Mehr Staat wagen - Innere Sicherheit und die Vorhaben der großen Koalition
Betrachtet man zunächst das, was als "Sicherheitsarchitektur" der Bundesrepublik bezeichnet wird, also die Aufgaben- und Arbeitsteilung verschiedener Behörden, so standen in den letzten Jahren drei Themenkomplexe im Zentrum der Diskussion: die Befugnisse des Bundeskriminalamtes (BKA), das Verhältnis von Polizei und Nachrichtendiensten und der Einsatz der Bundeswehr im Innern. Der Koalitionsvertrag schlägt für diese Fragen je unterschiedliche Lösungen vor.2
Bislang hat das BKA keine eigenständigen "Vorfeldbefugnisse". D.h. für Tätigkeiten der Verdachtsgewinnung, die nicht auf die Strafprozessordnung gestützt werden können, ist das BKA auf die Landespolizeien angewiesen. Im Terrorismusbekämpfungsgesetz vom Januar 2002 konnte das Bundesinnenministerium seine Pläne zur Ausweitung der BKA-Befugnisse nur in abgeschwächter Form durchsetzen. Otto Schily scheiterte aber nicht an parteipolitischen Widerständen, sondern an denen der Länder: Diese wollten verhindern, dass ihre Landespolizeien durch eine noch weiter gestärkte Zentrale an den Rand gedrängt würden. Die Debatte um BKA-Vorfeldkompetenzen wurde in der "Föderalismuskommission" fortgeführt. Nach deren Vorschlag soll der Bund die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit erhalten für "die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht". Diese Grundgesetzänderung wollen die Koalitionsparteien nun umsetzen. Damit ist der Weg für weitere Vorfeldaktivitäten des BKA geebnet.
Polizei, Nachrichtendienste, Bundeswehr
Vermeintlich deutliche Unterschiede zwischen den neuen Koalitionspartnern gab es im Wahlkampf über die Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Innern. Die parlamentarischen Initiativen von Seiten der CDU, der Bundeswehr im Staatsinnern die Abwehr terroristischer Gefahren zu ermöglichen, waren an der Ablehnung der SPD gescheitert.3 Stattdessen favorisierte die SPD Teilregelungen wie etwa im Luftsicherheitsgesetz und eine weite Interpretation von "Amtshilfe", durch die das Militär im Innern vermehrt tätig werden sollte.4 Da die Koalitionäre sich darin einig sind, dass "äußere und innere Sicherheit immer stärker ineinander[greifen]", lag eine Einigung nahe: Man wartet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz ab, um dann zu prüfen, "ob und inwieweit verfassungsrechtlicher Regelungsbedarf" besteht. Wohin die gemeinsame Reise geht, wird in den Vereinbarungen über die Zukunft der Bundeswehr deutlich: Für Ende 2006 verspricht die Koalition die Vorlage eines "Weißbuchs", das auch "eine Festlegung der Aufgaben und der Zusammenarbeit der für Sicherheit verantwortlichen Institutionen innerhalb einer umfassenden nationalen Sicherheitsvorsorge" beinhalten soll. Angesichts der terroristischen Bedrohungen sei die "äußere von der inneren Sicherheit nicht mehr trennscharf zu unterscheiden", die "Landesverteidigung" stehe vor veränderten Bedingungen. Das "Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit wird weiter ausgebaut." Die Bundesregierung werde "Initiativen vorlegen", soweit "gesetzlicher oder verfassungsmäßiger Regelungsbedarf" bestehe. Im Klartext heißt dies: Die vermehrte Tätigkeit der Bundeswehr im Innern kommt - entweder mit oder ohne Gesetz. Mit dem Verweis auf vermeintliche polizeiliche Personalengpässe während der Fußball-Weltmeisterschaft bereitet Innenminister Schäuble seit seinem Amtsantritt bereits das Terrain vor, in das die Truppe geschickt werden wird, wenn es irgendwann zu einem terroristischen Anschlag in Deutschland kommen sollte.
Teilfragen
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Insgesamt ist den diversen Vorhaben ist nicht viel mehr als eine Richtungsangabe zu entnehmen: mehr Erfassung, mehr heimliche Überwachung, mehr Strafandrohung und mehr effektives Strafen. Sie enthalten längst Beschlossenes (Digitalfunk), Hausaufgaben, die das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber auferlegte (Europäischer Haftbefehl, Untersuchungshaft, verdeckte Methoden), für untauglich befundene Ladenhüter (Kronzeugenregelung), strafrechtliche Symbolpolitik (Zwangsverheiratung ist bereits strafbar), neuere Elemente populistischer Kriminalpolitik (Sicherungsverwahrung für Jugendliche, Schleuser-Warndatei) und vage Absichten mit strafender bzw. strafandrohender Schlagseite (Sexualstrafrecht).
Prüfen, evaluieren, aufschieben
- ob der Datenschutz einer effektiven Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität entgegensteht,
- ob "Sympathiewerbung für terroristische Vereinigungen oder Aktivitäten" unter Strafe gestellt werden soll,
- welche Instrumente gegen Zwangsverheiratungen etabliert werden sollen,
- ob "Absprachen im Strafprozess" gesetzlich geregelt werden sollen,
- im Hinblick auf die Fernmeldeüberwachung in der Strafprozessordnung, "den Katalog der Straftaten ergebnisoffen überprüfen". Nach einer "Evaluation" will man verhandeln über:
- die erst am 5. September 2005 in Kraft getretene Regelung über die Strafbarkeit von Graffiti (wenn 2007 eine Evaluation vorliegt),
- über die Regelungen zum Abhören von Wohnungen, deren neue Fassung am 1. Juli 2005 in Kraft getreten ist ("wenn die ersten Berichte der Bundesregierung [...] vorliegen"),
- über die Frage, ob der Anwendungsbereich der DNA-Analyse "aus kriminalpolitischen Gründen ausgeweitet werden muss"; dessen jüngste Ausdehnung ist erst am 1. November 2005 in Kraft getreten.
Nichts Genaues wird den BürgerInnen in Aussicht gestellt. Der Verweis auf die Erfahrungsberichte täuscht rationale Entscheidungen vor, wo politischer Wille zu begrenzenden Regelungen fehlt. Vergleichbare "Evaluationen" in der letzten Zeit, etwa der Schleierfahndung in Bund und Ländern oder der Befugnisse nach dem Terrorismusbekämpfungsgesetz, erfüllten nicht die minimalsten Standards, die an eine Bewertung zu stellen sind, weil die Behörden sich selbst "evaluierten". Nirgendwo im Koalitionsvertrag ist auch nur angedeutet, dass man von diesem Verfahren abzugehen gedenkt.
[...]
Mit der "Sympathiewerbung" für den Terrorismus knüpft die Koalition an der internationalen Bekämpfungsstrategie an, die darauf aus ist, ein weites terroristisches Umfeld zu kriminalisieren.5 Als ob die §§ 129a und 129b Strafgesetzbuch ("terroristische Vereinigung") das "terroristische" Vorfeld nicht schon ausreichend erfassten. Dass in derartigen Regelungen das Potential zur Beschränkung jeder kritischen Meinungsäußerung liegt, hat die kurze Geschichte der §§ 88a ("verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten") und 130a ("Anleitung zu Straftaten") Strafgesetzbuch gezeigt. Beide waren 1976 in der Hochkonjunktur des Antiterrorismus eingeführt, aber 1981 wieder gestrichen worden, weil sie zwar zu vielen Ermittlungen, aber nur zu einer einzigen Verurteilung geführt hatten. In erweiterter Version war 1986 die "Anleitung von Straftaten" bereits wieder eingeführt worden. Was jetzt geprüft werden soll, ist die komplette Wiederherstellung eines Instrumentariums, das Anfang der 1980er Jahre bereits seine Untauglichkeit unter Beweis gestellt hatte.6
In ihren Prüfkatalogen listen die Parteien jene Fragen auf, zu denen sie sich gegenwärtig noch nicht einigen können oder zu denen sie dem Volk ihre Antworten noch nicht kundtun wollen. Aber in allen genannten Fragen ist offenkundig, dass am Ende weniger Rechte für die BürgerInnen und mehr staatliche Kontrollen und Eingriffsbefugnisse stehen werden.
Rhetorische Glanzlichter - dunkle Schatten
Fussnoten
2 Gemeinsam für Deutschland - mit Mut und Menschlichkeit. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. November .2005, unter: www.cducsu.de/upload/koavertrag0509.pdf. Sofern nicht anders angegeben, entstammen alle Zitate diesem Text.
3 Z.B. BR-Drs. 181/04 v. 5. März 2004 oder BT-Drs. 15/ 4858 v. 18. Januar 2005.
4 Siehe z.B.: Wiefelspütz, D.: Einsatz der Streitkräfte im Innern, in: Die Polizei 2003, H. 11, S. 301-307.
5 Vgl. den Beitrag von Tony Bunyan in Heft 82 der Bürgerrechte & Polizei/CILIP, S. 46-52.
6 Vgl. Kindhäuser, U.; Neumann, U.; Paeffgen, H.-U. (Hg.): Strafgesetzbuch, Bd. 1, 2. Aufl., Baden-Baden 2005, S. 2767 f.