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Aussichtslos umkämpftes Terrain?

AN- UND EINSICHTEN ZUR POLIZEI

Volker Eick

Mit 16 Beiträgen in fünf Kapiteln und einer längeren Einleitung widmet sich der Band einer ›Kritik der Polizei‹, wobei der Titel wohl als dialektische Hinwendung gedeutet werden soll, denn aus den Reihen der Polizei stammt, sieht man einmal ab vom Ex-Polizisten Rafael Behr – dem medialen Märchenonkel »reflektierter Staatsgewalt« (S. 167) –, kein Beitrag.(1)
Die ersten 100 Seiten widmen sich der ›Geschichte der Polizei‹ und stellen sehr dankenswert mit den Beiträgen von Mark Neocleous und Sally Hadden erstmals einem nicht-englischsprachigen Publikum Teilbereiche preußischer, französischer, britischer und US-amerikanischer Polizeigeschichte vor. 80 Seiten widmen sich laut Überschrift der Arbeit der ›Polizei gegen die Demokratie‹ (Kap. 2), tatsächlich aber skizzieren sie die polizeiseitige Irrelevanz des Topos ›Demokratie‹ im Alltagshandeln (für Frankreichs Polizei Fassin) bzw. deren raum- und gesellschaftsgestaltende sowie kontrollimprägnierte Macht (Pichl, Belina) oder wollen, tja, ›mahnen‹ (Behr). Racial Profiling steht im Zentrum des dritten Kapitels (›Polizei und Rassismus‹), bevor sich der vierte Teil der ›Polizei im Neoliberalismus‹ widmet. Dort sind die Beiträge von Briken (zum New Public Management im Polizeiapparat) und von Künkel (zu lokalen Aushandlungsprozessen um ›Ausländerkriminalität‹) deshalb lesenswert, weil sie monolithische Vorstellungswelten zur Polizei überzeugend demontieren. Im letzten Kapitel werden kollektive Ansätze eines Lebens und Arbeitens ›Jenseits der Polizei‹ vorgestellt (ebenfalls erstmals deutschsprachig Williams), die sich auch explizit mit sexualisierter Gewalt auseinandersetzen (Critical Resistance/INCITE!, Brazzell).
Loick, der sich 2017 mit einer philosophischen Arbeit zu den ›Konturen einer kritischen Theorie des Rechts‹ habilitierte, stellt in seiner Einleitung drei Begriffe – Demokratie, Subjektivität, Sicherheit – in den Mittelpunkt seiner Kritik der Polizei.
Ein wohlverstandenes Verständnis von Demokratie, das die Mär von der ›Selbstbindung‹ (Habermas) des Bürgers an ein staatliches Gewaltmonopol kritisch hinterfrage, verweise danach auf das andauernde Risiko, dass Rechts- und Polizeizwecke auseinanderfallen (können): Die Polizei sei eben »nicht nur eine exekutive Durchsetzungsinstanz des demokratischen Willens« (S. 18), sondern in ihr vermische sich – mit Benjamin – sowohl eine ›rechterhaltende‹ mit einer ›rechtsetzenden‹ Funktion (ebd.). Max Pichl wird in seinem Kapitel (S. 101ff.) daraus schlussfolgern, dass eine juridische Einhegung der Polizei im bürgerlichen Rechtsstaat nicht möglich sei, sondern es einer »materialistische[n] Kritik des liberalen Rechtsstaats« bedürfe, um einer solchen – nicht nur – »(links-)liberalen Illusion« entgegenzuwirken (S. 116).
Mit Subjektivierung soll bei Loick (nach Althusser) gemeint sein, dass und wie die Polizei im Alltag Subjekte konstituiert und ihnen einen ›Platz‹ wahlweise jenseits einer weißen Volksgemeinschaft zuweist (eine Vielzahl der im Band versammelten Beiträge befasst sich mit institutionalisiertem Rassismus polizeilicher Prägung im Allgemeinen und mit Racial Profiling im Besonderen), bzw. wie durch dieses diskriminierende Vorgehen die Polizei der Mehrheitsgesellschaft signalisiert, »dass sie auf ihrer Seite steht – und dass es diese Seite überhaupt gibt« (S. 23). Das impliziert eine »emotionale Investition« in die Polizei, die in der Mehrheitsgesellschaft selbst zu einem polizeilichen Blick führen (ebd.) und wohl auch die relativ hohen Vertrauenswerte gegenüber der deutschen Polizei erklären kann (für andere Staaten, in denen das standing der Polizei vergleichsweise schlechter ist, wäre dies zu erläutern, wie auch, dass eine vergleichbare Subjektivierungsmacht auch Bäckern und Busfahrerinnen eignet – beides geschieht im Band ebensowenig, wie auch auf nationalstaatliche Besonderungen zwischen Polizeien nicht eingegangen wird).
Sicherheit schließlich wird bei Loick einerseits und etwas irritierend ausgehend von Hobbes und dessen 1642 erschienenem ›De Cive‹ (Vom Bürger) hergeleitet, obwohl im zitierten Abschnitt von ›Sicherheit‹ kaum, vielmehr vom ›Frieden‹ und ›Krieg aller gegen alle‹ die Rede ist. Erst in seinem ›Leviathan‹, der 1651, also nach dem Englischen Bürgerkrieg zwischen 1642 und 1649 publiziert wird, steht ›Sicherheit‹ im Zentrum. Für den Nexus zur Polizei herhalten sollen andererseits die »alltäglichen Polizeirechtfertigungen« (S. 23), denn die »meisten Menschen würden wohl sagen, dass die Polizei vor allem dafür da ist, die allgemeine Sicherheit aufrechtzuerhalten« (ebd.).
Nun, mag sein, aber der Begriff ›Sicherheit‹ wird bei Loick überraschenderweise nicht ausgewiesen. Sie ist aber im Sinne von Gewalttatenverhütung oder -ahndung – und das wäre ja erklärungswürdig –, trotz des Geredes von Josef Isensee im November-Berlin des Jahres 1982,(2) kein Grundrecht. Seine nachfolgende These jedenfalls, ›Sicherheit‹ werde »vorwiegend als polizei- und strafrechtlicher, nicht als sozialer Begriff verstanden« (S. 25), trägt analytisch nicht besonders weit und unterschätzt auch insoweit, wie sehr es sich um einen historisch und aktuell, sagen wir, umkämpften Begriff des Politischen handelt.(3)
Gleichwohl handelt es sich um einen sehr lesenswerten und für nur Polizeiinteressierte ›sicher‹ erhellenden Band, der sich – jedenfalls zu größten Teilen – wohltuend von der üblichen deutschsprachigen Polizeiforschungsliteratur abhebt, allerdings – jedenfalls zu größten Teilen – auch keinen tieferen Einblick in die (etwa funktional und national) je unterschiedlichen Konstellationen in Polizeiapparaten bietet. Ob – und wenn, was – Loick von seinen Autorinnen und Autoren gelernt und zum Ende hin bei Ihnen vermisst hat, das wäre ein sammelndes Nachwort wert gewesen.
Schließlich, der Band leistet sich bisweilen auch Detailabstinenz. Zwei kleine Beispiele: So behauptet etwa Loick (S. 11), es habe im Oury Jalloh-Verfahren keine Verurteilungen gegeben (vgl. aber: BGH, 04.09.2014 - 4 StR 473/13). Laut Giorgio Agamben haben an der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 außer Adolf Eichmann, dessen Name »ins Auge sticht«, nur »eine Gruppe von Polizeifunktionären mittleren und niederen Ranges« teilgenommen (S. 96). Dabei evoziert Agamben, diese hätten dort über die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden entschieden: »Nur weil sie als Polizeioperation geplant und durchgeführt wurde, hat die Judenvernichtung so methodisch und so mörderisch sein können« (S. 96f). Beides ist nicht nur historisch falsch, sondern nah an Ideologem-Produktion.(4) Schließlich, so begrüßenswert es ist, einem nicht-englisch- bzw. französisch- sprachigen Publikum Texte in deutscher Übersetzung anzubieten (Neocleous, Hadden, Fassin, Williams), so schön wäre es dann auch, es ginge, wie in den bemitleidenswert mühsam übertragenen Texten von Neocleous und Hadden, nicht etwa um die »Lösung der Verbrechenswelle« (S.64) und die »Rassentrennung des öffentlichen Nahverkehrs« (S. 92), sondern darum, jener (so es sie denn gab) ›überzeugend entgegenzutreten‹ und diese (nicht nur) ›im Nahverkehr‹ aufzuheben.

    Daniel Loick (Hg.), Kritik der  Polizei (Campus:  Frankfurt/M. 2018)

    (1) Behr ist es auch, der immer wieder davon schwadroniert, »[e]inige aggressive Anteile benötigt aber jeder Polizist und jede Polizistin. Dies gilt in gleicher Weise für die Organisation« (S. 176), und – mal implizit, mal explizit – mitevoziert, er wisse, wie vieler dieser ›Anteile‹ es wo genau bedürfe. Überhaupt handelt es sich bei dem Text von Behr in diesem Band nicht um einen Originalbeitrag, wie der Campus-Verlag schreibt (o.S. [342]), sondern faktisch um einen Nachdruck (mit geändertem Titel) aus: Freie Assoziation. Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie 20(1), S. 13-32.
    (2) J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit – Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates. Berlin 1983.
    (3) Ein Blick in den Band von Franz-Xaver Kaufmann (Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem. Stuttgart 1973) und auch in den von Thomas Kunz (Der Sicherheitsdiskurs. Die Innere Sicherheit und ihre Kritik. Bielefeld 2005) würden das zeigen.
    (4) Vgl. (m.w.N.) nur: K. Pätzold: Wannsee-Konferenz, in: W. Benz (Hg.), Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte. München 1992, S. 215-217.