Guantánamo - Normalität im weltweiten "Krieg gegen den Terrorismus"?

Silke Studzinsky Die Berichte über Folterungen in einem unter US-amerikanischer Aufsicht geführten Gefängnisses im Irak haben das schon längst der Vergessenheit anheim gefallene Thema der extralegalen Inhaftierung "feindlicher Kämpfer" oder "gesetzloser Kombattanten" des Afghanistankrieges in Guantánamo erneut in Erinnerung gebracht.
Rumsfeld wies bereits im Januar 2002 darauf hin, dass die Gefangenen von Guantánamo "praktisch" keinerlei Rechte unter der Genfer Konvention beanspruchen könnten. Das ist die perfekte Rezeptur für Grausamkeiten und Verbrechen, begangen an Tausenden, die ohne formelle Anklage und ohne das Recht, sich einen Anwalt zu nehmen, in Gefängnissen unter amerikanischer Leitung inhaftiert sind, die seit dem 11.September 2001 errichtet wurden. (Susan Sontag in Süddeutsche Zeitung vom 24. Mai 2004)
Es ist zu hoffen, dass insbesondere die Bilder von Abu Ghraib einer kritischen Öffentlichkeit in den USA das Wasser auf die Mühlen der rechtsstaatlichen Auseinandersetzung liefert, um den seit über 2 Jahren rechtsfreien Inhaftierungen ein Ende zu bereiten. Silke Studzinsky skizziert die Entwicklungen in und zu Guantánamo.
(Hannes Honecker) Der EU und den USA ist es mit vereinten Kräften gelungen, während der 60. Sitzung der UN-Menschenrechtskommission einen von Kuba eingebrachten Resolutionsentwurf zum Gefangenenlager Guantánamo vom Tisch zu wischen. Kuba zog seinen Resolutionsentwurf zurück, nachdem die westlichen Staaten die Verschiebung des Themas um ein Jahr (!) beantragt hatten. Sondierungen unter den 53 Kommissionsmitgliedern ergaben, dass die USA und die EU für ihren Vorschlag auf Vertagung eine relative Mehrheit hinter sich hatten. Die meisten Staaten wollten sich allerdings enthalten. Der kubanische Resolutionsentwurf zu Guantánamo hatte den Schönheitsfehler, dass ihn nur Nordkorea, Simbabwe und Weißrussland mit unterzeichneten.1 Die EU brachte aber auch keine eigene Resolution ein. Durch Schweigen zu den fundamentalen Rechtsverletzungen, die sich seit über zwei Jahren in Guantánamo und an anderen teilweise bis heute unbekannten Orten abspielen, toleriert und akzeptiert die EU diese neue Normalität. Fernab der Öffentlichkeit und unter Missachtung zahlreicher Bestimmungen des Völkerrechts sind seit über zwei 1/2 Jahren auf dem kubanischen US-Militärstützpunkt Guantánamo etwa 660 "feindliche Kämpfer" interniert, die in Afghanistan und Pakistan gefangen genommen oder von Drittländern ausgeliefert wurden. Die Maßnahmen stützen sich juristisch lediglich auf US-Präsidialdekrete, erlassen im Namen des "Kriegs gegen den Terrorismus". Bis heute wurde gegen keinen der Gefangenen Anklage erhoben, auch die 2001 angekündigten Militärtribunale sind noch nicht eingerichtet. Keiner der Gefangenen wurde bisher darüber informiert, ob und gegebenenfalls was ihm vorgeworfen wird.

Die Haftbedingungen

Rings um die Anlage läuft ein Hochsicherheitsgürtel: ein mit grünem Kunststoffbelag ausgestatteter Korridor, gesäumt von hohen Metallgittern und Stacheldraht, der unter Hochspannung steht. Dazu die Patrouillen der Wachtposten und zusätzliche Aufseher, die auf den Wachtürmen postiert sind. Nachts geht das Licht in den Zellen nie aus, die Gefangenen stehen rund um die Uhr unter Beobachtung.
Unter diesen Haftbedingungen hat es in der Vergangenheit 32 Selbstmordversuche gegeben. Nach Angaben von Captain John Edmondson, dem Leiter der Krankenstation, leiden 110 Häftlinge (also jeder sechste) unter psychischen Störungen. Die meisten zeigen depressive Symptome, 25 von ihnen sind in psychiatrischer Behandlung. Mehrere Hungerstreiks fanden statt. Die Gefangenen wurden zwangsernährt.
In drei der vier Abteilungen herrschen erbärmliche Bedingungen: Jede Abteilung hat 48 Zellen, zwei Reihen à 24 also, die jeweils knapp fünf Quadratmeter groß sind. Die Trennwände und Türen bestehen nur aus Metallgittern, es gibt also keinerlei Privatsphäre. Dreimal in der Woche darf jeder Gefangene seinen Käfig verlassen, um für zwanzig Minuten allein in einem größeren Käfig mit Zementfußboden auf und ab zu gehen, hinzu kommt dreimal pro Woche eine fünfminütige Dusche. Jeden Weg legt der Gefangene dabei – so die Vorschrift – in Handschellen und Fußfesseln zurück, die Füße sind durch Ketten verbunden.
Die 129 Häftlinge im Lager 4 leben in kleinen Gruppen, ihre Zellen sind weniger eng, bis zu zehn Betten finden darin Platz. Die Insassen nehmen die Mahlzeiten gemeinsam ein und können mehrmals am Tag die Zelle verlassen und sich in einem angrenzenden Bereich bewegen - dort hängen Plakate, die vom Aufbauwerk der USA in Afghanistan künden.
Abweichend von der üblichen orangefarbenen Gefängniskleidung tragen die Häftlinge in Lager 4 Weiß – "die Farbe der Reinheit im Islam". Den Koran haben sie erst seit einem Hungerstreik, den sie in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft organisierten.
"Camp Iguana", ein Haus umgeben von einem Sicherheitszaun, ist das Jugendlager. Hier leben die inhaftierten Jugendlichen (dreizehn bis fünfzehn Jahre), die ebenfalls als "feindliche Kämpfer" gelten.
Von "Camp X-Ray", wo die die Gefangenen am Anfang untergebracht waren, gingen die ersten entsetzlichen Bilder um die Welt: Häftlinge in orangefarbenen Kitteln, gefesselt und auf den Knien vor ihren schwer bewaffneten Wärtern, in völliger Isolation, mit Schall-Ohrenschützern und Kapuzen über dem Kopf. "Camp X-Ray" ist inzwischen aufgegeben. So wird es eines Tages auch "Camp Delta" ergehen, denn inzwischen ist Lager 5 im Bau, ein massiver Betontrakt für etwa hundert Gefangene, dessen erster Bauabschnitt bis Juli 2004 fertig gestellt sein wird. Hier sollen die von "Militärtribunalen" Verurteilten einsitzen – auch eine Todeszelle ist vorgesehen.
Das Präsidialdekret, das den Bau der Haftanstalt in Guantánamo anordnete, war am 13. November 2001 ergangen, am selben Tag also, als die Truppen der Nordallianz die afghanische Hauptstadt Kabul eroberten.

Status der Gefangenen

Es stellte sich die Frage, wie man mit den Gefangenen verfahren sollte, die der US-Präsident als "enemy combatants" (feindliche Kämpfer) und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als "unlawful combatants" (unrechtmäßige Kämpfer) bezeichnet hat – Begriffe, die weder das US-amerikanische noch das internationale Recht kennen.
"Die Regierung Bush will die ‚feindlichen Kämpfer' nicht als Kriegsgefangene anerkennen", erklärt Wendy Patten, Leiterin der Rechtsabteilung von Human Rights Watch. "Und sie ist auch nicht bereit, sie Gerichten zu übergeben, die ihren Status bestimmen könnten - obwohl dies in der 3. Genfer Konvention festgelegt ist, die ja auch die Vereinigten Staaten ratifiziert haben. Vor den 'Militärtribunalen' wird es keine fairen Verhandlungen geben, auch die Berufung vor einem ordentlichen Gericht ist nicht vorgesehen."2
Die Regierung rechtfertigt die Einberufung der Sondergerichte mit dem Argument, nur so könne die Verbreitung sicherheitsrelevanter Informationen verhindert werden.
Die Einrichtung der Tribunale war die Idee des stellvertretenden Verteidigungsministers Paul Wolfowitz, er benannte Richter und Anklagevertreter und entschied über die Besetzung der dreiköpfigen Berufungsinstanz, an die sich die Verurteilten wenden können. Und ihm obliegt auch die Entscheidung, ob er die Empfehlungen dieser Instanz letztlich übernimmt oder verwirft.
"Die Militärs werden sowohl als Ermittler als auch als Ankläger, Verteidiger und Richter auftreten und, falls Todesurteile gesprochen werden, auch als Scharfrichter", erklärte der britische Lordrichter Johan Steyn. "Und sie unterstehen allein Präsident Bush." In seiner Philippika wandte sich Steyn gegen das "juristische Schwarze Loch von Guantánamo."3
Nach dem ursprünglichen Regierungsdekret sollten die Militärtribunale nur über Ausländer richten, doch ihre Zuständigkeit wurde nachträglich auch "auf solche amerikanischen Bürger ausgedehnt, die als 'feindliche Kämpfer' eingestuft worden waren."4 Damit können auch diese Gefangenen auf unbestimmte Zeit und ohne Kontakt zur Außenwelt in militärischer Haft gehalten werden.
Die USA bezeichnen die Gefangenen als "unrechtmäßige Kombattanten", denen der Status als Kriegsgefangener nicht zukommt und die auch ansonsten nicht unter den Schutz der Genfer Konvention fallen.
Nach der 3. Genfer Konvention, (Art 5 Abs. 2) ist jedoch jeder während eines bewaffneten Konflikts Gefangene bis zur endgültigen Feststellung, ob er Kombattant im Sinne der Konvention ist als solcher zu behandeln. Das gilt sowohl für vermeintliche Taliban- wie auch mutmaßliche Al Quaida-Angehörige.
Jedoch selbst wenn man allen, während des bewaffneten Konflikts in Afghanistan, Gefangenen keinen Status als Kriegsgefangene zubilligen würde, zählen sie zur Zivilbevölkerung, die dem Schutz der 4.Genfer Konvention unterliegen.
Nimmt man an, die Betroffenen sind Kriegsgefangene nach der GK III, zumindest bis ein Gericht ihren Status endgültig geklärt hat, so verstößt bereits ihre Verbringung an einen anderen Ort gegen das dritte Genfer Abkommen. Als Kriegsgefangene müssten sie nach Beendigung des bewaffneten Konflikts frei gelassen werden (Art 118 GK III), es sei denn, ihnen werden konkrete Kriegsverbrechen vorgeworfen.
Dann jedoch müssen sie wiederum als Beschuldigte behandelt werden, also erfahren, was ihnen vorgeworfen wird und die Möglichkeit haben, einen Verteidiger zu beauftragen und Akteneinsicht erhalten; ihre Namen müssen bekannt gegeben werden und Rechtsmittel gegen eine Verurteilung müssen zulässig sein (im einzelnen Art. 199ff GK III).
Aber auch ihre Unterbringung in Käfigen, die immer wiederkehrenden Verhöre, die stattfinden ohne jeglichen Zugang zu anwaltlichem Beistand stellen eine menschenunwürdige Behandlung im Sinne der Genfer Konvention III dar und öffnen zudem Folter Tür und Tor. So werden z.B. pakistanische Staatsangehörige vom pakistanischen Geheimdienst verhört. Dieser ist bekannt für regelmäßige Folter, Schläge und Misshandlung von Personen, um Geständnisse zu entlocken. Im Einzelnen ist völlig unbekannt, wie und von wem Verhöre durchgeführt werden. Die Gefangenen haben keine Möglichkeit, ein Gericht anzurufen oder sich zu beschweren.
Gehören die Gefangenen zur Zivilbevölkerung, so ist auch ihre Verschleppung nach Guantánamo gem. Art. 49 GK IV verboten und auch ihr dortiges Festhalten, ohne dass sie erfahren, was ihnen eigentlich vorgeworfen wird.
Und auch hier gilt, dass ein wegen einer Straftat Beschuldigter unverzüglich erfahren muss, was ihm vorgeworfen wird, die Möglichkeit haben muss, sich verteidigen zu lassen oder einen Verteidiger beigeordnet zu bekommen, die Beweismittel zu erfahren und gegen eine Verurteilung Rechtsmittel einzulegen (im einzelnen Art. 71ff GK IV).
Angehörige der Zivilbevölkerung dürfen ebenfalls nicht unmenschlich behandelt, gefoltert, getötet werden (s. Art. 3, 27ff. GK IV), so dass auch die ständigen Verhöre und die Art der Unterbringung verboten sind.

US-amerikanische Gerichte

Obwohl die Regierung in Washington noch immer keine Reaktion auf die Appelle westlicher Juristen und Regierungsstellen zeigt, ist in jüngster Zeit eine unerwartete Wende eingetreten.
Im Dezember 2003 entschieden zwei Bundesgerichte in New York und San Francisco, dass die Rechtsauffassung der US-Regierung verfassungswidrig sei.
Die kalifornischen Richter urteilten, das US-Recht gelte auch für Militärstützpunkte im Ausland. Die dortigen Gefangenen hätten somit einen Anspruch auf Anwälte und auf ein reguläres Gerichtsverfahren. Geklagt hatten die Angehörigen eines in Afghanistan festgenommenen Libyers.
In New York urteilte das Berufungsgericht im Fall des seit Juni 2002 in Militärhaft sitzenden US-Bürgers José Padilla, er müsse innerhalb von 30 Tagen freigelassen oder vor ein ziviles Gericht gestellt werden.
Konsequenzen hatte diese Entscheidung jedoch nicht. Padilla ist weiterhin in Militärhaft.
Zur allgemeinen Überraschung beschloss der Supreme Court, das oberste US-Gericht, im November 2003, die Beschwerden der Angehörigen von sechzehn Häftlingen (zwölf Kuwaitern, zwei Briten und zwei Australiern, inzwischen auch die des Türken Murat Kurnaz aus Bremen) anzunehmen. Der Supreme Court prüft nun die Frage, ob es in die Zuständigkeit der amerikanischen Justiz falle, über "die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung von Ausländern zu entscheiden, die im Ausland im Zusammenhang mit Kampfhandlungen gefangen genommen wurden und auf dem Marinestützpunkt Guantánamo festgehalten werden".
Die Anhörungen fanden Mitte April 2004 statt. Im Juni 2004 wird mit einer Entscheidung gerechnet. Der Vorsitzende Richter Rehnquist äußerte allerdings bereits, das Recht auf eine gerichtliche Überprüfung der Haft sei noch nie "auf das Schlachtfeld" ausgedehnt worden. Ein solcher Ausspruch lässt nichts Gutes erwarten. Dennoch – die neun Richter sind noch gespalten.
Der Supreme Court hat darüber hinaus ab 28. April 2004 ein Hearing durchgeführt zu den Fällen der US Bürger Yaser Hamdi und José Padilla, die beide weiterhin in Militärhaft sitzen. Eine Entscheidung wird nicht vor Juli 2004 erwartet.

US-amerikanische Reaktionen

Am 9. November äußerte sich erstmals auch ein Führungsmitglied der Demokratischen Partei: Albert Gore erklärte bei einem Auftritt vor der Vereinigung für Verfassungsrechte in Washington: "Das Thema der Gefangenen in Guantánamo hat dem Ansehen Amerikas in der Welt besonders geschadet, sogar bei seinen Verbündeten. […] Die ausländischen Gefangenen müssen sich an ein Gericht wenden können, um ihren Status zu klären, so wie es die Genfer Konvention vorsieht. […] Verteidigungsminister Rumsfeld hat in der Frage der Gefangenen ungefähr ebenso viel Weitsicht bewiesen wie mit seinen Plänen für den Nachkriegsirak."
Einige demokratische Senatoren (etwa Patrick Leahy) hatten schon vor Gore Druck auf die Regierung gemacht und im Kongress wiederholt Anfragen gestellt, die sich auf Berichte über Folterungen der Häftlinge ebenso bezogen wie auf die Praxis, Gefangene von Guantánamo inoffiziell in jene Länder des Nahen Ostens zu verbringen, in denen systematisch gefoltert wird. Auch die ungeklärten Todesumstände zweier afghanischer Gefangener auf dem Stützpunkt Bagram in Afghanistan sowie die Anwendung von Verhörtechniken, die im Militärjargon stress und duress (Druck und Zwang) heißen, waren Gegenstand gewesen.5
Senator Leahy erklärte im Interview unmissverständlich, man müsse "die Gefangenen von Guantánamo als Kriegsgefangene betrachten" und sie "menschenwürdig behandeln, so wie es die UN-Menschenrechtskonvention vorsieht".
Der frühere stellvertretende US-Außenminister William Rogers betonte in einem Gespräch, der Krieg gegen den Terrorismus dürfe nicht zum Vorwand werden, die Verfassung zu missachten. "Gegen derartige Tendenzen müssen wir unsere Rechtsprinzipien verteidigen und auf der Anwendung internationalen Rechts bestehen." Rogers hatte wie Alexander Watson, ein weiterer ehemaliger Vizeaußenminister, eine "unterstützende" Beschwerde beim Obersten Gerichtshof eingereicht.6
Auch Konteradmiral Donald Guter, der bis zu seiner Pensionierung 2002 als Chef der Militärgerichtsbarkeit der US-Marine fungierte, hatte Rogers Beschwerde mit unterzeichnet, auch wenn er noch selbst an der Entscheidung, Gefangene zum Verhör auf den Stützpunkt Guantánamo zu bringen, beteiligt gewesen war. "Unter Sicherheitsaspekten war es sinnvoll, die Gefangenen nach Guantánamo zu bringen", erklärte Guter am 9. Oktober 2003. "Aber jetzt besteht die Gefahr, dass einige von ihnen ohne faires Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt werden."7 Auch eine Reihe ehemaliger Richter und Staatsanwälte erinnerten den Obersten Gerichtshof daran, dass die US-Streitkräfte die Genfer Konvention zum Bestandteil ihrer militärischen Vorschriften gemacht haben und dass deren Missachtung einen Rechtsbruch darstellt.
Die Regierung hatte sich nicht gerade geschickt verhalten, als sie den Obersten Bundesanwalt Theodore Olsen vor dem Supreme Court argumentieren ließ, das Gericht möge die Beschwerden erst gar nicht zulassen, weil "sich die Justiz in Kriegszeiten üblicherweise nicht in die Entscheidungen der Regierung einmischt". Der Gerichtshof sah sich daraufhin gehalten, der Regierung deutlich zu machen, dass er allein für die Rechtsprechung zuständig ist.
Schon im Oktober war die US-amerikanische Öffentlichkeit durch einen Alarmruf des Internationalen Komitees des Roten Kreuz (IKRK) aufgeschreckt worden: Das IKRK hatte seine traditionelle Pflicht zur Zurückhaltung aufgegeben und deutlich kritisiert, dass die Unsicherheit für die Gefangenen eine schwere psychische Belastung sei.
Das Wall Street Journal wies die Vorwürfe des Roten Kreuzes mit dem Argument zurück, das IKRK habe "den Grundsatz der Vertraulichkeit missachtet und sich bewusst in die Politik eingemischt". Die "feindlichen Kämpfer" müssten, so das Blatt weiter, "bis zum Ende des Kriegs gegen den Terrorismus in Haft bleiben". Dieser Krieg sei "kein Krieg ohne Ende, wie der Kampf gegen Verbrechen und Armut, sondern ein Konflikt zwischen den USA und al-Qaida sowie deren verbündeten Gruppen und den Staaten, die ihnen Unterstützung gewähren. Dieser Konflikt wird enden, wenn al-Qaida nicht länger in der Lage ist, Angriffe auf amerikanische Ziele durchzuführen."8
Dennoch konnte schließlich auch die US-Regierung die Kritik nicht mehr ignorieren. Ende November stellte das Pentagon die Entlassung von 100 bis 140 Häftlingen in Aussicht.
Seitdem sind tatsächlich einige entlassen worden.

Die internationale Staatengemeinschaft

Das beachtenswerte beredte Schweigen der EU in der UN-Menschenrechtskommission im April 2004 lassen trotz einiger verbaler Proteste, u.a. auch des Europaparlaments, eher auf die Etablierung eines rechtlosen Zustands schließen.
Denn immerhin wurden im Namen des weltweiten Kampfes gegen den Terrorismus nahezu überall Anti-Terrorgesetze eingeführt, die einen massiven Rechtsabbau und Verletzungen internationaler Rechtsstandards bedeuten.
Erst recht kommt keinem der 191 Staaten, die die Genfer Konventionen unterzeichnet haben in den Sinn, ihrer Verpflichtung nachzukommen, diejenigen strafrechtlich zu verfolgen und vor ihre nationalen Gerichte zu stellen, die schwere Verletzungen der Konvention zu verantworten haben.

Fussnoten

1 Vgl. Frankfurter Rundschau, 23.4.2004.
2 Siehe auch die Website der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, http:// www.hrw.org.
3 Johan Steyn: "Guantanamo: a monstrous failure of justice". In: International Herald Tribune, 26. November 2003.
4 Siehe David Cole: "Enemy Aliens". New York: The New Press, 2003.
5 "US decries abuse but defends interrogations". In: Washington Post, 26. Dezember 2002.
6 Neben den Anträgen der Anwälte der Familien von Gefangenen wurden weitere sechs Beschwerden eingereicht.
7 Vgl. Knight Ridder in, Newspapers, 10. Oktober 2003.
8 "Guantanamo on Trial". In: Wall Street Journal, 19. November 2003.