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Das geheimnisvolle Eigentumsrecht

»BERECHTIGTE INTERESSEN« AN DER GEHEIMHALTUNG

Maja Beisenherz

Der Bundestag hat am 21. März 2019 das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG)1 verabschiedet und damit die Richtlinie zur Teilharmonisierung des Geheimnisschutzes ((EU) 2016/ 943) umgesetzt. Aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz2wurden in letzter Minute noch weitreichende, erfreuliche Änderungen eingefügt.
Parallel hierzu einigten sich am 16. April 2019 das EU-Parlament und die Kommission auf eine Fassung der Richtlinie zum Schutz der Whistleblower. Da sich beide Anwendungsgebiete z.T. überschneiden werden, lässt sich deren Wechselwirkung abschließend erst nach Vorliegen der endgültigen Richtlinie abschätzen, diese ist daher nicht Gegenstand der Darstellung. Erst kürzlich wurde der Hinweisgeber in den sogenannten Cum-Ex-Geschäften zu einer Geldstrafe verurteilt (zwar in der Schweiz). Verglichen mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf dreieinhalb Jahre Haft ist er glimpflich davongekommen. Ein besserer Schutz für Whistleblower ist wünschenswert.

1. GESCHÄFTSGEHEIMNIS ALS VERMÖGENSRECHT

Die gesetzliche Novellierung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen nähert diesen Schutz weitgehend dem der eigentumsähnlichen Vermögensrechte an. Nach den Erwägungsgründen der Richtlinie sei der Schutz der wissensbasierten Innovationsnotwendigkeit, durch die alleine noch Wachstum und Konkurrenzfähigkeit in der globalen Wettbewerbswirtschaft garantiert werden könne, u.a. Anlass für das neue Gesetz.3Bislang war die Garantie der Möglichkeit von Geheimhaltungen durch strafrechtliche Sanktionen sichergestellt – im gewerblichen Bereich durch §§ 17, 19 UWG und §§ 823, 826 BGB, 203 StGB. Durch die Überleitung des Schutzes von Informationen in ein quasi gewerbliches Schutzrecht, wird dem Geheimnis nun ein eigentumsähnlicher Schutz zugesprochen. Im Unterschied zu den gewerblichen Schutzrechten ist zum Erwerb dieser eigentumsähnlichen Stellung kein staatlicher Verleihungsakt notwendig. Über die Eigenschaft einer betriebsinternen Information als geschütztes Geheimnis entscheidet allein der Geheimnisträger.

2. BEGRIFFSDEFINITION UND SYSTEMATIK

Ein zentraler Punkt des GeschGehG ist die Definition des Geschäftsgeheimnisses in § 2 Abs. 1.4Es kommt für die Einordnung als Geschäftsgeheimnis weder auf Neuheit noch Komplexität der gedanklichen Erschließung an. Allein eine Information, die ‚ohne weiteres zugänglich ist‘ oder ohnehin allgemein bekannt ist, unterliegt nicht der Einordnung als Geschäftsgeheimnis. Die Definition des Geschäftsgeheimnisses ist weitgehend identisch zu dem Wortlaut der Richtlinie sowie des Art. 39 TRIPS-Abkommen, einem Gesetz originär zum Schutz des geistigen Eigentums. Abweichend zu dieser Vorschrift wurde jedoch durch die Beschlussempfehlung das zusätzliche Merkmal des »berechtigten Interesses an der Geheimhaltung« aufgenommen.
Entscheidend ist, ob nur Know how im engeren Sinne – wie z.B. die Mischungsbestandteile und deren Verhältnisse in Coca Cola –, oder auch bloßes Wissen über bestimmte betriebsinterne Tatsachen, z.B. einen Pflegeskandal wie er im Fall Heinisch
5publik gemacht wurde, in den Schutzbereich fallen. Werthaltig war hier der Umstand, dass Personalkosten oder Verpflegungskosten in gesetzeswidrigem Ausmaß eingespart wurden. Ob die Geheimhaltung dieses Wissens direkt von wirtschaftlichem Wert ist oder inwieweit auch indirekter Bezug auf den wirtschaftlichen Wert anderer Faktoren ausreicht, wird durch den EuGH zu entscheiden sein. Nachdem ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung bestehen muss, wird solches Wissen über rechtswidrige Verhaltensweisen wohl keinen Schutz als Geschäftsgeheimnis in Anspruch nehmen können. Streitig könnten Fälle bleiben, die ein sonstiges Fehlverhalten betreffen.
Nach der Definition des Schutzgegenstandes werden einzelne Handlungen in § 3 richtlinienkonform ausdrücklich erlaubt, z.B. ist erlaubt, dass im Rahmen der Ausübung von Mitbestimmungsrechten Geschäftsgeheimnisse erlangt werden. Dies gilt aber nicht bezüglich der Nutzung gemäß § 3(2). Betriebsräten ist es somit nicht gestattet, z.B. auf Betriebsversammlungen Geschäftsgeheimnisse offenzulegen. Dies kann eine erhebliche Einengung der Handlungsmöglichkeit des Betriebsrats bedeuten.
Anschließend an § 3 (erlaubte Eingriffe) regelt § 4 die Verbotstatbestände. Diese umgekehrte Reihenfolge vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass § 4 in allgemeiner Weise und mit unbestimmten Rechtsbegriffen ein umfassendes Verbot des Erlangens, Nutzens und Offenbarens von Geschäftsgeheimnissen statuiert.

3. AUSNAHMEN

Die Richtlinie sieht in Art. 5 Ausnahmen vor, welche der Regierungsentwurf zunächst in Form von »Rechtfertigungsgründen« in § 5 übernommen hatte. Die Formulierung von Rechtfertigungsgründen an Stelle von Ausnahmen war nicht richtlinienkonform. Durch die Beschlussempfehlung wurde die Systematik der Richtlinie wiederaufgenommen, und das Gesetz spricht nun richtigerweise von Ausnahmen.
Die Ausnahmen umfassen folgende Handlungen: 1. die Ausübung der Meinungsfreiheit, 2. die Aufdeckung rechtswidriger Handlungen oder sonstigen Fehlverhaltens und 3. die Information der Arbeitnehmervertretung durch Arbeitnehmer. Der Regierungsentwurf sah vor, dass Handlungen gemäß der Ziffer 2. »in der Absicht« erfolgen müssten, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. Dieser ›Gesinnungstest‹ wurde viel kritisiert und wurde durch die Beschlussempfehlung ersetzt durch: »geeignet ist«. Sehr positiv erscheint, dass in § 5 kein von Vertretern der Arbeitgeber geforderter formalisierter Ablauf für ein rechtmäßiges Whistleblowing aufgenommen wurde, wonach zunächst ein interner Klärungsversuch unternommen werden muss, bevor Behörden und erst in der letzten Stufe die Presse informiert werden darf. Einen solchen Eskalationsmechanismus soll nach derzeitigem Stand aber die Whistleblowing-Richtlinie enthalten.

4. VERHÄLTNISMÄßIGKEITSPRÜFUNG UND MISSBRAUCHSSANKTION

Das Gesetz (§ 9) legt dem Richter eine Pflicht zur Verhältnismäßigkeitsprüfung auf, um Missbrauch entgegen zu wirken. Die ausdrückliche Erwähnung der Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert, dass über den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinaus eine besondere Missbrauchs- und Verhältnismäßigkeitskontrolle stattzufinden hat. Diese Verpflichtung ist ein Indiz dafür, dass der Gesetzgeber zumindest die durch die ursprünglich sehr umfassende Definition des Geschäftsgeheimnisses geschaffene Missbrauchsgefahr erkannt hat. Durch die Aufnahme des »berechtigten Interesses« an der Geheimhaltung wurde diese Gefahr nun durch den Gesetzgeber eingeschränkt.
Die  Richtlinie räumt den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit der Missbrauchssanktion in Art. 7 Abs. 2 ein und nennt als Beispiel für solche Sanktionen sehr milde die Anordnung der Veröffentlichung von Informationen über die Entscheidung. Hieraus resultiert ein strukturelles Ungleichgewicht. Anders als Rechteinhaber, die sich auf EU-weite einheitliche Regeln verlassen können, sind Personen, die sich mit unberechtigten Ansprüchen konfrontiert sehen, einer Vielzahl unterschiedlicher Rechtsordnungen ausgesetzt. Der Gesetzgeber hat in § 14 vorgesehen, dass der entstandene Schaden ersetzt werden kann, weitere Sanktionsmöglichkeiten sind jedoch nicht vorgesehen. Die vorgesehene zusätzliche Verhältnismäßigkeitskontrolle dürfte hier als Gegengewicht kaum ausreichen. In schweren Missbrauchsfällen, beispielsweise gegenüber Journalist*innen, wären Sanktionen erforderlich.

5. FOLGEANSPRÜCHE

Dem Geheimnisinhaber werden nahezu identische Folgeansprüche wie bei anderen gewerblichen Schutzrechten eingeräumt, nämlich Unterlassungs-, Herausgabe-, Schadensersatz-, Vernichtungs- und auch Auskunftsansprüche. Da der Auskunftsanspruch in der Richtlinie nicht vorgesehen ist, muss der richtlinienkonforme Schutz der Presse- und Medienfreiheit6stets Vorrang haben. Es ist andernfalls zu befürchten, dass der Auskunftsanspruch dazu missbraucht wird, investigativen Journalismus zu behindern und den Quellenschutz zu umgehen (§ 8 Abs. 1 Nr. 4). Dies ist jedoch im Erwägungsgrund 19 der Richtlinie ausdrücklich untersagt, der dem in Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährten Grundrechtsschutz Vorrang einräumt und den Schutz der journalistischen Quellen explizit erwähnt.

6. VERFAHREN UND STRAFVORSCHRIFT

Die Verfahrensvorschriften sehen eine Einschränkung des Zugangs zu den Akten für Dritte sowie für die Parteien selbst vor. In geheimhaltungsbedürftige Dokumente (§ 16) darf jeweils nur eine Rechtsvertretung sowie eine (zuverlässiger) Vertretung der Partei Einsicht nehmen (§ 19 Abs. 1). Verstöße gegen Geheimhaltungsverpflichtungen der Prozessparteien werden durch Bußgelder geahndet. Die Obergrenze des Bußgeldrahmens wurde von 1.000 Euro (im Referentenentwurf) auf 100.000 Euro erheblich erhöht. In § 23 wurde richtlinienkonform eine Strafvorschrift aufgenommen, jedoch fehlt der ausdrückliche Bezug zu den Ausnahmen des § 5.

7. AUSBLICK

Der effet utile der Umsetzung kann je nach Auslegung durch die Gerichte gefährdet werden, da das Gesetz viel Interpretationsspielraum einräumt. Entgegen der Bezeichnung als Teilharmonisierung hat die Richtlinie bezüglich des Definitionsbereichs jedenfalls eine Vollharmonisierung bewirkt, da ein Mindestschutz und gleichzeitig – durch die Formulierung der Schranken – auch ein Höchstmaß des Schutzniveaus festgelegt wurden. Die weitgehende Annäherung an das Schutzsystem des geistigen Eigentums muss zur Folge haben, dass reines Wissen über Missstände und rechtswidrige Handlungen nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt, da es nicht als geistiges Eigentum qualifiziert werden kann. Die entsprechende Auslegung des Begriffs des Geschäftsgeheimnisses ist durch die Anwaltschaft einzufordern.

Dr.in Maja Beisenherz ist Rechtsanwältin in Tegernsee und RAV-Mitglied. Die Unterüberschrift wurde von der Redaktion eingefügt.

1Vgl: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/GeschGehG.html; § ohne Gesetzesbezeichnung sind solche des GeschGehG.
2Im Folgenden ‚die Beschlussempfehlung‘; Bundestagdrucksache 129/19.
3 Vgl. die Annahmen in den Erwägungsgründen der Richtlinie (3) f.
4 Geschäftsgeheimnis ist eine Information, die a) weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und b) Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und c) bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.

5EGMR, 21.07.2011 - 28274/08.
6Vgl. Erwägungsgrund (19) der Richtlinie