Lebenslange Überwachung

Interview mit RA Rolf Gössner Kollege Gössner, Sie stehen unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Der Erklärung der Internationalen Liga für Menschenrechte können wir entnehmen, dass sie weiterhin unter dieser Beobachtung stehen. Seit wann läuft denn das und weswegen werden Sie beobachtet?

Rolf Gössner: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet mich nachweislich schon seit 1970, just als ich begonnen hatte, mein Jura-Studium an der Universität Freiburg aufzunehmen und innerhalb der Studentenschaft politisch aktiv zu werden – also seit nunmehr über 35 Jahren. Grund der Überwachung ist laut BfV, dass ich Kontakte zu Gruppen und Personen habe, die ihrerseits unter Beobachtung des Verfassungsschutzes (VS) stehen, weil er diese als „linksextremistisch“ oder „linksextremistisch beieinflusst“ einstuft – ohne jedoch Kriterien für diese Einstufung zu benennen. Dazu zählen etwa die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) und die Rechtshilfegruppe „Rote Hilfe e.V.“. Bei den über mich gesammelten „Sünden“ handelt es sich insbesondere um meine Artikel, Reden und Interviews, die in bestimmten Publikationen – etwa in den Tageszeitungen „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“ – erschienen sind sowie um Lesungen und andere Veranstaltungen mit bestimmten Veranstaltern, wie etwa der VVN oder der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“. Letzten Endes wird mir eine Art „Kontaktschuld“ im Rahmen meiner publizistischen, anwaltlichen und ehrenamtlichen Tätigkeit zur Last gelegt, nicht etwa eigene verfassungswidrige Bestrebungen.

Wie haben Sie von der Beobachtung erfahren, und was haben Sie in Erfahrung bringen können? Es liegt ja in der Logik der geheimdienstlichen Tätigkeit, dass man allenfalls auf Umwegen überhaupt von diesen Tätigkeiten erfährt und dann aber nichts weiter in Erfahrung bringen kann.

Im Jahr 1996 habe ich von der Beobachtung erfahren, nachdem ich wegen gewisser „Ungereimtheiten“ und Hinweise beim BfV einen Antrag auf Auskunft über die zu meiner Person gespeicherten Daten gestellt hatte. Daraufhin präsentierte mir das BfV ein mehrseitiges Dossier, in dem bis zurück ins Jahr 1970 in erster Linie meine publizistischen Aktivitäten aufgelistet waren. Genannt wurden meine Publikationen in angeblich „linksextremistischen“ bzw. „linksextremistisch beeinflussten“ Presseorganen: Aufsätze, Artikel, Reden und Interviews etwa in „Deutsche Volkszeitung“, „Blätter für deutsche und internationale Politik“, „Demokratie und Recht“ (alle damals noch als „DKP-beeinflusst oder -gesteuert“ eingestuft), „Arbeiterkampf“ (KB), „Sozialistische Zeitung“, in dem geheimdienstkritischen Magazin „Geheim“ (Köln) oder in Publikationen der VVN. Nicht erfasst wurden hingegen meine Buchpublikationen sowie zahlreichen Aufsätze in der „Frankfurter Rundschau“, der „Berliner Zeitung“, in „die tageszeitung“, im „Freitag“ sowie in den Fachzeitschriften „Polizei - heute“, „Neue Kriminalpolitik“, „Kritische Justiz“ oder „Ansprüche“. War das wirklich alles an „Erkenntnissen“ des Verfassungsschutzes?

Nein, in seiner damaligen Antwort listete das Amt nicht nur meine publizistischen „Fehltritte“ auf, sondern wies noch darauf hin, dass auch personenbezogene Daten über meine angeblichen „Kontakte zu und Zusammenarbeit mit linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Personenzusammenhängen“ gespeichert seien. Um welche es sich dabei handelt, darüber schwieg sich das Amt zunächst aus. Erst auf dringliche Nachfrage hat es dann in einer zweiten Auskunft mitgeteilt, dass auch meine politischen Veranstaltungen und Buch-Lesungen überwacht und dateimäßig erfasst werden. Eine Liste von Veranstaltungen aus den 1980er und 90er Jahren mit genauen Zeiten und Orten dokumentieren einen gewissen Ausschnitt meiner Vortragstätigkeit - so etwa eine Lesung zu meinem Buch „Die vergessenen Justizopfer des kalten Kriegs. Über den unterschiedlichen Umgang mit der deutschen Geschichte in Ost und West“ (Hamburg 1994), die die Stadtbibliothek Bremen zusammen mit der VVN 1994 in den Räumen der Stadtbibliothek veranstaltet hatte. Nicht erfasst wurde hingegen meine parlamentarische Gutachtertätigkeit für die Innen- und Rechtsausschüsse des Bundestages und zahlreicher Landtage. Nicht erfasst wurden auch Veranstaltungen etwa von SPD-, Grünen-, PDS-Fraktionen sowie der Polizeiführungsakademie, des Bundesgrenzschutzes, von Polizeifachhochschulen sowie des Verfassungsschutzes selbst (Thema: „Verfassungsschutz - eine Behörde ohne Zukunft?“), die mich als Referenten oder Experten eingeladen hatten.

Seit der ersten Auskunft stelle ich in unregelmäßigen Abständen neue Anträge und erhalte jedes Mal wieder seitenlange Auflistungen der mir zur Last gelegten Aktivitäten. Die letzte stammt aus 2005 und umfasst die Jahre seit 2000. Was wird Ihnen darin vorgeworfen?

Im letzten BfV-Dossier werden wieder einige meiner publizistischen Beiträge als verfassungsschutzrelevant aufgezählt, so u.a. in „Junge Welt“ (z.B. Interview zum BigBrother Award), in „Neues Deutschland“ (u.a. Beitrag über meine Wahl zum Liga-Präsidenten), in „antifa“ (VVN-Interview „Verfassungsschutz gehört aufgelöst“); in der kurdischen Zeitung „Özgür Genclik“ (Interview zur Lage der Menschenrechte in der Türkei und zur ungelösten Kurdenfrage); in „Die Woche“ (Titel: „Unter Schlapphüten. 50 Jahre Verfassungsschutz: Der Rechtsanwalt und Buchautor Rolf Gössner kann dem Amt, das ihn seit mehr als 30 Jahren überwachen lässt, nicht zum Jubiläum gratulieren“); „Frankfurter Rundschau“ („Über die NPD sollen die Wähler, nicht Richter entscheiden“; „Das V-Mann-Unwesen muss unterbunden werden“); in „Gegenwind“ (Dokumentation der Laudatio, die ich anlässlich der BigBrotherAward-Verleihung 2005 an BMI Otto Schily gehalten habe); „Weser-Kurier“ (Interview “Geheimdienste sind Fremdkörper in einer Demokratie“) – in etlichen dieser Beiträge geht es, wie man sieht, auch um das Thema „Verfassungsschutz“.

Aufgelistet werden auch ein paar Aufrufe, wie jener „zur Unterstützung antirassistischen und antifaschistischen Engagements vor Ort“ der VVN-BdA, ein Aufruf der „Roten Hilfe“ („Die Archive öffnen!“) sowie ein kurdischer Aufruf „Verboten ist, den Frieden zu verbieten!“. Alle drei Aufrufe, so auch der "Vorwurf" des BfV, habe ich als (Erst)Unterzeichner unterstützt.

Darüber hinaus finden sich in der BfV-Liste auch noch meine Referate auf einer Tagung im Rahmen der „Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Kriegs“ (zur politischen Justiz der 1950er und 60er Jahre) sowie der „Peter-Immandt-Gesellschaft e.V.“ und der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ (zu den so genannten Sicherheitsgesetzen). Nun sind Sie über Ihre Publikationen gerade dem Verfassungsschutz sicherlich auch ein Dorn im Auge. Sie sind Autor des Buchs „Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienste des Staates“ und Sie haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche unrühmliche Rolle der Verfassungsschutz im letztlich gescheiterten NPD-Verbotsverfahren gespielt hat. Man kann also ohne viel Federlesen sagen, dass Sie seit geraumer Zeit den Verfassungsschutz beobachten. Beobachtet nun der Verfassungsschutz vielleicht doch auch Sie? Ich meine zielgerichtet Sie und vielleicht auch gerade wegen Ihrer publizistischen Tätigkeit?

Nun, ja – dass der Verfassungsschutz an den Resultaten meiner geheimdienstkritischen Arbeiten Interesse zeigt, ist ja nicht verwerflich und von mir durchaus intendiert; die entsprechenden Aufsätze, Interviews und Bücher soll er durchaus zur Kenntnis nehmen und möglichst gründlich lesen. Insoweit fühle ich mich wirklich nicht beobachtet. Kann aber sein, dass sich der VS dadurch von mir beobachtet, ja ausgekundschaftet fühlt. Problematisch wird es besonders dann, wenn sich der VS in meine Recherchen einmischen sollte, diese beobachtet und registriert – selbst dann, wenn das etwa ganz ungezielt „nur“ anlässlich von bestimmten Kontakten geschehen sollte, die ich zur Informationsbeschaffung knüpfe und oft über Jahre aufrechterhalte. Das wäre ein schwerer Eingriff in das Berufsgeheimnis und den Informantenschutz, zumal wenn dabei nachrichtendienstliche Mittel wie etwa V-Leute zum Einsatz kommen.

Klagen Sie? Und welche Chancen sehen Sie herauszufinden, wie und warum Sie observiert wurden?

Ich habe gegen die Bundesrepublik Deutschland Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben. Die Klage ist zunächst auf eine vollständige Auskunft des BfV über alle zu meiner Person gespeicherten Daten gerichtet, da das Amt weitergehende Auskünfte wegen „Geheimhaltungsbedürftigkeit“ und „Ausforschungsgefahr“ sowie zum Schutz von „Quellen“ verweigert hat; in einem weiteren Schritt soll die Rechtmäßigkeit der Erfassung gerichtlich überprüft und eine Löschung der Daten erstritten werden.

Über die Erfolgsaussichten ließe sich nur spekulieren – dass ich im Verlauf des Verfahrens mehr erfahren werde, als ich bislang weiß, davon gehe ich allerdings aus, sonst hätte ich nicht zu klagen brauchen. Doch dieses Verfahren hat, so denke ich, über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um ein brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft: Welche Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und ihren geheimen Aktivitäten gezogen – besonders im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und im Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen?

Denn die Maßnahmen einer solchen geheimdienstlichen Langzeitüberwachung eines Rechtsanwalts, Publizisten und Menschenrechtlers verletzen die Persönlichkeitsrechte, den Informantenschutz, das Mandatsgeheimnis und die ausforschungsfreie Sphäre, die für unabhängige Menschenrechtsgruppen unabdingbar ist. Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt und Publizist. Seit 2003 ist er Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ (Berlin; ilmr.de), Autor zahlreicher Bücher zu „Innerer Sicherheit“ und Bürgerrechten, zuletzt: Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates. (Knaur, München 2003).
Internet: rolf-goessner.de.
Das Interview führte Hannes Honecker