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Another Brick in the Wall

JUNGDEMOKRAT*INNEN BIETEN SECHS ZENTIMETER REGALWAND

Volker Eick

Wer auf seine 100-jährige Geschichte offen zurückblicken will und das – in nicht wenigen historischen Konstellationen – dann auch muss, der kann schon mal dick auftragen: z.B. mit 966 Seiten, 28 Farbabbildungen, gut zwei Kilo Lebendgewicht und einem Preis von 98,00 Euro. Die ›Jungdemokraten‹ haben das nun getan.
Dieses »Lesebuch über linksliberale und radikaldemokratische Politik von Weimar bis ins 21. Jahrhundert 1919-2019«, wie es im Untertitel etwas ungelenk heißt, erzählt die Geschichte und eine ganze Menge Geschichten der ›Jungdemokraten‹, die eigentlich ›Deutsche Jungdemokraten‹ hießen – und darauf auch einigen Wert legten.
Orientiert an der FDP, deren Jugendorganisation sie gern gewesen wären, waren sie zugleich einigermaßen unglücklich, dass sich ihre Altvorderen-Organisation direkt nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem veritablen Sammelbecken der Verlierer des 1.000-jährigen Reichs entwickelt hatte.(1)
Unter dem Juristen, Offizier und Ritterkreuzträger (Eisernes Kreuz) – ab 1947 als Bundesvorsitzender der Jungdemokraten (Britische Zone), ab 1949 als Bundesvorstandsmitglied, von 1960 bis 1968 als FDP-Vorsitzender – Erich Mende, erwuchs daraus eine vergleichbar veritable Auseinandersetzung zu einer Vergangenheit, die nicht vergehen will und einer Gegenwart, der sich die Alte Garde nicht stellen wollte. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Geschichte, die diese Organisation mit sich trägt.
Ein anderer – will man aktuell auf den Band hinweisen, ist aus einer Vorablektüre eine tiefergehende Besprechung nicht möglich – Ansatz zur Würdigung des Werdens und Würgens an Vergangenheit und Gegenwart der Jungdemokrat*innen/Junge Linke (JD/JL) findet sich ab Seite 377 und unterstreicht den auch dokumentarischen Charakter des Sammelbandes von mehr als 60 Autorinnen und Autoren: Er beschreibt, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz unter Otto Schily im Jahr 2000 aus der JD/JL einen »ständigen Partner von Linksextremisten« (S. 378) machen wollte. Danach spricht»der neue Bundesbürger« (S. 381) Benjamin Hoff (Chef der Staatskanzlei Thüringen), und es folgt ein Bericht zu den Flügelkämpfen der JD/ JL zwischen »multikultureller Gesellschaft« und »kein mensch ist illegal«. Der Beitrag von Helen Schwenken berichtet vom Ende der JD/JL im Jahre 2018, die Herausgeber des Bandes in einer Fußnote auf Seite 397, »Tatsache ist, dass die JungdemokratInnen/Junge Linke aktuell beim Amtsgericht Bonn als gemeinnütziger  Verein eingetragen (Stand: 23.1.2019) sind«.(2) Der Band: Eine Fundgrube.
Übrigens, die hohe Verarbeitungsqualität des gebunden erschienenen Buches erlaubt es tatsächlich, nachhaltig darin zu blättern, es also wirklich als Lesebuch zu handhaben. Ach, wäre es eine Freude gewesen, wenn die Herausgeber dem Band noch ein Namensregister beigegeben hätten.

Roland Appel & Michael Kleff (Hg.), Grundrechte verwirklichen - Freiheit erkämpfen. 100 Jahre Jungdemokrat*innen (Nomos: Baden-Baden 2019)

(1) Die erste Untersuchung zur Durchdringung des Bundestags mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern stammt von Otto Kirchheimer, vgl. The Composition of the German Bundestag 1950, in: The Western Political Quarterly 3(4): »From the standpoint of party affiliation, a definite pattern emerges. Figures for members who held positions of leadership during the Nazi period are highest among the right-wing German Party (DP) and the Free Democratic Party (FDP)«, S. 593. Allein im Landtag von Nordrhein-Westfalen waren nach 1945 von 75 überprüften FDP-Abgeordneten 16 als ehemalige NSDAP-Mitglieder belastet (darunter sechs Fraktionsvorsitzende); dies entspricht einem Prozentsatz von 21,3 Prozent, vgl. M.C. Klepsch, Nahtloser Übergang in neue Führungs- positionen – Alte Nazis in den nordrhein-westfälischen Landtagsfraktionen von CDU und FDP. Düsseldorf 2009, S. 8. 1960 hatten bspw. im Landtag des Saarland von den zehn Abgeordneten der FDP/DPS [Demokratische Partei Saar] sieben einst der NSDAP angehört, was einen Anteil von 70 Prozent ausmacht, vgl. H.-P. Klausch, Braune Spuren im Saar-Landtag. Saarbrücken 2013, S. 14. Wir schweigen hier beredt vom Anteil der SS-Schergen…, vgl. J.E. Schulte & M. Wildt, Die SS nach 1945. Göttingen 2018, u.a. S. 87, Fn 74.

(2) Wer sich für Flügelchen interessiert, hier: http://liberale-demokraten.de/2018/03/31/aufloesung-jdjl/.