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Mit Beschwerdestellen, Polizeikommissionen und Polizeibeauftragten gegen Polizeigewalt und Rassismus?

Die »Zentrale Beschwerdestelle Polizei« in Sachsen–Anhalt unternimmt nichts gegen Polizeigewalt und Rassismus - ob externe Polizeikommissionen das können, ist fraglich

von Lars Ostermeier

Mit Transparenz und rechtsstaatlicher Kontrolle der Polizei sowie der Entwicklung von Ansätzen zur Prävention von Polizeigewalt und Rassismus hat die am 1. September 2009 eingerichtete »Zentrale Beschwerdestelle Polizei« (ZBP) in Sachsen–Anhalt nichts zu tun. Der Landtag in Magdeburg hatte am 28. Mai 2008 auf Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU beschlossen, »dass es bei der Organisation des Beschwerdewesens der Polizei um rein exekutives Handeln geht und der Innenminister in eigener Zuständigkeit über das Ob und Wie entscheiden wird.«1 Der Erlass, mit dem die Beschwerdestelle eingerichtet wurde, ist nicht öffentlich zugänglich und so können die genaue Struktur und die Aufgaben der Beschwerdestelle nicht transparent nachvollzogen werden – eine nicht gerade Vertrauen erweckende Konstruktion. Das Konzept der Regierung Sachsen–Anhalts wurde bereits ein Jahr vor der Einsetzung der ZBP auf einer Tagung als vollkommen unzureichend kritisiert.2

Der Unterschied der ZBP zu Beschwerdestellen der Polizei, die im Internet von Polizeien in acht anderen Bundesländern betrieben werden, liegt in der organisatorischen Angliederung der ZBP an das Innenministerium und der Ausstattung der Stelle mit eigenem Personal.3 Eigene Ermittlungsbefugnisse hat die ZBP nicht, was von Amnesty International bereits wenige Tage vor der Eröffnung kritisiert wurde.4 Die fünf Mitarbeiter der ZBP, die dem Innenstaatssekretär direkt unterstellt sind, stammen aus der Polizei, dem Innenministerium und dem Polizeipersonalrat.5 Der Innenstaatssekretär Sachsen–Anhalts bezeichnete die ZBP als ein Instrument des »modernen Beschwerdemanagements«, das dazu diene, mit »Kritik und Problemen professionell und transparent umzugehen« und »eine Chance« sei, um »Fehler abzustellen.«6 Die Funktionen und die Befugnisse der ZBP reichen daher nicht ansatzweise, wie verschiedentlich behauptet wurde, an die Konzeption der Hamburger Polizeikommission heran.7

Erste Ergebnisse

Da die ZBP erst seit knapp neun Monaten arbeitet, liegt der angekündigte Jahresbericht noch nicht vor, im April 2010 wurde jedoch eine erste Statistik zur Tätigkeit veröffentlicht.8 Danach gingen landesweit insgesamt 465 Beschwerden bei der Polizei ein, davon ca. 50 Prozent bei der ZBP. Auffällig ist, dass 121 der Beschwerden die Polizeidirektion Sachsen–Anhalt Nord betrafen. Insgesamt 19 Beschwerden an die ZBP kamen von PolizistInnen und 203 von externen BeschwerdeführerInnen. Rund 30 Prozent der externen Beschwerden richteten sich gegen polizeiliche Maßnahmen der Strafverfolgung und ca. 20 Prozent gegen Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Die restlichen Beschwerden richteten sich gegen Maßnahmen der Verkehrskontrolle und die Bearbeitung anderer Ordnungswidrigkeiten. Insgesamt 25 Prozent der Beschwerden werden nicht weiter aufgeschlüsselt und als »Sonderfälle« und »Sonstige« bezeichnet. Als häufigster »Beschwerdeanlass« werden »polizeiliche Maßnahmen« (47,4 Prozent) und »Untätigkeit/zu langes Warten« (28,3 Prozent) genannt. Gewalt und Rassismus tauchen gar nicht auf – obgleich der Tod von Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau und die schlampige polizeiliche Bearbeitung rechtsradikaler Übergriffe in Sachsen–Anhalt als Ausdruck von institutionalisierter Polizeigewalt und Rassismus den Anlass zur Gründung der ZBP gaben.

Im Ergebnis wurden von der ZBP lediglich rund 20 Prozent der Beschwerden als »berechtigt« anerkannt, rund 58 Prozent wurden als »unberechtigt« bezeichnet und bei immerhin rund 19 Prozent war der Sachverhalt »nicht aufklärbar«. Über weitere Ergebnisse und insbesondere Folgen der Beschwerden wurden, abgesehen von drei harmlosen Beispielen, bisher keine Informationen veröffentlicht. Die Intransparenz dieser Informationen wird dadurch erhöht, dass unklar ist, ob Strafanzeigen gegen PolizistInnen automatisch auch zu einer Tätigkeit der ZBP führen. Außer der Anzahl von aufgenommenen und bearbeiteten Beschwerden kann aus den veröffentlichten Daten kaum etwas über die Qualität der Beschwerden, deren Bearbeitung und die Ergebnisse und Folgen der Beschwerden abgeleitet werden.

Wagt man sich trotz der Intransparenz der Daten der ZBP an eine Interpretation, so zeichnen sich altbekannte Muster ab: Rund 80 Prozent der Beschwerden an die ZBP sind »unberechtigt« oder »nicht aufklärbar«. Diese Zahl erinnert an die regelmäßig bei 95 Prozent liegende Einstellungsquote bei Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt.9 Die hohe Ablehnungsquote der Beschwerden verweist darauf, dass die seit Jahrzehnten bestehenden Forderungen nach der Verbesserung der rechtsstaatlichen Kontrollmöglichkeiten von Polizeigewalt, der Entwicklung und Umsetzung von Präventionsmaßnahmen gegen Polizeigewalt und die allgemeine Forderung nach mehr Transparenz in der ZBP keinerlei Umsetzung finden.

Alternativen?

Doch auch die derzeitigen Initiativen zur Einführung einer Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen, die beispielsweise in Berlin und in Schleswig–Holstein diskutiert werden, dürften kaum etwas an den Ursachen von Polizeigewalt und Rassismus bei der Polizei ändern.10 Die Wirkung der Kennzeichen würde, sofern sie je eingeführt werden, vor allem die Möglichkeit rechtlicher Kontrolle polizeilicher Einsätze verbessern und so zur Transparenz beitragen – das sollte ebenso wie eine professionelle und transparente Bearbeitung von Beschwerden eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

Ob sich die in letzter Zeit vorgestellten Initiativen zur Schaffung von externen Polizeibeauftragen dazu eignen, etwas an den Ursachen von Polizeigewalt und Rassismus zu ändern, ist ebenfalls fraglich. Die Fraktion DIE LINKE hat im April 2009 im Bundestag die Einrichtung eines unabhängigen Beauftragten zur Untersuchung von Polizeigewalt mit folgenden Zielen beantragt: »Prävention von polizeilichem Fehlverhalten, die Verhinderung von Straflosigkeit für polizeilich begangene Straftaten, das Aufdecken struktureller Defizite innerhalb der Polizeiorganisation, die Überforderungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie das Unterbreiten von Lösungsvorschläge [sic!] für die Optimierung polizeilicher Handlungs– und Organisationsstrukturen«.11 Der Antrag wird vor allem mit internationalen Normen und Standards12 sowie mit zahlreichen Berichten über Rassismus bei der Polizei begründet. Doch zu den Begründungen von DIE LINKE zählt auch ein Argument, das beispielsweise die Freien Wähler in Bayern ihrem Antrag zur Einrichtung eines »Polizeibeauftragten des Freistaates Bayern als unabhängige Beobachtungs– und Beschwerdestelle« voranstellen: »Die Einrichtung eines Polizeibeauftragten trägt zudem auch zu einer besseren Kommunikation, Motivation und mehr Zufriedenheit innerhalb der Polizei bei. Hierdurch werden Fehlentwicklungen und Missstände innerhalb der Polizei schneller erkannt und entsprechend vermieden werden.«13 Damit soll der Polizei schmackhaft gemacht werden, dass sie stärkerer Kontrolle unterworfen werden soll. Wie weit die Idee schon verbreitet ist, dass der Kritik an Polizeigewalt lediglich durch eine »Effektivierung« der Polizei begegnet werden soll, zeigt ein Antrag der hessischen SPD vom April 2010. Darin wird als »Problem«, das den Anlass zur Einrichtung eines/einer Polizeibeauftragten gibt, Polizeigewalt überhaupt nicht mehr genannt. Stattdessen sollen ausschließlich die Rechte von Polizisten gestärkt werden: »Aufgrund der besonderen hierarchischen Struktur der Polizei ist es im Einzelfall oft für die Betroffenen schwierig, bei Vorgängen, die den Verdacht erwecken, dass sie beispielsweise die Menschenwürde, die Meinungsfreiheit oder den Rechtsschutz der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in unrechtmäßiger Weise einschränken, auf dem ordentlichen Dienstweg Hilfestellung zu erhalten.«14

In diesen parlamentarischen Initiativen kommt eine grundsätzliche politische Problematik der Diskussionen über externe Polizeikommissionen zum Ausdruck: Kontrolle und Effektivierung der Polizei werden in Gremien dieser Art miteinander verbunden. Das trifft auch für einen Muster–Gesetzesentwurf der Humanistischen Union zu, der die externe Polizeikommission analog zum Wehrbeauftragten des Bundestages als »Polizeibeauftragten des Bundestages« bezeichnet.15 Diese Verknüpfung von Kontrollorgan und Ombudsmann birgt die Gefahr, dass die strukturellen Probleme, die durch die Polizeikommissionen und –beauftragten gelöst werden sollen, lediglich in eine neue Institution verlagert werden. Die Frage, ob Interessenkonflikte, die in den heutigen Strukturen aus der Gleichzeitigkeit von rechtsstaatlicher Kontrolle der Polizei, transparenter und professioneller Betreuung von Opfern von Polizeigewalt und der Prävention von Polizeigewalt (vor allem durch eine Verbesserung der Ausbildung) resultieren, durch die Schaffung staatlicher Einrichtungen gelöst werden kann, dürfte entscheidend für den Erfolg für die Polizeikommissionen sein – wenn sie je eingesetzt werden.

Problematisch an der Diskussion um Polizeikommissionen ist auch die nach wie vor schmale Datenbasis, die wissenschaftlich zum Thema Polizeigewalt und der Wirkung von Präventions– und Kontrollmechanismen erhoben wurde. Die durch einige Vorschläge für Polizeikommissionen vorgesehene Verbesserung amtlicher Statistiken kann die Notwendigkeit von mehr wissenschaftlichen Studien zu diesen Themen nicht beheben.

Weitere grundsätzliche Probleme werden jedoch auch durch die Kommissionen und Beauftragten kaum gelöst werden können. Dazu zählt der politische Zielkonflikt, dass beim Thema Polizeigewalt Instrumente der Repression und Prävention zur Kontrolle der Polizei propagiert werden, die ansonsten als Instrumente der Polizei zur Kontrolle der Bevölkerung kritisiert werden. Dieser Aspekt ist auch deshalb problematisch, weil selbst die Wirkung einer effektiveren strafrechtlichen Aufarbeitung von Polizeigewalt nicht zwingend zum Rückgang von Polizeigewalt und Rassismus führen würde. Bei anderen Gewaltdelikten jedenfalls konnte die generalpräventive Wirkung von strafrechtlichen Sanktionen bisher nicht nachgewiesen werden. Aktuelle Forschungsergebnisse betonen zudem die situativen Einflüsse auf die Entstehung von Gewalt in Interaktionen der Polizei, weshalb Erfolg versprechende Ansätze zur Prävention vermutlich vor allem in der Ausbildung und der Verbesserung der Personalführung in Einsätzen zu suchen sind.16

Was die Inanspruchnahme von Kommissionen und Beauftragten durch Opfer von Polizeigewalt und Rassismus angeht, so mangelt es bisher an Vorschlägen, wie diese Einrichtungen für häufige Opfer von Polizeigewalt und Rassismus, beispielsweise illegale MigrantInnen, zugänglich gemacht werden könnten. Zugespitzt formuliert: Der Wehrbeauftragte des Bundestages ist auch nicht dadurch aufgefallen, dass er den Opfern des Bombardements der Bundeswehr in Kundus im September 2009 Hilfe bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen geleistet hat.

Angesichts dieser Probleme wird deutlich, dass Polizeikommissionen die außerparlamentarische Arbeit für Aufklärung, Prävention und Hilfe für Opfer von Polizeigewalt und Rassismus nicht ersetzen können. Auch deshalb nicht, weil sonst der Freiraum für Ideen zur Neudefinition und Einschränkung der gesellschaftlichen Rolle von Polizei verschwinden würde.

 

Lars Ostermeier ist Politikwissenschaftler und Kriminologe. Er promoviert am Institut für Kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg.

Fußnoten

1 Landtags–Drucksache Sachsen–Anhalt 5/1288, S. 1.

2 Vgl. http://www.gruene–bundestag.de/cms/publikationen/dokbin/ 251/251267.reader_extern_und_unabhaengig_eine_poliz.pdf [17.05.2010].

3 Mit Stand vom 17. Mai 2010 können online außer in Sachsen–Anhalt Beschwerden bei der Polizei von Schleswig–Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein–Westfalen, Rheinland–Pfalz, Berlin, Brandenburg und Mecklenburg–Vorpommern eingereicht werden.

http://www.amnesty–polizei.de/d/wp–content/  uploads/pmbeschwerdestellepolizei.pdf [13.04.2010].

http://www.cop2cop.de/ 2009/08/12/ab–1–9– zentrale–beschwerdestelle–polizei/ [17.05.2010].

http://www.cop2cop.de/2009/09/02/
zentrale–beschwerdestelle–polizei–hat–arbeit–aufgenommen/
[17.05.2010].

7 Vgl. zur Hamburger Polizeikommission: Gössner, Rolf (2000): Die Hamburger »Polizeikommission«. Tragfähiges Modell unabhängiger Polizeikontrolle?, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67, Heft 3/2000.

8 Vgl. im Folgenden: http://www.sachsen–anhalt.de/LPSA/fileadmin
/Elementbibliothek/Bibliothek_Politik_und_Verwaltung/
Bibliothek_Ministerium_des_Innern/
PDF_Dokumente/Referat_02/031_2010_
Anlage_Halbjahresstatistik_ZBP_PrProzentC3ProzentA4sentation.pdf
[17.05.2010].

9 Vgl. Singelnstein, Tobias (2007): Misshandlungen in polizeilichem Gewahrsam Empirische Erkenntnisse zu Umfang und Struktur sowie zur Wirksamkeit von Kontrollmechanismen, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.): Prävention von Folter und Misshandlung in Deutschland, Baden–Baden, S. 213–236.

10 Vgl. Singelnstein, Fn. 9; Pütter, Norbert (2000): Polizeiübergriffe. Polizeigewalt als Ausnahme und Regel, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67, 3/2000.

11 Bundestags–Drucksache 16/12683, S. 2.

12 Vgl. Council of Europe (2009): Opinion of the Commissioner for Human Rights Concerning Independent and Effective Determination of Complaints against the Police, CommDH(2009)4; Council of Europe (2001): European Code of Police Ethics, CO–POL (2002) 10.

13 Landtags–Drucksache Bayern 16/4478, S. 1.

14 Landtags–Drucksache Hessen 18/2322, S. 1.

15 https://www.humanistische–union.de/
wiki/hu/projekte/polizeikontrolle/gesetzentwurf
[17.05.2010].

16 Vgl. Klukkert, Astrid/Ohlemacher, Thomas/Feltes, Thomas (2009): Torn between two targets: German police officers talk about the use of force, in: Crime, Law and Social Change 52, S. 181–206.