Editorial

In diesem Jahr wurde der Holtfort-Preis an die Redaktion und Zeitschrift Bürgerrechte und Polizei/CILIP verliehen. Das Vortrags- und Diskussionsthema der Festveranstaltung zur Preisverleihung lautete "Feindstrafrecht - auf dem Weg zu einer anderen Kriminalpolitik". Wir dokumentieren die Redebeiträge des Vorsitzenden der Stiftung, Martin Lemke, sowie die Festrede von Prof. Dr. Fritz Sack. Wir bitten die Leserinnen und Leser des Infobriefs, den Diskussionsbeitrag zur Festveranstaltung auch als solchen wahrzunehmen. Denn der Beitrag von Prof. Fritz Sack wurde, wie Wolfgang Kaleck in seinem einleitenden Bericht darlegt, durchaus kontrovers aufgenommen. Seitdem Prof. Jakobs auf dem diesjährigen Strafverteidigertag in Aachen teils unwidersprochen seine Thesen darlegen und begründen konnte, löst das Thema allenortes einen teilweise scharfen und heftigen Diskurs aus. Dies hatte der RAV zum Anlass genommen, sich zusammen mit dem Organisationsbüro und der Baden-Württembergischen Strafverteidigervereinigung in einer weiteren Veranstaltung am 23. September 2005 in Freiburg erneut dem Thema, diesmal von anderer Seite zu widmen. Der Rechtsphilosoph Prof. Dr. Alejandro Aponte, Kolumbien, hat sich dem Thema von einer Seite angenähert, die sozusagen der Nährboden für die Apologeten des Feindstrafrechts ist: der Krieg. Sein Referat lautete: "Das Feindstrafrecht in der Praxis - Beispiel Kolumbien". Auf der Veranstaltung referierten zudem Prof. Dr. Roland Hefendehl, Freiburg (Feindstrafrecht! Feind? Recht?) und Rechtsanwalt Prof. Dr. Jörg Arnold, Freiburg "Das Feindstrafrecht bei Alejandro Aponte". Die Beiträge werden im kommenden Infobrief (96) dokumentiert. Im Februar diesen Jahres wies die Bundesanwaltschaft (BAW) die Strafanzeige Wolfgang Kalecks und des Centers for Constitutional Rights New York (CCR) gegen Donald Rumsfeld und andere wegen der Foltervorwürfe im Militärgefängnis Abu Ghraib, Irak zurück. Ohne auch nur Ermittlungen einzuleiten, behauptete die BAW, in den USA würden schließlich Ermittlungen geführt. Dass dies jedenfalls gegenüber den zivilen und militärischen Verantwortlichen nicht der Fall ist, belegt ein Gutachten des amerikanischen Juraprofessors Scott Horton, das mit der Anzeige eingereicht wurde. Nach erfolgloser Gegenvorstellung war nunmehr ein Klageerzwingungsverfahren vor dem OLG Stuttgart anhängig. Mit Beschluss vom 13. September 2005 verwarf der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart den Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren nunmehr als unzulässig. Es gesteht der BAW einen weitgehenden Ermessensspielraum zu und entzieht diese der gerichtlichen Kontrolle. Die Entscheidung des OLG Stuttgart hinterläßt eine mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbarende Rechtsschutzlücke. Hier bleiben Opfer schwerster Völkerrechtsverletzungen ohne effektiven Rechtsschutz. Die Entscheidung des OLG ist unter diefirma.net aktuell im Wortlaut zu finden. Im Juni hatte der RAV zusammen mit dem CCR eine internationale Konferenz zum Thema Globalverfassung versus Realpolitik organisiert. Wir drucken einen Konferenzbericht von Ulrike Schuler aus der Zeitschrift Das Parlament ab. In einem Beitrag von Peter Weiss, Vizepräsident des CCR und Vizepräsident der International Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA), skizziert er den langen und dornenreichen Weg, der universellen Jurisdiktion; dass es auch Weiss persönliche Lebensgeschichte ist, wird in dem Beitrag, den wir uns im Original abzudrucken entschieden haben, deutlich. Die weiteren, auf der Konferenz im Juni gehaltenen Referate werden voraussichtlich in einem wissenschaftlichen Verlag veröffentlicht. Damit wollen wir auch der wissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskussion Anschub geben. Die völkerstrafrechtliche Wissenschaft hat die Strafanzeige geradezu begierig aufgegriffen, stellt diese doch eine der ersten gravierenden Nagelproben für das im Jahr 2002 erst in Kraft ge-tretene Völkerstrafgesetzbuch dar. Zuletzt haben sich Prof. Bothe und Dr. Fischer-Lescano, Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt/Main hierzu in der Süddeutschen Zeitung geäußert. Wir dokumentieren den Zeitungsartikel. Weitere Einzelheiten zu dem Verfahren sind unter rav.de nachzulesen. Am 29. April 2005, wenige Wochen vor der Ratifizierung der EU-Verfassung im Bundestag und Bundesrat sowie vor dem Referendum in Frankreich, veranstalteten der RAV, die Vereinigung demokratischer JuristInnen (VDJ), der Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen (akj), die IALANA und die Rechtsanwaltskammer Berlin eine abendliche Informationsveranstaltung in der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Veranstaltung trug den Titel "Ist die EU in schlechter Verfassung? EU Verfassung ein zukunftsoffener Entwurf oder Diktatur der Gegenwart über die Zukunft?" Auf der Veranstaltung trugen Prof. Andreas Fisahn, Universität Bielefeld, Rechtsanwalt und Notar Bernd Häusler, Berlin, Martin Hantke, wiss. Mitarbeiter im Europaparlament, Prof. Dr. Elmar Altvater, Freie Universität Berlin, Dr. Peter Becker und Thomas Schmid, Berlin ihre Kritik vor. Wie bekannt ist, scheiterte das Vorhaben an den Referenden in Frankreich und Niederlanden. Prof. Fisahn stellt aus rechtstheoretischer Sicht Forderungen an eine neue EU-Verfassungsdiskussion auf; Helga Wullweber fasst noch einmal die Kritik an der Europäischen Verfassung zusammen und beantwortet die Frage, wie es mit den EU-Verträgen weiter geht. Hannes Honecker besuchte die Konferenz zum 60. Jahrestag des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals in Nürnberg im Juli 2005 und berichtet, was er dort erlebt hat. Wolfgang Kaleck rezensiert das Buch von Gerd Hankel zu den Leipziger Prozessen und bespricht das Urteil des OLG Köln, das die Klage jugoslawischer Opfer der Bombardierung der Brücke von Vavarin durch NATO-Kräfte abweist. Wir erneuern an dieser Stelle unseren Aufruf an Kolleginnen und Kollegen mit Informationen, Berichte und Analysen zu unseren Informationsbrief beizutragen. Sie müssen nicht ausgefeilt und wissenschaftlich sein. Wir wünschen uns rege Diskussion innerhalb des Vereins und darüber hinaus über Inhalt und Ziele unserer Aktivitäten. Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen Hannes Honecker
Rechtsanwalt/Geschäftsführer RAV