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Schikanen und Rechtsbrüche in Gewahrsam

ERFAHRUNGSBERICHTE AUS GESA UND JVA

Anwält*innen und Betroffene

Trotz der (rechts)widrigen Umstände, denen sich die Kolleginnen und Kollegen des Anwaltlichen Notdienst während des G20-Gipfels ausgesetzt sahen, gelang es, bereits während des Gipfels und der Proteste dagegen, die verschiedenen Angriffe durch die Polizei auf Mandantinnen und Mandanten sowie Rechtsvertretungen zeitnah festzuhalten. Das war nicht nur deshalb wichtig, um andere Kolleginnen und Kollegen auf nachfolgende Arbeitsschichten vorzubereiten, sondern ermöglichte auch, ein realistisches Bild vor und in der Gefangenensammelstelle (GeSa) quasi in ›Echtzeit‹ zu bekommen. Da wegen der nachfolgend geschilderten Übergriffe durch die Polizei und weitere polizeiliche Vorkommnisse noch Verfahren anhängig oder in Vorbereitung sind, haben wir uns entschieden, eine kleine Auswahl der beim Anwaltlichen Notdienst eingegangenen Kurzberichte hier anonymisiert zu dokumentieren (die Red.).

BERICHT 1 (MANDANT, 11.07.2017)

Ich wurde in der Nähe der Straße Rondenbarg am Freitagmorgen gegen 06:30 Uhr gemeinsam mit 73 Personen (laut Haftbefehl) festgenommen; andere wurden schon ab 06:00 Uhr in der Nähe festge- setzt. Abtransportiert wurde ich nach ›Guantánaburg‹ (GeSa Harburg) gegen Mittag. Zelle [Nummer]. Bei der Ankunft wurden mir mein einziger Pullover und meine Hose abgenommen, weil sie eingenähte Bändel von 4cm (Hose) bzw. 10cm (Sweatshirt-Jacke) hatten (Suizidrisiko). Ich habe widersprochen und nur Spott geerntet. Ohne Pullover habe ich oft sehr stark gefroren, weil ja die gesamte Kleidung nass war. Auf mehrfache Nachfrage erhielt ich nur die Antwort, ich solle mich mit dem »Teppich« wärmen. Gemeint war die einzige Decke, mit der man den Hartplastikboden der Zelle wenigstens etwas abdecken konnte. Es blieb daher keine Zudecke übrig, kein Pullover, und wir mussten nass auf dem kalten Boden liegen.
Die Zelle war etwa 4m mal 2m groß. Wir mussten uns zu viert als große Männer hier im Schnitt etwa 30 Stunden hier aufhalten. Es gab eine 35cm breite Pritsche aus Hartplastik/MDF, die zum Schlafen für größere Menschen völlig ungeeignet ist.
Alle 30 Minuten wurde die Tür geräuschvoll entriegelt und gebrüllt, ob wir wach wären. Ansonsten müsste man uns wecken; angeblich, um »sicher zu gehen, dass wir noch leben«. […] Es gab Wasser und Essen nur auf Nachfrage und nur in kleinsten Mengen. Wir erhielten erstmals nach etwa acht Stunden Nahrung, und zwar 36g Knäckebrot pro Person. Zu diesem Zeitpunkt war der nicht-politische Mitgefangene [Name] bereits 15 Stunden ohne Nahrung in derselben Zelle. Zum Knäckebrot gab es etwa 20g Schmelzkäse pro Kopf. Das zweite Mal erhielten wir Knäckebrot erst weitere 12 bis 15 Stunden später. Beim Anwaltsgespräch stellte man mir einen kleinen Teller warmen Essens hin. Das wurde meinen Mitgefangenen verwehrt.
Beim Anwaltsgespräch gegen ca. 01:30 Uhr am Samstag legte mein Anwalt Widerspruch gegen die schikanöse Durchsuchung von Anwalt und Mandant vor und nach dem Anwaltsgespräch ein. Daraufhin brüllten mehrere Polizisten in Zivil und gelben Warnwesten auf ihn ein. Sie drängten uns zurück von der Eingangstür in den Gesprächsraum (Container). Ich forderte die Möglichkeit der Fortsetzung des Anwaltsgesprächs, die uns verwehrt wurde. Der Anwalt forderte den Namen des für die Maßnahme der Durchsuchung verantwortlichen. Daraufhin trat ein etwa 1,95 großer Mann, Ende dreißig, Bart mit Backenbart, mit Warnweste, mit Klebeband-Beschriftung ›RA-Kontakt‹, tätowiertem Arm, T-Shirt, an den Rechtsanwalt heran und brüllte ihn an. Er duzte ihn. Der Ton klang wie bei einem Offizier, der einen Soldaten degradiert. Der Anwalt versuchte, dagegen etwas zu sagen, wurde aber bereits durch Schmerzgriffe und/oder Hebelgriffe am Arm von seinem Stuhl gerissen und aus dem Container und der GeSa gezerrt. Seine persönlichen Gegenstände wie Handy usw. konnte er nicht selbst mitnehmen, sondern sie wurden ihm nachgeliefert.
Daraufhin wurde ich direkt im Anschluss (etwa eine Stunde Warten) mit dem Anwalt dem Haftrichter vorgeführt. Das war etwa gegen 03.00 Uhr, Samstagmorgen, fast 23 Stunden nach der Festnahme.

BERICHT 2 (RECHTSVERTRETUNG, 11.07.2017)

Ich hatte schon mal eine E-Mail geschickt. Ist unten noch mal reinkopiert. Ansonsten sicherlich bekannt: Eine Mandantin war nach SOG bis Sonntagabend in Gewahrsam. Dass, obwohl sie zu ihrem fast zweijährigem Kind wollte, das noch gestillt wird; war seit Freitagmittag in der GeSa. Mehrere Mandanten berichten, dass sie nur Wasser und zwei Scheiben Knäckebrot zu essen bekamen. Einmal gab es noch Aufstrich dazu.
Am Freitag gab es nur drei Container für Mandantengespräche (im Außengelände). Am Samstag waren dann plötzlich weitere (ca. 5) Plätze in der großen Halle zur Verfügung. Hier noch die E-Mail:
Kleines Feedback zur Arbeit auf der GeSa (evtl. relevant für Pressemitteilung, spätere Klagen und Auswertung):
Unverzüglichkeitsgebot (BVerfG) gilt hier nicht: Antrag auf richterliche Überprüfung des Freiheitsentzuges 13.00 Uhr eingereicht (per Fax); Mandant 06:30 Uhr festgesetzt, seit 08:00 Uhr in der GeSa; Antrag 17:15 Uhr wiederholt (EILT! Weil Epileptiker, braucht Medikamente); Mandantenge- spräch 15:40 Uhr erlaubt; 18:45 Uhr beim Amtsgericht telefonisch auf Dringlichkeit hingewiesen; bis jetzt keine Anhörung vor Richter.
Mandanten-Gespräche werden optisch überwacht; vor dem Fenster des Besprechungscontainers sind ein bis zwei Beamte postiert. Begründung: Absicherung, dass Mandant nicht aus dem Fenster abhaut; Vereinbarung: Jalousie darf von mir geschlossen werden. Beim nächsten Mandanten: Polizei verhindert aktiv Herunterlassen der Jalousie. Erst energischer Hinweis und Unterstützung durch anderen Beamten ermöglicht mir, ohne optische Überwachung zu besprechen.
Ich wurde vor Gespräch auf Metall gescannt und habe Tasche eingeschlossen. Zum Gespräch nur Akte, Stift und Handy dabei (so weit, so normal und nicht zu beanstanden). Aber: Mandant wird nach Anwaltsgespräch durchsucht; Durchsuchung bedeutet: Sie unterstellen mir (›Organ der Rechtspflege‹), dass ich Straftaten begehe (Übergabe von unerlaubten Gegenständen)!
Meine Intervention bewirkt bei einer Mandantin, dass sie nicht durchsucht wird. Bei den anderen wird es aber wieder gemacht. Meine Beobachtung: auch bei den anderen Kollegen ist es so, teilweise wird berichtet, Mandanten mussten sich nackt ausziehen, eine Kollegin wurde rausgedrängt, als sie bei der Abtastung dabei sein wollte.

BERICHT 3 (RECHTSVERTRETUNG, 09.07.2017)

Meine Mandantin gehörte zur Gruppe der am 7. Juli um 06:30 Uhr Festgenommenen.
Sie war mit vier anderen in einer Zelle, die nicht belüftet war. Belüftet war nur der Vorraum.
Es wurde behauptet, dass keine Anwälte vor Ort seien.
Sie kam gegen 12:00 Uhr in der GeSa Hamburg-Neuland an. Unser Gespräch fand gegen 23:30 Uhr statt. Bis dahin hatte sie noch nichts zu essen bekommen, nach 15 Stunden in der Obhut der Polizei! Nach meinem Hinweis kümmerte sich dann der Vorführbeamte um Essen für die Mandantin und die anderen aus der Zelle.
Kurz nach Ankunft in der GeSa wurde meine Mandantin einem Arzt vorgestellt. Sie hatte bei der Festnahme einen Schlag auf die Nase bekommen, und es bestand der Verdacht, dass diese gebrochen sei. Sie sollte sich schnellstmöglich röntgen lassen! Am nächsten Tag bekam sie Nasenspray gegen die Schwellung. Am 8. Juli gegen 22.00 Uhr – also fast 40 (!) Stunden nach der Festnahme – wurde sie einem Richter vorgeführt, der sie nach Ablehnung des Haftbefehlsantrages und des Fortdauer- antrages gegen 23.00 Uhr entlassen hat.

BERICHT 4 (RECHTSVERTRETUNG, 11.07.2017)

Ich habe meinen Mandanten [Name] vertreten wollen, was das Gericht und die GeSa jedoch ver- suchten zu verhindern. Der Mandant wurde zeitgleich mit einem anderen Beschuldigten ganz schnell an uns Anwälten vorbeigeführt. Ich konnte noch rufen »Do you want a lawyer?«, und er nickte. Ich nahm dann meinen Rucksack, schloss das Handy ein und folgte ihm in den Gerichtssaal. Die Tür war schon verschlossen. Im Gerichtsaal wurde ich sofort laut und aggressiv von der Richterin und dem Staatsanwalt angegangen, was ich hier zu suchen habe. Ich sagte, ich wolle den Beschuldigten anwaltlich vertreten. Das wurde laut als »unerlaubte Akquise« bezeichnet, ich wurde vom Staatsanwalt beschimpft. Ohne schriftliche Vollmacht müsse ich sofort den Saal verlassen, sagte die Richterin. Ich fragte erneut den Beschuldigten: »Do you need a lawyer?«. Er sagte: »Yes, that would be nice«. Die Richterin schrie dann bereits extrem laut: »Verlassen Sie meinen Gerichtssaal«. Ich sagte mehrfach laut, dass der Beschuldigte das Recht habe, einen Anwalt hinzuzuziehen. Dann wurde ich von den zwei Polizeibeamten der GeSa gewaltsam aus dem Saal geschubst. Die Tür wurde krachend vor meinem Gesicht geschlossen. Ich öffnete die Tür und versuchte einzutreten. Ich erhielt sofort den schrillen Schrei: »Verlassen Sie meinen Gerichtssaal«. Ich versuchte gerade wieder den Saal zu betreten und wiederholte mehrfach laut: »Der Mandant wünscht anwaltlichen Beistand, er sagte gerade, ›That would be nice‹«. Erneut wurde ich von den GeSa- Beamten grob körperlich aus dem Raum bzw. aus der Tür geschoben, die auch auf mich einschrieen: »Raus hier!« Ich trat knapp zwei Minuten später erneut ein. Ich konnte dann letztlich die Verteidigung aufnehmen, nicht ohne wiederholt vom Staatsanwalt beleidigt zu werden, Beispiele: »ganz mieses Verhalten«, »unzulässige Akquise«, »widerlich, wie Sie sich hier aufführen« etc.

BERICHT 5 (RECHTSVERTRETUNG, 11.07.2017)

Ich war zweimal in der GeSa am Amtsgericht Hamburg-Neuland (AG HH-Neuland), in der Nacht von Donnerstag auf Freitag und in der Nacht von Freitag auf Samstag. Folgendes habe ich beobachtet: Das AG HH-Neuland hat sich geweigert, meine Anträge auf Freilassung ohne Akten der Polizei zu bearbeiten. Dazu sind entsprechende Schreiben in unseren Handakten. Das läuft faktisch darauf hinaus, dass nur Anträge der Polizei und keine anwaltlichen Freilassungsanträge gestellt werden. Die Polizei hat die Anträge aber viel zu spät oder gar nicht gestellt. Das AG HH-Neuland hat offensichtlich gegen das Urteil des BVerfG v. 13.12.2005 verstoßen. Insbesondere gegen: »Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird« (BVerfG vom 13.12.2005 - 2 BvR 447/05, Rdnr. 36).
Insgesamt drei Mandant*innen von mir wurden nach dem Anwaltsgespräch durchsucht, zwei davon mussten sich bis auf die Unterwäsche ausziehen. Als ich dagegen protestiert habe, wurde von mir verlangt, dass ich meine Taschen ausleere und mich ›scannen‹ lasse. Ich habe deshalb zweimal mit einem/einer Leiter*in für ›Anwaltskontakte‹ gesprochen; dies hat zu keiner Veränderung geführt. Der Eindruck drängt sich auf, dass unangenehme Durchsuchungen (bis auf die Unterwäsche) eine Sanktion dafür sind, dass unsere Mandant*innen ihr Recht auf Konsultation von Anwält*innen gegenüber der Polizei durchgesetzt haben.
Mehrere meiner Mandant*innen haben mir mitgeteilt, dass sie in der GeSa nicht in Ruhe schlafen konnten, sondern alle halbe Stunde geweckt wurden. Auf meine Nachfrage teilten Polizisten mit, dies würde der »Lebend-Kontrolle« (?!) dienen.
Einem Mandanten eines anderen Anwalts wurden bei der Vorführung der Polizei auf dem Gelände des AG HH-Neuland mit einem sog. ›Handkipphebel‹ Schmerzen zugefügt. Dies war offensichtlich nicht nötig, da die Person ohne Widerstand mit den Polizisten mitgelaufen ist. Auch auf die lautstarke Intervention mehrerer Anwält*innen hat der Polizist nicht mit dem Schmerzgriff aufgehört. Einem Kollegen ist es gelungen, von der Situation ein Foto zu machen. Als ich in der AG HH-Neuland vom Kopierraum zurücklief, hörte ich ungewöhnlichen Lärm aus einem Besprechungszimmer. Der Mandant eines anderen Anwalts war dort ohne seinen Anwalt. Er war mit Handschellen gefesselt. Um ihn herum standen ca. vier Justizwachtmeister. Einer der Justizwachtmeister beleidigte die Person deutlich hörbar als »Schwachkopf«. Zur Rede gestellt, sagte der Justizwachtmeister, dies sei erfolgt, weil die Person den Stuhl beim Aufstehen umgeworfen habe. Selbst wenn das stimmen sollte: Die Person war aber an den Händen gefesselt, sie hätte den Stuhl nicht zurückrücken können. Insgesamt war die Stimmung der vier Justizwachtmeister sehr aggressiv, ich bin froh, dass ich rechtzeitig dazugekommen bin.

BERICHT 6 (MANDANTIN, 11.07.2017)

Mir hat eine Mandantin, der keine Straftat vorgeworfen wurde (sie wurde zwei Stunden, nachdem die Polizei von einem Dach/Gerüst aus beworfen worden sein soll, an diesem Ort festgestellt; Vermummungsutensilien oder sonst irgendwas fand man bei ihr nicht; die Polizei beantragte Unterbindungsgewahrsam bis Montag, 10.00 Uhr), berichtet:
Sie wurde kurz vor 00:00 Uhr festgenommen. In der GeSa blieb permanent das Licht an. Ihr ging es psychisch sehr schlecht, sie weinte die ganze Zeit. Trotzdem wurde sie in einer Einzelzelle untergebracht, weil sie ja so »verrückt« sei und eine »dumme Kuh«. Sie habe dort gesessen und ihren Kopf gegen die Wand gehauen.
Am späten Nachmittag des Folgetages kam ein Arzt zu ihr, der ihr eine Tavor gab [ein angstlösendes, beruhigendes Arzneimittel]. In der Akte wurde die Konsultation des Arztes nicht dokumentiert. Die Mandantin ist starke Raucherin, durfte aber zwischen der Festnahme und ihrer Anhörung rund 24 Stunden später nicht rauchen.
Die Anhörung fand um kurz vor 00.00 Uhr des Folgetages statt und wurde dann unterbrochen. Offensichtlich ging es um die ›Fristwahrung‹. Das AG war der Meinung, dass es genügt, wenn man vor 00:00 Uhr mit der Anhörung beginnt (das lässt sich mit § 13c SOG nicht vereinbaren). Die Mandantin wurde schließlich gegen 01:30 Uhr, nach rund 26 Stunden Freiheitsentziehung, entlassen, weil man ihr einen Zusammenhang zu dem Bewurf nicht nachweisen konnte. Noch eine weitere Beobachtung: Die Leute, die die Telefonnummer von Bezugspersonen draußen nicht im Kopf, sondern nur im Handy gespeichert hatten, konnten praktisch niemanden benachrichtigen, weil man sie die Nummer nicht nachsehen ließ. Leute, die nachmittags festgenommen worden waren, saßen nachts und morgens noch mit der Sorge da, dass ihre Familie und Freunde nicht wussten, wo sie stecken.

BERICHT 7 (RECHTSVERTRETUNG, 11.07.2017)

Ich möchte von einem Fall berichten: Die Mandantin wurde vollständig entkleidet bei Aufnahme in die GeSa durchsucht. Die Durchsuchung nahmen zwei weibliche Polizeikräfte vor, aber männliche Polizisten liefen vorbei. Nach dem anwaltlichen Anbahnungsgespräch in der GeSa wurde sie erneut nackt durchsucht. Dies wurde damit begründet, dass ich als Anwalt gefährliche Gegenstände übergeben haben könnte und die Durchsuchung zur Abwehr von Gefahren für das Personal erforderlich sei. In der Verhandlung über Haft und Anschlussgewahrsam wurde vor Eröffnung des Beschlusses unterbrochen. Auf mein Verlangen, mich mit der Mandantin alleine besprechen zu können, äußerte der Vertreter der Polizei, [Name], dass er dann die Mandantin erneut nackt durchsuchen lassen würde. Ich habe von Kollegen gehört, dass auch bei anderen Festgenommenen so verfahren wurde. Nicht nur sind die Nacktdurchsuchungen degradierend, sie verdeutlichen auch einen generellen Verdacht gegen uns als Anwälte, wir würden uns rechtswidrig verhalten.

BERICHT 8 (MANDANTIN, 11.07.2017)

Habe soeben mit einer Mandantin telefoniert, sie berichtete mir über die GeSa und auch die JVA. Hier die Infos, die sie selbst erlebt, gesehen und/oder gehört hat:
Sie war von Freitag, ca. 13:00 Uhr bis Samstag, ca. 21:00 Uhr in der GeSa, über Nacht – von Samstag auf Sonntag – in JVA Billwerder, am Sonntag (bis zur Entlassung 20:00 Uhr) in der JVA Hahnöfersand (alles nach SOG).
Teilweise wurden WC-Gänge optisch überwacht: Türen zum WC-Container offen und Tür zum WC selbst auch. Mandantin besteht darauf, in hintere Toilette gehen zu dürfen, damit männliche Polizisten, die vor dem WC-Container stehen, sie nicht sehen. Wird erlaubt, aber: Tamponwechsel nur unter Beobachtung durch weibliche Beamtin.
Sie durfte nicht telefonieren (»Du hast doch schon einen Anwalt«).
Es wurde zwischendrin behauptet, es seinen keine Anwälte vor Ort. Es wurde behauptet, sie darf nur einmal mit Anwalt sprechen. Es wurde gesagt, dass Anwälte Geld kosten, ob ihnen das bewusst sei.
Essen in GeSa nur auf ausdrückliche Bitte (es gab Knäckebrot, einmal halbgefrorener Kuchen, einmal Birne), in den JVA dann Lunchpakete (besser als in der GeSa). Anders war es bei Getränken: es wurde von netten Polizisten immer mal wieder nachgefragt, ob sie Wasser wollten.
ED-Behandlung soll durchgeführt werden – Mandantin legte Widerspruch ein und bat um schriftliche Bestätigung; ihr wird gesagt, diese Bestätigung bekäme sie später (hat sie aber nicht). Sie ist gefragt worden, ob sie DNA abgeben will. Angedroht wird, wer bei ED-Behandlung nicht mitmacht, muss länger bleiben.
Bei Überstellung in die JVA Hahnöfersand hatten alle innerhalb des Geländes für den Weg vom großen Gefangenenbus zu dem kleinen Transporter, der zur Frauenabteilung fuhr, Fußfesseln; völlig übertrieben und sehr schmerzhaft […]. Wenn sie geschlafen haben, waren die Kontrollen der Zelle (Türen öffnen, Personen ansprechen) häufiger. Zellennachbarinnen wurden die Brillen abgenommen (eine hat -6 Dioptrien, die andere -8), selbst WC-Gang ohne Brille. Bei WC-Gang: generell eine Stunde warten und ständig nachfragen müssen.
Aussagen von Polizisten: »ich möchte die alle erschießen« (war in der GeSa); »am liebsten würde ich die mit dem Knüppel schlagen« (O-Ton in der JVA); verbal geäußerte Schadenfreude über die Verletzten aus der ›06:30‹-Gruppe: »das Beste, was ich heute erlebt habe«; es handele sich um sinngemäßen Wortlaut, keine genauen Zitate.
Soweit, der Kontakt zu dieser Mandantin ist gut, und sie findet es auch wichtig, dass darüber berichtet wird.

BERICHT 9 (RECHTSVERTRETUNG, 10.07.2017)

Was ich noch hinzufügen kann: Am Sonntagabend verweigerten mir die Beamten der Gefangenensammelstelle die Auskunft darüber, wo sich die circa 50 Menschen, nach denen ich mich namentlich erkundigt habe, befinden. Außerdem wurde mir ausdrücklich mitgeteilt, dass die Hamburger Polizei bei den richterlich angeordneten Ingewahrsamnahmen nach SOG bis Montagmorgen keine neue Gefahreneinschätzung mehr vornehme. Eine mögliche vorzeitige Entlassung werde nicht mehr geprüft [folgt Name des Kripo-Beamten].

Wortlaut und Diktion wurden weitgehend beibehalten, Orthographie, Grammatik und Interpunktion wurden zur besseren Lesbarkeit vereinheitlicht, z.T. wurden die Berichte gekürzt; Anmerkungen [in eckigen Klammern] durch [die Red.].