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Trennscheibe bei Verteidigerbesuchen und Kontrolle der Verteidigerpost

EIN NOTWENDIGES PLÄDOYER FÜR DIE ABSCHAFFUNG DES § 148 ABS. 2 STPO

Martin Heiming und Peer Stolle

Es ist ein – allerdings höchst lebendiges – Relikt aus den 1970er-Jahren; aus einer Zeit, in der der proklamierte ›Krieg gegen den Terrorismus‹ jegliche Einschränkungen von Beschuldigten- und Verteidigerrechten zu rechtfertigen vermochte. Der damals eingeführte § 148 Abs. 2 StPO – zunächst als Muss-, dann als Soll-Vorschrift ausgestaltet – legt fest, dass in Verfahren nach § 129 a StGB (oder auch in Verbindung mit § 129 b) die schriftliche Kommunikation zwischen inhaftierten Beschuldigten und deren Verteidigung durch einen sogenannten ›Leserichter‹ kontrolliert werden soll. Damit keine unkontrollierte schriftliche Kommunikation stattfindet, wird dann zwingend ergänzend bei Besuchen der Verteidigung in der JVA eine Trennscheibe angeordnet. Diese Norm führt zwar ein Schattendasein, da sie nur im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer Straftat der Mitgliedschaft in einer (ausländischen) terroristischen Vereinigung angewendet werden kann; sie führt aber bei den davon Betroffenen zu einer nicht (mehr) hinnehmbaren Beschränkung von Verteidigungs- und Beschuldigtenrechten. Es ist Zeit, diese Norm abzuschaffen und auch in diesen Verfahren zur allgemein gültigen Regel zurückzukehren, dem freien mündlichen und schriftlichen Verkehr zwischen Beschuldigten und Verteidigung, § 148 Abs. 1 StPO.

ENTSTEHUNGSGESCHICHTE

Mit der Anordnungsmöglichkeit nach § 148 Abs. 2 StPO sollte nach der Gesetzesbegründung verhindert werden, dass Beschuldigte, die einer Straftat nach §§ 129 a, 129 b StGB verdächtig sind, sich aus der JVA heraus weiterhin für die terroristische Vereinigung betätigen und so zu deren Fortbestand beitragen. Hintergrund dieses schwerwiegenden Eingriffs in den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation der Verteidigung war die Behauptung, dass sich die damals wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der RAF Inhaftierten ihrer Verteidiger*innen (von denen teilweise behauptet wurde, dass sie selbst Mitglied der Vereinigung seien) bedient haben sollen, um eine Kommunikation mit anderen inhaftierten und weiteren Mitgliedern, die auf freiem Fuß befindlich waren, zu ermöglichen und so weitere Anschläge zu planen und durchzuführen.
Unabhängig davon, ob diese Behauptungen und Unterstellungen zutreffend waren, ist seit den 1970er-Jahren kein anderer Sachverhalt bekannt oder behauptet worden, dass sich auf Grundlage von §§ 129 a, 129 b StGB Inhaftierte ihrer Verteidigung bedienen, um aus der Haft heraus weitere Anschläge zu planen oder deren Durchführung zu organisieren. Seit dem ›Deutschen Herbst‹ ist keine vergleichbare Situation in der Bundesrepublik entstanden. Die Rechtfertigung für diese Norm ist – unabhängig davon, ob sie jemals vorgelegen hat und unabhängig von der berechtigten verfassungsrechtlichen Kritik – daher zumindest weggefallen. Trotzdem findet sie immer noch Anwendung.

AKTUELLE ERFAHRUNGEN AUS DEM MÜNCHNER ›KOMMUNISTEN-PROZESS‹

Seit Juni 2016 findet vor dem OLG München die Hauptverhandlung gegen mutmaßliche Mitglieder der Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129 b StGB statt. Die zehn Angeklagten befinden sich seit April 2015 in Untersuchungshaft. Gegen alle wurde von Anfang an angeordnet, dass Besuche der Verteidigung nur in Besprechungsräumen, die mit einer Trennscheibe ausgestattet sind, stattfinden dürfen und dass sämtliche schriftliche Kommunikation zwischen den Beschuldigten und ihrer Verteidigung durch einen ›Kontrollrichter‹ (dabei handelt es sich um einen eine Richter oder Richterin an dem Amtsgericht, in dessen Zuständigkeitsbereich die JVA sich befindet) gelesen wird.
Die Auswirkungen dieser Anordnung sind enorm, sie verhindern eine effektive Verteidigung vor allem im Ermittlungs- und Zwischenverfahren.

BESPRECHUNG IN TRENNSCHEIBENZELLEN

Rein praktisch sieht das so aus: Eine Besprechung der Ermittlungsakte, die in diesem Verfahren seitens der Generalbundesanwaltschaft digital zur Verfügung gestellt wird, ist bei den Besuchen de facto nicht möglich. Wenn seitens der Verteidigung bspw. bestimmte Stellen in der Akte erörtert werden sollen, verhindert die Trennscheibe, dass Mandantschaft und Verteidigung gemeinsam in den Laptop schauen können, um die entsprechenden Stellen durchzugehen. Man ist so gezwungen – vor allem, wenn es um konkrete Stellen in einem Dokument geht –, den Laptop an die Trennscheibe zu halten, um so zu versuchen, die Mandantschaft auf die entsprechende Stelle hinzuweisen, so dass diese wiederum versuchen kann, diese Stelle in der Aktenkopie auf ihrem – von der Anstalt zur Verfügung gestellten – Laptop wiederzufinden.
Es ist auch nicht möglich, gemeinsam bestimmte Stellen auf Ausdrucken aus der Akte zu markieren oder mit Anmerkungen zu versehen, wie man es üblicherweise bei Besprechungen mit Mandant*innen macht. Eine gemeinsame Arbeit an Dokumenten oder die Übergabe von Aktenauszügen ist aufgrund der angeordneten Trennschreibe nicht möglich. Im Münchner Verfahren – und das ist bei § 129 b-Gefangenen die Regel – kommt noch die Problematik hinzu, dass Dolmetscher*innen für die Besprechung benötigt werden. Derartige Besprechungen sind daher absolut ineffektiv, ganz zu schweigen von der zusätzlichen Erschwernis durch einen erheblichen Zeitaufwand: Die TKP/ML-Gefangenen beispielsweise waren bis zur Hauptverhandlung verstreut über ganz Bayern inhaftiert, so dass für einen Berliner oder Heidelberger Verteidiger Reisezeiten von acht Stunden oder mehr noch hinzuzurechnen sind.

VERHINDERUNG DER SCHRIFTLICHEN KOMMUNIKATION

Diese Nachteile bei Besuchen der Mandantschaft in der JVA können auch nicht durch schriftliche Kommunikation kompensiert werden. Um überhaupt mit der Mandantin schriftlich kommunizieren zu können, muss man sich schriftlich damit einverstanden erklären, dass der sogenannte ›Leserichter‹ die Post vor der Weiterleitung an die Mandantschaft kontrolliert, auch inhaltlich, also die Post vorher liest. Wenn die Verteidigung aber weiß, dass sämtliche schriftliche Kommunikation mit der Mandantschaft durch einen Richter oder eine Richterin mitgelesen wird, wird sie die schriftliche Kommunikation nur eingeschränkt für eine sachgerechte Verteidigung nutzen (können). Keine Verteidigung wird sensible Informationen, die die Verteidigungsstrategie unmittelbar betreffen, auf einem derartigen ›Postweg‹ kommunizieren.
Davon unabhängig ist die Kontrollrichteranordnung auch mit einer erheblichen Verzögerung der Verteidigerpost verbunden. In der Regel dauert die Kontrolle der Post mehrere Wochen, im Münchner Verfahren gar bis zu sechs Wochen. Selbst kurze Schreiben in deutscher Sprache brauchten nicht unter zwei Wochen. Es ist offensichtlich, dass der Postweg zur Absprache mit der Mandantschaft ausgeschlossen ist, wenn das Gericht beispielsweise die Anklageschrift zustellt und eine Erklärungsfrist von fünf Wochen setzt.
Die Verteidigung musste auch die Erfahrung machen, dass das Bewusstsein über die Sensibilität der zu kontrollierenden Post bei den zuständigen ›Leserichter‹ nicht sehr ausgeprägt ist. So wurde durch einen Leserichter teilweise Post offen, d.h. ohne Umschlag, an die Anstalt weitergeleitet, so dass durch die JVA-Beamtinnen und -beamten Kenntnis von dem Inhalt der Schreiben erlangt werden konnte. Dies wurde moniert und in der Folge dann auch anders gehandhabt, allerdings führte es dazu, dass der nunmehr verschlossene Umschlag erneut von Beamten und Beamtinnen geöffnet wurde, weil der Kontrollrichter keinen Absender vermerkt hatte und so den Beamtinnen und Beamten nicht ersichtlich war, dass es sich um Post der Verteidigung handelte.

Besonders skandalös war allerdings der Umgang der ›Kontrollrichter‹ mit den beauftragten Dolmetscherbüros. Da die schriftliche Kommunikation zwischen der Verteidigung und der Mandantschaft in der Regel nicht in der deutschen Sprache geführt worden ist, musste die Post durch die ›Kontrollrichter‹ zunächst in die deutsche Sprache übersetzt werden (wodurch es noch zu weiteren zeitlichen Verzögerungen gekommen ist). Teilweise haben die ›Kontrollrichter‹ Übersetzungsbüros nach Kostengesichtspunkten ausgewählt, wobei dann auch nicht immer auf vereidigte Dolmetscher*innen Wert gelegt wurde. Auch wurde seitens der ›Kontrollrichter‹ gegenüber den beauftragten Dolmetscher*innen kein gesonderter Hinweis erteilt, dass es sich um sensible Dokumente handelt und die Dolmetschenden einer besonderen Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegen.
Erst durch entsprechende Anträge seitens der Verteidigung wurde weiter bekannt, dass bei den beauftragten Dolmetscher*innen noch Kopien bzw. Dateien aus dem entsprechenden Übersetzungsauftrag der ›Kontrollrichter‹ vorlagen und erst nach der Intervention der Verteidigung an diese der Auftrag erteilt wurde, diese zu löschen bzw. zu vernichten. In einem Fall wurde sogar offenbar, dass Post der Verteidigung durch das beauftragte Dolmetscherbüro an Sub-Übersetzer*innen in die Türkei – per E-Mail – übersandt und dort übersetzt worden war. Da sich das hiesige Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder einer Partei, die den türkischen Staat bekämpft, richtet, war somit davon auszugehen, dass diese auf elektronischem Weg übersandte Post von dem türkischen Geheimdienst mitgelesen worden ist.
Sämtliche Umstände wurden von der Verteidigung im Zwischenverfahren und in der Hauptverhandlung thematisiert. Es wurde beantragt, die auf § 148 Abs. 2 StPO gestützten Anordnungen aufzuheben – ohne Erfolg. Der zuständige OLG-Senat lehnte den entsprechenden Antrag auf Aufhebung seitens der Verteidigung mit dem – unzutreffenden – Argument ab, dass ihm »die Hände gebunden« seien.

PERSPEKTIVE

Der Umgang der Justiz mit der ›Soll‹-Vorschrift ist nicht einheitlich. Nach der Rechtsprechung wird dann von einer Anordnung abgesehen oder eine bereits erlassene Anordnung aufgehoben, wenn die Vereinigung nicht mehr existiert (wie im NSU-Verfahren) oder seitens des Beschuldigten ein Geständnis und/oder eine Lossagung von der Vereinigung erfolgt ist. Nach der Rechtsprechung des EGMR (NJW 2003, 1439, 1441) dürfen Schreiben eines Häftlings an seine Anwaltschaft oder umgekehrt nur in Ausnahmefällen mitgelesen werden: Wenn die Behörden Anlass zur Annahme haben, dass der Inhalt des Schreibens die Sicherheit der Vollzugsanstalt oder Dritter gefährdet oder in einer anderen Weise verbrecherischer Natur ist. Die Annahme eines Missbrauchs des privilegierten Kommunikationsweges zwischen Mandant*innen und Verteidigung setzt das Vorliegen entsprechender Tatsachen oder Informationen voraus. Dies bedeutet, dass es besonderer Umstände, die in der Vereinigung selbst, den Inhaftierten und/oder deren Verteidigung liegen, bedarf, um einen Eingriff in das geschützte Verhältnis zwischen Mandantschaft und Verteidigung zu rechtfertigen.
Im ›Münchner Kommunistenverfahren‹ gibt es solche Umstände nicht. Gegen die Verteidiger*innen wurde noch nie der Vorwurf erhoben, den privilegierten Kommunikationsweg zu missbrauchen. Und den Angeklagten selbst wird keinerlei Straftat (neben dem § 129b StGB) und erst recht keine Gewaltstraftat in der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfen; auch gibt es keinerlei Erkenntnisse, dass die TKP/ML für Straftaten in Deutschland verantwortlich ist. Die Vereinigung ist auch weder verboten, noch wird sie auf irgendeiner nationalen oder internationalen ›Terrorliste‹ (außer in der Türkei) geführt. Zudem haben, wenn, dann die Ermittlungsbehörden Gelegenheit zur Perpetuierung der ›terroristischen Umtriebe‹ gegeben; haben sie doch erst nach fast zehn Jahren aufwändiger Ermittlungen und Observationen willkürlich das Signal zur Inhaftierung der Beschuldigten gegeben, ohne erkennbaren aktuellen Anlass, schon gar nicht wegen des Bevorstehens konkreter Straftaten.
Die Probleme mit § 148 Abs. 2 StPO sind zwar nicht neu, sie sind aber nicht länger hinzunehmen. Trennscheibe bei Verteidigungsbesuchen und richterliche Kontrolle von Verteidigungspost führen zu einer nicht hinnehmbaren Einschränkung von Verteidigungs- und Beschuldigtenrechten in Verfahren, die ohnehin schon durch die Einschränkung rechtsstaatlicher Mindeststandards geprägt sind. Die oben aufgeführten Umstände aus der Praxis sollten Anlass dazu geben, seitens der organisierten Anwaltschaft wieder die Forderung nach Abschaffung des § 148 Abs. 2 StPO auf die Tagesordnung zu setzen. Der RAV wird dies tun.

Dr. Peer Stolle und Martin Heiming verteidigen in dem ›Münchner Kommunistenverfahren‹ und sind Mitglieder sowie jetziger bzw. vorheriger Vorstandsvorsitzender des RAV.