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Wider den #Mietenwahnsinn!

ZU DEN STADTPOLITISCHEN AKTIVITÄTEN DES ARBEITSKREIS MIETRECHT IM RAV

Benjamin Hersch, Benjamin Raabe und Henrik Solf

Der Arbeitskreis Mietrecht im RAV ist auch im Jahr 2018 nicht nur Ort des Austausches zwischen den auf diesem Rechtsgebiet tätigen Kolleg*innen, sondern weiterhin auch mieten- und stadtpolitisch engagiert. In Zeiten des ›Immobilienbooms‹ – mit Immobilien-geschäften werden Rekordergebnisse eingefahren, die Renditen steigen immer weiter – ist unter einer schwarzroten Bundesregierung wenig für den Schutz von Mieter*innen zu erwarten. Die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD enthält keine wesentlichen Beiträge zur Schaffung und zum Erhalt bezahlbaren Wohnraums.
 Dass die eigentlichen Missstände nicht angegangen werden sollen, offenbart sich vollends, wenn der zuständige Minister Seehofer zwar mit markigen Worten verkündet: »Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit«, jedoch gleichzeitig die Migration als »Mutter aller Probleme« ausmacht. Nicht der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist für den Minister offenbar das Problem, sondern die Geflüchteten.
 Nach einer Bestandsaufnahme stellt sich die aktuelle Situation hierzulande mehr als desolat dar. Rund eine Million Wohnungen fehlen derzeit in der Bundesrepublik. Statt der erforderlichen 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr wurden 2017 nur 285.000 Wohnungen fertiggestellt, zum Großteil Ein- und Zweifamilienhäuser oder teure Eigentumswohnungen. Der Bestand an bezahlbaren, preisgebundenen Wohnungen ist in den letzten 30 Jahren von rund 4 Millionen auf klägliche 1,25 Millionen geschrumpft. Nur etwa 26.000 neue Sozialwohnungen wurden im letzten Jahr gebaut. Gleichzeitig läuft jährlich aber für 50.000 bis 60.000 Sozialwohnungen die Preisbindung aus, was in der Regel zu erheblichen Mietsteigerungen führt. Die Angebotsmieten in den Großstädten und Ballungszentren, wie Hamburg, Hannover, Nürnberg, München oder Berlin sind zwischen 2008 und 2018 um 50, 60, teilweise sogar um 100 Prozent gestiegen. Im 2. Quartal 2018 stiegen die Neubaumieten um 5,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Mieten in bestehenden Mietverhältnissen, das heißt die ortsübliche Vergleichsmiete, steigen sogar mehr als doppelt so schnell wie die Verbraucherpreise. Mieterhöhungen nach Modernisierungen führen zu Mietsteigerungen von 30 und 40 Prozent, in Einzelfällen fallen die Mieterhöhungen noch höher aus. Schätzungsweise 50.000 bis 70.000 Mietwohnungen werden pro Jahr in Eigentumswohnungen umwandelt, mit steigender Tendenz. Die Wohnkostenbelastung liegt für 40 Prozent der Haushalte bei mehr als 30 Prozent. 860.000 Menschen sind wohnungslos. Immer mehr Mieter*innen droht wegen eines unzureichenden Kündigungsschutzes und ständig steigender Mieten der Verlust der Wohnung.
Der Arbeitskreis Mietrecht im RAV versucht diesen Zuständen entgegenzutreten, nicht nur in der jeweiligen anwaltlichen Praxis der Kolleg*innen, sondern auch vielfältig politisch. Besonders zu erwähnen sind dabei die umfassende Stellungnahme zu der von der aktuellen Bundesregierung angestrebten Mietrechtsreform und die Teilnahme am alternativen Wohngipfel gemeinsam mit einer großen Zahl weitere Organisationen und Initiativen.

Unzureichendes Gesetzesvorhaben

Bereits die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD ließ in Hinblick auf die Wohnungspolitik nichts Gutes erwarten. Diese Skepsis konnte der jüngst vorgelegte Referentenentwurf(1) zur Reform des Wohnungsmietrechts nicht entkräften.
 Vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten Situation wären allerdings Anstrengungen für einen stärkeren gesetzlichen Schutz von Mieter*innen dringend notwendig gewesen. Hinzu kommt, dass der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz für das Mietrecht seit 2001 breite Schneisen in das soziale Mietrecht schlägt. Ein korrigierendes Eingreifen des Gesetzgebers wäre auch hier seit Jahren dringend erforderlich. Diesem Bedarf wird der Referentenentwurf in keiner Weise gerecht. Einige sinnvolle Vorschläge, die das Bundesjustizministerium noch in der vorherigen Legislaturperiode präsentiert hatte, fehlen mittlerweile sogar wieder.
 Ein Hauptziel des Referentenentwurfs ist die Verbesserung der Mietpreisbremse durch eine erweiterte Offenbarungspflicht der Vermieter*innen. Sie sollen zukünftig die Vormiete bei Vertragsschluss offen legen. Die Mieter*innen erhalten so die Möglichkeit, ihre Rechte besser wahrnehmen zu können. Damit die Mietenbremse tatsächlich Wirkung entfalten kann, müssten die Offenbarungspflichten aber insgesamt erweitert, die Rügeobliegenheit sowie die Ausnahmetatbestände abgeschafft werden. Auch die Anknüpfung der Mietpreisbremse an die ortsübliche Vergleichsmiete erweist sich in der Praxis als streitanfällig. Denn die Mietspiegel, welche die Vergleichsmieten regelmäßig darstellen, sind immer wieder Angriffen von Großvermieter*innen ausgesetzt. Die daraus folgenden gerichtlichen Auseinandersetzungen sind für Mieter*innen mit erheblichen und schwer zu kalkulierenden finanziellen Risiken verbunden. Die geplante Verbesserung der Mietenbremse dürfte sich folglich als wirkungslos erweisen.
Darüber hinaus ist auch die vorgeschlagene Reform des Modernisierungsrechts unzureichend. Vorgeschlagen wird lediglich eine geringe Senkung und Begrenzung der Modernisierungsumlage. Richtig und im Sinne eines konsequenten Schutzes vor drastischen Mieterhöhungen wäre aber eine gänzliche Abschaffung der Umlage. Die Investitionen des Vermieters in seine Immobilie werden im Rahmen des Vergleichsmietensystems ohnehin vollständig refinanziert. Die Mietspiegel weisen zum Teil erhebliche Zuschläge für wohnwertverbessernde Modernisierungsmaßnahmen aus, mit denen entsprechende Erhöhungen gerechtfertigt werden können.
 Eine dringend erforderliche Reform des Kündigungsrechts fehlt im Entwurf der Bundesregierung gänzlich. Aber gerade Wohnungskündigungen spielen in der Praxis eine große Rolle. Denn auf diesem Wege können nicht nur unliebsame Mieter*innen entfernt, sondern nach der nachfolgenden Neuvermietung in den Ballungszentren wesentlich höhere Mieten erzielt werden.
 Der Arbeitskreis Mietrecht im RAV hat den Referentenentwurf in seiner Stellungnahme(2) umfassend kritisiert und eigene Vorschläge zur Reform des Mietrechts formuliert.

(Alternativer) Wohngipfel

In konsequenter Fortsetzung ihrer Politik hat die Bundesregierung unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 21. September 2018 im Kanzleramt einen sogenannten Wohngipfel abgehalten. Es war zu erwarten, dass auf diesem Wohngipfel den Interessen, Bedürfnissen und Sorgen von Mieter*innen und Wohnungssuchenden nicht angemessen Rechnung getragen werden würde.
 Geladen zum Wohngipfel waren neben Politik – ohne die Oppositionsparteien –, Verwaltung sowie von Anbieterseite, also vor allem aus der Bau- und Immobilienwirtschaft vierzehn Verbände; auf Nutzerseite lediglich drei: die IG Bau, der DGB und als einziger Mieter*innenvertreter der Deutsche Mieterbund. Die Menschen, die das Thema maßgeblich betrifft, waren somit faktisch nicht vertreten. Initiativen, Wohlfahrtsverbände und die zahlreichen Personen, Verbände und Organisationen, die über die tatsächlichen Probleme hätten berichten können, blieben draußen. Diejenigen aber, die am Bauen und Wohnen verdienen wollen, dominierten den Gipfel. Es liegt auf der Hand, dass in einer solche Veranstaltung keine Lösung für die drängenden Probleme aus dem Wohnungsmarkt gefunden wurden.
 Vor diesem Hintergrund schlossen sich im Vorfeld Mieter*inneninitiativen, der DGB, der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Sozialverband VdK Deutschland, der Deutsche Mieterbund und rund 200 weitere Organisationen zu dem Bündnis #Mietenwahnsinn zusammen, um der Politik der Bundesregierung etwas entgegenzusetzen.
 Unter Teilnahme des RAV wurde gemeinsam ein alternativer Wohngipfel(3) organisiert. Am 20. September 2018 fand dann unter dem Motto ›Gemeinsam gegen Spaltung, Verdrängung und Wohnungslosigkeit – bezahlbarer Wohnraum für ALLE statt mehr Rendite für wenige‹ dieser Gegengipfel im Umweltforum in Berlin statt. Die Teilnehmer*innen arbeiteten in fünf Workshops zu den wohnungspolitischen Themen ›Mietrecht neu denken‹, ›Planung für unten‹, ›Wohnen für alle‹, ›Gemeinwohl und neue Akteure‹ und ›Spekulation beenden‹. Hinzu kamen noch drei weitere Workshops zu den Themen ›Die Macht der bau- und wohnungswirtschaftlichen Verbände‹, ›Ein neues Mietrecht für Kleingewerbe und soziale Einrichtungen‹ und ›Möglichkeiten einer solidarischen Widerstandsbewegung von Mieter*innen‹.
 Ein wesentliches Ziel der Arbeit des alternativen Gipfels war die Erarbeitung von Forderungen an den Wohngipfel der Bundesregierung. Der Arbeitskreis Mietrecht im RAV beteiligte sich entsprechend seiner fachlichen Expertise an der Leitung des Workshops ›Mietrecht neu denken‹ und stellte mit den Kolleg*innen Carola Handwerg und Benjamin Raabe zwei Referent*innen.

55 Forderungen

In den Workshops wurden 55 Forderungen in lebhaften, teils kontroversen Diskussionen erarbeitet. Die wesentlichen Forderungen auf dem Gebiet des Mietrechts waren dabei, dass die Mietpreisbremse verlängert, verschärft und bundesweit anzuwenden ist und Ausnahmen von ihr gestrichen werden müssen. Verstöße sollen mit Bußgeldern sanktioniert werden. Hinsichtlich der Vergleichsmieten muss der der Betrachtungszeitraum von bisher vier auf mindestens zehn Jahre verlängert werden. Mieterhöhungsspielräume sollen auf höchstens 10 Prozent in fünf Jahren reduziert werden. Energetische Modernisierungsmaßnahmen müssen möglichst warmmietenneutral sein und andere Modernisierungsmaßnahmen dürfen nur mit Zustimmung der Mietenden erfolgen. Dabei ist die Umlage nach Modernisierung von bisher 11 auf 4 Prozent der Baukosten jährlich zu beschränken und bei 1,50 Euro pro Quadratmeter im Monat innerhalb von acht Jahren zu kappen. Zwangsräumungen müssen verhindert und der Kündigungsschutz verbessert werden.
 Die Forderungen des alternativen Wohngipfels wurden am Folgetag im Bundeskanzleramt übergeben, begleitet von einer Kunstaktion. Zugleich wurden die Forderungen auf einer gutbesuchten Kundgebung vorgestellt und in zahlreichen Wortbeiträgen bekräftigt. Die mediale Resonanz war groß, in allen überregionalen Medien wurde berichtet, und die zentralen politischen Anliegen waren gut platziert.
 Das Bündnis um den alternativen Wohngipfel wird unter Beteiligung des RAV fortbestehen. Bei den beiden Aktionstagen soll es nicht bleiben. Geplant sind neben lokalen auch bundesweite Aktionen im Sinne einer Kampagne, die beispielsweise in einer Großdemonstration münden könnte.

Benjamin Hersch, Mitglied im Vorstand des RAV, Benjamin Raabe, Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV und Henrik Solf, Mitglied im RAV, sind Rechtsanwälte in Berlin und im Arbeitskreis Mietrecht im RAV aktiv, für den sie hier schreiben. Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.

Fußnoten
(1)   https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_MietAnpG.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (inzwischen Gesetzesentwurf).
(2)   https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/stn-des-rav-zum-referentenentwurf-zur-ergaenzung-der-regelungen-ueber-die-zulaessige-miethoehe-bei-mietbeginn-und-zur-anpassung-er-regelungen-ueber-die-modernisierung-der-mietsache-590/.
(3)   https://mietenwahnsinn.info/wohngipfel-2018/alternativer-wohngipfel/.