EDITORIAL

Am 31. Januar meldeten die Agenturen, die Deutsche Justiz jage das CIA Kommando, das den Ulmer El Masri entführte, mit Haftbefehlen. Bislang konnte man nicht recht erkennen, dass hier gejagt werde. Bewegung kam in die Ermittlungen erst, als der Panorama Journalist John Goetz drei der mutmaßlichen Entführer El Masris in North Carolina ausfindig machte und den deutschen Ermittlern Namen und Adressen lieferte. Der Eindruck drängte sich auf, dass die deutsche Justiz durchaus der Linie der politischen Führung folgt: erst aufklären, wenn es nicht mehr anders geht. Allerdings gibt es auch gegenläufige Zeichen. Ende Februar wurden zufällig zeitgleich mit dem Besuch der US-Außenministerin Condoleezza Rice die Haftbefehle gegen die mutmaßlichen Entführer El Masris zur internationalen Fahndung ausgeschrieben. Selbst wenn es in Deutschland absehbar keine Strafverfahren gegen die CIA-Entführer geben dürfte, werden die im internationalen Reise- und Entführungsgewerbe tätigen CIA Mitarbeiter nunmehr Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit hinnehmen müssen. Zudem berichteten in den vergangenen Monaten US-Zeitungen, dass CIA-Mitarbeiter vorsorglich Rechtsschutzversicherungen wegen möglicher Klagen gegen sie abgeschlossen hätten. Auch wenn dies nur ein kleiner Schritt hin zu einer Sanktion schwerster Verbrechen ist, ist es dennoch ein bedeutender. Der Schwerpunkt des Informationsbriefs 98 befasst sich mit der 2. Strafanzeige gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und anderer militärischer und ziviler Verantwortlicher für Folter in Abu Ghraib und Guantanamo. Wir dokumentieren die Einleitung zur Strafanzeige sowie stellvertretend für die vor allem in der U.S.-amerikanischen Presse heftig diskutierte Strafanzeige einen Artikel aus der Time und einen weiteren aus der New York Times. Weit intensiver als in Deutschland, wurde in den US-amerikanischen Öffentlichkeit die Parallele zu Nürnberg gesehen und über die Frage diskutiert, wie es gelingen kann, dass sich die Macht auch im "Krieg gegen den Terror" dem Recht beugt. Morton Sklar berichtet über die Immunität militärischer Verantwortlicher für Renditions in den USA. Dieser Bericht sowie das bereits mit der ersten Strafanzeige eingereichte Gutachten von Prof. Scott Horton belegen den fehlenden Willen der US-amerikanischen Justiz, gegen die Verantwortlichen für Folter zu ermitteln. Das Argument der Bundesanwaltschaft, die schon 2004 kein Ermittlungsverfahrens gegen Rumsfeld u.a. einleiten wollte, weil es in den USA Ermittlungsverfahren gebe, war schon damals falsch. Jetzt wird sich die Bundesanwaltschaft darauf nicht mehr berufen können. Das Thema wird uns weiter beschäftigen. Hier sei schon angekündigt, dass es am 12. April erneut im Kino Babylon eine Film- und Diskussionsveranstaltung geben wird. Dort wird der Film Taxi to the Darkside von Alex Gibney, Teilnehmer der diesjährigen Berlinale gezeigt werden. Der Film befasst sich mit den so genannten extraordinary renditions, also den Entführungsflügen der CIA. Ein weiterer Filmemacher und Berlinaleteilnehmer, Frieder Wagner, hat uns seinen Film "Deadly Dusk" zur Verfügung gestellt, der sich mit der Verwendung von uranhaltiger Munition durch die Nato im Kosovo- und Bosnienkrieg und durch die USA im Afghanistan- und Irakkrieg befasst. Wir planen, in Hamburg und Berlin kleine Film- und Diskussionsreihen zu diesen beiden Werken durchzuführen und informieren noch über die Termine. Wie immer können die Veranstaltungen auf Ihren/Euren Wunsch auch an anderen Orten durchgeführt werden. Im Oktober des vergangenen Jahres führten wir gemeinsam mit amnesty international und dem Center for Constitutional Rights eine internationale 2-tägige Konferenz mit dem Titel "Das Folterverbot und der ‚Kampf gegen den Terror' - Rechtlos im Rechtsstaat?" durch. Wir dokumentieren den Artikel Jürgen Kühlings, der sich dem Folterverbot umfassend und aus verfassungsrechtlicher Sicht nähert und daraus auch Schutzgebote des Staates ableitet. Bernhard Docke, der Anwalt von Murat Kurnaz ist Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2006. Wir dokumentieren seine Rede sowie die Laudatio von Wolfgang Kaleck zur Preisverleihung.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der RAV anlässlich der zu erwartenden Proteste zum G8 Gipfel Anfang Juni in Heiligendamm bei Rostock einen anwaltlichen Notdienst einrichten wird. Wir rufen auf zur Verteidigung der Grundrechte. Mit der Ermordung des türkisch-armenischen Schriftstellers Hrant Dink und dem deutschen Asylrecht befasst sich Jutta Hermann. Zur bevorstehenden Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit stellt Ulrike Donat fest, dass sich sonderbarerweise hier die Neuregelung des Verfahrens bei Freiheitsentziehungen und andere polizeiliche Zwangsmaßnahmen verbirgt. Der Informationsbrief 98 schließt mit einer Übersicht der Fortbildungen der kommenden Monate. Viel Spaß bei der Lektüre wünscht Hannes Honecker