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Bundesregierung im Dienst der Polizeigewerkschaften

LAUT § 114 StGB-E DIE ›BESSEREN MENSCHEN‹?
Michael Brenner und Yunus Ziyal

Am 8. Februar 2017 hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur »Stärkung des Schutzes« von Vollstreckungsbeamtinnen und -beamten sowie Rettungskräften beschlossen. Dieser beinhaltet insbesondere eine Änderung der §§ 113 ff. StGB. Der geplante § 114 StGB sieht künftig bei tätlichen Angriffen gegen Vollstreckungsbeamtinnen und -beamte eine erhöhte Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe vor. Darüber hinaus ist geplant, den Katalog der besonders schweren Fälle des Widerstands (§ 113 Abs. 2 StGB) zu erweitern. Künftig soll hier auch die gemeinschaftliche Tatausführung ein Regelbeispiel darstellen. Beim Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB) soll die Verwendungsabsicht gestrichen werden, so dass hier die gleichen Auslegungsprobleme wie bei § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB (Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl) entstehen.
Der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf aus dem Bundesjustizministerium ist weder von Fakten noch von juristischer Vernunft getragen. Vielmehr haben sich Heiko Maas und sein Haus von strategischen ›Anheizern‹ der Polizeigewerkschaften leiten lassen, die seit Jahren einen besonderen strafrechtlichen Schutz für ihre Klientel fordern. Der Gesetzentwurf wird mit der nicht belegten Behauptung begründet, Polizeikräfte seien in steigendem Maße tätlichen Angriffen ausgesetzt. Dabei sprechen schon die staatlichen Kriminalstatistiken, Umfragen und Lagebilder gegen einen dramatischen Anstieg der Gewalt. Zählte die polizeiliche Kriminalstatistik im Jahr 2011 noch 22.839 Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt, waren es im Jahr 2015 nur noch 21.945. Die meisten Angriffe auf Polizeikräfte finden im häuslichen Bereich statt, z.B. bei Ruhestörungen, wie selbst den Statistiken der Polizeibehörden zu entnehmen ist. Der Anteil von ›Demonstrationen/Fußball‹ liegt bei unter zehn Prozent. Hinzu kommt, dass in einigen polizeilichen Kriminalstatistiken Beleidigungen als ›Gewalt gegen Polizeibeamte‹ eingestuft werden – so etwa in Bayern, wo 41 Prozent der ›Gewaltdelikte‹ in den Bereich der Beleidigung fallen (vgl. Landeslagebild Gewalt gegen Polizeibeamte in Bayern 2015).

AUCH HANDWERKLICH NICHT ÜBERZEUGEND

Auch aus juristisch-handwerklicher Sicht kann das geplante Gesetz nicht überzeugen. Die zur Begründung der Initiative genannten Fälle werden auch schon heute ausnahmslos durch das Strafgesetzbuch erfasst, etwa durch den Tatbestand der (ggf. versuchten) Körperverletzung bzw. der Nötigung. Wird gemeinschaftlich mit anderen oder mit gefährlichen Gegenständen vorgegangen, beträgt die Mindeststrafe bereits jetzt sechs Monate Freiheitsstrafe. Somit besteht keine Strafbarkeitslücke und ist also auch kein sachlicher Grund ersichtlich, warum ein ›Sonderparagraph‹ in Hinblick auf Vollstreckungsbeamt*innen notwendig sein sollte, der diese stärker schützt als jede Bürgerin und jeden Bürger.
Gleichwohl ist der Gesetzentwurf nicht nur symbolischer Natur, sondern geht in seiner praktischen Bedeutung weit darüber hinaus. Die Änderungen leisten einen weiteren Beitrag dazu, die Verhältnisse zu verschieben: weg von Bürgerrechten, hin zu rechtlichen Freiräumen für die Exekutive. Hierfür spricht, dass der § 113 StGB ursprünglich als Privilegierungsnorm gedacht war. Normalerweise wäre sämtliches von § 113 StGB erfasste Verhalten bereits durch den Tatbestand der Nötigung pönalisiert. Um der besonderen (Belastungs-)Situation von Bürgerinnen und Bürgern, die einer Vollstreckungshandlung ausgesetzt sind, gerecht zu werden, wurde der Widerstandsparagraph geschaffen, der dieser Situation Rechnung trug, indem das Straf-Höchstmaß bei lediglich zwei Jahren Freiheitsstrafe lag. Nachdem der Gesetzgeber im Jahr 2011 – erkennbar beeinflusst durch entsprechende Forderungen der Polizeigewerkschaften – durch das 44. Strafrechtsänderungsgesetz das Strafmaß auf bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe erhöht und damit an den Nötigungstatbestand angeglichen hat, macht der neue Gesetzesentwurf aus den §§ 113, 114 StGB endgültig eine Sonder-Schutznorm für die Polizei. So wird in der Regel das Anrempeln einer Bürgerin durch eine andere Bürgerin, wenn diese zufällig ein Taschenmesser in ihrem Rucksack bei sich führt oder ein Pfefferspray in der Handtasche – straffrei bleiben. Geschieht dieselbe Handlung gegenüber einer Polizeibeamtin, wird man mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe sanktioniert. Es gibt keinen sachlichen Grund – jedenfalls nicht in einer, rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten Demokratie –, Staatsdiener*innen einen höheren Schutz zu gewähren als den Bürgerinnen und Bürgern sowie damit die Staatsräson über Bürgerrechte zu stellen.

Bereits jetzt nehmen Polizeikräfte – insbesondere in Verfahren wegen Widerstands oder Landfriedensbruchs – erheblichen Einfluss auf den Strafprozess. Oftmals werden Beschuldigungen wegen Widerstands erhoben, wenn Bürger*innen bei einem Polizeieinsatz selbst verletzt wurden oder ihrerseits den Vorwurf ungerechtfertigter Gewaltanwendung durch Polizeibeamte erheben. In diesen Fällen sind meist Polizeikräfte die einzigen Zeug*innen. Ein gelebter Korpsgeist und die Tatsache, dass die Polizei selbst entscheidet, welches Videomaterial sie den Gerichten als Beweismittel vorlegt, führen im Gerichtsalltag zu einer strukturellen Beweishoheit der Polizei. Diese fehlende Waffengleichheit wird noch dadurch verstärkt, dass Polizei-Lobbyisten u.a. durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit versuchen, Druck auszuüben und Einfluss auf gerichtliche Entscheidungen zu nehmen. Der durch die Bundesregierung verabschiedete Gesetzesentwurf verstärkt dieses Ungleichgewicht im Verfahren.

DE FACTO STRAFFREIHEIT BEI ÜBERGRIFFEN

In der Rechtspraxis wird das Gesetz vor allem höhere Strafen bedeuten – aber nicht die gewünschte Wirkung erzielen. Gerade im Bereich emotionaler, situativ entstehender Handlungen führt eine höhere Sanktionsdrohung nicht zu mehr Abschreckung. Ginge es wirklich um ein besseres Verhältnis zwischen Bevölkerung und Polizei, wäre eine unabhängige Untersuchung interessant, die untersucht, weshalb es zu Konfliktsituationen im polizeilichen Einsatzgeschehen kommt. In diesem Zusammenhang ist es auch entlarvend, dass das von Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international immer wieder aufgeworfene Thema von Gewalt durch Polizeikräfte seitens der Bundesregierung und der Polizeigewerkschaften ignoriert und kleingeredet wird. Erinnert sei nur an die Äußerung des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, im Zusammenhang mit dem Bericht über die Misshandlung des zunächst verdächtigen Pakistaners, der nach dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz festgenommen wurde, es sei »völlig ausgeschlossen, dass Beamte Verdächtige schlagen«. Nach Ansicht der DPolG soll Polizeikräften damit die Definitionsmacht für Konflikte zwischen Bürger*innen und Polizeikräften zugesprochen und ihnen damit de facto Straffreiheit für Übergriffe gewährt werden. Auch wenn man erwarten sollte, dass solche Äußerungen Anlass für die Bundesregierung sein müssten, sich des Themas ›Polizeigewalt‹ und dem fehlenden Rechtsstaatsverständnis bei führenden Polizeivertretern anzunehmen, stellt die Bundesregierung den Schutz von Staatsdiener*innen über den von Bürgerinnen und Bürgern. Die rechtliche Bindung und Kontrolle der Exekutivgewalt wird so in der Praxis massiv eingeschränkt.

Michael Brenner und Yunus Ziyal sind Rechtsanwälte in Nürnberg sowie Mitglieder im RAV.

Überschriften und Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.