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Privatisierungstendenzen im Strafvollzug

KEIN ANSCHLUSS UNTER DIESER NUMMER?

Jan Oelbermann

Die Diskussion um die Privatisierung im Straf- und Maßregelvollzug ist etwas eingeschlafen. Teilprivatisierte Justizvollzugsanstalten und solche, die in public private partnership betrieben werden, stellen zwar erst eine kleine Gruppe dar. Nachdem es bei der ersten teilprivatisierten JVA Hünfeld im Jahr 2006 noch kontroverse Diskussionen gab, ist diese Diskussion weitgehend eingeschlafen. Dort werden mittlerweile rund 40 Prozent der Aufgaben von privaten Trägern übernommen. Andere Bundesländer haben mit ihren Anstalten nachgezogen.
So werden etwa der Neubau und der Betrieb der sachsen-anhaltinischen JVA Burg und der niedersächsischen JVA Bremervörde in öffentlich-privaten Partnerschaften organisiert. In Baden- Württemberg wurde die JVA Offenburg privat gebaut und zwischen 2009 und 2014 teils privat betrieben. In den USA hat dies ganz andere Ausmaße und wird unter dem Stichwort Prison Industrial Complex diskutiert. Dort auf der anderen Seite des Atlantiks gibt es einflussreiche wirtschaftliche Interessen, die an einer hohen Gefängnispopulation interessiert sind.(1)
Von solchen Verhältnissen sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Es gibt insbesondere verfassungsrechtliche Hürden. Eine Vollprivatisierung ist nicht möglich, da hoheitliche Aufgaben, insbesondere Zwangsmaßnahmen, von Landesbediensteten wahrgenommen werden müssen.(2) Dennoch gibt es auch im deutschen Strafvollzug Bereiche, die privatisiert werden und die mit Gewinninteresse betrieben werden. Besonders im Bereich der Telekommunikationsmöglichkeiten Gefangener hat sich ein bundesweiter Markt für die Gefangenentelefonie gebildet, der von der Hamburger Firma Telio ökonomisch erfolgreich dominiert wird. Die Gefängnisse schließen Verträge mit Telio, die dann sowohl für die technische Ausrüstung als auch für den Betrieb der Gefangenentelefonie sorgt. Eine finanzielle Beteiligung der JVA an den erforderlichen baulichen Maßnahmen (Telefonkabel) und der technischen Ausstattung (Telefone, technische Überwachungsmöglichkeiten) ist in der Regel nicht vorgesehen. Die JVA gibt jedoch auch jegliche Einflussmöglichkeiten auf die Tarifgestaltung auf.

GEFANGENENTELEFONIE ALS PROFITMAXIMIERUNG

Die Telekommunikation der Gefangenen dient in erster Linie der Aufrechterhaltung und Förderung ihrer sozialen Kontakte und hilft dabei, den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken. Es handelt sich dabei um eine der wesentlichen Aufgaben des Strafvollzugs.(3) Wenn dann die JVA einen Antrag auf Senkung der Telefongebühren ablehnt, etwa unter Hinweis darauf, dass ihr das aufgrund des Vertrags mit Telio nicht möglich ist, und die ordentlichen Gerichte dies nicht beanstanden, ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich.
So hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 08.11.2017 (2 BvR 2221/16) entsprechende Entscheidungen aus Schleswig-Holstein aufgehoben. Es hat darauf hingewiesen, dass es in der Rechtsprechung anerkannt sei, dass es die Fürsorgepflicht der JVA den Gefangenen gegenüber gebiete, die finanziellen Interessen der JVA zu wahren: »Dies entspricht dem Grundsatz, dass die Missachtung wirtschaftlicher Interessen der Gefangenen mit dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot unvereinbar wäre«. Die Belastung Gefangener mit Entgelten, die nicht durch die verteuernden Bedingungen und Erfordernisse des Strafvollzugs bedingt sind, sei nicht zulässig. Aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben könnte sich die Anstalt nicht nach Belieben lösen, »indem sie für die Erbringung von Leistungen Dritte einschaltet, die im Verhältnis zum Gefangenen einer entsprechenden Bindung nicht unterliegen«. Die Anstalten müssten vielmehr sicherstellen, dass der ausgewählte private Anbieter die Leistung zu marktgerechten Preisen erbringt. Das sind alles keine grundlegenden Neuerungen, sondern ist gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und anderer Obergerichte, die jedoch in Schleswig-Holstein ignoriert wurde.

QUASI-MONOPOLIST TELIO

Der Durchbruch bei der Gefangenentelefonie wurde juristisch schon 2014 durch eine Entscheidung des Landgerichts Stendal (Beschl. v. 30.12.14 zu 509 StVK 179/13, juris) erreicht. Dieses hatte zum einen ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob die damals in der JVA Burg erhobenen Gebühren marktgerecht seien. Das Gutachten kam damals zu dem Ergebnis, dass die Gebühren »272 Prozent über dem als Referenzwert angesehenen günstigsten Angebot für die Gefangenentelefonie« liegen. Der andere Meilenstein lag darin, dass das Landgericht Stendal als Referenzwert nicht mehr die Kosten eines öffentlichen Münzfernsprechers zugrunde gelegt hat, sondern das günstigste Angebot der Mitbewerber. Dies hatte z.B. das Kammergericht in einem Beschluss vom 10.09.2002 (Az.: 5 Ws 337/02 Vollz, juris) noch anders gesehen. Das Landgericht Stendal hat dann die Entscheidung der JVA, keine günstigeren Gebühren anzubieten, aufgehoben. Das OLG Naumburg hatte diese Entscheidung dann auf die Rechtsbeschwerde der JVA bestätigt (OLG Naumburg, StV 2015, 426 ff.). Dem sind weitere Obergerichte gefolgt. Neben der auch vom BVerfG zitierten Entscheidung des OLG Zweibrücken vom 06.04.2017 (Az.: 1 Ws 260/16, juris) sind hier obergerichtliche Entscheidungen des Kammergerichts vom 06.05.2015 (2 Ws 185/15 Vollz) und eine vom OLG Frankfurt vom 23.07.2015 (3 Ws 301/15 (StVollz)) bekannt, die nicht veröffentlicht wurden. Wenn nun das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht versucht, sich dieser Rechtsprechung zu widersetzen, indem es feststellt, der JVA seien aufgrund der Vertragslaufzeit die Hände gebunden, ist es wenig überraschend, dass so ein Beschluss vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wird. So würde nämlich die gesamte zuvor dargestellte Rechtsprechung umgangen werden. Auch wird außer Acht gelassen, dass die JVA die Möglichkeit gehabt hätte, die Tarife zu subventionieren, indem sie beispielsweise 50 Prozent der Gebühren übernimmt. Zivilrechtlich dürfte sich auch die Frage der Wirksamkeit eines Vertrages zwischen Telio und der JVA stellen, mit welchem die Gefangenen wucherischen Gebühren ausgesetzt werden und es der JVA unmöglich gemacht wird, ihren verfassungsrechtlichen Aufgaben nachzukommen.

NEUE PROFITRUNDE MIT ›MULTIMEDIABOXEN‹

Es soll an dieser Stelle auch noch mal deutlich gemacht werden, dass in allen hier bekannten Fällen die Firma Telio hinter den bis zu 300 Prozent überteuerten Gebühren steckt, und die Landesjustizverwaltungen sich immer noch hinter den langfristigen Verträgen mit dieser Hamburger Firma versteckt haben, womit sie jeglichen Einfluss auf die Gebührengestaltung abgegeben haben, obwohl die JVA nach den jeweiligen Nutzungsbedingungen weiter Vertragspartner des Gefangenen geblieben ist. In einem Artikel aus der Wochenzeitung Die Zeit vom 29. Oktober 2015 heißt es dazu unter dem Titel »Abzocke hinter Gittern«, dass die Gewinnspanne bei Telio bei 66 Prozent liege und dass das Unternehmen die Häftlinge ausnehme.
In der Folge der geschilderten Rechtsprechung werden die Gebühren für die Gefangenentelefonie bundesweit nach und nach gesenkt. So werden z.B. seit Januar 2018 in der sächsischen JVA Zeithain von Telio nur noch 0,029 € pro Minute für Orts-, Fern- und Auslandgespräche genommen. Anrufe in das Mobilfunknetz kosten jetzt 0,099 €. Zum Vergleich die Tarife in der JVA Burg vor der Entscheidung des Landgerichts Stendal: Dort kostete ein Ortsgespräch 0,10 €, ein Ferngespräch 0,20 €, ein Gespräch ins Mobilfunknetz 0,70 € und ein Auslandsgepräch zwischen 0,60 € und 2,60 €. Angekommen sind die Vorgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts längst noch nicht in allen Haftanstalten. Teilweise werden auch noch Gebühren erhoben, die über den zuletzt geschilderten Gebühren liegen. So kostet etwa in der JVA Bremen ein einminütiges Ferngespräch 0,28 €. Ein einminütiger Anruf aus der JVA an eine ausländische Mobilfunknummer kostet gar 2,78 €. Diese Angaben beruhen auf den Angaben Gefangener. Die JVA Bremen wollte dies auf Anfrage nicht bestätigen. Es ergebe sich aus dem Vertrag mit Telio eine Verpflichtung zur Verschwiegenheit. Auch Telio gibt keine Auskunft. Die weiterhin in Bremen genommenen Gebühren zeigen, dass man nicht darauf vertrauen kann, dass von Amts wegen die finanziellen Interessen der Gefangenen gewahrt werden und die Vollzugsanstalten selbstbewusst gegenüber Telio auftreten. Telio nimmt nun in der JVA Zeithain eine Gebühr von 0,099 € für einen Anruf auf einem ausländischen Mobilfunkanschluss. In der JVA Bremen nimmt Telio für dieselbe Leistung eine 28-mal so hohe Gebühr.
Längst hat die Firma Telio einen neuen Markt in den Blick genommen, und die Justizverwaltung lässt sie gewähren, ohne die erforderliche Transferleistung zu erbringen, die notwendig wäre, um die Grundsätze aus der hier besprochenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch auf das neue Marktfeld anzuwenden. So werden im Bundesland Brandenburg in diesen Monaten in drei Haftanstalten (Wriezen, Neuruppin-Wulkow, Brandenburg) so genannte ›Multimediaboxen‹ installiert. Diese sollen den Insassen Telefonate unter Berücksichtigung ihrer Privatsphäre ermöglichen, Zugang zu Radio und Fernsehen und in eingeschränktem Umfang auch zum Internet bereitstellen, heißt es in einer Antwort der Landesregierung auf eine Kleine parlamentarische Anfrage (LtBrb Drs. 6/8224). Es handelt sich bei den ›Multimediaboxen‹ um fest eingebaute Bildschirme mit angeschlossenem Telefon. Über diese Boxen sind zunächst das Telefonieren sowie der Fernseh- und der Radioempfang vorgesehen. Auch soll es Informationsseiten der JVA geben. Technisch wäre mit den ›Multimediaboxen‹ auch die kontrollierte Nutzung des Internets durch die Gefangenen möglich. Die Kosten für den Einbau und die Anschaffung der ›Multimediaboxen‹ trägt allein die Firma Telio. Die JVA übernimmt allein die Stromkosten für deren Betrieb (vgl. LtBrb Drs. 6/8224).
Mit dem Einbau der Boxen werden sich auch die Tarife der Gefangenentelefonie vergünstigen. Etwas anders stellt es sich aber bei dem Fernseh- und Radioempfang dar: Aktuell ist dieser, zumindest für diejenigen Gefangenen mit einem eigenen Fernseher, in der JVA Brandenburg, kostenlos. Zukünftig wird es in der JVA Brandenburg kostenfrei nur noch ein so genanntes Grundpaket mit zwei von der Anstalt vorgegebenen Fernsehsendern geben (rbb und N24). Ein Paket mit zehn Sendern kostet 12,95 €. 60 Sender sind für 16,95 € zu haben (vgl. LtBrb Drs. 6/8224).(4)
Mit der Einführung der ›Multimediaboxen‹ widerruft die JVA Brandenburg sämtliche  Besitzgenehmigungen für die elektronischen Geräte der Gefangenen. Darüber wurden die Gefangenen zu Jahresbeginn per Aushang informiert. Das betrifft Fernseher, DVD-Player, Musikabspielgeräte und auch Spielkonsolen. Nach dem Widerruf der Besitzgenehmigung und der Herausnahme der Geräte aus den Hafträumen sind die Gefangenen auf das Angebot der Firma Telio angewiesen, wenn sie weiter Fernsehprogramme sehen oder Radio hören wollen. Die Nutzung der Spielkonsolen wird nicht mehr möglich sein.

ZAHLEN GEFANGENE NUN GEFÄNGNISSE?

Ohne diese Entscheidung der JVA würde sich die Investition der Firma Telio auch nicht auszahlen, weil die Gefangenen erst durch diese Entscheidung gezwungen werden, entsprechende Pakete bei Telio zu bestellen. Wenn sie die Wahl hätten, würden sie ihre bisherigen Geräte weiternutzen.
Die Frage, ob und inwiefern die bisherigen Besitzgenehmigungen Gegenstand des Vertrages zwischen dem Land Brandenburg und der Telio waren, hat die Landesregierung in der bereits zitierten Kleinen Anfrage ignoriert. Aber es liegt natürlich auf der Hand, dass sich andernfalls die von Telio getätigten Investitionen nicht lohnen würden. Die Gefangenen werden damit ohne rechtliche Grundlage an den Kosten einer Investition in die technische und bauliche Ausstattung der JVA beteiligt. Beim Widerruf der Besitzgenehmigungen, einem rechtmäßigem begünstigendem Verwaltungsakt, orientiert sich die Justizverwaltung offensichtlich ebenfalls nicht an den rechtlichen Vorgaben. In Brandenburg wäre dies § 104 Abs. 3 BbgJVollzG. Wie die Gerichte diese Entscheidungen der JVA bewerten werden, bleibt abzuwarten. Entsprechende Anträge sind anhängig.
Dass nun auch von Gebühren, die die Gefangenen an private Dritte bezahlen, notwendige Investitionen in die technische und bauliche Infrastruktur der Gefängnisse bezahlt werden und der Staat sich bei all dem heraushält, ist eine neue Entwicklung. Die Dreistigkeit mit der die Justizvollzugsverwaltung in Brandenburg dabei mit den Besitzrechten und der Informationsfreiheit der Gefangenen umgeht, um der Firma Telio ihr Geschäftsmodell zu ermöglichen, ist empörend und erhellt einmal mehr die zu Beginn angerissenen Verhältnisse. Schwer auszuhalten ist es zudem, dass die Politik und die Verwaltung die Einführung der ›Multimediaboxen‹ noch als progressiv, modern und Gewinn für die Gefangenen verkaufen wollen. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht des Bundesverfassungsgerichts bedarf, um dies festzustellen.

Dr. Jan Oelbermann ist Rechtsanwalt in Berlin und Vorstandsmitglied des RAV. Die Über- und Zwischenüberschriften sowie Endnote 4 wurden von der Redaktion eingefügt.

Fußnoten
(1) Vgl. dazu zusammenfassend Dübgen/Mattutat, Neoliberalisierung im Vollzug, Neue Zeitschrift für Sozialforschung 2, 2017 S. 77 f.
(2) Vgl. Roth, Claudius, Privatisierungsmöglichkeiten im geschlossenen Strafvollzug. Frankfurt/M. 2006.
(3) Vgl. Fährmann/Oelbermann, Preise der Gefangenentelefonie, FS 2014, 387ff.
(4) Zur vergleichenden Einschätzung (Anm. der Redaktion): Im Monat ›verdienen‹ Gefangene rund € 230,00; der durchschnittliche Stundenlohn liegt bei bis zu unter € 1,50. Denn Gefangenenarbeit wird nach fünf Vergütungsstufen ›entlohnt‹ (§ 1 Abs. 1 StVollzG). Der Tagessatz bewegt sich zwischen € 8,96 in der Vergütungsstufe I bis zu einem Entgelt eines vollen Arbeitstages von € 14,93 bei der Vergütungsstufe V. Die Bemessungsgrundlage für das Arbeitsentgelt der beschäftigten Inhaftierten bildet das durchschnittliche Arbeitsentgelt aller Versicherten der Rentenversicherung (§ 43 Abs. 2 StVollzG); die Höhe dieser Vergütung beträgt neun Prozent (9 %!) des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten (außer Auszubildenden) der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (§ 200 StVollzG, § 18 SGB IV).