Editorial

Zur 91. Ausgabe im Herbst 2003 möchten wir vor allem auf das Handbuch der Kollegin Ulrike Donat zur Polizeilichen Freiheitsentziehung hinweisen. Die diesjährige Holtfortpreisträgerin Ulrike Donat schrieb das Handbuch während des laufenden Bürobetriebes und arbeitete ihre Erfahrungen in der Region Wendland in den Auseinandersetzungen vor den Zivil-, Verwaltungs- und Strafgerichten um die Rechtswidrigkeit polizeilicher Freiheitsentziehungen ein. Es ist das erste anwaltliche Handbuch zu diesem Thema. Wir hoffen, dass das Buch auch von den ausländerrechtlich tätigen Kolleginnen und Kollegen zum Anlass genommen wird, über ein Handbuch zur Verteidigung im Abschiebungsgewahrsam nachzudenken.
Die 91. Ausgabe des Informationsbrief beginnt mit dem Vortrag von Prof. Dr. Hans-Jörg Albrecht, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht zum RAV Kongress „Europa, Raum von Freiheit, Sicherheit und Recht?“ am 27. Juni 2003 in Berlin. Albrechts Vortrag „Der erweiterte Sicherheitsbegriff und seine Folgen für Innen- und Rechtspolitik“ diagnostiziert die Auflösung der strengen Trennung zwischen innerer und der äußerer Sicherheit, staatlicher und ziviler Sicherheit sowie einer einst ebenso scharfen Unterscheidung zwischen Prävention und Repression und diesen zugeordneten und separierten Institutionen. Die Konsequenzen sieht er in einer Bedeutungsabnahme des Justizressorts und der Judikative sowie der Parlamente, da Sicherheit eine Sache der Exekutive und des Innenressorts ist, deren Bedeutung gleichzeitig zunehme. Albrecht sieht daneben auf politischer Ebene, dass die Stabilisierung politischer Herrschaft auch maßgeblich über die Thematisierung der Kriminalität erfolgt.
Weiter hinten im Heft berichtet Wolfgang Kaleck über den Kongress. Im Übrigen finden sich auf der RAV-Homepage die meisten der gehaltenen Vorträge sowie weitere Materialien zum Thema (www.rav.de).
Am 11. März 02 setzte das Amtsgericht Bernau - Jugendrichter - ein Strafverfahren aus, und beschloss die Vorlage beim Bundesverfassungsgericht. Das Amtsgericht Bernau geht aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse von der Verfassungswidrigkeit der Cannabisprohibition aus. Wir gehen davon aus, dass der Beschluss und die diesem zugrundeliegenden Gutachten im Alltag der Strafverteidigung verwendbar sind. Der volle Text des Beschlusses ist unter www.rav.de/news.php abrufbar.
Sodann folgt eine kritische Auseinandersetzung von Dieter Hummel und Volker Ratzmann mit einem Teil der Agenda 2010, die die Lockerung des Kündigungsschutzgesetzes zum Gegenstand hat. Offensichtlich gibt es keinen Schutz vor unpraktikablen und schon früher fragwürdigen Gesetzen. Die Lockerungen des Kündigungsschutzes in der Agenda 2010 hat einen wortgleichen Vorläufer: das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz der Kohl-Regierung aus dem Jahr 1996, das die Rot-Grüne Koalition bereits aufgehoben hatten.
Am 1. Juli 2003 hörte das Bundesverfassungsgericht zur Verfassungsänderung „Großer Lauschangriff“ die Beschwerdeführer und -gegner an. Hellmut Brunn war vor Ort und kommentiert die Sitzung.
Schließlich berichtet Wolfgang Kaleck von der Gedenkveranstaltung zum 100. Geburtstag von Hans Litten, einem in West-Deutschland lange unbekannten Anwalt, eines der aktivsten Mitglieder der Roten Hilfe mit einer anarchistischen Vergangenheit. Umso erstaunlicher ist, dass das Amtsgericht Mitte und das Landgericht Berlin ebenso in der Littenstraße sitzen wie die BRAK und die Berliner RAK; die beiden letztgenannten sogar noch im Littenhaus. Viel Vergnügen und Information bei der Lektüre wünschen Wolfgang Kaleck und Hannes Honecker, Oktober 2003