Hans Litten zum 100. Geburtstag

Wolfgang Kaleck Unter diesem Titel fand am 22. Juli 2003 im Haus der Wannseekonferenz eine gemeinsame Gedenkveranstaltung der Bundesrechtsanwaltskammer, der Rechtsanwaltskammer Berlin und der Gedenk- und Bildungsstätte am Haus der Wannseekonferenz statt. Anlass war der 100. Geburtstag des am 05.02.1938 nach fünfjährigem Aufenthalt im Konzentrationslager gestorbenen Rechtsanwaltes Hans Litten. Über das Leben von Hans Litten ist schon in der Vergangenheit viel zu lesen gewesen. Nur noch antiquarisch erhältlich ist das Buch von Carl-Heinz von Brück, das der Veranstaltung ihren Namen gab „Ein Mann, der Hitler in die Enge trieb. Hans Littens Kampf gegen den Faschismus“, Berlin 1975. Im Rahmen des Dokumentarberichtes beschäftigt sich Brück vor allem mit den berühmten Prozessen von Hans Litten, dem „Felseneckprozess“ und das Verfahren um die Schüsse im Eden-Tanzpalast, in dem Litten als Verteidiger Hitler im Zeugenstand in der Befragung so zusetzte, dass dieser – gegen die sonst erklärten Ziele – zusicherte, er und seine Bewegung würden die ‚nationale Revolution’ nur mit legalen Mitteln vollziehen. Sehr subjektiv kommt das ebenfalls antiquarisch noch erhältliche Buch der Mutter „Irmgard Litten. Eine Mutter kämpft gegen Hitler“ (Rudolstadt (DDR) 1947, Frankfurt am Main und Rudolstadt 1984) daher. Der Leidensweg des Sohnes von 1933 bis 1938 durch die diversen Folterlager der Nazis, Sonnenburg, Spandau, Krankenhaus Moabit, Brandenburg, Eschwegen, Lichtenburg, Buchenwald und schließlich Dachau wird ebenso geschildert wie die verzweifelten(?) Versuche der Mutter, ihren Sohn in der Haft zu betreuen und zu befreien. Meist weniger diskutiert wird die Vergangenheit von Hans Litten in der jüdischen Jugendgruppe Schwarzer Haufen. Über diese jüdische Jugendgruppe der 20er Jahre fand zur Zeit der Veranstaltung eine Veranstaltung im Haus der Wannseekonferenz statt. Ein Weggefährte aus dieser Zeit, Max Fürst, schreibt im Rahmen seines autobiographischen Berichtes „Gefilde Fisch. Eine Jugend in Königsberg“ (München 1973, Neuauflagen bei dtv) über das idealistische Wirken eines Teils der jüdischen Jugendbewegung. Wer sich wissenschaftlicher mit dem Thema auseinandersetzen will, sollte zur historischen Untersuchung von Stefan König „Vom Dienst am Recht. Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus“ (Berlin 1987) greifen. Da auch dieses Buch nicht mehr ganz so leicht erhältlich ist, sei der im Internet abgedruckte Vortrag von Stefan König „Hans Litten und andere vom Sinn und den Schwierigkeiten des Gedenkens“ von Stefan König hingewiesen (www.RAK-Berlin.de/Menschenrechte/Litten2.htm). Auf der Gedenkveranstaltung im Haus der Wannseekonferenz waren darüber hinaus drei hervorragende Vorträge zu hören, die demnächst alle im anderen Rahmen veröffentlicht werden. Dabei ist insbesondere der Aufsatz des Kollegen und neuen Museumsbeauftragten der Bundesrechtsanwaltskammer Gerhard Jungfer aus Berlin, „Hans Litten als Strafverteidiger“ zu nennen, der in einer der nächsten Ausgaben der BRAK- Mitteilungen erscheinen wird.

Die Veranstaltung als solche belegt noch einmal sehr deutlich, dass die Auseinandersetzung um den Nationalsozialismus, Juristen im Nationalsozialismus und Rechtsanwälte als Opfer und dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht mehr nur auf kleine innerhalb der Anwaltschaft marginalisierten Gruppen beschränkt ist. Noch 1988 hatten die damals eher isolierten, aber durchaus wirksamen Organisationen RAV und VDJ in Dachau, der letzten Station Hans Littens, den ersten Hans-Litten-Preis an die Rechtsanwältin Felicitas Langer/ Tel-Aviv und Barbara Hüsing/ Hamburg überreicht. Auf der Berliner Veranstaltung war der damals Beteiligte Kai Thomas Pohl, noch heute Vorstandsmitglied des RAV in seiner Eigenschaft als Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin zu hören. Heute residiert das Verbändehaus, dem „Littenhaus“ mit der Berliner und der Bundesrechtsanwaltskammer und dem DAV in der Berliner Littenstrasse. Die Berliner Anwaltskammer hat mit der 1998 erschienenen Untersuchung zum Schicksal der jüdischen Anwälte in Berlin nach 1933 von Simone Ladwig-Winters einen starken Impuls für eine Serie von Veranstaltungen, Ausstellungen und Untersuchungen in anderen Städten gegeben.

In diesem Zusammenhang ist auf ein letztes Jahr erschienenes Buch von Hans-Jürgen Schneider, Erika Schwarz und Joseph Schwarz „Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands. Politische Strafverteidiger in der Weimarer Republik, Bonn 2002, hinzuweisen. Die Rote Hilfe Deutschland hatte 1932 359.811 Einzel- und über 651.281 Kollektivmitglieder. Sie organisierte Rechtshilfeschulungen, erstellte Broschüren und unterstützte die zahlreichen Gefangenen der von der bürgerlichen Klassenjustiz der Weimarer Republik „wegen ihrer revolutionären Tätigkeit Verfolgten“ sowie ihre Familienangehörigen. Ein erheblicher Teil der ausgeschütteten Gelder ging für die Verteidigung und den Rechtschutz bei Prozessen drauf. Das Buch enthält zunächst eine Einleitung zur Geschichte und dem Wirken der Roten Hilfe Deutschlands. Es stellt in der gebotenen Kürze die für die Linke im allgemeinen und das revolutionäre Proletariat im besonderen verheerende Situation der Justiz in der Weimarer Republik dar und verweist dabei zurecht auf die grundlegende Studie des Kollegen Heinrich Hannover (gemeinsam mit Eilisabeth Hannover-Drück. Politische Justiz 1918-1933). Einige ausgewählte Prozesse und Aktionen der RHD werden geschildert. Am Ende findet sich in Faksimile die legendäre, fast 100.000-mal verkaufte Rechtshilfe-Broschüre des Rechtsanwaltes Felix Halle „Wie verteidigt sich der Proletarier in politischen Strafsachen vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht?”. Kernstück des Buches ist jedoch die Zusammenstellung von Biografien von den etwa 300 im Rahmen der Roten Hilfe tätigen Anwälten zusammengestellt. Die Autoren haben in Zusammenarbeit mit der noch heute aktiven Roten Hilfe das Archiv der RHD ausgewertet und einen sehr verdienstvollen Beitrag zur Geschichtsschreibung der linken und engagierten Anwaltschaft geleistet. Die Kürze vieler – trotz Recherche – kurzer Biografien zeigt, wie nötig es wäre, das Schicksal der vielen wegen ihrer Berufsausübung, ihrer jüdischen Abstammung und ihres politischen Kampfes gestorbenen und verschollenen in Einzeluntersuchungen aufzuarbeiten. Der Anfang ist mit der vorliegenden Untersuchung gemacht, die im Übrigen einen weiteren Tiefpunkt der Geschichte nicht verschweigt: Der eben erwähnte Felix Halle wurde am 3.11.1938 in Butowo bei Moskau im Rahmen stalinistischer Säuberungen erschossen und war damit kein Einzelfall.