Sie sind hier: RAV > PublikationenInfoBriefeInfoBrief #118, 2019 > Die Gründung der EDA

Die Gründung der EDA

VOR- UND FRÜHGESCHICHTE DER AED-EDL

August Gil Matamala

Ich bin nicht in der Lage, oder mir würde die Zeit fehlen, einen Überblick über den langen und komplexen Prozess zu geben, der zur formalen Gründung der EDA im Oktober 1987 führte. Ich werde mich also auf zwei Episoden beschränken, die ich persönlich erlebt habe und die ich für wichtig halte, um diesen Prozess zu verstehen und in die Perspektive der letzten Jahre zu stellen.

Die erste Episode entspricht dem, was wir die Vorgeschichte der EDA nennen könnten,(1) und was sich auch zehn Jahre vor dem Datum der formalen Gründung ereignete. Im Frühjahr 1977 erhielt ich eine Einladung zur Teilnahme an internationalen Konferenzen von Anwälten über politische Repression auf europäischer Ebene. Die Einladung kam von Mouvement d‘Action Judiciaire, einer französischen Organisation linker Anwälte, genauer, aus deren Sektion in Toulouse. Die Einladung wurde mir von einem jungen befreundeten Anwalt, einem Katalanen französischer Nationalität, mündlich übermittelt und war von einem konspirativen Geheimnis umgeben, das mich anzog.
Ich nahm die Einladung an und reichte sie an einige Kollegen aus Barcelona weiter, denen ich absolut vertraut habe. Nach ein paar Tagen erhielt ich einen Termin auf ähnliche konspirative Art: Wir sollten zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort gegenüber dem Bahnhof von Toulouse sein; wir sollten warten, bis wir abgeholt werden würden, um uns zu einem nicht identifizierten Ort zu bringen, wo das Treffen stattfinden werde.
Wir wurden in ein riesiges Landhaus transportiert, isoliert inmitten der kultivierten Felder, an einem Ort namens Persin-Bas, wie ich später erfuhr, in der Nähe von Toulouse. Wir wurden darüber informiert, dass die Sicherheitsmaßnahmen durch die Anwesenheit einiger deutscher Kollegen gerechtfertigt waren, die ihr Land heimlich verlassen hatten und vor der Polizei fliehen mussten, die sie mit bewaffneten Organisationen der extremen Linke in Verbindung gebracht habe.
In dieser riesigen, dekadenten Villa und unter sehr prekären Bedingungen verbrachten mehr als hundert Menschen aus verschiedenen Ländern zwei Tage und zwei Nächte, ohne aus Sicherheitsgründen das Haus zu verlassen, und wir bildeten eine permanente Versammlung. Die meisten waren Franzosen, die bereits eine Organisationsstruktur aufgebaut hatten, das Syndicat des Avocats de France (SAF), eine große Gruppe von Belgier*innen, aber auch Niederländer*innen, Italiener*innen und viele Deutsche. Es gab auch einige Bask*innen. Was die Gruppe von fünf Anwält*innen aus Barcelona betrifft, die gerade eine repressive Diktatur hinter sich gelassen und keine internationale Erfahrung hatten, so schien uns diese Atmosphäre faszinierend.

RADIKALE DIVERGENZ MIT DEM SYSTEM BESEITIGEN

Zentrales Thema der Diskussionen war die Kritik an der damals entstehenden (noch embryonalen) Antiterrorgesetzgebung, die unter verschiedenen Modalitäten in den meisten europäischen Demokratien umgesetzt wurde. Diskutiert wurden deren Folgen für die Justiz und die Polizeipraxis Westeuropas in einer Zeit akuter sozialer Konfrontation. Aus diesen intensiven Tagen des Informationsaustauschs, endlosen theoretischen Diskussionen, zahlreichen Vorschlägen zur Rolle linker Anwältinnen und Anwälte bei der politischen Repression behielten die Teilnehmer*innen einige klare Vorstellungen von: der Notwendigkeit, sich sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene zu organisieren, um als Anwält*innen alle Verletzungen der Grundrechte und der öffentlichen Freiheiten im Namen einer Sicherheitspolitik zu bekämpfen, die letztendlich darauf abzielte, das Straf- und Verfahrensrecht zu kontaminieren und zu einem Instrument der Macht zu machen, um so jeden Ausdruck radikaler Divergenz mit dem System zu beseitigen.
Es wurde beschlossen, im nachfolgenden Jahr 1978 eine weitere Sitzung abzuhalten mit dem Ziel, den Aufbau einer europäischen Organisation linker Anwält*innen zu organisieren. Das Treffen, an dem ich auch teilnahm, fand statt in San Sebastian, im Baskenland. Die Schirmherrschaft hatte einer der frühen Teilnehmer und prominenten ehemaligen Verteidiger der Bandrés ETA-Aktivisten, der zum Justizminister der autonomen baskischen Regierung ernannt worden war. Das Treffen kann man als völliges Scheitern beschreiben, denn die politischen Meinungsverschiedenheiten auch innerhalb der baskischen Organisatoren selbst, die die Debatten monopolisiert hatten, führten zu nichts. Dort scheiterte die Initiative.
Das praktische Ergebnis dieser Erfahrungen war jedoch der Aufbau eines Netzwerks persönlicher Beziehungen zwischen Anwält*innen aus verschiedenen Ländern und Rechtskulturen, die oft weitgehend dauerhaft geworden sind und dazu beigetragen haben, die Idee eines europäischen Verbandes am Leben zu erhalten. Es vergingen einige Jahre, bis von innerhalb der SAF der Anstoß kam, diese Initiative wiederaufzunehmen, und es ist richtig, an dieser Stelle Gérard Boulanger, dem ersten Präsidenten der EDA, meine Anerkennung auszusprechen. Ich bin Zeuge gewesen von seiner überwältigenden Aktivität und seiner Fähigkeit, Begeisterung zu vermitteln und Mitgliedschaften zu gewinnen, indem er seine alten Netzwerke von Kontakten und Beziehungen während des gesamten Entstehungsprozesses der aktuellen Vereinigung nutzte.

URSPRÜNGE UND (DIS)KONTINUITÄTEN

Es erscheint mir wichtig, diese fernen Ursprünge der EDA zu erläutern, um die Kontinuität zwischen diesen Vorläufern und einigen der zentralen Achsen der EDA-Aktivität in ihrer Geschichte hervorzuheben: die dauerhafte Verteidigung der grundlegenden Menschenrechte und demokratischen Freiheiten; die Verteidigung der Rechte der Verteidigung und die Garantien für die freie Ausübung unseres Berufs; die Solidarität mit unseren Kolleg*innen auf der ganzen Welt, wenn sie wegen der Verteidigung der Gerechtigkeit unterdrückt werden.
Die andere Episode, an die ich mich erinnern möchte, fand in einer ganz anderen Atmosphäre statt. Vor nunmehr mehr als dreißig Jahren habe ich als Präsident der Katalanischen Vereinigung für den Schutz der Menschenrechte die Gründungsurkunde der EDA im feierlichen Rahmen des Europäischen Parlaments in Straßburg und in einem mit modernster Technik ausgestatteten Raum unterzeichnet, der uns dank der Sozialdemokratischen Fraktion zur Verfügung stand.
Der Kontrast zu den prekären Bedingungen des halb heimlichen Treffens in Persin-Bas ließ mich nachdenken. Auch während des Prozesses der Gründung der EDA haben alle bereitwillig akzeptiert, dass die von uns gegründete Vereinigung nicht auf eine militante Gruppe von linken Anwält*innen reduziert werden kann, die sich ausschließlich auf den Kampf gegen die Repression konzentriert. Die EDA wurde in einem ganz anderen sozialen und politischen Kontext Europas gegründet, als die Lage sich zehn Jahre zuvor, beim ersten Gründungsversuch, darstellte. Westeuropa konsolidierte seine kollektiven Institutionen und baute eine neue Rechtsarchitektur auf, indem es eine europäische Gesetzgebungsbefugnis und Justizstellen einrichtete, die sich gegen die nationalen Institutionen durchsetzen sollten. Der Aufbau der Europäischen Union brachte dramatische Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Mitgliedstaaten mit sich, die sich auf die Berufsausübung der Anwält*innen auswirkten.
In  diesem  Szenario  tiefgreifender Veränderungen sahen viele der Gründer*innen der EDA die Chance für eine Vereinigung wie die unsere. Immer optimistisch, glaubten sie an die Möglichkeit, ein vereintes Europa als Raum der Freiheit und Demokratie aufzubauen, zwischen zwei damals existierenden Imperialismen, Amerika und die Sowjetunion, und unter einem relativ friedlichen Kapitalismus in einer Phase des Wirtschaftswachstums und mit wenigen sozialen Konflikten. Daher war es notwendig, diesen günstigen historischen Moment zu nutzen, um unser ideologisches Erbe zu verteidigen, was bedeutete, der Präsenz der EDA Vorrang einzuäumen, mit dem Willen, in die Institutionen und Machtzentren einzugreifen, in denen die Veränderungen, die uns betrafen, auf nationaler und europäischer Ebene diskutiert und beschlossen wurden.

VEREINNAHMUNGSVERSUCHE DER EDA

Andere, wie ich, teilten diese idyllische Vision vom Aufbau Europas nicht und waren eher skeptisch gegenüber der Möglichkeit, innerhalb der Institutionen schrittweise Einfluss zu nehmen. Wir haben uns nicht geweigert, diese Option zu prüfen, aber wir waren weiterhin der Meinung, dass es eine Priorität sein müsse, die Unabhängigkeit unserer Vereinigung als Instrument der Kritik und gegebenenfalls der offenen Konfrontation mit den Institutionen im Kampf für eine freiere und gerechtere Gesellschaft zu bewahren. Wir haben auch mit Besorgnis die Gefahr gesehen, dass wir durch die Gebühr, die wir zahlen müssten, um in die europäischen Institutionen aufgenommen zu werden, von einer politischen Partei instrumentalisiert werden könnten.
Diese Gefahr wurde allzu klar, als auf einer von der EDA im November 1988 in Maastricht organisierten Konferenz zu Rechtsbeistand, eine Gruppe von Anwält*innen aus Madrid unter der Leitung eines Bruders des Justizministers der spanischen sozialistischen Regierung, die gerade einen Verband unter dem Akronym ADADE gegründet hatten, sich um die Integration in die EDA bemühte. In ihrer Präsentation vor dem Büro der Vereinigung, die sie aufnehmen sollte, äußerten sie mit Autorität und Ungeschicklichkeit ihren Anspruch, die EDA in eine von der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament geschützte Organisation umwandeln zu wollen. Angesichts der offensichtlichen Kälte, mit der auf diesen Vorschlag durch die EDA reagiert worden ist, zog sich ADADE aus der EDA zurück.

STABILE UNGLEICHGEWICHTE

In meinem Beitrag habe ich auf zwei wichtige Momente im Prozess des Aufbaus der EDA aufmerksam gemacht. Anhand der Metapher der Konfrontation zwischen zwei Szenarien, die so unterschiedlich sind wie das landwirtschaftliche Gut unter prekären Bedingungen und dem hochtechnisierten Raum innerhalb des Europäischen Parlaments, wollte ich darauf hinweisen, dass die EDA in ihren Ursprüngen ein Treffpunkt und eine Konfrontation zwischen zwei Seelen war, die durch die gleichen demokratischen Überzeugungen im gleichen organisatorischen Rahmen, mit Momenten von Spannungen und instabilen Gleichgewichten, nebeneinander existierten.
Aber die Realität hat, wie immer, endlich ihr Gesetz durchgesetzt. Es ist für alle inzwischen klar, dass sich die europäische Gemeinschaft in einer Weise bewegt, die unseren Zielen als Vereinigung völlig zuwiderläuft, und dass unser Platz neben den sozialen und politischen Bewegungen sein muss, die für die Demokratisierung der Europäischen Union, für die Ausweitung der Rechte der Verteidigung, für die Erweiterung des Zugangs zum Recht aller Bürger ohne Diskriminierung und für die radikale Verteidigung der Menschenrechte und Grundfreiheiten gegen den Machtmissbrauch kämpfen, wie in unseren Statuten in Artikel 2 festgelegt.

August Gil Matamala ist Rechtsanwalt und war von 2004 bis 2007 Präsident der EDA. Über- und Zwischenüberschriften sowie Endnoten wurden von der Redaktion eingefügt. Aus dem Englischen von Mina Zapatero und Volker Eick.
(1) Der Verein ›Avocats Européens Démocrates‹ (AED) bzw. ›European Democratic Lawyers‹ (EDL) bzw. ›Europäische Demokratische Anwälte‹ (EDA) wurde am 30. Oktober 1987 am Sitz des Europarates in Straßburg gegründet; http://www.aeud.org/about-us/