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Buchhändler sind keine Laien-Juristen

BERLINER STAATSANWALTSCHAFT WILL BUCHHÄNDLER IN HAFTUNG NEHMEN

VON OLIVER TOLMEIN

Der in diesen Tagen bei allerlei Gelegen- und Ungelegenheiten gern zitierte Bundeskanzler des Deutschen Herbstes und ehemalige Wehrmachtsoffizier Helmut Schmidt hat Buchhandlungen einmal als »geistige Tankstellen« bezeichnet. Eine Charakterisierung, die dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels so gut gefällt, dass er sie auf seiner Homepage gleich mehrfach erwähnt. Dass Handelsketten die Wirklichkeit längst auch auf dem Buchmarkt bestimmen, ist das Eine, was einem als regelmäßiger Besucher von Buchhandlungen dazu einfällt. Dass Benzin in Sonderfällen nicht nur eingesetzt wird, Autos in Bewegung zu bringen das Andere. Auf jeden Fall haben es aber freie Tankstellen, verkaufen sie nun Bücher oder treten sie gegen Shell und Konsorten an, schwer. In Berlin gilt das für einige von ihnen derzeit besonders – wenngleich aus Gründen, die weder etwas mit freier Marktwirtschaft noch mit sonstigen Konzentrationsprozessen zu tun haben.

UNGEWÖHNLICHE KUNDSCHAFT AUF DER SUCHE NACH LINKEN ZEITSCHRIFTEN

Es liegt an der Kundenstruktur, die sich in den letzten Monaten offensichtlich verändert: Unter die frei flottierende Leserschaft, die nach unterhaltsamem, nützlichem, auf- oder anregendem Lesestoff sucht, mischen sich immer häufiger ernste Profis, die sehr präzise und sehr enge Vorstellungen von dem haben, was sie suchen und die zudem keineswegs willens und bereit sind dafür zu bezahlen. Stattdessen nehmen sie, haben sie Objekte ihrer Begierde einmal gefunden, diese einfach mit – und zwar vollständig, wenn es sein muss auch in größeren Mengen. Zuletzt so geschehen am 22. Dezember 2010 in den Buchläden Schwarze Risse im Mehringhof und der Kastanienallee, im Buchladen oh21 und im Infoladen M99.

Statt Geld haben die Menschen mit so namensrechtlich bedenklichen Bezeichnungen wie »Beamter mit der Codiernummer 99100007« (»zu laden über den Polizeipräsidenten in Berlin«) Beschlagnahmebeschlüsse für die linke Szenezeitschrift Interim mit sich. (Es war, auch wenn die Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft im seit vielen Jahren rot-rot regierten Stadtstaat Berlin, der Religion in den allgemein – und damit auch polizeibildenden – Schulen nur noch als freiwilliges Zusatzfach kennt, dabei weder die biblischen sieben Plagen der Endzeit noch die sieben fetten oder dürren Jahre im Sinn hatte, die siebte (und letzte) Durchsuchung 2010.Zu wie vielen Verfahren das gegenwärtige Vorgehen des Staatsschutzes gegen linke Berliner Buchläden, die die Interim vertreiben, führen wird, ist derzeit noch nicht absehbar.

Derzeit laufen vier Verfahren. Der erste Prozess dieser Art fand am 18. Februar 2011 vor dem Amtsgericht Berlin Tiergarten statt. Angeklagt war der Geschäftsführer des Buchladens oh21.(1)

Die Vorwürfe, die gegen die Buchhändlerinnen und Buchhändler erhoben werden, sind weitgehend identisch: Sie sollen gegen § 130a StGB (Anleitung zu Straftaten) in Verbindung mit § 40 WaffG (Verbotene Waffen) verstoßen haben, indem sie Ausgaben der Zeitschrift Interim »für die Kunden zur Mitnahme griffbereit im öffentlichen Bereich der Geschäftsräume« ausgelegt haben und »zumindest billigend in Kauf« genommen haben sollen, dass »sich auf Seite 6 des Druckwerks folgende Textstellen finden: ›Da es im letzten Jahr zum 1. Mai auch wieder verstärkt zu Molli-Würfen kam, wollen wir mit dieser kurzen Anleitung nochmal zeigen, wie ihr die Teile ... sicher baut ...‹« Auch, dass es in der inkriminierten Zeitschrift auf dem Deckblatt hieß »1.MAI NAZIFREI AUF NACH BERLIN« wurde von der Anklagebehörde missbilligend registriert, ebenso wie der Abdruck eines, seit einiger Zeit nach offizieller Sprachregelung ja als »Selbstbezichtigungsschreiben« zu bezeichnendes Bekennerschreiben, das einen Anschlag auf einen Geldautomaten zum Gegenstand hat, die Bauanleitung für einen elektronischen Zeitzünder, aber auch der Aufruf am 1.Mai »Kapitalismus & Nazis die Zähne zu zeigen« wird erwähnt, um die angebliche Strafbarkeit des Tuns der Buchhändler zu unterfüttern.

§ 130A: PARADEBEISPIEL EINES POLITISCH MOTIVIERTEN STRAFRECHTS

§130a StGB wird als sogenanntes Kommunikations- oder Verbreitungsdelikt gesehen. Der renommierte Leipziger Kommentar skizziert den Ursprung der Vorschrift, die im Kaiserreich liegt: »Anlass des im Jahr 1871 in das Reichsstrafgesetzbuch eingefügten §?130a war der beginnende Kulturkampf der Reichsregierung gegen den politischen Katholizismus. Der ›Kanzelparagraph‹ richtete sich gegen katholische Geistliche und stellte unter Strafe, wer Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung machte.«

1981 wurde der § 130a StGB wegen der von ihm ausgehenden Gefahr für die Meinungsfreiheit abgeschafft, 1986 hielt ihn die Gesetzgeber aber wieder für erforderlich – und zwar in einer gegenüber den früheren Fassungen erheblich erweiterten Form. Verglichen mit anderen Delikten dieser Art (Anstiftung zu einer konkreten Straftat nach §§26, 30 StGB oder Aufforderung zu Straftaten nach §111 StGB) zielt die Strafbarkeit der bloßen Anleitung auf ein weit ins Vorfeld konkreter Straftaten verlagertes Handeln. Es reicht hier, wie der Leipziger Kommentar dankenswert deutlich schreibt, »eine Beeinflussung in subtiler, mittelbarer Weise durch unterschwellige Motivierung zur Tatbegehung nach dem anleitenden Strickmuster. Maßgeblich ist, ob mit der tendenziell auf Begehung gerichteten Handlungsbeschreibung ein Nachahmungsanreiz geschaffen wird.« Wegen dieser weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit und der zudem wenig bestimmten Formulierung der Vorschrift entzündet sich an ihr auch viel Kritik. In der strafrechtlichen Literatur wird der § 130a StGB auch als »Paradebeispiel eines politisch motivierten Strafrechts« bezeichnet.

Insofern ist es zwar erklärlich (BuchhändlerInnen sind anders als die MitarbeiterInnen der Interim leicht heimzusuchen), aber gerade deswegen höchst bedenklich, wenn nun mit dieser extrem weit und unbestimmt gefassten Vorschrift nun ausgerechnet gegen BuchhändlerInnen vorgegangen wird, deren Läden sich von Tankstellen dann doch darin unterscheiden, dass sie nicht nur Bounty, Bild und Biodiesel verkaufen, sondern bekanntlich ein höchst vielfältiges Sortiment auf Lager haben. Dass sie mit Inhalt, Stil und Ausgestaltung der einzelnen Werke, die sie zudem schon aus zeitlichen Gründen im Einzelnen oft überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen können, auch nur ansatzweise übereinstimmen, ist selbst bei spezialisierten Buchhandlungen, wie es linke Buchhandlungen in gewisser Hinsicht sind, nicht anzunehmen.

Das haben in den 1980er Jahren, die nicht gerade als Jahrzehnt besonders liberaler Strafrechtspraxis in die Geschichte eingegangen sind, auch die Gerichte so gesehen. Prozesse, die damals von Staatsanwaltschaften (auch in Berlin) gegen BuchhändlerInnen angestrengt worden sind, die die ebenfalls kriminalisierte Zeitschrift radikal vertrieben haben, führten daher nicht zur Verurteilung. Das Kammergericht Berlin hat 1987 bemerkenswert klar ausgeführt: »Im Normalfall kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Inhaber eines Buch- und Zeitschriftenhandels alle in seinem Geschäft feilgebotenen Druckerzeugnisse vor dem Verkauf liest und auf einen etwaigen strafbaren Inhalt überprüft oder überprüfen läßt; dies dürfte schon aus zeitlichen Gründen in der Regel gar nicht möglich sein (hier: Vertrieb der linksextremistischen Druckschrift ›radikal‹ Nr. 132).« (KG Berlin, Az.: (2) 2 OJs 9/86 (3/87)).

BERLINER STAATSANWALTSCHAFT WILL RECHTSPRECHUNG REVIDIEREN

Das will die Staatsanwaltschaft Berlin jetzt anders bewertet wissen. Sie stützt sich dabei nicht auf diesen Beschluss des obersten Berliner Strafgerichts, sondern auf einen anderen, der allerdings nicht linke BuchhändlerInnen ins Visier nimmt, sondern einen rechtsextremen Drucker, der auch nicht wegen Anleitung zu Straftaten, sondern im Ergebnis wegen Beihilfe zur Beschimpfung eines religiösen Bekenntnisses verurteilt worden war. Die Staatsanwaltschaft hat aus diesem Verfahren die Erkenntnis destilliert: Wer bei einer vorangegangenen Durchsuchung und Beschlagnahme auf die Tendenz des Inhalts einer Zeitschrift hingewiesen wurde, weiß auch, dass diese zu Straftaten anleitet.

Ein origineller, in seiner Konsequenz aber nicht akzeptabler Gedanke: Jeder Durchsuchungsbeschluss erwiese sich so für BuchhändlerInnen auch noch als staatsanwaltschaftliche Lese- und Prüfungsanordnung. BuchhändlerInnen sind aber keine Laien-JuristInnen zur Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen des §?130a StGB und ihre Buchhandlungen keine ausgelagerten Prüfstuben des Staatsschutzes. Dass die Öffentlichkeit auch wünscht, dass das so bleibt, sollte sie begleitend zu den anstehenden Prozessen nachdrücklich deutlich machen.

Dr. Oliver Tolmein ist Rechtsanwalt in Hamburg (Kanzlei Menschen und Rechte). Als Journalist und gelernter Jurist befasst er sich insbesondere mit den Themen Bioethik, Recht und Politik.

Fußnoten:

1 Das Urteil war zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Ausgabe noch nicht gesprochen. (Anm. d. Red.)