Gang des Verfahrens – und wenn, dann eher aus der Presse. Polizeibeamte legen ihr schließlich nahe, doch für ihren eigenen Schutz einen Waffenschein zu machen. Sonderlich überrascht wirken viele Beobachter*innen in Hessen nicht, so die Autoren (S. 141), zumal das Bundesland ja schon 2006 nach dem Mord an Halit Yozgat Erfahrungen im Umgang der Polizei mit rechter Gewalt machte.
Dort ist nach wie vor die Rolle des am Tatort anwesenden Verfassungsschützers Andreas Temme unklar, wie die Autoren hervorheben. Im Zuge des Verfahrens ergaben sich allein bei mindestens 38 Beamt*innen Anhaltspunkte für eine ausgeprägte rechtsradikale Einstellung. Das Dunkelfeld wird noch deutlich höher sein. So resümiert der Beitrag: »Das Ausmaß rechtsextremer Gesinnung bei der Polizei ist unbekannt. […] Das I. Revier in Frankfurt wird insbesondere für Migrantinnen und Migranten zu einem Symbol für eine Polizei, auf die man nicht vertrauen kann« (S. 146). Damit ist zugleich auch ein Kritikpunkt an dem Sammelband angesprochen: Abgesehen vom bereits erwähnten Vorwort der Kollegin Seda Başay-Yıldız und dem Beitrag von Mohamed Amjahid spielt die Perspektive der (potentiell) Betroffenen eine eher geringe Rolle.
Ein Anlass zum Erstellen des Sammelbandes war, so das Vorwort der Herausgeber*innen, die Festnahme der ›Gruppe Freital‹ im Jahre 2016. Dort habe auch der Verdacht im Raum gestanden, dass Polizeibeamt*innen die Neonazis mit Informationen versorgt und vor Maßnahmen von Kolleg*innen gewarnt hätten. Diese offenbar verbreitete Praxis führte mit dazu, dass rechtsextreme Netzwerke, die von SEK-Beamten und Bundeswehrsoldaten angeführt werden, Feindeslisten mit 25.000 Namen anlegen konnten. Der Band ist eine Fundgrube für Unerschrockene; er verschafft einen Überblick und analysiert die nicht verwunderliche, aber brandgefährliche Durchsetzung der ›Sicherheits‹apparate mit Rechtsradikalen, die auch Löschkalk und Leichensäcke schon bestellt haben.
Antifaschistische Gegenwehr tut sicherlich not. Und dafür bietet das zusammengetragene Wissen in ›Extreme Sicherheit‹ schon mal eine hervorragende Grundlage.

Matthias Meisner/Heike Kleffner (Hg.), Extreme Sicherheit: Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. (Freiburg/Brsg.: Herder Verlag 2019)

Dr. Lukas Theune ist Rechtsanwalt in Berlin und Geschäftsführer des RAV. Über- und Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.

(1)    Vgl. dazu die Pressemitteilung des RAV vom 18.12.2018, www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/solidaritaet-mit-rechtsanwaeltin-seda-basay-yildizbr-rav-fordert-umfassende-aufklaerung/35927cc5c87db2be9a3c1bf3e04d0c92/