Sie sind hier: RAV > PublikationenInfoBriefeInfoBrief #115, 2018 > Öffentlichkeitsfahndung

Öffentlichkeitsfahndung

EIN NEUES MITTEL ZUR ÖFFENTLICHEN LEGITIMIERUNG SKANDALÖSER POLIZEIEINSÄTZE

Alexander Hoffmann und Volker Eick

Ende Mai 2017 versucht die Polizei in Nürnberg, einen Schüler aus dem Unterricht heraus abzuschieben. Dieses Vorgehen trifft auf Proteste und Widerstand von Mitschülerinnen und Mitschülern sowie von Unterstützenden außerhalb der Berufsschule. Die Polizei setzt sich mit aller Härte durch: mit Pfefferspray, Schlagstöcken und Hunden geht sie gegen die Jugendlichen vor. Es hagelt bundesweit Proteste. Im Januar 2018 startet die Polizei Nürnberg eine öffentlichkeitswirksame Fahndungsaktion nach dem Muster ›SoKo Schwarzer Block‹.

Sie veröffentlicht Fotos und sucht auf diese Weise nach einer jungen Frau, die angeblich eine 0,5 l-Plastikflasche auf Polizeikräfte geworfen haben soll. Die Bilder der jungen Frau werden nicht nur von der Polizei, sondern auch in ›Sozialen Foren‹ im Internet verbreitet. »So ein ›digitaler Pranger‹ kann zu drastischen persönlichen Einschnitten führen, ohne dass ein Rechtsverstoß überhaupt geklärt ist«, hatte Rechtsanwalt Yunus Ziyal in einer RAV-Pressemitteilung zu der Nürnberger Polizeiaktion erläutert.(1) Zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Internetfahndung hatte bereits 2014 die ›Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder‹ deutlich gemacht, dass
»durch die weltweit recherchierbare Veröffentlichung von Fahndungsdaten in weitaus schwerwiegenderer Weise in die Grundrechte Betroffener (Tatverdächtiger oder auch Zeugen) eingegriffen [wird], als dies bei der Nutzung klassischer Medien der Fall ist. Auch sind im Internet veröffentlichte Daten einer Fahndungsausschreibung nur sehr schwer bzw. gar nicht mehr zu löschen«.(2)
Auch die PDV 384.1 (Polizeidienstverordnung ›Fahndung‹) kennt den Begriff der Verhältnismäßigkeit (Nr. 5.6.3.2), wonach es in »jedem Einzelfall […] einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung […] und den schutzwürdigen Interessen des Gesuchten oder sonstiger Betroffener andererseits« bedürfe; dazu sind in einem nachfolgenden Katalog auch Beispiele für eine solche Abwägung genannt, die allesamt einer Veröffentlichung von Fahndungsbildern eher widersprechen.
Mit dem oben genannten Vorgehen griff die Nürnberger Polizei gleichwohl die spektakuläre Aktion der Hamburger Polizei im Nachgang zum G20-Gipfel auf, die im Dezember des vergangenen Jahres ihre ›SoKo Schwarzer Block‹ gestartet hatte: Sie veröffentlichte mehr als 100 Bilder und Videos im Internet, die Personen bei G20-Aktionen zeigen sollen.(3)
Trotz aller öffentlichen Verlautbarungen war es der Hamburger Polizei nicht gelungen, den Beweis für das von der Hamburger Polizeiführung und Politiker*innen behauptete Ausmaß an schweren Straftaten zu liefern. Außerdem war es öffentlich kaum zu vermitteln und peinlich, dass weit über 20.000 eingesetzte Beamt*innen scheinbar nicht in der Lage waren, eine die Öffentlichkeit befriedigende Anzahl von Straftäter*innen festzunehmen. Die öffentlichkeitswirksame Aburteilung von ›Chaoten‹ beschränkte sich auf wenige Strafverfahren, vor allem gegen Personen aus einem Demonstrationszug, die am Hamburger Rondenbarg auf dem Weg in die Innenstadt brutal festgenommen worden waren. Hier gab es einige wenige spektakuläre Haftstrafen. Diese Verfahren waren offensichtlich nicht ausreichend, um der Öffentlichkeit als Beweis für die Schlagkraft der Polizei und das behauptete Ausmaß an Gewalttätigkeiten zu dienen.

ÖFFENTLICHKEITSFAHNDUNG ALS POLIZEILICHE IMAGEKAMPAGNE

Ein Großteil der von der Hamburger Polizei veröffentlichten Bilder und Videos ist überhaupt nicht geeignet, zur Identifikation von Personen zu führen. So werden vollständig vermummte Demonstrationsreihen gezeigt, Straftaten aus so großer  Entfernung,  dass  weder  Gesicht noch Körperhaltung deutlich zu erkennen sind etc. Bei beiden hier angesprochenen Öffentlichkeitsfahndungen steht erkennbar das Interesse der Polizei im Vordergrund, der Öffentlichkeit ihr eigenes Bild des Gesamtgeschehens zu zeichnen: ein Bild der äußerst gefährlichen, bedrohlichen, brutalen Demonstrantinnen und Demonstranten, ein Bild des einzelnen Polizeibeamten, der sich wehrlos einem brutalen ›schwarzen Mob‹ ausgesetzt sieht. Die weitere Verbreitung der ins Netz gestellten Daten ist dabei durchaus Teil des Kalküls.
Sowohl die Öffentlichkeitsfahndung der Hamburger Polizei, als auch die etwas später erfolgte Aktion in Nürnberg führten zu großem öffentlichen Interesse. Dabei standen rein objektiv nicht die kritischen Stimmen im Vordergrund: Während der RAV, zivilgesellschaftliche Gruppen, aber auch Journalisten wie Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) das polizeiliche Vorgehen als rechtsmissbräuchlich und rechtswidrig angriffen,(4) zeigte sich insbesondere im Internet und dort in den ›Sozialen Medien‹ ein enormes ›Interesse‹: Einzelne Bilder wurden vielfach verbreitet, mit widerlichen Kommentaren versehen. Auch die Bild beteiligte sich willig. In der Folge erfuhr die polizeiliche Maßnahme nicht nur ganz faktisch große Unterstützung, sondern legitimierte sich durch die Aufnahme ins ›Internet der Trolle‹ quasi von selbst, indem sie das durch die Auswahl und Zusammenstellung der Fahndungsbilder/-videos geschaffene Zerrbild des Geschehens als Realität verbreitete.

RECHTLICH KAUM ANGREIFBAR

Tatsächlich verläuft die Öffentlichkeitsfahndung in Hamburg weitgehend erfolglos, was bei der Auswahl der veröffentlichten Bilder auch gar nicht anders zu erwarten war. Neben öffentlichen und politischen Protesten gegen diese Art der polizeilichen Ermittlungen scheinen insgesamt kaum erfolgversprechende Mittel verfügbar. Dies liegt einerseits daran, dass § 131b StPO, der die »Veröffentlichung von Abbildungen des Beschuldigten oder Zeugen« regelt, sehr weit gefasst ist. Voraussetzung für die Veröffentlichung ist eine Straftat »von erheblicher Bedeutung«,(5) deren Aufklärung »auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre«.(6) Die Notwendigkeit der Anordnung durch den Ermittlungsrichter ist insofern keine ernsthafte Kontrolle der Verhältnismäßigkeit, wenn von Polizei und Staatsanwaltschaft nur genügend Druck gemacht wird. Andererseits ist es kaum vorstellbar, dass Ermittlungsrichter*innen angesichts der Masse der veröffentlichten Bilder und Videos tatsächlich eine ernsthafte Prüfung der Zulässigkeit der Veröffentlichung bezüglich aller zu erkennenden Personen durchgeführt haben. Bei allen Bildern und Videos, auf denen ausschließlich Personen in einer Aufmachung zu sehen sind, die eine Identifikation ausschließt, scheint eine Prüfung im Übrigen ohnehin nicht erfolgt zu sein, außer, die Richterinnen und Richter waren der Meinung, die Polizei dürfe gerade dann alles veröffentlichen, wenn darauf explizit keine Person zu identifizieren ist.
Das Hauptproblem dürfte allerdings vor allem darin bestehen, dass sich Betroffene, soweit sie nicht durch die Maßnahme tatsächlich oder vermeintlich identifiziert wurden, kaum freiwillig melden werden, um die bereits erfolgte Bildveröffentlichung anzugreifen. Denn einerseits wäre jedes rechtliche Vorgehen gegen die Fahndung gleichzeitig eine Selbstbelastung und würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Einleitung eines Strafverfahrens führen. Andererseits würde selbst ein erfolgreiches Vorgehen gegen eine solche Fahndung die Folgen der bereits erfolgten Veröffentlichung nicht beseitigen. Ein rechtliches Vorgehen dagegen wäre also nutzlos und selbstgefährdend. Ungeklärt ist zudem, was den jeweiligen Personen eigentlich tatsächlich vorgeworfen wird: Im Fall der veröffentlichten Bilder zu ›Straftaten im Bereich Elbchaussee‹ etwa heißt es auf den Polizeifahndungsseiten nur lapidar, »[d]ie Person ist dabei, Tatkleidung gegen andere, mitgeführte Kleidung auszutauschen« –, verzichtet aber sowohl auf strafrechtsrelevante Vorwürfe (sich umzuziehen, dürfte derzeit ja noch erlaubt sein), als auch auf konkrete Tatvorwürfe gegen die an den ›Pranger‹ gestellten Personen.
Für  die  Vorkommnisse  am  Rondenbarg, darauf hatte Rechtsanwalt Sven Adam bereits im Dezember 2017 hingewiesen, werde vor Gericht zudem »zwischen der Anwaltschaft und der Staatsanwaltschaft vehement ausgefochten, ob es sich dort um eine Versammlung gehandelt hat, die zerschlagen worden ist, oder um einen Landfriedensbruch, der von jedem, der an dieser Demonstration teilgenommen, begangen worden ist«. Das sei bislang ungeklärt, aber  es sehe so aus, »als werde jeder, der an dieser Demonstration teilgenommen hat, jetzt an den Pranger gestellt«.(7)
Der Kampf um die Darstellung von Geschehnissen bei Großdemonstrationen ist mit der neuen Methode der Öffentlichkeitsfahndung auf eine höhere Stufe gestiegen. Die Macht von selektiv ausgewählten bzw. willkürlich ›zusammengestellten‹ Bildern, die ein falsches Gesamtbild darbieten, liegt damit nicht mehr nur in der Hand von Bild und ähnlichen Medien; die Polizei beteiligt sich nunmehr selbst direkt und einseitig an der Meinungsbildung. Dies muss der Kern der öffentlichen Kritik an der neuen polizeilichen Legitimierungsmethode sein.

Alexander Hoffmann ist Rechtsanwalt in Kiel und RAV- Mitglied. Volker Eick ist Politikwissenschaftler und  Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV.

Fußnoten

(1) Der RAV hatte in einer Pressemitteilung zu dieser Form von ›Menschenjagd‹ Stellung genommen, RAV verurteilt Öffentlichkeitsfahndung nach den Nürnberger Abschiebeprotesten vom 31. Mai 2017 (Pressemitteilung Nr. 2 v. 12. Januar 2018), http://www.rav.de/ publikationen/mitteilungen/mitteilung/rav-verurteilt-oeffentlichkeitsfahndung-nach-den-nuernberger-abschiebeprotesten-vom-31-mai-2017-552.
(2) Vgl. Öffentlichkeitsfahndung mit Hilfe sozialer Netzwerke – Strenge Regeln erforderlich! (31.03.2014), https://www.saechsdsb.de/com-jce/oeffentlichkeitsarbeit/134-datenschutzkonferenzen/dsk-87/480- oeffentlichkeitsfahndung-mit-hilfe-sozialer-netzwerke-strenge-regeln-erforderlich.
(3) Vgl. hr2-Radio, Ausweitung der Kampfzone. Wenn Fahnder an die Öffentlichkeit gehen (20.12.2017), http://www.hr2.de/gespraech/der-tag/der-tag--ausweitung-der-kampfzone-wenn-fahnder-an-die-oeffentlichkeit-gehen,id-dertag-376.html.
(4) Vgl. H. Prantl, G 20 ist keine Lizenz zum Rechtsbruch (17.12.2017), http://www.sueddeutsche.de/politik/ermittlungen-g-ist-keine-lizenz-zum-rechtsbruch-1.3796934.
(5) Laut Mitteldeutscher Zeitung (23.03.2018) fahndet die Polizei in Halle nach einem mutmaßlichen Ladendieb, https://www.mz-web.de/halle-saale/oeffentlichkeitsfahndung-in-halle-polizei-sucht-den-ladendieb-vom-bruchsee-29927096.
(6)  Vgl. Hilger (§ 131 StPO) in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das  Gerichtsverfassungsgesetz: StPO Band 4: §§ 112-150. Berlin 2007, S. 480ff. sowie Brunst in: Gercke/Brunst (Hg.), Praxishandbuch Internetstrafrecht. Stuttgart 2009, S. 363ff.
(7) Vgl. hr2-Radio (En 3).