Zur Kooperation Deutschlands im Irak-Krieg

Helga Wullweber Ende 2005 berichtete „Panorama“, dass Agenten des BND den USA im April 2003 bei der Auswahl von Zielen für Bomberpiloten im Irak-Krieg geholfen haben sollen.

Die Bundesregierung hat die Anwesenheit von zwei BND-Agenten in Bagdad während des Krieges bestätigt. Von deren Erkenntnissen seien aber nur „non targets“ und Informationen ohne militärischen Nutzen an die Amerikaner weitergeleitet worden.

Der Eklat, den das Bekanntwerden jedenfalls der fortbestehenden Zusammenarbeit auch des Bundesnachrichtendienstes mit den USA während des Krieges im Irak hervorrief, zeigt, dass es ein reales Problem für die Politik ist, wenn sie in den Verdacht gerät, ihren Maßstäben zuwider zu handeln. Durch diesen Eklat und die Folgen des Irak-Krieges veranlasst, wird auch wieder über den Bruch der Maßstäbe des Völkerrechts durch den Irak-Krieg debattiert. Die Unterstützungsleistungen Deutschlands für den Irak-Krieg waren nicht durch Nato-Bündnispflichten geboten und standen auch nicht im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung der Vereinten Nationen.

Die Zeiten nach dem 11. September. und die zu treffenden Entscheidungen waren schwierig. Die aktuelle Beurteilung der damaligen Entscheidungen muss nicht durch Rechtfertigungszwang vernebelt werden.

Kontext Terrorismusbekämpfung und „Antiterrorkrieg“ Kontext Bündnisfall?

Nach den Terroranschlägen gegen die USA vom 11. September 2001 erklärten die Nato-Vertragsstaaten am 12. September 2001 den Bündnisfall gemäß Art. 5 des Nordatlantikvertrages. Am 5. Oktober 2001 beschlossen sie auf Bitten der USA Maßnahmen zur Unterstützung der USA, u.a. Überflugrechte für US-Kampfbomber und Zugangsrechte zu Häfen und Flughäfen für US-Truppen. Am 7. Oktober 2001 begann der Krieg der USA gegen Afghanistan. Am 16. Oktober 2001 beschloss der Deutsche Bundestag, dass deutsche Streitkräfte mit den USA und den anderen Staaten der Anti-Terror-Koalition bei der militärischen Bekämpfung des internationalen Terrorismus, „zur Bekämpfung der Taliban und der Al-Quaida zusammenarbeiten und, um Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.“ Im November 2005 hat der Deutsche Bundestag der weiteren Beteiligung Deutschlands an der Operation Enduring Freedom (Krieg gegen Afghanistan) erneut zugestimmt.
  

UN-Terrorismusbekämpfung?


Parallel zum „Antiterrorkrieg“ Enduring Freedom bekämpft die internationale Gemeinschaft den Terrorismus auf der Basis von Terrorismus-Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, die vor und nach dem 11. September 2001 verabschiedet wurden. Die Resolution 1368 vom 12. September 2001, einen Tag nach den Terroranschlägen, knüpft an die Resolution 1269 des UN-Sicherheitsrates vom 19. Oktober 1999 an. An die Resolution 1368 schließen die Resolutionen 1373 vom 28. September 2001 und 1377 vom 12. November 2001 an.

Durch diese Resolutionen werden alle Staaten zur Zusammenarbeit und Koordinierung aufgefordert und dazu, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um in ihren Hoheitsgebieten die Vorbereitung und Finanzierung jeglicher terroristischer Handlungen mit allen rechtmäßigen Mitteln zu verhüten und zu unterbinden und denjenigen, die terroristische Handlungen planen, finanzieren oder begehen, sichere Zufluchtsorte zu verwehren, indem sie sicherstellen, dass diese Personen ergriffen und strafrechtlich verfolgt oder ausgeliefert werden. Die Staaten sollen im Einklang mit dem Völkerrecht und dem jeweiligen innerstaatlichen Recht Informationen austauschen und auf Verwaltungs- und Justizebene zusammenarbeiten, um die Begehung terroristischer Handlungen zu verhüten.

Die UN-Sicherheitsratsresolution 1368 vom 12. September 2001 verurteilt die grauenhaften Terroranschläge vom 11. September 2001 und betrachtet diese Handlungen als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und ruft die Staaten zur Zusammenarbeit auf, um die Täter und Förderer der Terroranschläge vom 11. September 2001 vor Gericht zu stellen.
Mit der Sicherheitsratsresolution 1373 vom 28. September 2001 werden die Staaten ausdrücklich zur frühzeitigen Warnung anderer Staaten im Wege des Informationsaustauschs aufgefordert und dazu, einander größtmögliche Hilfe bei der Beschaffung des für die Verfahren notwendigen Beweismaterials, das sich in ihrem Besitz befindet, zu gewähren, Wege zur Intensivierung und Beschleunigung des Austauschs operativer Informationen zu finden und diese Informationen im Einklang mit dem Völkerrecht und dem jeweiligen innerstaatlichen Recht auszutauschen.

Fehlender Zusammenhang Irak-Krieg – illegaler Akt

Der Irak-Krieg diente nicht der Terrorismusbekämpfung. Der am 20. März 2003 von den USA und Großbritannien begonnene Krieg gegen den Irak ist nicht durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats legitimiert. Die von den USA und ihren Verbündeten im Frühjahr 2003 ausgeführte militärische Invasion des Irak stelle einen „illegalen Akt“ dar - so der Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan, zitiert im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2005 (BVerwG 2 WT 12.04). In diesem Urteil wird erläutert: Die UN-Charta verbietet jede Androhung und Anwendung militärischer Gewalt gegen einen anderen Staat. Die UN-Charta erkennt nur zwei Rechtfertigungsgründe für die Ausübung militärischer Gewalt an, zum einen eine Resolution des UN-Sicherheitsrats gemäß Art. 39 UN-Charta, durch die eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung festgestellt werden und Maßnahmen beschlossen werden zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit; zum anderen das individuelle oder kollektive Selbstverteidigungsrecht im Falle eines bewaffneten Angriffs nach Art. 51 UN-Charta. (S. 78)

Es bestehe zwar bislang keine hinreichende Klarheit darüber, von welchem Zeitpunkt an ein „bewaffneter Angriff“ im Sinne des Art. 51 der UN-Charta vorliege. Die von den Regierungen einzelner Staaten wiederholt unter Berufung auf Art. 51 UN-Charta oder Völkergewohnheitsrecht in Anspruch genommene so genannte „präventive Selbstverteidigung“ sei umstritten geblieben. Auch von denjenigen, die eine erweiternde Interpretation des Art. 51 UN-Charta befürworten, werde eine präventive Selbstverteidigung allenfalls in einer Gefahrenlage für zulässig gehalten, die „gegenwärtig und überwältigend“ ist und „keine Wahl der Mittel und keinen Augenblick zur Überlegung lässt“. Eine solche Gefahrenlage habe selbst nach dem Vorbringen der Regierungen der USA und des UK im Frühjahr 2003 nicht vorgelegen. (S. 79)

„Die ursprünglich öffentlich geltend gemachte Behauptung einer Bedrohung durch ABC-Waffen des Irak als Rechtfertigung für den militärischen Gewalteinsatz blieb im Bereich der politischen Erklärungen, war jedoch insbesondere nicht Bestandteil der rechtlichen Rechtfertigung gegenüber dem UN-Sicherheitsrat. Vom stellvertretenden US-Verteidigungsminsiter Paul Wolfowitz wurde außerdem am 9. Mai 2003 erklärt, die offizielle Kriegsbegründung der Regierung sei für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen und dazu entwickelt worden, um in der Administration ‚bürokratische‘ Widerstände zu überwinden und weil es ‚der eine Grund war, dem jeder zustimmen konnte‘, wichtiger sei es gewesen, dass mit einem Erfolg im Irak-Krieg die Präsens von US-Truppen im benachbarten Königreich Saudi-Arabien tendenziell überflüssig werde“. (S. 79)
 

Unterstützung des Irak-Krieges durch Deutschland

Betreffend der Unterstützungsleistungen Deutschlands stellte das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) fest: Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland hat im Zusammenhang mit dem am 20. März 2003 begonnenen Krieg insbesondere die Zusagen gemacht und erfüllt, den USA und den UK über den Luftraum über dem deutschen Hoheitsgebiet „Überflugrechte“ zu gewähren, die Nutzung ihrer „Einrichtungen“ in Deutschland zu ermöglichen sowie für den Schutz dieser Einrichtungen „in einem näher festgelegten Umfang zu sorgen; außerdem hatte sie im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg dem weiteren Einsatz deutscher Soldaten in den AWACS-Flugzeugen „zur Überwachung des türkischen Luftraums zugestimmt“. (S. 80) Das Bundesverwaltungsgericht urteilte: Die Unterstützung einer völkerrechtswidrigen Militäraktion kann nicht nur durch die militärische Teilnahme an Kampfhandlungen erfolgen, sondern auch auf andere Weise. Ein völkerrechtliches Delikt kann durch ein Tun oder – wenn eine völkerrechtliche Pflicht zu einem Tun besteht – durch Unterlassen begangen werden. Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt. (S. 81)

Auf die Frage, ob es nicht offenkundig gewesen sei, dass die rot-grüne Bundesregierung als Irak-Kriegsgegner auf einem schmalen Grat balanciert und dass dies früher oder später auch Thema der politischen Debatte würde, antwortete Bundesaußenminister Steinmeier (SPD) Ende November 2005 (Spiegel v.om 30. November 2005): „Das klare Nein zum Krieg stand und steht. Aber unsere Entscheidung gegen die Teilnahme war immer verbunden mit den anderen Entscheidungen: Gewährung von Überflug-, Start- und Landerechten, Nutzung der militärischen Basen, nachrichtendienstliche Zusammenarbeit.“

Ein Rückblick (Christian Rath, taz vom 16. Januar 2006) vermittelt ein etwas anderes Bild: Bei der Eröffnung des Bundestagswahlkampfs in Goslar am 5. August 2002 sagte Bundeskanzler Schröder: „Druck auf Saddam Hussein: Ja. Aber Spielereien mit Krieg und militärischer Intervention – das ist mit uns nicht zu machen.“ Am 14. September 2002, kurz vor der Bundestagswahl, sagte er: „Unter meiner Führung wird sich Deutschland an keiner militärischen Aktion gegen den Irak beteiligen.“ Nach der Bundestagswahl sprach Schröder, die Akzente leicht verschiebend, nur noch davon, eine „aktive Beteiligung“ Deutschlands an einer Militärintervention im Irak werde es nicht geben. Auf dem Prager Nato-Gipfel im November 2002 erklärte der Bundeskanzler, dass die USA ihre Basen in Deutschland zu Kriegszwecken nutzen können. Deutschland werde auch keine Überflugrechte verweigern: „Wir haben nicht vor, die Bewegungsmöglichkeiten unserer Freunde einzuschränken. Mit oder ohne UNO-Mandant hat die USA ein Recht hier zu fliegen und ihre Basen in Deutschland zu nutzen.“ Nachdem ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum Ergebnis gekommen war, dass bei einem Präventivkrieg der USA deutsche Basen und deutscher Luftraum nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Bundesregierung benutzt werden dürften, zog sich die Bundesregierung darauf zurück, man habe eine „politische Entscheidung“ getroffen und werde sich an juristischen Diskussionen nicht beteiligen.

Bei den Unterstützungsleistungen handelte es sich um: Außer der Erlaubnis zur Nutzung ihrer Basen und der Gewährung von Überflugrechten unterstützte Deutschland die Amerikaner bei der Bewachung ihrer Kasernen in Deutschland mit 2.500 Bundeswehrsoldaten vor etwa 60 Militäreinrichtungen. In Kuwait waren bis 200 deutsche Soldaten mit dem Spürpanzer Fuchs stationiert, die nach einem Einschlag irakischer Raketen untersuchten, ob dabei chemische Waffen eingesetzt waren. Schließlich wurden deutsche Soldaten auch bei der AWACS-Luftaufklärung über der Türkei mit 38 Soldaten und neun zivilen Mitarbeitern eingesetzt. An einer offensiven Zielerfassung in Irak sollten sich die deutschen Soldaten der AWACS-Besatzungen nicht beteiligen.

Kooperation des Bundesnachrichtendienstes

Diese Unterstützungsleistungen Deutschlands für die den Irak-Krieg führenden USA und UK waren bekannt. Die Kooperation von BND-Agenten mit dem CIA während der Kämpfe im Irak als weitere Unterstützungsleistung würde nur mit der Erklärung der rot-grünen Bundesregierung, sich jedenfalls am Krieg „im“ Irak nicht zu beteiligen, nicht übereinstimmen.

Erwartung

Denninger (Recht, Gewalt und Moral – ihr Verhältnis in nachwestfälischer Zeit. Ein Bericht, Kritische Justiz 05, 358 f) berichtet, wie von Beginn der 1990er Jahre an die Vorstellung einer Weltgewaltordnung zunehmenden Anklang gefunden hat, die von der Ordnungsleistung von Gewalt, davon, mittels militärischer Gewalt Sicherheit herzustellen, fasziniert ist. Die Idee der Weltgewaltordnung reflektiert (so Denninger, a.a.O., S. 366, Habermas zitierend) die weit verbreitete Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer interkulturellen Verständigung über allgemein zustimmungsfähige Interpretationen von Menschenrechten und Demokratie.

Die Kriege gegen und in Afghanistan und gegen den und im Irak haben nicht mehr Sicherheit geschaffen. Die Kriegsfolgen und die vielzähligen Rechtsbrüche im Anti-Terror-Krieg haben zur weiteren, moralischen, Delegitimierung des Anti-Terror-Krieges beigetragen.

Denninger erläutert: „Die Notwendigkeit einer präventiven, vorbeugenden Verteidigung aus eigenem Recht, auch ohne Auftrag des Sicherheitsrates, bildet den Kern der Begründung für den Irak-Krieg [...] Das Sicherheitsbedürfnis, die Bedrohungsintensität und die Angriffswahrscheinlichkeit sind nicht die einzigen Faktoren, welche die Verteidigungsstrategie steuern und zugleich rechtfertigen sollen. Hinzu kommt ihre Einbettung in ein moralisches Programm [...] man kann sogar die These wagen, dass die moralische Selbstsicherheit umso größer sein muss, je geringer die Bedrohungsgewissheit ist und je schwächer damit die herkömmliche völkerrechtliche Rechtfertigung eines präventiven Waffeneinsatzes ausfallen muss. Oder anders ausgedrückt: Je stärker die eigene moralische Überlegenheit über den Gegner, den Feind angesetzt wird, desto geringere Anforderungen werden an die Rechtsgründe für die Befreiung vom allgemeinen Gewaltverbot gestellt. [...]“

Das heißt umgekehrt: Je fraglicher die moralische Überlegenheit wird, desto mehr Bedeutung erhält für eine realitätstüchtige Politik die Einhaltung der rechtlichen Regeln.

Denn: „Der zivilisatorische Prozess ist nicht gleichbedeutend mit der Überwindung von Gewalt, sondern mit der Eindämmung rechtloser Gewalt. [...] Bei der Gewährleistung von Sicherheit als Schutz vor rechtloser Gewalt bezieht sich das Kriterium ‚Recht‘ also immer auf beides: Die Situation vor Ort und die Art und Weise, wie in diese Situation eingegriffen wird. Der so verstandene enge Sicherheitsbegriff ist reflexiv. Er schließt die Selbstbeobachtung der Sicherheitspolitik als Politik, die ständig in Gefahr ist, neue Unsicherheit zu produzieren, ein.“ (Brock, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Neue Sicherheitsdiskurse, Vom ‚erweiterten Sicherheitsbegriff‘ zur globalen Konfliktintervention, Wissenschaft und Frieden 05, 18 ff).