Buchbesprechungen

Die Sicherheitsgesellschaft

Sönke Hilbrans Die Entwicklung sozialer Kontrolle vor dem Hintergrund ökonomischer und gesellschaftlicher Transformationsprozesse der vergangenen Jahrzehnte zu beschreiben und zu analysieren ist eine ehrenvolle, keinesfalls einfache Aufgabe, der sich die beiden Juristen auf 160 Seiten stellen. Soziale Kontrolle meint dabei für die Autoren nicht weniger als die Gesamtheit der Mechanismen und Prozesse, mit denen innerhalb einer Gesellschaft die Beachtung von Normen als Verhaltensaufforderungen umgesetzt wird. Auf den Begriff der Sicherheitsgesellschaft bringen die Autoren ein vielfältiges Regime von Sicherheitsproduktionen, das quer zu einer Differenzierung entlang der Grenzen von Staat, Wirtschaft und Individuum liegt. Das klingt spannend, will einer breiten Leserschaft aber auch anschaulich vermittelt werden. Dies gelingt den Autoren gut. Das Werk ist eine gute und kompakte Einführung in die zeitgenössische Sicherheitspolitik aus Bürgersicht. Wer es als solches liest, wird den Autoren auch dankbar dafür sein, dass sie ihre Thesen mit einer Vielzahl aktueller Beispiele erläutern, ohne ihren Lesern dazu ganze Fundstellenbibliotheken zuzumuten. Sie beschreiben sowohl ihre begrifflichen als auch ihre gesellschaftspolitischen Ausgangspositionen kurz und bündig und entwickeln auf ein gut lesbares, prägnant formuliertes und schlüssiges Konzept zur Beschreibung der gegenwärtigen westlichen Industriegesellschaften als Sicherheitsgesellschaft, die von dem traditionellen Verständnis des Staates als alleinigem und jederzeit als solchem auch erkennbaren Produzenten von Sicherheit emanzipiert. Die Autoren greifen dabei die zeitgenössischen Analysen und Methoden der Soziologie ebenso auf wie die Positionen der klassischen bürgerrechtlichen Staatskritik. Damit wird es auch für Datenschützer interessant: Die Autoren hinterfragen den verbreiteten rechtsstaats- und grundrechtsorientierten Ansatz der Kritik staatlicher und privater Kontrolle und suchen nach Wegen, freiheitsrechtliche Argumentation in einer Welt differenzierter und aufeinander bezogener staatlicher und nicht-staatlicher Kontrollmechanismen neu und angemessen zu formulieren. Ihren Aufruf zu einem dynamischen Verständnis der rechtlichen Begrenzungen von Macht und zu einer Dekonstruktion der geläufigen Sicherheits- und Risikologik und –rhetorik („Sicherheitsdiskurs“) skizzieren sie als Anfang einer Debatte und nicht als geschlossenes Konzept. Auch damit befinden sich die Autoren freilich auf der Höhe ihrer Zeit. Singelstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft – Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, 160 S., 19,90 EUR,
ISBN 3-531-145897-4

Sammelband zur internationalen Strafverfolgung von Menschenrechtsverbrechen

Hannes Honecker Die Forderung nach einer Ahndung von schweren Menschenrechtsverbrechen ist so laut wie nie. Ebenso nimmt die Praxis einer Strafverfolgung solcher Formen von Makrokriminalität auf nationaler wie auf internationaler Ebene beständig zu, wie die Ad hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) oder das deutsche Völkerstrafgesetzbuch zeigen. Während es so einerseits zumindest theoretisch möglich wird, Menschenrechtsverbrechen auch (ehemals) mächtiger Vertreter staatlicher Institutionen über nationale Grenzen hinaus und damit effektiver zu verfolgen, ist zugleich eine Schwächung internationaler Menschenrechtsstandards zu beobachten. Insbesondere im Rahmen des „Krieges gegen den Terrorismus“ werden rechtliche Garantien faktisch beschränkt und ausgehöhlt, wie etwa das Folterverbot und Gefangenenrechte. Diesem Spannungsfeld widmet sich der Sammelband „International Prosecution of Human Rights Crimes“, der im September 2006 beim wissenschaftlichen Springer-Verlag erschienen ist. In 17 Beiträgen untersuchen Experten aus Wissenschaft und Praxis verschiedener europäischer Länder und den USA die gegenwärtige Entwicklung in der Verfolgung von Menschenrechtsverbrechen, beschreiben die Praxis in verschiedenen Ländern und analysieren Probleme, die in diesem neuen und spannenden Rechtsgebiet entstanden sind. Die Autoren ziehen Bilanz nach den ersten Jahren des Bestehens des IStGH und der zunehmenden Praxis der universellen Jurisdiktion und geben so einen aktuellen Überblick über den Stand des Völkerstrafrechts und dessen Beitrag zur Durchsetzung von Menschenrechten auf internationaler Ebene. Die meisten der Beiträge sind aus der Konferenz „Globalverfassung versus Realpolitik“ hervorgegangen, die der RAV zusammen mit dem New Yorker Center for Constitutional Rights im Juni 2005 im Berliner Abgeordnetenhaus veranstaltet hat. W. Kaleck, M. Ratner, T. Singelnstein, P. Weiss (Hrsg.): International Prosecution of Human Rights Crimes, 2006. Ca. 230 Seiten, 85,55 €, ISBN: 3-540-36648-2.

Neue Theorien des Rechts

Wolfgang Kaleck Wann hat sich der RAV zuletzt mit rechtstheoretischen Fragen befasst? Man mag es mir als Nachgeborenem verzeihen, ich kann mich an eine solche Debatte nicht erinnern. Ohne einzelnen Diskutanten - in welcher rechtspolitischen Debatte auch immer – zu nahe treten zu wollen, der Blick auf den Fußnotenapparat und die Literaturhinweise verrät es ohnehin: Auch im RAV diskutieren wir fleißig und engagiert zu rechtlichen Einzelproblemen im Strafrecht sowie im Ausländer- und Asylrecht, zum Datenschutz oder den Sicherheitsgesetzen, ohne dass wir uns über theoretische Grundpositionen noch vergewissern würden. Eine Buchneuerscheinung – bearbeitet von 22 jungen Rechtswissenschaftlern, die schwerpunktmäßig aus Frankfurt/M. kommen – lädt ein, diese Theoriedefizite nachzuholen. Kant und Hegel spielen nur indirekt eine Rolle. Der Band versteht sich vielmehr als komplementär zu den herkömmlichen Grundlageneinführungen, in denen die neueren Theoriemodelle keine große Rolle spielen. Die Herausgeber schreiben zur ihrer Auswahl, dass die vorgestellten Analysen "ein Recht zum Ausgangspunkt [haben], das in gesellschaftliche Verhältnisse verwoben ist und dessen Strukturen sich in ständiger Wechselbeziehung zu seinen sozialen Umwelten entwickeln, stabilisieren und rekonfigurieren." Dabei legen sie besonderen Wert auf den Kontakt mit den Nachbarwissenschaften wie Soziologie, Ökonomie, Linguistik und Medientheorie. Das Buch will einen Überblick über neue Theorieproduktionen schaffen, die auf neuere gesellschaftliche Herausforderungen reagieren. Als solche nehmen die Herausgeber vor allem "die neue mediale Infrastruktur des Rechts im Kontext der Zunahme der immateriellen Arbeit mit der leichten Verfügbarkeit für immer mehr Informationen im Hypertext des Rechts, die die Fragmentierung im inneren des Rechts sichtbar machen", wahr und zugleich werde "mit der Globalisierung auch das Recht von einem Sog erfasst, der zu immer schnelleren Umwälzungen seiner Regelungsmassen und Grenzen" führe. Die alte Erzählung des Rechts als Hierarchie von Normen und Rechtsquellen, des Rechts als mehrstöckiges Gebäude, die Ausrichtung auf den Nationalstaat, wie es für die alten Theorien maßgeblich war, werde diesen Realitäten nicht mehr gerecht. Vielmehr wird Recht von den meisten Autoren als eine Multitude von Akteuren, Apparaten und Systemen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um dessen Bedeutung stets aufs Neue produziert. Das Recht wird als ein dynamisches System begriffen, das nicht einfach in einer hierarchischen Normstruktur vorgegeben ist, sondern hergestellt wird und zwar in Verfahren, im Streit der Beteiligten, in richterlichen Begründungen, in Skandalisierungsprozessen, politischen Interventionen, insgesamt also in lokalen und globalen Netzwerken der Rechtskreation. In insgesamt 18 Einzelbeiträgen, unterteilt in vier große Kapitel (Trennung und Verknüpfung von Recht und Politik, Politik des Rechts, Fragmentierung des Rechts, Transnationaler Rechtspluralismus) werden vor allem neuere Theorien des Rechts dargestellt. Am Ende eines jeden Kapitels befinden sich umfangreiche Primär- und Sekundärliteraturhinweise. Außer den festen Größen, wie Habermas, Nietzsche, Luhmann, Foucault und den Critical Legal Studies finden sich auch Darstellungen zu psychoanalytischen und ökonomischen Theorien des Rechts sowie eine Einzeldarstellung des italienischen Rechtsphilosophen Giorgio Agamben. In einem der interessantesten Kapitel des Buches stellt Felix Hanschmann die Theorie transnationaler Rechtsprozesse (TRP) dar. Hanschmann beschreibt die einzelnen, vor allem US-amerikanischen Theoretiker des Legal Realism und der New Haven School und rekonstruiert deren Hauptaussagen. Mit dem Präfix "trans" distanziere sich die TRP von etatistischen Perspektiven mit der Betonung des prozesshaften Beschreibens ihres primären Beobachtungsobjekts. Dieses bestehe nicht mehr allein aus der Sammlung positiver Rechtsnormen und deren semantischem Bedeutungsgehalt, sondern Recht werde hergestellt "in jenen dynamischen Prozessen, in den nationalstaatliche Regierungen oder internationale Organisation, multinationale Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, professionelle Expertennetzwerke und private Individuen mit der Interpretation und Anwendung transnationaler Rechtsnormen befasst sind." Zu den von der TRP in den Blick genommen neuen Akteuren gehören insbesondere auch Bürger- und Menschenrechtsorganisationen. Deren Rolle bestehe darin, dass sie zu erreichende Ziele formulieren, die Durchsetzung von Ansprüchen unterstützen, die Implementierung bestimmter Standards fordern und in vielfältiger routinierter Weise mit anderen Akteuren und Institutionen interagieren. Als treibende Kräfte von Skandalisierungskampagnen perforieren sie politische Grenzen, pochen auf die Universalisierung der Menschenrechte und haben eine rechtskreative Funktion, denen traditionelle Rechtsphilosophien zu geringe Aufmerksamkeit widmen. Am Ende findet sich auch eine Kritik der TRP, die vor allem auf die fehlende Begründung der normativen Grundlagen der in Blick genommenen neuen Prozeduren verweist. Insbesondere die Erosion bedeutender mit dem National- und Verfassungsstaat verbundener demokratischer Errungenschaft und die daraus folgenden theoretischen Fragen werden zu wenig von der TRP thematisiert. Dies mag als kurzer Einblick in eine spannende Einführung genügen, der sich sicherlich einige Anregungen auch für unsere praktische Arbeit entnehmen lassen. Sonja Buckel, Ralph Christensen, Andreas Fischer-Lescano (Hrsg.): "Neue Theorien des Rechts", Stuttgart 2006, utb-Taschenbuch 2744.