"Es gibt nicht einmal Verwundete"

Interview mit Eduardo C. Wilches Interview mit Eduardo Carreño Wilches, Corporación Collectivo de Abogados José Alvear Restrepo, Bogotá (Kolumbien), über seine Arbeit als Rechtsanwalt, die Menschenrechtssituation in Kolumbien, politische Gefangene und soziale Repression. Eduardo Carreño Wilches arbeitet als Strafverteidiger im kolumbianischen Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo mit Sitz in Bogotá. Das Kollektiv befasst sich mit juristischen Fragen und Fällen in zahlreichen Rechtsgebieten, die mit dem sozialen Konflikt des Landes und den Menschenrechten zu tun haben. Dabei hat die Arbeit der Anwälte auf internationaler Ebene einen hohen Stellenwert: 1996 bekam das Kollektiv den Menschenrechtspreis der Republik Frankreich verliehen. Das Interview wurde Ende 2004 von Tobias Singelnstein und Fabian Singelnstein geführt. In der europäischen Wahrnehmung werden mit Kolumbien meist Drogen und Bürgerkrieg assoziiert, ohne dass eine differenzierende Betrachtung des südamerikanischen Landes stattfinden würde. Kolumbien ist ein reiches Land. Dies betrifft nicht nur Bodenschätze wie Erdöl, Edelsteine und verschiedene Metallerze sowie Gold sondern auch sonstige natürliche Ressourcen. Nichtsdestotrotz sind die sozialen Verhältnisse in dem präsidialdemokratisch regierten Nationalstaat verheerend. Der Reichtum des Landes kommt einer kleinen Oligarchie und transnationalen Konzernen zugute, die zudem die kostengünstigen Produktionsbedingungen ausnutzen. Währenddessen lebt die große Mehrheit der Bevölkerung in ärmlichen Verhältnissen: Nach gewerkschaftlichen Angaben leben 55 Prozent der Einwohner in Armut, 20 Prozent in absolutem Elend; 50 Prozent haben keine Sozialversicherung, eine Million Familien sind obdachlos und 15 Prozent der Haushalte verfügen nicht über einen Trinkwasseranschluss.1 Diese extremen Widersprüche kann man in den großen Städten des Landes konkret beobachten: Während bspw. im Norden Bogotás ein zweites Zentrum entstanden ist, um das sich die reichen Wohnviertel unter dem Schutze zweier dort ansässiger Militärstützpunkte gruppieren, breiten sich nach Süden hin die Viertel der ärmeren Bevölkerung aus. Während man im Norden am Wochenende durch die Parks und Straßen flaniert, die sich nicht wesentlich von anderen der westlichen Welt unterscheiden und wo Militärpolizei zum Schutz an jeder Ecke steht, errichten sich die armen Bevölkerungsschichten im Süden Hütten und einfache Häuser und kämpfen um den Anschluss dieser so entstehenden neuen Viertel an die Strom- und Wasserversorgung. Dieser soziale Konflikt durchzieht die gesamte kolumbianische Gesellschaft und zeigt sich insbesondere im Bestehen der seit Jahrzehnten kämpfenden Guerilla-Gruppierungen, die angesichts der Verhältnisse radikale soziale Veränderungen einfordern. Die herrschende Oligarchie beantwortet den sozialen Protest mit Repression. Diese Antwort trifft keineswegs nur die bewaffnet kämpfenden Gruppen, sondern seit jeher alle Protagonisten dieses Widerstands, alle sozialen Bewegungen, wie z. B. auch Gewerkschaften, Campesino- und Studentenbewegung, die für einen sozialen Wandel eintreten. Opposition bedeutet daher in Kolumbien etwas vollkommen anderes als bspw. in den meisten europäischen Ländern: Wer sich für einen grundlegenden sozialen Wandel einsetzt, riskiert als politischer Gefangener für Jahre im Gefängnis zu verschwinden, vertrieben zu werden oder als Opfer einer extra-legalen Hinrichtung zu enden.

Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund ist auch die Tätigkeit als Jurist eine gänzlich andere als bspw. in Europa. Dies betrifft zum einen das berufliche Selbstverständnis. Für nicht wenige Studierende der Rechtswissenschaft sowie insbesondere auch Rechtsanwälte stellt die juristische Tätigkeit in ganz besonderem Maße eine emanzipative Perspektive, einen Weg gesellschaftlicher Veränderung dar. Schließlich besteht ein wesentlicher Teil der Aufgaben darin, die Rechte von Individuen und Gruppierungen einem Staat gegenüber einzuklagen, der sich in weiten Teilen nicht an seine eigenen Gesetze hält. Insofern sind die Tätigkeit als Jurist und das Engagement für einen grundlegenden sozialen und gesellschaftlichen Wandel keineswegs ein Widerspruch, sondern entsprechen sich vielmehr mitunter.

Don Eduardo, bitte stellen Sie doch kurz das Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo und seine Arbeit vor.

Das Anwaltskollektiv besteht aus 13 Rechtsanwälten mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten. Seit der Gründung des Kollektivs 1980 versuchen wir, in den gesellschaftlichen Bereichen zu helfen, die am betroffensten, verletzbarsten und ärmsten sind, wenn die Menschen sich dort organisieren. Wir wollen also Leute unterstützen, die um ihre Rechte kämpfen, die in sozialen oder politischen Prozessen versuchen, die Strukturen des Landes zu verändern.

In diesem Sinne verteidigen wir zum einen die Menschenrechte, indem wir Menschrechtsverbrechen öffentlich machen und politische Gefangene vor Gericht verteidigen. Als politische Gefangene verstehen wir neben Angehörigen der bewaffneten Organisationen, die sich in Oppositionen zum kolumbianischen Staat befinden, auch Mitglieder von sozialen Organisationen, also Parteien, Gewerkschaften, Bauern-, Indigena- und Studentenorganisationen, die aufgrund ihrer Aktivitäten kriminalisiert werden. Darüber hinaus arbeitet das Kollektiv auch mit den Opfern von Menschenrechtsverbrechen als zivilem Teil des bewaffneten Konfliktes und kümmert sich um ihre Rechte. Dies beinhaltet u.a. die Vertretung der Opfer in Strafprozessen bei Fällen von Folter, extralegalen Hinrichtungen und Verschwindenlassen durch Tun oder Unterlassen des Staates oder durch Taten einzelner Personen, die direkt oder auch nur mittelbar für den Staat arbeiten, wie z.B. im Fall der Paramilitärs. Dies alles machen wir sowohl vor der ordentlichen Strafgerichtsbarkeit als auch vor Militärstrafgerichten, deren Zuständigkeit sich nach der jeweils aktuellen Gesetzgebung richtet.2

Weiterhin vertreten wir auch Klagen gegen den Staat vor den Verwaltungsgerichten um bspw. Entschädigungen zu erreichen, wenn der Staat ein Verbrechen oder Delikt verübt und damit einer Familie, Person, der Gesellschaft oder politischen und sozialen Organisationen Schaden zufügt. In diesem Zusammenhang versuchen wir auch, Disziplinarprozesse gegen staatliche Funktionäre anzustrengen, die sich an Verbrechen beteiligt oder diese möglich gemacht haben, um die Entfernung solcher Krimineller aus dem öffentlichen Dienst zu erreichen. Schließlich versuchen wir bspw. auch, in Fällen von Massenvertreibungen zu helfen, damit der Staat ein Mindestmaß der Rechte dieser Leute auf Gesundheit, Bildung, Ernährung und Wohnraum respektiert und damit seiner Verantwortung gerecht wird.

Gehen Sie bei all dem auch auf internationaler Ebene vor?

Etwa seit den 1990er Jahren versuchen wir, solche Verfahren auf eine internationale Ebene zu heben, wenn sie in Kolumbien nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führen. Dabei wenden wir uns z.B. an die Vereinten Nationen sowie die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Dieser liegen die meisten Fälle vor, in denen es darum geht, den kolumbianischen Staat für die Nichteinhaltung der von ihm unterzeichneten internationalen Menschenrechtsvereinbarungen zu sanktionieren. Später haben wir unsere Arbeit auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie Aspekte des Völkerrechts erweitert, die in internationalen Abkommen anerkannt sind, aber in Kolumbien nicht angewendet werden.

Sie haben bereits angedeutet, dass es neben diesen konkreten juristischen Tätigkeiten auch eine eher politische Ebene in ihrer Arbeit gibt. Wie sieht diese aus?

Wir arbeiten bspw. mit anderen Organisationen in nationalen, interamerikanischen und internationalen Netzwerken und Plattformen zusammen, wie z.B. der Koordination Kolumbien, Europa, USA, um politischen Druck aufzubauen und so den kolumbianischen Staat auch auf internationaler Ebene dazu zu zwingen, die von ihm eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Auf nationaler Ebene arbeiten wir mit anderen Organisationen in der Friedens- und Menschenrechtsarbeit zusammen. Wir halten viel davon, dass die Arbeit in diesem Bereich koordiniert wird, da wir nicht glauben, dass individuelle Aktionen ein wirklich effizientes Mittel sind.

Wie hat sich die Arbeit des Kollektivs entwickelt und wie sind Sie persönlich zu dieser Arbeit gekommen?

Ich bin Sohn einer Arbeiterfamilie. Als ich die Oberschule beendet hatte, musste ich arbeiten, um in der Universität studieren zu können. Also habe ich am Tag gearbeitet und in der Nacht studiert. Deshalb hatte ich eine direkte Verbindung zu den Arbeitern und Gewerkschaften, die mich zu meiner ersten konkreten juristischen Tätigkeit gebracht hat: Aus dem Alltag mit den Arbeitern heraus habe ich mich mit Anwälten zusammengetan und dem Arbeitsrecht gewidmet. Dies habe ich mehr oder weniger zwei Jahre lang gemacht.

Dann, etwa 1978/1979, begann aufgrund der Repression des Staates die Kriminalisierung der Gewerkschaftsführer, die man anfing wegen des Vorwurfs der Rebellion3 und der Verschwörung vor der Militärgerichtsbarkeit anzuklagen. Aufgrund dessen brauchten viele Arbeiter, mit denen ich damals zusammengearbeitet habe, juristischen Beistand, so dass wir angefangen haben, auch im Bereich des Militärstrafrechts zu arbeiten. Ab dem Jahr 1982, als wir bereits als Kollektiv zusammenarbeiteten, haben wir viel Gefangenenarbeit gemacht. Danach haben wir an Klagen gegen den Staat gearbeitet, weil sich die Repression durch paramilitärische Gruppen ausgeweitet hatte. Also haben wir angefangen, neue Wege zu gehen und den Staat und seine Verwaltung wegen unterlassener Strafverfolgung und weit verbreiteter Straflosigkeit zu verklagen. Den Erfahrungen internationaler Menschenrechtsorganisationen folgend haben wir die Fälle auf eine internationale Ebene gebracht.

Später haben wir uns auch mit den Prozessen der sozialen Wiedereingliederung von Mitgliedern der Guerilla-Bewegung, z.B. im Jahr 1990, beschäftigt und waren 1991 am Prozess der Beratung über eine neue Verfassung in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung beteiligt.4 Dort waren wir als Ratgeber einiger bereits wieder eingegliederter Mitglieder von bewaffneten Gruppen tätig, die wir bereits früher verteidigt hatten. Infolgedessen gab es eine neue Amnestie und einen Straferlass, wobei wir in der Wiedereingliederung der betroffenen Gefangenen tätig waren.

Danach haben wir verstärkt auf internationalem Niveau gearbeitet, weil sich die Modalitäten der Repression verändert hatten. Es war nötig, die Gefangenen und Verfolgten zu betreuen, die sich nicht wiedereingegliedert hatten, wie z.B. im Fall des ELN oder der FARC sowie Teilen des EPL.5 Diese unterlagen nach der Wiedereingliederung eines Teils der Guerilla-Bewegung einer verstärkten sowohl juristischen als auch politischen Repression und bekamen die Formen des schmutzigen Krieges6 ganz besonders zu spüren. Ich denke, dass wir in diesem Bereich auch heute noch unsere Koordination und Arbeit ausbauen müssen, um den internationalen Druck weiter zu erhöhen. Denn diejenigen, die 1990 wiedereingegliedert wurden, haben natürlich aufgehört, ihre bis dahin ausgeübte internationale Arbeit fortzuführen.7 Eher im Gegenteil: Sie haben sich teilweise gegen die Menschenrechtsorganisationen gewandt.

Welche Organisationen sind denn in diesem Prozess wiedereingegliedert worden?

Das M-19, der Quintin Lame, der PRT, die Corriente Renovadora Socialista und Teile des EPL.8 Um diese Organisationen handelte es sich, und sie sprachen sich teilweise nach außen politisch für die Regierung aus und sagten, hier gebe es keine Verletzung der Menschenrechte, dass sich das jetzt geregelt hätte und all das. Das veränderte also die Situation und deshalb musste man die Initiative ergreifen zur Arbeit auf internationalem Niveau.

An all diesen Prozessen habe ich als Anwalt teilgenommen und dadurch fast das ganze Land kennen gelernt. Dabei konnte ich den Leuten auf persönlicher Ebene helfen, bei der Qualifizierung und Organisierung, durch Begleitung und Betreuung und natürlich auf juristischer Ebene. Dies betraf Indigenas, Bauern, Arbeiter, politische Opposition und Leute, die sich auch tatsächlich im bewaffneten Widerstand befanden. Ich habe so ziemlich jede Art von Organisation und Menschen aus allen Gegenden verteidigt.

Schließt dies auch Paramilitärs mit ein?

Nein, das nicht!

Ist das Anwaltskollektiv selbst von Repression betroffen?

Ja, das Kollektiv wurde bedrängt und bedroht. Wir wissen z.B., dass sowohl die Telefonanschlüsse der Büros als auch unsere privaten permanent abgehört werden. In Berichten der Geheimdienste werden wir als Mitglieder von Guerilla-Organisationen gebrandmarkt. Das Problem des Staates dabei ist nur, dass sie nicht wissen, welcher Gruppierung sie uns zuordnen sollen, weil wir schon alle verteidigt haben. Der Sicht der Geheimdienste folgend müssten sie uns also allen Organisationen zuordnen, auch denen, die bereits wiedereingegliedert wurden. Gleichzeitig müssen sie anerkennen, dass wir eben auch Indigenas, Bauern, Studenten und die (legale) politische Opposition vertreten. Bei mir persönlich sind das z.B. gerade Wilson Borja wegen eines Attentates, das auf ihn verübt wurde, Alexander López, der im Rahmen der „Operación Dragón“ umbgebracht werden sollte, Piedad Córdoba, die von Paramilitärs entführt wurde, oder Gloria Gaitán, die zu den massenhaften Verfolgungen und Ermordungen von Mitgliedern der Gaitanisten-Bewegung arbeitet.9

Natürlich kämpfen wir für die Menschenrechte, aber man kann uns nicht einzelnen Organisationen zuordnen. Nach 27 Jahren der beschriebenen Arbeit in diesem Land kann man eben nicht behaupten, dass wir Teil der Guerilla-Bewegung sind. Selbst wenn man mit einem gekauften Zeugen eine falsche Anklage konstruieren würde: Es ließe sich nicht beweisen, dass wir Teil einer Guerilla sind, schon weil unsere tägliche politische Arbeit eine gänzlich andere Sprache spricht, mit unseren Kontakten zu den Vereinten Nationen und der OAS, nach unseren Gesprächen mit verschiedenen Regierungen und unserer Teilnahme an internationalen Konferenzen. Es wäre ganz einfach nicht glaubhaft.

Es stellt also einen Schutz dar, dass Sie derart renommiert und anerkannt sind?

Ja, aber das ist andererseits auch Teil des Problems. So wurden Kollegen bedroht und verfolgt und es gibt Anfeindungen. Ergebnis dessen ist bspw., dass Luis Guillermo Pérez und Miguel Puertos nach Europa gehen mussten, und dass Rafael Barrios Benitez das Land verlassen musste und sich nun in Washington befindet. In den Fällen solcher Bedrohungen sind es individuelle Entscheidungen der betroffenen Kollegen, dass sie das Land verlassen, aber es wird versucht, dass sie dort weiter zu Kolumbien arbeiten können.

Andererseits bietet die internationale Arbeit einigen Schutz, bspw. durch die Zusammenarbeit mit der interamerikanischen Menschenrechtskommission der OAS. Und es gibt natürlich internationalen Druck von Menschenrechtsorganisationen, von Regierungen, der EU und der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, nicht nur alleine für das Kollektiv, sondern auch für andere Menschenrechtsorganisationen. Und wir haben die Begleitung der Peace Brigades International.

Gab es bereits konkrete Angriffe auf Anwälte des Kollektivs oder Leute, mit denen das Kollektiv arbeitet?

Der einzige des Kollektivs, der umgebracht wurde, war im April 1998 Eduardo Umaña Mendoza. Zu diesem Zeitpunkt war er allerdings bereits nicht mehr Mitglied des Anwaltskollektivs, aus dem er sich zurückgezogen hatte und alleine in seinem Haus arbeitete.

Wie viele politische Gefangene gibt es in Kolumbien?

Als politische Gefangene werden heute einerseits Mitglieder der bewaffneten Organisationen, hauptsächlich der Bewegung Jorge Eliécer Gaitán für die Würde Kolumbiens (JEGA), der Bewegung Jaime Bateman Cayón, den Resten der M-19, des EPL, des ELN und der FARC bezeichnet. Die Anzahl solcher Gefangenen, von denen wir wirklich sagen können, dass sie Guerillas sind, weil dies in den Strafprozessen und von den Organisationen bestätigt wurde, beträgt ungefähr 2.000. Allerdings gibt es darüber keine offiziellen Statistiken, sondern es handelt sich um Schätzungen aufgrund der Daten des Komitees für Solidarität mit den politischen Gefangenen.

Andererseits gibt es etwa 4.000 Gefangene, gegen die wegen politischer Delikte ermittelt wurde, die aber vor allem Bauern sind. Sie stammen aus Regionen, die entweder von der Guerilla kontrolliert werden oder die Brennpunkt der Auseinandersetzungen sind. Aufgrund der damit einhergehenden Beziehungen der Bauern zu den Guerillas sehen diese sich verpflichtet, den bewaffneten Organisationen Nahrungsmittel zu verkaufen. Aber sie sind nicht Teil der Guerilla, das ist wichtig klarzustellen, auch wenn es manchmal freundschaftliche Beziehungen gibt oder die Bauern die Kämpfer mitunter kennen und ihnen verbunden sind. Manchmal ergibt sich auch die Notwendigkeit, dass Guerillas bspw. wegen starken Regens auf dem Gelände von Bauern Unterschlupf suchen. Wenn also Leute der Guerilla ankommen, bietet man ihnen Kaffee oder etwas anderes zu trinken an, wie es auf dem Land Tradition und Brauch ist, wenn jemand müde an dein Haus kommt. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Bauern Guerillas sind. Auch gibt es Fälle, in denen Familienangehörige zur Guerilla gegangen sind; diese Leute sind also keine Fremden für die Bauern, sie kommen ans Haus und grüßen oder schlafen bspw. im Hof. Die Kämpfer der Guerilla sind eben oft Leute aus der Region, Bekannte. Diese problematische historische Konstellation gibt es in vielen Gebieten des Landes.

Schließlich finden sich in den Gefängnissen Bauern- und Arbeiterführer, Mitglieder von selbstverwalteten kommunalen Organisationen und politische Oppositionelle, die als Guerilleros kriminalisiert werden, weil sie sich gegen Ziele der Regierung wenden, wie z.B. das Referendum, die Wiederwahl des Präsidenten oder Regierungsdekrete, wie z. B. das Anti-Terroristen-Statut.10 Auch diese politisch Verfolgten sind keine Guerilleros, aber sie stellen mit mindestens 4000 Personen in den Gefängnissen die Mehrheit der politischen Gefangenen.

Wie ist die Situation der politischen Gefangenen in den Gefängnissen?

Die Gefangenen, die als Guerilleros anerkannt sind, werden in Gefängnissen in verschiedenen Teilen des Landes mit unterschiedlichen Sicherheitsstufen untergebracht. Dabei ist die Mehrheit der Gefangenen gezielt nicht in den Landesteilen inhaftiert, aus denen sie stammen. Also Leute z.B., die an der Küste gefangen genommen werden, bringen sie nach Bogotá oder Barne. Dies verhindert, dass sie von Freunden oder Familienangehörigen besucht werden, denen das Geld für die Reise fehlt.

Diejenigen, die der Staat für Kommandanten der Guerillas hält, sind in Hochsicherheitsgefängnissen mit totaler Isolation inhaftiert, wie z. B. Francisco Caraballo, Francisco Galán und Simón Trinidad.

Was bedeutet Isolation in diesem Zusammenhang?

Hier gibt es Unterschiede. Simón Trinidad z.B. unterliegt absoluter Isolation, d.h. er hat keinen Kontakt mit anderen Gefangenen. Die einzigen, die ihn besuchen dürfen, sind ein Familienangehöriger und der Anwalt. Vom Rest ist er absolut isoliert, mit einer Stunde Hofgang, egal ob es regnet oder die Sonne scheint. Die sonstige Zeit verbringt er in einer Zelle von zwei Mal zwei Metern. Galán und Caraballo sitzen zusammen in Itagui in einer besonderen Abteilung, die man sich wie eine Wohnung vorstellen kann, wo sonst kein anderer Gefangener ist.

Sonstige Gefangene, die der Staat für Mitglieder der Guerilla hält, werden in Hochsicherheitsabteilungen untergebracht, wie z. B. in Barne, wo 700 Gefangene wegen politischer Delikte in einem solchen Trakt sitzen. In einer anderen, davon getrennten Abteilung sitzen die Paramilitärs. Gefangene, die der Staat für nicht so wichtig hält, wie z.B. Angehörige der Guerilla-Milizen oder Kollaborateure, werden in den allgemeinen Gefängnissen einfach in abgetrennten Abteilungen untergebracht, so dass sie nicht mit den normalen Gefangenen zusammen sind. Es gibt also diese differenzierte Unterbringung. Vor allem aber wird versucht, die Leute nicht in den Landesteilen zu inhaftieren, wo sie gefangen genommen wurden, um sie schon alleine dadurch zu isolieren.

Werden die Angehörigen der verschiedenen Guerilla-Organisationen in diesen Trakten getrennt oder zusammen untergebracht?

Im Allgemeinen ist es so, dass die politischen Gefangenen gemeinsam in einer Abteilung untergebracht sind. In besonderen Fällen sind einige wenige politische Gefangene auch zusammen mit normalen Gefangenen untergebracht. Aber generell ist es wie gesagt so, dass die Paramilitärs, die Guerilleros bzw. die die als solche angeklagt wurden, und die normalen Gefangenen jeweils in getrennten Abteilungen untergebracht sind.

Inwiefern werden die politischen Gefangenen anders behandelt als normale, unterliegen sie besonderen Bedingungen?

Die generelle Tendenz ist, dass die politischen Gefangenen isoliert werden. Besuche von Familienangehörigen und Freunden werden ihnen nicht leicht gemacht. Das Essen ist begrenzt. Es wird ihnen nicht ermöglicht, zu studieren oder zu arbeiten. Dabei unterliegen sie einer besonderen Kontrolle.

Wie werden diese Leute überhaupt festgenommen, wie sieht also die Strafverfolgung aus?

Dabei gibt es verschiedene Ansätze. Auf dem Land zunächst werden die Leute, die Mitglieder bewaffneter Organisationen sind, umgebracht. Es gibt nicht einmal Verwundete. Die Leute, die gefangen genommen werden, sind solche, die in den Städten durch Ermittlungen und Überwachung oder durch Informanten lokalisiert wurden. Häufig gibt es auch Massenverhaftungen aufgrund von gestellten Prozessen mit Informanten oder aufgrund geheimer Berichte: Sie holen die Leute einfach aus den Sitzen der Gewerkschaften und sozialen Organisationen, kommen z.B. auf eine Versammlung, nehmen alle Leute fest und selektieren anschließend den Vorstand.

Also werden illegale Methoden eingesetzt, um diese Leute festzunehmen?

Bei der Guerilla werden vor allem Informanten eingesetzt. Die dabei erfolgenden Verhaftungen sind in der Regel willkürlich und werden erst im Nachhinein legalisiert. Bei der Kriminalisierung der sozialen Bewegungen sind alle Verhaftungen illegal, die Berichte gefälscht. Niemand hier oder in der Welt darf einfach 2000 oder 3000 Personen festnehmen, eine komplette Gewerkschaft oder ein ganzes Viertel. Das ist illegal.

Wie sehen die darauf folgenden Prozesse aus? Genügen sie rechtsstaatlichen Ansprüchen?

Eigentlich müsste man sagen, dass die Prozesse gegen die Guerilla-Bewegung in Kolumbien alle illegal sind. Warum? Von 1984 bis 1990 galten besondere Bestimmungen des damals ausgerufenen Ausnahmezustands, die unter anderem eine Geheimjustiz ermöglichten. Diese Bestimmungen wurden dauerhaft geltendes Recht aufgrund des politischen Übereinkommens bei den Verhandlungen über die neue Verfassung 1991. Besser gesagt: Die wiedereingegliederten Guerillas ermöglichten, dass diese Bestimmungen des Ausnahmezustands, unter denen sie zuvor selbst verurteilt worden waren, legalisiert wurden als Teil des politischen Paktes zwischen Liberalen, Konservativen und den Wiedereingegliederten. Wir haben es also mit einem permanenten, legalisierten Ausnahmezustand zu tun. Das muss einem klar sein. Anders ist heute lediglich, dass es keine geheimen Zeugen mehr gibt. Heute sind es die Informanten und Wiedereingegliederten, die man die geheimen Berichte verfassen lässt.

Die wiedereingegliederten Guerilleros sind also an der Verfolgung der immer noch aktiven beteiligt?

Das Problem der Wiedereingliederung11 ist, dass diese Leute nicht zur Erreichung des Friedens sondern für den Krieg benutzt werden. Die betroffenen Organisationen bezeichnen einen Wiedereingegliederten, der solche Arbeiten macht, vom politischen Standpunkt her als Verräter. Diese Person wird aber nicht ihr ganzes Leben unter dem Schutz stehen, den die Wiedereingegliederten zunächst genießen. Wenn die Organisation, der er angehörte, ihn dann trifft oder findet, werden ihre Normen auf ihn angewendet - wenn er denn wirklich Guerillero gewesen ist. Solche Leute sind also im Prinzip dazu gezwungen, immer für den Staat zu arbeiten, um durch ihn beschützt zu werden.

Und so kommen dann die Anklagen zustande?

Die Beweise gegen solche Leute sind in der Regel Geheimdienstberichte, die sagen, dass die Person an bestimmten Dingen teilgenommen habe. Dabei werden dem Einzelnen Taten aufgrund dessen zugerechnet, was hier als „la orden de batalla“ bekannt ist. Zum Beispiel: Wenn man von einer Person weiß, dass sie einer Organisation zu einer bestimmten Zeit angehört hat, macht man sie für all das verantwortlich, was diese Organisation in diesem Zeitraum getan hat. Für die betroffene Person als Beteiligter in einem dieser Prozesse ist es dann sehr schwer zu beweisen, dass sie nicht in dieser Organisation war oder andere Sachen gemacht hat oder krank war. Also ist die Beweisaufnahme sehr schwierig. Außerdem basiert das alles in erster Linie auf den Zeugenaussagen der Wiedereingegliederten, die ihn beschuldigen, weil sie die Verbindlichkeit eingegangen sind, die Geheimdienstberichte zu bestätigen.

Wegen welcher Delikte werden die politischen Gefangenen verurteilt und wie sehen die Strafen aus?

Zunächst kann man feststellen, dass in der öffentlichen Berichterstattung über Festnahmen von Guerilleros immer nur von Führungspersonen die Rede ist. Hier nimmt man niemals Kämpfer oder normale Soldaten fest. Das ist die Tendenz, die es seit 1978 gibt: Alle festgenommenen Rebellen sind Kommandanten. Damit erhöhen sich die möglichen Strafen - und das bei den ohnehin schon geringen Möglichkeiten der Verteidigung: Die Anwälte, die politische Gefangene in Kolumbien verteidigen, werden immer weniger. Die Mehrheit der politischen Gefangenen wird von Kanzleien oder Anwälten verteidigt, die von den Staatsanwälten und Richtern des Verfahrens benannt werden oder von den öffentlichen Verteidigern, denn es gibt nicht genug Anwälte, die sich damit befassen.
Außerdem wurden die Strafen allmählich erhöht. Heute liegen die Strafen für Leute, die wirklich Guerilleros sind, zwischen zehn und 60 Jahren. Dabei kommen in erster Linie Tatbestände wie Rebellion, Terrorismus, Erpressung, Entführung, Mord, Verletzung von Mitgliedern der Sicherheitsorgane zur Anwendung. Heute liegt die Höchststrafe zwar noch bei 40 Jahren, aber im kommenden Jahr soll sie auf 60 angehoben werden.

Zunehmend werden auch die Mindeststrafen erhöht - und das unter kolumbianischen Bedingungen, was die Infrastruktur und das Essen in den Gefängnissen betrifft: Ein Gefangener, der mehr als 20 Jahre im Gefängnis ist, kommt tot raus, weil das Essen, das sie den Gefangenen geben, absolut ungenügend und sehr schlecht ist. Der tägliche Kostensatz für die Ernährung der Gefangenen liegt, glaube ich, bei 1700 oder 1800 Pesos. Wenn man vergleicht, was man außerhalb des Gefängnisses für dieses Geld kaufen kann, ist das nichts. Es ist sehr schwer, mit diesem Geld zu essen. Abgesehen davon verwaltet das Gefängnis dieses Geld, wobei ein Teil abhanden kommt, so dass sich die wirklich Essenszuweisung für einen Gefangenen auf 1400, 1500 Pesos reduziert, wenn er Glück hat. Das entspricht heute ungefähr einem halben Dollar. Man ernährt sich sozusagen 20 Jahre lang von Mehl, Reis, Kartoffeln etc., denn Eier gibt man dir nicht, Fleisch gibt man dir nicht, also stirbst du nach 20 Jahren. Wenn man dich also zu 40 oder 60 Jahren verurteilt, kannst du die gar nicht absitzen, weil du vorher stirbst.

Gibt es viele solcher Fälle?

Viele, na klar. Viele Leute sind zu mehr als 30 Jahren Gefängnis verurteilt, wirklich viele.

Und wie viele Leute sind nachweisbar an mangelhafter Ernährung gestorben?

Das kann man so bisher nicht sagen, weil z.B. 1990 die Mehrheit der Gefangenen aufgrund der Amnestie oder eines Straferlasses frei kam. Aber von 1991 bis heute wurden viele Leute festgenommen, die bereits bis zu 14 bzw. 15 Jahre im Gefängnis sitzen. Sie sind zu 30, 40, 50 oder 60 Jahren verurteilt.12 Diese Leute sind bereits jetzt in sehr schlechter physischer Verfassung, wie man bei den Besuchen sehen kann. Deswegen müssen wir erreichen, dass den Familienangehörigen öfter gestattet wird, Essen mit ins Gefängnis zu nehmen und den Gefangenen zu geben, was bisher nur einmal im Monat erlaubt ist. Daran müssen wir arbeiten, weil du mit dem Essen einfach keine 20 Jahre leben kannst. Auch wenn dir einmal am Ende des Monats mit einer kompletten Verpflegung durch die Familie geholfen wird, bist du unterernährt.

Wie haben sich in den vergangenen Jahren die Bedingungen für die Verteidigung der politischen Gefangenen geändert und was fehlt Ihnen dabei am meisten?

Ich glaube vom Standpunkt der Solidarität aus gesehen sind zwei Aspekte wichtig. Für die Gefangenen und die politisch Verfolgten müssen Besuche, für die Familienangehörigen Unterstützung organisiert werden, damit diese Leute nicht ganz alleine sind. Andererseits brauchen auch die Anwälte Unterstützung, die wie wir immer noch politische Gefangene verteidigen und für die Menschenrechte arbeiten. Denn wir sind sehr wenige. Wir müssen also weiter Mechanismen der Solidarität entwickeln und uns mit Anwälten in anderen Ländern zusammentun, damit strafprozessuale Garantien auch auf politisch Verfolgte angewendet werden. Niemand sagt, dass sie nicht verurteilt werden sollen, wenn sie gefangen genommen werden. Aber man soll sie für die Delikte verurteilen, die sie auch wirklich begangen haben, was eben nicht möglich ist aufgrund der Geheimdienstberichte. Außerdem muss man klarstellen, dass sich der Staat in seinem Kampf gegen die bewaffneten Gruppen und gegen die politische Opposition terroristischer Mittel bedient. Darüber wird nicht gesprochen, man erwähnt es nicht einmal.

Schließlich muss man thematisieren, dass auch auf internationaler Ebene Gefangene nicht als Kämpfer oder Rebellen inhaftiert werden, nicht einmal als Terroristen. Man erkennt ihnen gar keine Rechte zu, sie sind Personen, die denen als Symbol des Sieges bleiben, die den Krieg gewinnen. Das ist ein Rückfall ins 17. Jahrhundert, mindestens aus juristischer Sicht. Was für ein Recht soll das sein, was für eine Art von Recht soll das sein, wenn die zivilisiertesten Länder, die USA und England, dies machen. Und was können wir dann von den Ländern erwarten, die in deren Einflussbereich liegen oder von den neu kolonialisierten Ländern, die ihre Schüler sind.

Wie sieht Ihre weitere Arbeit in diesem Bereich aus?

Ich glaube zentral ist die Frage, wie wir auf internationalem Niveau eine Zusammenarbeit von Anwälten und Menschenrechtsaktivisten etablieren können. Solche Bande der Solidarität müssen wir schaffen. Auf der anderen Seite muss man, glaube ich, auf der Ebene der Menschenrechte weiterhin Druck auf die UN ausüben, damit diese ihr Mandat erfüllen. Wir müssen hin zu neuen Arbeitsformen ausgehend von den politischen und sozialen Bewegungen, damit diese ihre Regierungen unter Druck setzen können. Und wir müssen überlegen, wie eine universelle Justiz funktionieren kann, um Völkerrechtsverbrechen und Kriegsverbrecher in der Welt zu ermitteln, zu richten und zu sanktionieren, wie wir es erreichen können, dass der Internationale Strafgerichtshof seine Aufgabe erfüllt. Vielen Dank für das Gespräch!

Fussnoten

1 Vgl. Zelik, Kolumbien - Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung, 2. Aufl., Köln 2000, S. 9.
2 Unter Präsident Turbay Ayala übertrug die kolumbianische Regierung der Armee 1978/1979 weitreichende Kompetenzen, darunter auch solche der Gerichtsbarkeit und des Strafvollzuges, was vor allem der Aufstandsbekämpfung diente, vgl. Zelik, a.a.O. (Fn. 1), S. 137. Diese Aburteilung von Zivilisten durch Militärgerichte wurde zwischenzeitlich vom Obersten Gerichtshof für rechtswidrig erklärt.
3 Dabei handelt es sich um einen Straftatbestand, der die Mitgliedschaft in den bewaffneten oppositionellen Gruppen erfassen soll, nach dem zunehmend aber auch Aktivisten der sozialen Bewegungen angeklagt und verurteilt wurden. Vergleichbar dem deutschen § 129a StGB ist dabei nicht der Nachweis einer Beteiligung an einer konkreten Tat notwendig, wenn die Mitgliedschaft als erwiesen betrachtet wird, und sieht die Norm einen hohen Strafrahmen vor. Bei einer Verurteilung wegen Rebellion ist eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung nicht möglich und unterliegen die Betroffenen regelmäßig besonderen Haftbedingungen.
4 1991 trat in Kolumbien nach Beratungen einer verfassungsgebenden Nationalversammlung eine neue Verfassung in Kraft, die verschiedene neue Rechtspositionen für die Bevölkerung festschrieb. Dies war für verschiedene Guerilla-Gruppen bzw. Teile dieser die Voraussetzung für Friedensverhandlungen bzw. für die Abgabe der Waffen und die Wiedereingliederung ins soziale Leben gewesen.
5 Das von der kubanische Revolution inspirierte, guevaristische Ejército de Liberación Nacional (ELN, dt.: Nationales Befreiungsheer) und die wesentlich aus Bauernselbstverteidigungen entstandenen und lange an Moskau orientierten Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC, dt.: Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) sind die beiden größten heute noch in Kolumbien aktiven Guerilla-Organisationen. Sie entstanden Mitte der 1960er Jahre und haben heute nach Schätzungen mehrere Tausend (ELN) bzw. bis zu 20.000 (FARC) Kämpfer unter Waffen. Das Ejército Popular de Liberación (EPL, dt.: Volksheer für die Befreiung) ist eine kleinere, eher maoistisch orientierte Organisation, von der Teile in dem Verhandlungsprozess Anfang der 1990er Jahre ihre Waffen abgegeben haben.
6 Unter den Begriff „schmutziger Krieg“ werden in den 1980er Jahren etablierte illegale staatliche Praktiken gefasst, die sich vor allem gegen die legale Opposition und die Zivilbevölkerung richten, wie z.B. Massaker, extralegale Hinrichtungen und der Einsatz von Paramilitärs, vgl. Zelik, a. a. O. (Fn. 1), S. 65 ff.
7 Die Guerilla-Organisationen machen selbst Öffentlichkeitsarbeit, die freilich fast ausschließlich dann internationales Gehört findet, wenn sie im Rahmen von Friedensverhandlungen oder bei Entführungen erfolgt. Dabei waren sie bereits verschiedentlich in der Lage, Forderungen durchzusetzen, wie bspw. den Besuch von internationalen Menschenrechtsdelegationen zur Beurteilung der Lage in bestimmten Regionen des Landes.
8 Das M-19 war in den 1980er Jahren eine sehr populäre und vor allem in den Städten aktive Organisation, die mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam machte, wie bspw. der Entführung von Milchtransportern in Armenviertel und der Besetzung des Justizpalastes im Zentrum von Bogotá. Die anderen genannten Organisationen sind eher klein, wobei der Quintin Lame vor allem eine Indigena-getragene Organisation ist.
9 Borja und Córdoba sind linksgerichtete Parlamentsabgeordnete. Bei der „Operación Dragón“ handelt es sich um eine kürzlich aufgedeckte Verschwörung, in die auch Armee-Angehörige und Paramilitärs verstrickt sind, bei der schwarze Listen von Oppositionellen im ganzen Land geführt wurden, die umgebracht werden sollten. Der Linkspopulist und Sozialreformer Jorge Eliécer Gaitán war 1948 der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat, bis er am 9. April in Bogotá erschossen wurde. Daraufhin brach in zunächst in Bogotá und dann in anderen Teilen Kolumbiens ein Volkaufstand aus, der mangels politischer Organisierung der Bevölkerung nicht in einer Revolution mündete. Das nach dem Mord entstandene Movimiento Gaitanista wurde im Anschluss daran ebenso wie die sonstige Opposition erbarmungslos verfolgt, und es entwickelte sich ein Bürgerkrieg, der in einer Militärdiktatur endete, vgl. Zelik, a. a. O. (Fn. 1), S. 53 f.
10 Mit dem Referendum versuchte die Regierung Uribe, ein Paket verschiedener Gesetze durch das Volk beschließen zu lassen, scheiterte damit jedoch. Eine Wiederwahl des Präsidenten war in Kolumbien bis zu diesem Jahr nicht möglich; die Regierung Uribe änderte dies gegen erheblichen Widerstand in der Bevölkerung, so dass nun eine zweite Amtszeit des Präsidenten möglich ist.
11 Wiedereingliederung meint hier sowohl die Wiedereingliederung ganzer Gruppierungen Anfang der 1990er Jahre, als auch die einzelner Personen aus immer noch aktiven Gruppierungen.
12 Im Jahr 2000 wurde ein neues Strafgesetzbuch geschaffen. Bis dahin betrug die Höchststrafe 60 Jahre, danach 40 Jahre.