»Brave new Nodes ...«?
Sicherheitsarchitektur zwischen Kommunitarismus und Kommerz
Volker Eick
Mitte der 1970er Jahre haben deutsche Städte damit begonnen, sich als inklusive Wachstumsmaschinen zu verabschieden. Unter dem Druck globaler Konkurrenz ist das »Gemeinwesen Stadt« zum globalen »Unternehmen Stadt« umgebaut worden. Im Zuge neoliberaler Politikkonzepte, die von der EU bis ins kleinste Dorf hinein mit Wachstum, Standortkonkurrenz und Benchmarking operieren, hat so auch die sozial- räumliche Polarisierung in und zwischen Regionen und Städten zugenommen. In diesem kompetitiven Umfeld arbeiten der lokale Staat und die ihn tragenden Wachstumsregimes mit Leitbildern, Cluster- und Entwicklungszonen, Steuernachlässen und Public-Private-Partnerships, denen neue punitive Sicherheits- und Workfare-Politiken im sozialen Nahraum entsprechen. So entstanden in den urbanen Agglomerationen Halligen des Wohlstands und Inseln der Armut, an denen, wo nötig, in betriebswirtschaftlicher Logik merkantiles Reengineering und urbanes Management betrieben werden.
Derartige Restrukturierungsprozesse erfassen dabei auch die Polizeien der Länder und des Bundes, kommunale Ordnungsdienste, deren Konkurrenz- und Kooperationsverhältnis untereinander sowie die zu kommerziellen Sicherheitsdiensten und ihren »zivilgesellschaftlichen« Gegenstücken: den aus Mitteln der Arbeitsagenturen finanzierten Non-Profit-Polizeien, die sich aus Langzeitarbeitslosen rekrutieren. [...]
Urbane (Un)Sicherheit hatte schon lange vor 9/11 Konjunktur. Aus strukturellen Problemlagen wie Erwerbslosigkeit und wachsender Armut generierten die urbanen Eliten Probleme von Sicherheit und Unordnung, die so Gegenstand einer neuen Politik »Innerer Sicherheit« wurden. Seit den frühen1990er Jahren entstand (west)europaweit das, was in Großbritannien als extended policing family konzipiert wurde.
Wenn für die staatlichen Polizeien in Deutschland gilt, dass die Trends im selben Zeitraum als proaktive, nachbarschaftsorientierte, auf ethnische Gruppen undurbane Räume spezialisierte, neue Technologien inkorporierende sowie grundsätzlich stärker präventiv orientierte Strategien und Taktiken zusammengefasst werden können, dann ist die selektive Mobilisierung von BewohnerInnen mit dem Ziel, diese zur Eigenverantwortungzu aktivieren,das bürgerschaftliche Gegenstück – Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften, Kommunale Präventionsräte, Non-Profit-Polizeien sind deren institutioneller Ausdruck.
Im Folgenden analysiere ich anhand dreier Fallbeispiele die Tätigkeiten kommerzieller Sicherheitsdienste an den urbanen Peripherien, namentlich im (privatisierten) Sozialen Wohnungsbau und im Management der rund 900 Abschiebelager für MigrantInnen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus. Allgemein hat es keinen Sinn, von einem Rückzug des Staates zu sprechen. Eher ist ein Wandel (national)staatlicherPolitik »vom Rudern zum Steuern« zu konstatieren, der jedoch allen Verlautbarungen aus Regierungskreisen, Wissenschaft- und Lobbyorganisationen zum Trotz, sehr wohl mit neuen Ausgrenzungsprozessen und der Fragmentierung des staatlichen Gewaltmonopols einhergehen kann.
Im ersten Abschnitt konzeptioniere ich den jüngsten Boom in der kommerziellen Sicherheitsbranche als Ergebnis neoliberaler Politikmodelle. Im zweiten Abschnitt mache ich einige Angaben zum Umfang der Branche und zu zukünftigen Trends. Im letzten Abschnitt illustrieren die Fallstudien, dass das neoliberale Projekt nicht allein auf dem »roll-back« des fordistischen Kompromisses basiert, sondern auch als Suche nach und Implementierung von kohärenten Regulationsmodi (Roll-out) gefasst werden muss.
Roll-back und Roll-out neoliberaler Politik intensivieren den Druck auf die ohnehin benachteiligten Bevölkerungsteile, die zu diesem Behufe als (problematische, überflüssige, gefährliche) Gruppen konzipiert und nach dem Motto: Two‘s company, three‘s a crowd (da, wo drei zusammenstehen, ist einerzuviel) selektiert werden. Migrantenjugendliche, Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge werden so Gegenstand differenzierter Vertreibungs- und Containment-Strategien. Dem Grunde nach stellen sich die Quartiere des Sozialen Wohnungsbaus und das deutsche Lagersystem als Ergebnis eines deutschen NIMBYism dar: Identifikation, Kontrolle und Disziplinierung derjenigen, die nicht (mehr) gebraucht werden, möglichst dort, wo sie nicht stören – jedenfalls: not in my backyard.
Selling Space: neoliberale Räume in der glokalisierten Stadt
Die Stärkung des Marktwettbewerbs, der Verkauf öffentlicher Infrastrukturen, die Proliferation der Marktlogik im verbleibenden öffentlichen Sektor und "freier Handel sind internationale Trends urbaner Ökonomien. Selbstredend bilden sich diese Trends nicht überall gleich aus und sind von den jeweiligen nationalen Kontexten, von Traditionen, Entwicklungspfaden und wechselnden ökonomischen sowie politischen Konjunkturen abhängig. Bob Jessop hat drei Strategien identifiziert, die dem globalen Neoliberalismus zum Durchbruch verhelfen sollen und die genannten Unterschiede abbilden: Neokorporatismus, Neostaatlichkeit und Neokommunitarismus. Diese Strategien charakterisieren jeweils das vorrangige partnerschaftliche Verhältnis von Markt-, Staats-und zivilgesellschaftlichen Akteuren und der jeweiligen Handlungslogik. Erik Swyngedouw hat gezeigt, dass die globale und die lokale Ebene in einem Prozess der "glocalization" miteinander verwoben sind. Aufgaben, die zuvor der Nationalstaat wahrgenommen hat, werden nun zum Teil auf der supranationalen Ebene bearbeitet (und die dafür benötigten Institutionen geschaffen), zum Teil aber auf der lokalen Ebene ab- oder klein gearbeitet. Schließlich haben Jamie Peck und Adam Tickell zwischen einer Phase des Proto-Neoliberalismus, in der Städte Zentren ökonomischer Verwerfungen und Orte der Auseinandersetzung vor allem in der Sphäre sozialer Reproduktion wurden, und – seit den 1980er Jahren – der Ära eines Roll-back-Neoliberalismus unterschieden, in der die Kommunen begannen, Kosten einzusparen, Dienstleistungen zurückzufahren und Teile der öffentlichen Infrastruktur zu privatisieren
Schließlich identifizieren sie eine Phase des Roll-out-Neoliberalismus, der nach den "excesses of roll-back neoliberalism" auf deren ökonomische Verwerfungen reagiere, und seitdem auf der Suche nach einer kohärenten Regulierungsform des gegenwärtigen Kapitalismus sei. [...] Während in der Frühphase des neoliberalen Projekts die urbanen Räume konzentrierter Armut und Ausgrenzung in der Bundesrepublik weitgehend unbeachtet blieben, änderte sich dies mit der beginnenden Roll-out-Phase. Eine Palette von Programmen und Projekten wurde in die Quartiere getragen, um gegen Kriminalität (oder was man dafür hielt), gegen eine vermeintlich grassierende "Abhängigkeit" vom Wohlfahrtsstaat, gegen Massenarbeitslosigkeit und "Unordnung" vorzugehen. Parallel sind urbane Räume, im Beitrittsgebiet DDR etwa die Plattenbau-Gebiete, in Westdeutschland die Gro§siedlungen am Stadtrand, zunehmend privaten Finanzinvestoren überantwortet worden. Waren bis 1995 von den insgesamt rund 40 Mio. Wohnungen in der Bundesrepublik über 4,3 Mio. im Sozialen Wohnungsbau errichtet worden, sind davon gerade noch 1,42 Mio. übrig – mit weiter abnehmender Tendenz. Allein in Berlin sind seit 1993 über 200.000 Sozialwohnungen von ursprünglich 480.000 verkauft worden; die Wasserversorgung wurde 1999 privatisiert, Elektrizität und Gas folgten 2003. Wenn auch an der Maxime, Städte haben Zentren des Wachstums zu sein und sich der Marktdisziplin zu unterwerfen, nicht gerüttelt wird, sind parallel in deutschen Städten flankierende Mechanismen entwickelt worden, die in Form von Programmen zur Stabilisierung benachteiligter Quartiere und Abmilderung sozialer Exklusion beitragen sollen und mit neuen Formen der Koordination, Kooperation und Kooption experimentieren – so in der lokalen Beschäftigungspolitik, Kriminalprävention oder Sozialarbeit. In dem Ma§e wie die "Stadt als Unternehmen" unter globalen Konkurrenzbe dingungen an Bedeutung gewinnt, wird auch der innerstädtische Raum für die urbanen Eliten als Standort, Visitenkarte und Distinktionsraum wichtiger. Drei Prozesse laufen gleichzeitig ab: Öffentlicher Raum gerät unter Kommodifizierungsdruck; halböffentliche Räume wie Shopping Malls und Bahnhöfe beginnen innerstädtische Räume zu dominieren; damit schlägt die Stunde kommerzieller Sicherheitsdienste, die verstärkt Zugriff auf private, halböffentliche und selbst öffentliche Räume gewinnen.
Selling Security: Das kommerzielle Sicherheitsgewerbe in Deutschland
Was vor rund 200 Jahren der Nachtwächter war, führte 1901 zur Gründung des ersten gewerblichen Sicherheitsunternehmens in Deutschland. Für die folgenden etwa 60 Jahre ist die Sicherheitsbranche vorrangig als Werkschutz zu charakterisieren. In den 1970er Jahren wurde erstmals der Einsatz im öffentlichen Raum erlaubt, und von dem Image der Schwarzen Sheriffs, die mit Gewalt gegen sogenannte Randgruppen vorgehen, hat sich die Branche bis heute nicht erholt. Schlechte Ausbildungsstandards, ein unübersichtlicher Markt, Niedriglöhne, das Unterlaufen tariflicher Standards und häufig aggressiv auftretende Lobbyorganisationen tragen nachhaltig zu diesem Image bei, auch wenn das Wachstum als unumkehrbar gilt – zwischen sieben und 13 Prozent aller Beschäftigten sollen gegenwärtig im öffentlichen Raum tätig sein. Heute besteht eine moderne Sicherheitsindustrie mit rund 6 Mrd. Euro Umsatz (2005) und rund 200.000 Beschäftigten. Der Markt ist oligopolistisch organisiert: Die zehn führenden Unternehmen kontrollieren 50 Prozent des Umsatzes, zwölf Prozent der 3.000 Unternehmen verteilen 81 Prozent des Umsatzes unter sich und beschäftigen zwei Drittel aller ArbeitnehmerInnen. Seit Mitte der 1990er Jahre werden kommerzielle Sicherheitsdienste Bestandteil einer Strategie in deutschen Städten, die, von den Zero Tolerance-Debatten in New York beeinflusst, mit Neil Smith als "revanchist urbanism" bezeichnet werden kann. Auch wenn ein intensivierter Transfer von Politikkonzepten zwischen den USA und Europa auf der Suche etwa nach effektiven Polizeistrategien beobachtet werden kann, bleibt deren jeweilige Implementation doch immer stark von juristischen Rahmenbedingungen, (lokalen) Normvorstellungen und Institutionen beeinflusst. Im Ergebnis zeigen sich sehr unterschiedliche Erfahrungen zwischen und in verschiedenen Ländern und Städten. Vergleichbar revanchistische Strategien lassen sich gleichwohl identifizieren, und Autoren wie Ronneberger et al., Beste oder Belina haben für den deutschen Raum gezeigt, dass vor allem Obdachlose, Prostituierte, KonsumentInnen illegal(isiert)er Drogen, Flüchtlinge und AsylbewerberInnen sowie Migrantenjugendliche in das Visier der urbanen Aufwertungseliten geraten. [...] Kontrollen des ruhenden und fließenden Verkehrs, maritime Sicherheit, die nach 9/11 an Bedeutung gewonnen hat, werden als neue Aufgabengebiete gefordert und hin und wieder gar das Durchsuchungs- und Identitätskontrollrecht – bisher der Arkanbereich staatlicher Polizei.
Angesichts eines vergleichsweise fest gefügten staatlichen Gewaltmonopols in Deutschland sind daher die LobbyistInnen ununterbrochen damit beschäftigt, diese profithemmende Bastion zu schleifen. Als derzeit "marktgängigste" Argumentationsfiguren im Kampf um Anteile am "mischökonomischen" Sicherheitsmarkt dürfen Globalisierung und internationaler Terrorismus gelten. Nach dieser Logik soll sich die Polizei auf die hoheitlichen Kernaufgaben konzentrieren und die "weniger wichtigen" Aufgaben den im Bundesverband des Deutschen Wach- und Sicherheitsgewerbe (BDWS) organisierten Anbietern überantworten. Drei Trends lassen sich identifizieren: Erstens, die kommerzielle Sicherheitsindustrie wird weiter wachsen, nach Angaben der Freedonia Group [...] in Deutschland bis zum Jahr 2013 auf über 10 Mrd. Euro Umsatz und 270.000 Beschäftigte. Dabei wird das zentrale Charakteristikum der Branche – Niedriglohn, niedriger Ausbildungsstand – abgesehen von einigen Nischenmärkten wie (internationaler) Risiko- oder Sicherheitsanalyse – erhalten bleiben. Zweitens und anders als in Nordamerika, wo die Übernahme von hoheitlichen Aufgaben schon deutlich weiter fortgeschritten ist, wird das Wachstum der Industrie vor allem über Public-Private-Partnerships und an den gesellschaftlichen Rändern sowie im Facility Management zunehmen. [...] Drittens und als übergreifender Trend werden avancierte Technologien systematischer zu einem Identifikations-, Kontroll- und Disziplinierungsnetz zusammengeführt, das sich über den öffentlichen Raum genauso erstrecken wird wie über Bahnhöfe, Stadien und weitere halböffentliche Räume. Damit verbunden sind hohe Rationalisierungspotenziale durch automatisierte Überwachungs-, Abgleichs- und Speicherverfahren. Staatliche Polizei und kommerzielle Sicherheitsdienste haben in einigen Bundesländern, Städten und Gemeinden bereits Public-Private- Partnerships gebildet, mehr als 80 kommerzielle City-Streifen patrouillieren in deutschen Innenstädten, Fußgängerzonen, Shopping Malls und Einkaufszentren – und bilden in Zusammenarbeit mit Geschäftswelt, Ordnungsämtern und Polizei ein neokorporatistisches Bündnis im Sinne von Jessop. Was in diesen urbanen Sicherheitsregimes der Geschäftswelt die jeweilige IHK ist, sind den kommerziellen Sicherheitsdiensten die Landesgliederungen des BDWS – beide dienen der Vereinheitlichung der Interessen vor Ort.
Anders gestaltet sich die Situation, wenn große Konzerne ins Spiel kommen. Anfang der 1990er Jahre hatte etwa die formal privatisierte Deutsche Bahn klar gemacht, dass sie Anspruch auf die Kontrolle nicht nur ihrer Flächen, sondern auch auf die des Bahnumfeldes erhebt. [...] Mit Unterstützung der lokalen Geschäftswelt, der Stadtverwaltungen und des Deutschen Städtetages sowie unter Rückgriff auf den bahneigenen Sicherheitsdienst, die Bahn SicherheitsGesellschaft (BSG) mit ihren rund 4.000 Beschäftigten, begann der repressive Zugriff auf sogenannte Randgruppen. In den Jahren 2000 und 2005 wurden mit dem Bundesgrenzschutz, der nach dem Anschluss der DDR neue Aufgaben erhielt und von nun an auch für die Bahnhöfe und Gleisanlagen zuständig war, die ersten Kooperationsverträge unterzeichnet; rund 6.000 Beamte (die heute Bundespolizisten heißen) sind auf den Bahnhöfen im Einsatz. Mit Jessop kann die Wiedereinführung staatlicher Kontrolle in Kooperation mit privaten Partnern als neostaatliches Regime charakterisiert werden [...].
Selling Battlefields: Prekariat gegen Prekariat?
Während die urbanen Eliten in den Innenstädten den ökonomischen Niedergang aufhalten wollen – im Westteil Berlins am Kurfürstendamm, im Ostteil der Stadt am Alexander- und Potsdamer Platz sowie in der Friedrichstraße –, hat der Neoliberalismus die Stadtränder erreicht. Das Ende des Sozialen Wohnungsbaus in Deutschland – angetrieben auch durch den Bevölkerungsverlust von mehr als 20 Prozent der (besser ausgebildeten) EinwohnerInnen im Ostteil des Landes, der drastisch schrumpfende Städte zurückgelassen hat – schuf einen profitträchtigen Markt für die neuen BesitzerInnen, vor allem nordamerikanische Finanzinvestoren. Mit der Übernahme der Wohnbestände ging das Anwerben neuer MieterInnen, die Sortierung und, wo notwendig, Disziplinierung des verbliebenen "Prekariats" einher. Videokameras und Gitter, Kopfgelder und Verbotsschilder, Concierges und kommerzielle Sicherheitsdienste gehören seitdem zum Inventar, aber mit Finanzmitteln der Arbeitsagenturen kommen vermehrt Langzeiterwerbslose als Non-Profit-Sicherheitsdienste zum Einsatz. Gleichwohl bleibt die Kontrolle dieser Wohnquartiere vor allem ein relevantes Marktsegment für kommerzielle Sicherheitsdienste. [...]
Zweite Wahl? Staatliches Gewaltmonopol - Modell Karow
In den früheren Sozialen Wohnungsbaubeständen an den östlichen Rändern Berlins und in Ostdeutschland insgesamt gilt die neofaschistische Mobilisierungskraft als hoch und die Anzahl von MigrantInnen als vergleichsweise niedrig. Aus diesem Grund sind dort vor allem linke Jugendliche, Punks und sogenannte Russlanddeutsche deren Hauptangriffsziele. Die in diesen Quartieren eingesetzten kommerziellen Sicherheitsdienste teilen bisweilen die rassistischen Vorstellungen der Neofaschisten, die zudem, wie wir aus der Literatur wissen, "aus der Mitte der Gesellschaft" kommen. Einen besonderen Fall eines territorialen Kompromisses zwischen solchen "Randgruppen " und kommerziellen Sicherheitsdiensten schildert Benno Kirsch in seinem Buch zu kommerziellen Sicherheitsdiensten. Er beschreibt, wie der Sicherheitsdienst CM, wegen seiner Brutalität schon Mitte der 1990er Jahre Gegenstand von diversen Veröffentlichungen, von einer Wohnungsbaugesellschaft in Berlin-Karow beauftragt wurde.
Weil für die dort wohnenden, häufig erwerbslosen Jugendlichen öffentlicher Personennahverkehr teuer und die Wohnsituation oft beengt sei, vertreiben sie sich ihre Zeit gern im Wohnquartier. Die Polizeipräsenz in peripheren Quartieren ist oft gering. In diesem Fall brauchte die Polizei rund 20 Minuten nach Eingang eines Notrufs. Zudem waren verstärkt Einbrüche und Diebstähle gemeldet und den Russlanddeutschen zugeschrieben worden. Aus diesem Grund heuerte die Wohnungsbaugesellschaft, die das Gebiet entwickelte, Wachschutzkräfte an, "die aus der Umgebung von Karow stammten: glatzköpfige, sportliche Typen", die in "Wildwest-Manier [...] die 'normalen' Jugendlichen unter Beschimpfungen und Gewalteinsatz vertrieben", die Anschuldigungen gegen die verdächtigten Jugendlichen aber nicht belegen konnten. Offenbar wäre die Wohnungsbaugesellschaft genauso wie der von ihnen beschäftigte Stadtteilmanager mit dem brutalen Vorgehen des Sicherheitsdienstes CM einverstanden gewesen, aber, wie Kirsch schreibt, "die russlanddeutschen Jugendlichen, die sich dort aufgehalten hätten, seien muskulöser und stärker gewesen und hätten sich von den CM-Leuten nicht verjagen lassen". [...] Die Berliner Polizei sei nie involviert gewesen, doch kann Kirsch nicht sagen, wie der Konflikt letztlich endete. Unabhängig davon handelt es sich um keinen Einzelfall und sollte daher auch nicht allein als bedauerliches Staatsversagen betrachtet werden, wird doch im "aktivierenden Staat" permanent danach gerufen, Zivilgesellschaft und Geschäftswelt sollen mehr Verantwortung übernehmen, der Staat wolle nunmehr steuern und weniger rudern. Das Verhalten der kommerziellen Sicherheitsdienste erinnert dabei an Steuern und Rudern zweiter Wahl.
Dritter Nazi rechts? Rechtes Kleinunternehmertum und Migrantenmanagement
"›Du nisch, so kommst du hier nisch rein!‹ sagt der schwarz gekleidete Mann mit dem telefonzellenbreiten Kreuz. Oder manchmal etwas netter: ›Einlass heute nur für Clubmitglieder oder Stammgäste.‹ [...] Es ist einer der seltenen Momente, in denen man sich von einem stiernackigen Sonderschüler etwas sagen lassen muss. Oder auch nicht", so beginnt eine Reportage in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Und sie endet mit den Worten: "Da erklärst du denen sechs Monate lang, was sie tun und lassen sollen, und wenn man sie am Schluss fragt, was sie tun würden, wenn sie jemand beleidigt, kriegt man zur Antwort: ›Den hau' ich um!‹" Es ist damit zunächst eines der zentralen Probleme der Branche angesprochen, wenn hier auch im bildungsbürgerlichen Duktus: das schlechte Ausbildungsniveau der Branche insbesondere an den äußeren Rändern der Dienstleistungsperipherie – wie hier in der Nightlife economy. Angesprochen ist damit aber auch das Phänomen, dass es in zahlreichen Diskotheken grundsätzlich keinen Einlass für MigrantInnen gibt. Während die Orte zahlreich sind, zu denen MigrantInnen keinen Zutritt haben, gibt es andere, die sie nicht – oder nur unter Auflagen – verlassen dürfen. Die Rede ist von rund 209.000 Menschen, die mit ungesichertem Aufenthaltstitel und als Bezieher von Unterstützungsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz potenziell in Lagern gehalten werden könnten. Legt man die Angaben von Pieper zugrunde, dann sind von ihnen gegenwärtig rund 104.000 in einem abgestuften, 900 Standorte umfassenden Lagersystem untergebracht. Am Anfang stehen die Zentralen Aufnahmestellen, gefolgt von dezentralen Sammellagern zur langfristigen Unterbringung – und schließlich die Abschiebegefängnisse. Auf dem Weg vom Sammellager in die Abschiebegefängnisse ist seit 1998 ein neuer Lagertypus installiert worden: die in erfrischendem Juristensprech als "Ausreisezentren" bezeichneten Unterkünfte, in denen mit einer "Zermürbetaktik", so der Leiter des Fürther Ausreisezentrums, die "Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert" werden soll. Giorgio Agamben hat die These vertreten, dass, wenn Flüchtlinge "in der Ordnung des modernen Nationalstaates ein derart beunruhigendes Element darstellen, dann deshalb, weil sie die Kontinuität zwischen Mensch und Bürger, zwischen Nativität und Nationalität, Geburt und Volk, aufbrechen und damit die Ursprungsfiktion der modernen Souveränität in eine Krise stürzen".Der Ausnahmezustand des Lagers wird so zur Regel für 100.000 Menschen und mit 900 Lagern zur profitablen Arbeitsmöglichkeit an der Peripherie der Menschen- und Bürgerrechte, die zugleich die Dienstleistungsperipherie des kommerziellen Sicherheitsgewerbes markiert. So arbeitet im erwähnten Ausreisezentrum in Fürth die Arndt-Sicherheit und Service GmbH. Das 1925 gegründete Unternehmen operiert in mehreren Bundesländern und zählt das Versandhaus Quelle und die Bundeswehr zu seinen Kunden. Im Fürther Lager werden die Insassen "zweimal wöchentlich verhört, bekommen ihre Essenspakete täglich, um ihre Anwesenheit sicherzustellen, erhalten kein Bargeld, werden hinter einer doppelten Umzäunung eingesperrt und leben völlig isoliert am äußersten Fürther Stadtrand"; die Arndt-MitarbeiterInnen übernehmen den Pförtnerdienst. Sie bedienen das Drehkreuz am Eingang des Lagers, "setzen das Besuchsverbot für die Insassen durch, protokollieren, welche Flüchtlinge und Migranten das Lager wann verlassen oder betreten und rufen regelmäßig die Polizei, sobald die Insassen sich nicht nach ihren Wünschen verhalten". Zwar liegen keine Überblicksdaten zur Beteiligung kommerzieller Sicherheitsdienste am Management von Abschiebelagern vor, doch berichten zahlreiche VertreterInnen von bundesdeutschen Flüchtlingsinitiativen von Übergriffen und Drangsalierungen. Manchmal sehen die MitarbeiterInnen kommerzieller Sicherheitsdienste nicht nur aus wie NeofaschistInnen, sondern sind es auch. Im Jahr 2003 berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt von Bemühungen in der militanten Neonazi-Szene, den Sicherheitsmarkt zu erobern und nannte als Beispiel den SelbstSchutz Sachsen-Anhalt (SS-SA). Auf ihrer Webpage, registriert im Südpazifik, beschreibt sich die SS-SA als "ein nicht gewerblicher Zusammenschluss aus geschulten Personen, die in ihrer Freizeit Ordnertätigkeiten ausüben". Die Dienstleistungspalette umfasst die "Sicherung von Personen auf Veranstaltungen, Ordnerdienste auf Saalveranstaltungen und Demonstrationen [sowie] Objekt- und Geländeschutz". Die MitarbeiterInnen der SS-SA arbeiten auch als Türsteher vor Diskotheken, und Mitglieder des Vereins Miteinander berichteten, sie seien "von Personen aus dem Umfeld des SS-SA bedroht " worden; auch wurde ihnen der "Einlass zu eigentlich öffentlichen Veranstaltungen von rechten Wachleuten verwehrt". Ein Arbeitsfeld von kommerziellen Sicherheitsdiensten sind Abschiebelager und Gefängnisse. So stellt etwa die Kötter Security ca. 50 Prozent des Wachpersonals im Abschiebegefängnis Büren: Da Kötter "auch Migranten einstellt, kommt es zu der Situation, dass in Büren Migranten Migranten für 8 Euro die Stunde bewachen, während die Gefangenen für 2 Euro Stundenlohn arbeiten". Wenig überraschend sind auch Neonazis in Wach- und Sicherheitsfirmen beschäftigt. Nur vereinzelt werden solche Fälle von den Medien oder der Politik aufgegriffen – Migrantenmanagement durch Neigungsnazis ist selten ein Thema.
Eine seltene Ausnahme stellt ein Bericht der Illustrierten Focus dar, die aus einem internen Schreiben des Landesamtes für Verfassungsschutz Brandenburg (LfV) zitiert, in dem der Zarnikow Sicherheitsdienst und seine Verbindung zur Kameradschaft Hauptvolk erwähnt werden. Zarnikows Ansehen gilt dabei eigentlich als "gut", und das Unternehmen bewachte neben zahlreichen Dorffesten etwa auch den Bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und den Brandenburger Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), als diese die Region um Rathenow besuchten. Die Firma beschäftigte einschlägig bekannte Rechtsextremisten: "Ein internes Schreiben des Verfassungsschutzes [...] belegt, dass mehrere Mitarbeiter der Security- Firma Zarnikow ›dem Kern der rechtsextremistischen Szene Rathenows angehören‹. Die Verfassungsschützer nennen die Namen von vier Männern, die der ›einschlägigen Gruppierung Kameradschaft Hauptvolk zugerechnet werden müssen‹". Einer dieser vier in dem LfV-Schreiben namentlich Genannten war kurz vor seinem Einsatz bei Zarnikow nach fünf Jahren Haft wegen versuchten Totschlags an einem Bosnier aus dem Gefängnis entlassen worden, ein weiterer war wegen Waffenmissbrauchs und Körperverletzungsdelikten vorbestraft. Ein weiterer Neonazi war direkt im Rathenower Lager eingesetzt. Die AsylbewerberInnen fühlten sich daher durch den Sicherheitsdienst Zarnikow eher bedroht als beschützt und berichteten in mehreren offenen Briefen darüber, dass sie beleidigt und bedroht wurden; 60 der 280 Lagerinsassen hatten mehrfach um eine Verlegung in andere Orte nachgesucht. In einem von der Arbeiterwohlfahrt (AWO), dem Betreiber des Lagers, gegen zwei der AsylbewerberInnen angestrengten Gerichtsverfahren wegen übler Nachrede stellte sich zudem heraus, dass die Post der Lagerinsassen geöffnet wurde und sie sich Verhören durch das AWO-Personal unterziehen mussten. Die Angeklagten wurden freigesprochen. Zarnikow gilt in der Region Westhavelland bei einer Arbeitslosenquote um die 25 Prozent (2005) als einflussreicher Arbeitgeber. Einziger dortiger Konkurrent ist im Sicherheitsbereich die Firma SAFE GmbH, so dass beide zusammen ein sicherheitspolitisches Oligopol bilden. Konsequenterweise hat SAFE den Auftrag für das AWO-Lager bekommen, nachdem anhaltende Proteste die Ablösung von Zarnikow erzwangen. Allerdings dauerte es mehr als vier Jahre bis zu dieser Anweisung durch das SPD-geführte Sozialministerium. Zunächst aber blieb es bei der Beschäftigung der WachschützerInnen durch die SPD-nahe AWO. Auch nach dem dritten Memorandum der Flüchtlinge im Juli 2002 verweigerten SPD und AWO die ernsthafte Prüfung des Falls. Erst als antirassistische Initiativen, kirchliche Repräsentanten und (progressive) MedienvertreterInnen den Fall aufgriffen, wurde im Dezember 2002 der Vertrag aufgekündigt. [...]
Selling Justice: Der Anfang vom Ende?
Die "Reinigung" des innerstädtischen Raums steht nach wie vor auf der neoliberalen Agenda, die ihre Zwillingsziele der sozialen und rassistischen Containment-Politik im Namen von Wachstum und Marktdisziplin intensiv weiter betreibt. Parallel sind Roll-out-Elemente zur Flankierung des neoliberalen Projekts etabliert worden – inklusive neuer kooperativer Sicherheitsstrategien und -institutionen zur "Vernachhaltigung " des Neoliberalismus. Das gilt derzeit vor allem für die innerstädtischen Bereiche. An den Rändern der Städte aber bestehen noch eher reine Formen eines Roll-back-Neoliberalismus: Dort also, wo die Armen der Innenstädte in den zu Gated communities umgebauten Großsiedlungen sowie die Flüchtlinge und Asylsuchenden im dezentralen Lagersystem konzentriert werden und damit einem klassischen NIMBYism gefolgt wird, der aber durch ein privatwirtschaftliches Management radikalisiert wird. Nun ist es keine Überraschung, dass sowohl zivilgesellschaftliche Sicherheitsakteure wie deren kommerzielle Varianten "often work against the interests of the weakest members of the community", aber es scheint, als habe im Hochhaus- Suburbia ostdeutscher Provenienz – und an den Rändern grö§erer Städte insgesamt – der Formwandel des Staats und der Rückzug staatlicher Polizei einem neuen Autoritarismus den Weg bereitet. Kommerzielle Sicherheitsdienste gewinnen die Hegemonie bei der Definition und Durchsetzung der Ordnungsvorstellungen ihrer AuftraggeberInnen. Aus grundrechtlicher Sicht lässt sich eine auf den ersten Blick paradoxe Entwicklung beobachten: Mit dem Rückzug des Staates aus den Quartieren und Lagern schrumpfen, anders als uns die neoliberale Ideologie eins ums andere mal suggerieren will, die Freiheitsräume. Mit der Teilprivatisierung der öffentlichen Sicherheit erlebt die rigide Vorstellungswelt der "öffentlichen Ordnung" des 18. Jahrhunderts eine Renaissance, die in den 1970er Jahren als Eingriffstitel als leidlich überwunden galt und aus vielen Gesetzen und Verordnungen verschwand. Die nunmehr privatisierten Vollzugsstrukturen der öffentlichen Ordnung bilden zugleich einen neuen rechtsfreien Raum, denn die rechtsstaatlichen Fesseln der hoheitlichen Gewalt – die Bindung an das öffentliche Recht und Dienstrecht – werden weitgehend abgelegt. Es zeichnet sich ab, dass, wo die Herrschaft im öffentlichen Raum von der res publica auf private InvestorInnen übergeht, nicht die Effektivierung des Grundrechtsgebrauchs, sondern die Profitmaximierung betrieben wird. Es ist gut möglich, dass ein solcher Umgang mit "Überflüssigen" das neoliberale Projekt zumindest auf den ersten Blick bedient, es mag aber auch sein, dass es sich, wie die neofaschistische Reorganisierung im Mittelstandsbetrieb und die Umtriebe der Dienstleistungsperipherie nahe legen, irgendwann als Terminierung des neoliberalen Projekts als Ganzem erweisen wird.
Der Autor ist Politikwissenschaftler in Berlin und Mitglied im republikanischen Anwältinnen-und Anwälteverein. Der Text wurde um Literaturangaben, Quellenverweise und Tabellen sowie einige Unterkapitel gekürzt; eine vollständige Fassung kann beim Autor erfragt werden.