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Mieten und Wohnen-Konferenz in Hamburg

Ein guter Start

BENJAMIN RAABE UND HENRIK SOLF

Am 25. und 26. September 2015 fand in Hamburg die erste Konferenz des neu gegründeten Netzwerkes ›Mieten und Wohnen‹ statt. Der RAV ist Teil des Netzwerkes und hat die Konferenz finanziell und personell unterstützt, wie bereits im Infobrief #111 (2015) berichtet.
Das Netzwerk ›Mieten und Wohnen‹ lud ein und ca. 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Fachkreisen und Initiativen kamen zur Auftaktkonferenz nach Hamburg. Fehlentwicklungen in der Wohnungs- und Mietenpolitik brannten ihnen unter den Nägeln. Und so wurde zwei Tage lang intensiv über neue Weichenstellungen im Mietrecht, bei der Finanzierung und der Trägerschaft von preisgünstigem Wohnraum sowie neue Beteiligungsstrukturen diskutiert.
Die Konferenz fand in den Räumen der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg statt. Zu Beginn führte Prof. Sabine Stövesand, die selbst an der HAW lehrt, ins Thema ein. Sie schlug auch einen großen Bogen zu weiteren Themen wie Obdachlosigkeit, Sozialraum und Wohnraumversorgung für benachteiligte Personengruppen. Anschließend wurde in den vier Arbeitsgruppen themenbezogen gearbeitet. Inhaltlich unterstützt wurden die Arbeitsgruppen durch Fachreferate. Die Gruppen wurden professionell moderiert. Dies trug wesentlich zu guten Ergebnissen der Arbeit bei. Nachfolgend zu den einzelnen Arbeitsgruppen.

I. GEMEINNÜTZIGKEIT 

Die Einführung einer neuen Gemeinnützigkeit, über die bezahlbarer und sozial gebundener Wohnraum dauerhaft geschaffen und erhalten werden soll, war eines der drängenden Themen dieser Konferenz. Nach Meinung vieler Expertinnen und Experten war die Abschaffung der Gemeinnützigkeit zum Jahr 1990 ein großer Fehler und der Beginn des Niedergangs des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland. Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit war im Zusammenhang mit der ›Liberalisierung‹ des Wohnungsmarktes politisch gewollt. Anlass für die Abschaffung waren die Skandale um Veruntreuung des gewerkschaftseigenen, gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmens ›Neue Heimat‹.
Tatsächlich rächt sich inzwischen, dass es außerhalb des sozialen Wohnungsbaus kaum mehr Wohnungen mit Belegungsbindung gibt, für die damals die gemeinnützigen Wohnungs­unternehmen standen. Bedingt optimistisch stimmte die Teilnehmenden die Herausforderung durch die verstärkte Zuwanderung von Geflüchteten nach Deutschland. Denn in der Vergangenheit standen Kurswechsel in der Wohnungspolitik immer im Zusammenhang mit Migrationsbewegungen, so der Berliner Wissenschaftler Armin Hentschel in seinem Vortrag. Stefan Kofner (Hochschule Zittau/Görlitz) legte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Konzepte zur Wohnraumförderung dar. Knut Unger aus dem ›Mieterbüro Ruhr‹ skizzierte Ideen für eine neue Gemeinnützigkeit. Jan Kuhnert von der Kommunalberatung in Hannover entwickelte integrierte Ideen für neue Träger und deren Finanzierung etwa durch die Einbindung in eine neue Gemeinnützigkeit. Diskutiert wurde ein Konzept der dauerhaften Wohnraumförderung als Alternative zur nur zeitlich befristeten Förderung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus. Nach Ablauf des 30 bis 40 Jahre andauernden Bindungszeitraums wird aus den staatlich massiv geförderten Sozialwohnungen Wohnraum ohne jegliche preisliche Bindung. Demgegenüber soll durch die Steuervergünstigung für gemeinnützigen Wohnungsbau dauerhaft eine Belegungs- und Kostenbindung sichergestellt werden, um so auch diejenigen Bevölkerungsgruppen mit Wohnraum zu versorgen, die sonst auf dem Wohnungsmarkt keine Chance haben. Viel Zustimmung fand das Konzept, über den Grad der Steuerbefreiung eine besondere soziale Verantwortung der Wohnungs­unternehmen zu goutieren (mehr Bindung = mehr steuerliche Förderung). Das Forum hatte sich auch dafür ausgesprochen, möglichst auch kurzfristig umsetzbare Übergangsmodelle zu entwickeln, damit die jetzt deutlich erhöhten Fördermittel nicht wieder in schlechten und unwirksamen Programmen versickern.
Aus dem Forum heraus hat sich eine Arbeits­g­ruppe gebildet, die eine Kampagne zur Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit plant. Über mehrere zentrale Vorbereitungstref­f­en und regionale Diskussionsforen wird für den Sommer 2016 eine größere Veranstaltung des neuen Bundesnetzwerks unter Beteiligung des Deutschen Mieterbunds (DMB) und anderen Bündnispartnerinnen und -partnern außerhalb des Netzwerkes vorbereitet.

II. WARMMIETENNEUTRALE MODERNISIERUNG 

Das Thema warmmieten-neutrale Modernisierung wurde ausgiebig und kontrovers diskutiert. Die Referierenden Carola Handwerg, Udo Sieverding und Armin Hentschel stellten die unterschiedlichen Aspekte der energetischen Gebäudesanierung dar. Die Beteiligten waren sich weitgehend darin einig, dass im Rahmen der Energiewende der Gebäudebestand saniert und der Energieverbrauch gesenkt werden muss. Allerdings führen die energetischen Sanierungen nach der derzeitigen Rechtslage zu massiven Mietsteigerungen und damit zur Verdrängung der ortsansässigen Bevölkerung. Die Kosten einer Modernisierung können zu 11 Prozent auf die Jahresmiete umgelegt werden. Jedoch übertreffen diese Mieterhöhungen regelmäßig die Einsparungen an Energiekosten erheblich, teilweise sogar um mehr als das Zehnfache.
Dabei waren unterschiedliche Standpunkte nur schwer zusammenzubringen: die Umweltschützerinnen und -schützer, die etwa die hochwertige Gebäudedämmung zur Erreichung der Klimaschutzziele als zwingend erforderlich ansehen, und die Mietervertretungen, die insbesondere Wärmedämmungsmaßnahmen für völlig überzogen halten. Auch wenn sich die Arbeitsgruppe letztlich auf kein Ergebnis verständigen konnte, hat die Diskussion doch das Verständnis füreinander gefördert. Dies kann eine Basis für weitere Diskussionen und Lösungen des Konfliktes darstellen: Denn dauerhaft bedarf es des Klimaschutzes und der Wohnraumversorgung für alle; das eine kann es nicht auf Kosten des anderen geben. 

III. SOZIALES MIETRECHT NEU DENKEN 

Eine Arbeitsgruppe aus JuristInnen und NichtjuristInnen diskutierte ein neues, mieterfreundliches Mietrecht. Ein Experiment, das alle Beteiligten als besonders spannend und anregend empfanden. Diskutiert wurde vor allem über eine Reform des Kündigungsrechts und über eine alternative Gestaltung der Miethöhe. Gerade in den letzten Jahren hat der BGH den Kündigungsschutz der Mietenden massiv aufgeweicht. So verlieren Mietende bei Zahlungsverzug selbst dann die Wohnung, wenn sie ihre Schuld begleichen. Wehren sich Mietende gegen Modernisierungsmaßnahmen, soll ihnen gar der Verlust des Wohnraums drohen. Möchte die entfernte Nichte des Vermieters die vermietete Wohnung beziehen, muss die Mieterin weichen. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass der Gesetzgeber hier massiv zu Gunsten der Mietenden eingreifen muss. Diskutiert wurde eine Verpflichtung der Vermieter zur Stellung von Ersatzwohnraum, wenn sie Mietende wegen Eigenbedarfs kündigen wollen. Die Arbeitsgruppe beschäftigte sich auch mit der Idee, Vermieter bei Vertragsverstößen der Mietenden zunächst gerichtlich auf vertragsgerechtes Verhalten verpflichten zu lassen, bevor sie das Mietverhältnis beenden können. Einig waren sich die Teilnehmenden darin, dass das Wohnraummietverhältnis grundsätzlich unkündbar sein sollte.
Beim Thema Miethöhe diskutierten die Teilnehmenden Alternativen zur ortsüblichen Vergleichsmiete, an deren Höhe sich derzeit sowohl die Kosten bei der Wiedervermietung als auch bei Mieterhöhungen orientieren. Neben einer kostenorientierten Miete erörterten die Teilnehm­enden auch eine regionale Steuerung der Miet­höhe über die Kommunen. Ein Ergebnis konnte noch nicht erzielt werden, die Diskussion wird fortgesetzt.
Zur Einstimmung auf die Diskussion gab es für die Teilnehmenden Vorträge zur Geschichte des deutschen Mietrechts und einen Blick ins europäische Ausland. Gerade in der Nachkriegszeit gab es in Westdeutschland einen regulierten Miet­markt. Es gab Mietobergrenzen, um der da­mals dramatischen Wohnungsnot entgegenzutreten. Erst mit Entspannung des Wohnungsmarkts wurde das Mietrecht ›liberalisiert‹, die Mieterschutzrechte abgebaut. Benjamin Raabe berichtete über das Mietrecht in Dänemark, den Niederlanden und in Österreich. Auffallend sind die unterschiedlichen Regelungen für unterschiedliche Wohnungsmärkte, Regelungen zum Schutz vor überhöhten Mieten, aber auch Verpflichtungen für die Vermieter, die in Deutschland bisher undenkbar wären. Die Arbeit der Arbeitsgruppe wird fortgesetzt, inzwischen liegt bereits der Entwurf für eine Gesetzesänderung zum Kündigungsschutz vor.

IV. BETEILIGUNG 

Hier ging es darum, Verfahren für ein sozialeres menschenwürdiges Wohnen zu angemessenen Bedingungen für alle zu entwickeln. Die AG sollte ein think tank und Vernetzungsort für Ideen zur Verbesserung des bezahlbaren Wohnens, seiner Organisation, Finanzierung und seines Rechts sein. Es soll eine Plattform für einen interdisziplinären Austausch sein. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die MieterInnenbewegungen gestärkt und die Initiativen unterstützt werden müssen, um auf die Politik einzuwirken. Außerdem muss das Fachwissen gebündelt und für die politischen Ziele nutzbar gemacht werden. Unter den Teilnehmenden bestand darüber hinaus auch Einigkeit, dass Mitsprachemöglichkeiten bei der Stadtteilentwicklung wichtig sind. Dabei wurden die Hausbesetzungen der 1980er Jahre genauso thematisiert wie die Bürgerhaushalte in Berlin-Lichtenberg oder die Arbeit von Nachbarinnen und Nachbarn, die alle Bewohner und Bewohnerinnen an einen Tisch bringen. So ähnlich die Probleme mit hohen Mieten oder Instandhaltungsstau auch sind, so unterschiedlich sind die lokalen Antworten. Ein kontinuierlicher Austausch zwischen den Initiativen in den Städten ist geplant. Diese Arbeitsgruppe war am besten besucht. Teilnehmende aus verschiedensten Berufszweigen und Regionen haben die Zeit nicht nur genutzt, um an dem Thema zu arbeiten, sondern auch praktisch Netzwerke geknüpft, Adressen ausgetauscht und Verfahren vereinbart, um Beteiligung zu leben. 

V. FAZIT 

Im Ergebnis lässt sich festhalten: Für das Netzwerk ›Mieten & Wohnen‹ war die Konferenz in Hamburg ein guter Start. Zwei der Arbeitsgruppen, die sich auf dem Kongress gebildet haben, arbeiten weiter und werden die in Hamburg diskutierten Ideen fortentwickeln. Ziel soll es sein, so auch Einfluss nehmen zu können und die Verhältnisse zu Gunsten der Mietenden zu verändern. Einigkeit bestand aber auch, dass wir lange nicht alle drängenden Themen in Hamburg ansprechen konnten. Dafür ist das Thema schlicht zu komplex. Weitere Arbeitsgruppen mit weiteren Themen bilden sich und werden sich bilden. Es geht weiter, so die einhellige Meinung dieser Initiative aus alternativen Mietervereinen, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, von Interessenvertretungsorganisationen wie ›Hinz & Kunzt‹ sowie Initiativen aus den ›Recht auf Stadt‹-Netzwerken.
Das Netzwerk ist inzwischen als Verein eingetragen, der Verein ist gemeinnützig. Das Netzwerk ist nicht nur für Vereinsmitglieder, sondern für alle wohnungspolitisch Interessierte offen. Seit der Konferenz hat sich das Netzwerk bereits zweimal getroffen, weitere Treffen sind geplant. Wir haben uns Ziele gesetzt. 

DAS NETZWERK

  • steht für sozialeres menschenwürdiges Wohnen zu angemessenen Bedingungen für alle.
  • soll ein think tank und Vernetzungsort für Ideen zur Verbesserung des bezahlbaren Wohnens, seiner Organisation, Finanzierung und seines Rechts sein.
  • soll eine Plattform für einen interdisziplinären Austausch sein.
  • soll Mieter- und Mieterinnenbewegungen stärken und Initiativen unterstützen, auf die Politik einzuwirken.
  • soll Fachwissen bündeln und für die politischen Ziele nutzbar machen.
  • soll auch den Menschen einen Ort geben, die nicht organisiert sind, weil es für sie keine Organisation gibt, in der sie sich heimisch fühlen, die aber an unseren Themen ›dran‹ sind.
     

Für den Herbst ist die nächste wohnungspolitische Konferenz in Berlin geplant.
Mehr Infos: www.netzwerk-mieten-wohnen.de 

Benjamin Raabe und Henrik Solf sind Rechtsanwälte in Berlin; Benjamin Raabe ist Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV.