Die Ermordung des Journalisten Hrant Dink in der Türkei und das deutsche Asylrecht

Jutta Herrmanns Am 19. Januar diesen Jahres wurde in Istanbul der bekannte armenischstämmige Journalist Hrant Dink vor dem Gebäude der von ihm gegründeten Zeitschrift „Agos“ erschossen. Zu diesem Vorfall wurde viel geschrieben und das Attentat führte international zu Empörung. Der türkische Ministerpräsident Erdogan sah sich sogar gezwungen, von einem „feigen Anschlag auf die Türkei“ zu sprechen und schlug ein Staatsbegräbnis und die offizielle Einhüllung des Sarges in die türkische Fahne für den Getöteten vor, was jedoch seine Familie ablehnte. Seit Jahren setzte Hrant Dink sich dafür ein, dass die türkische Gesellschaft und der türkische Staat sich mit dem Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges auseinandersetzen.
Durch sein Engagement wurde er zur Hassfigur und Zielscheibe der türkischen Nationalisten und derjenigen, insbesondere militärischen Kräfte, welche jeden Ansatz von freiheitlicher Entwicklung im Keim zu ersticken versuchen. Der Mord an Hrant Dink kann nicht losgelöst von der politischen und gesellschaftlichen Gesamtsituation in der Türkei betrachtet werden. Durch das Erstarken eines rigorosen Nationalismus und der Weigerung, sich mit der Vergangenheit des Landes auseinander zu setzen, wird eine Atmosphäre geschaffen, welche insbesondere den militaristischen, nationalistischen und faschistischen Kräften nutzt. Die aktuelle gesellschaftliche Situation ist geprägt durch eine aufgeheizte Stimmung gegen Armenier, Kurden und andere Minderheiten sowie gegen Personen, die unerwünschte Meinungen vertreten. Diese, wie z.B. unsere Kollegin, Rechtsanwältin Eren Keskin, werden permanenten Todesdrohungen ausgesetzt. In jüngster Zeit belegen etliche Lynchversuche aufgebrachter Menschenmengen gegen vermeintliche Anhänger der kurdischen PKK oder die Veranstalter einer Ausstellung über die Vertreibung der Griechen aus Istanbul, die Ernsthaftigkeit der Situation.
Dem Attentat auf Hrant Dink gingen etliche andere Attentate voraus, hinter denen nationalistische Motive und staatliche Kräfte angenommen werden können. Dazu gehören zuletzt das Attentat auf einen Richter des höchsten Verwaltungsgerichts der Türkei und der Mord an einem italienischen Priester in Trabzon. Beispielhaft für die Verstrickung staatlicher Kräfte ist etwa der Bombenanschlag am 9. November 2005 gegen den einzigen Buchladen in dem kurdischen Ort Semdinli. Bei zwei der gefassten Täter handelte es sich um Offiziere des Geheimdienstes der türkischen Gendarmerie (JITEM). Der ermittelnde Staatsanwalt wurde auf direkten Befehl der obersten Militärführung seines Amtes enthoben und entlassen, als er einen Zusammenhang zu hochrangigen Militärs aufzudecken versuchte. Schon im Jahr 2001 war der Staatsanwalt Sait Kayasu, welcher kurz vor Ablauf der entsprechenden Verjährungsfristen in der Türkei eine Anklageschrift gegen die verantwortlichen Offiziere des Militärputsches von 1980, Kenan Evren u.a., verfasst hatte, ohne Umschweife seines Amtes enthoben worden. Die Anklageschrift verschwand sang und klanglos. Trotz aller Reformbemühungen im Hinblick auf den EU-Beitrittsprozess belegen diese Vorfälle den ungebrochenen Einfluss derjenigen Kräfte in der Türkei, die abweichendes Denken, Sprechen und Handeln mit allen Mitteln zum Schweigen zu bringen versuchen. Aber auch Gesetzgebung und Justiz tragen eine große Verantwortung an diesem Zustand. So war z.B. Hrant Dink dreimal wegen „Herabsetzung des Türkentums“ gem. Art. 301 TStGB angeklagt. Eine der Anklagen stützte sich auf seine Äußerung, er sei „kein Türke“ sondern eigentlich „Armenier aus der Türkei“.
Zuletzt wurde Hrant Dink im Sommer 2006 zu 6 Monaten Haft wegen „Herabsetzung des Türkentums“ verurteilt. Der Kassationsgerichtshof bestätigte das Urteil, obwohl selbst die Staatsanwaltschaft aufgrund eines Sachverständigengutachtens zum inhaltlichen Verständnis seiner Äußerungen zuletzt einen Freispruch beantragt hatte. Laut Auskunft seines Anwaltes, Erdal Dogan, war Hrant Dink erstzunehmenden Bedrohungen u.a. durch den pensionierten General Veli Kücük ausgesetzt, dessen Name in Zusammenhang mit etlichen, unaufgeklärten Morden an politischen Oppositionellen in der Türkei steht und welchem nachgesagt wird, er sei einer der Gründer der „JITEM“. Hrant Dink selber hatte überlegt, zusammen mit seiner Familie das Land aufgrund der Drohungen zu verlassen, wie aus einem Artikel, welchen er einen Tag vor seinem Tod verfasste und welcher am 20. Januar in der Tageszeitung „Radikal“ veröffentlicht wurde, deutlich wird. Wären Hrant Dink und seine Familie tatsächlich rechtzeitig aus der Türkei geflohen und hätten sie in der Bundesrepublik Deutschland um politisches Asyl nachgesucht, wäre ihnen dies in Anbetracht der momentanen Asyl-Praxis verweigert worden. Denn sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch die Lageberichte Türkei des Auswärtigen Amtes gehen davon aus, dass sich die politische und menschenrechtliche Situation in der Türkei auf Grund der so genannten Reformen erheblich und unumkehrbar verändert hätten. Im Falle Hrant Dinks wäre er vermutlich darauf verwiesen worden, Schutz bei Polizei und Staatsanwaltschaften der Türkei zu suchen. Die Bundesrepublik Deutschland ist aus Opportunitätsgründen nicht mehr gewillt, politische Flüchtlinge aus der Türkei als solche anzuerkennen. Es ist mittlerweile nahezu unmöglich geworden, politisches Asyl zu erhalten, kommt der oder die Schutzsuchende aus der Türkei. Im Gegenteil: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat vor dem Hintergrund der angeblichen Demokratisierung der Türkei Hunderte Asylwiderrufsverfahren eingeleitet. Zudem ist die Bundesrepublik Deutschland dazu übergegangen, Interpolhaftbefehle der Türkei selbst gegen anerkannte politische Flüchtlinge und Asylberechtigte in Deutschland zu vollstrecken. Diese Entwicklung im Bereich des Flüchtlingsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland ist in Anbetracht der tatsächlichen Situation in der Türkei inakzeptabel. Wir fordern das Auswärtige Amt und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf, in Zukunft eine realistischere Einschätzung der Lage in der Türkei vorzunehmen und nicht auf Kosten politischer Flüchtlinge „Beitrittspolitik“ zu betreiben.