Rezension

Kai Ambos – Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts. Ansätze einer Dogmatisierung.

Duncker & Humblot. Berlin 2002. Momentan wird die Diskussion über den internationalen Strafgerichtshof oder die Strafverfolgung vor nationalen Gerichten vor allem rechtspolitisch geführt: Welchen Schaden erleidet das Internationale Recht, das Völkerrecht, wenn die einzig verbliebene Weltmacht sich nicht nur der Gerichtsbarkeit des IStGH nicht unterwirft, sondern offensiv die Staaten mit Sanktionen bedroht, die das Projekt unterstützen? Welche Chance hat der Gerichtshof, mehr zu werden als ein weiteres Instrument in der Hände der mächtigen Staaten?
Wer die spannenden Entwicklungen des Völkerstrafrechts seit 1945 auch dogmatisch nachvollziehen will, sollte das Lehrbuch von Kai Ambos lesen. Das Buch ist eine überarbeitete Habilitationsschrift, die genau zum richtigen Zeitpunkt als erste größere umfassende Untersuchung erschien. Kai Ambos ist am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg sowie als Privatdozent in München tätig. Er ist seit Jahren neben Gerhard Werle, Otto Trifterer und Claus Kreß u.a. einer der wenigen Strafrechtswissenschaftler in Deutschland, der sich seit mehreren Jahren mit dem Völkerstrafrecht beschäftigt.
Seinen eigenen Anspruch formuliert Ambos gleich zu Beginn: die „ ... weltweite Straflosigkeit von schweren Menschenrechtsverletzungen ... führt zu einer faktischen Strafbarkeitslücke, deren Schließung oder doch jedenfalls Verkleinerung sich das Völkerstrafrecht zur vornehmsten Aufgabe gemacht hat“ (S. 40). Den Gegenstand seiner Untersuchungen beschränkt er im Anschluss an Herbert Jäger ausdrücklich auf die Politische Makrokriminalität und stellt sich damit gegen neuere Bestrebungen der Ausdehnung auf alle grossdimensionierten Kriminalitätsformen. Die aktuelle Diskussion um Terrorismusbekämpfung zeigt, wie bedeutsam diese theoretische Auseinandersetzung ist. Politische Makrokriminalität umfasst für ihn die sog. „staatsverstärkte Kriminalität“, „das politische bedingte Kollektivverbrechen“, die staatsinterne Kriminalität. Allerdings könnten auch nichtstaatliche Akteure Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausüben, wenn sie in einem ausgedehnten und systematischen Zusammenhang stünden (S. 50-53).
Ambos analysierte zunächst die Urteile von den Nürnberger-Verfahren über das Tokio-Verfahren, von ausgewählten Urteilen nationaler Gerichte (Eichmann, Barbie, Touvier u.a.) bis hin zu der angewachsenen Rechtsprechung der UN-Ad Hoc- Tribunale zu Ruanda und Jugoslawien. Aus der Urteilsanalyse entwickelt er allgemeine Grundsätze zu den Problembereichen individuelle Verantwortlichkeit und Defences (Verteidigung?). Schon aus dieser für das deutsche Strafrecht ungewöhnlichen Zweiteilung wird der Einfluss des angloamerikanischen Rechts und der internationalen Rechtssprechung auf die Dogmatik deutlich. Jenseits von Problemlösungen zu Organisationsherrschaft oder Befehlsverantwortlichkeit im weiteren Verlaufe der Untersuchung offenbart sich bereits hier, wie sehr internationale Rechtssprechung auch die deutsche Strafrechtsdogmatik zu beeinflussen beginnt, obwohl allgemein bekannt ist, dass sowohl (die deutsche?) Rechtssprechung als auch Dogmatik gegenüber internationalen Einflüssen einigermaßen resistent zu sein scheinen. Ambos verweist deswegen schon in seiner Einleitung auf den praktisch nicht vorhandenen Einfluss der deutschen Wissenschaft auf das Völkerstrafrecht überhaupt. Welches Verhältnis besteht zwischen unvollständiger Rezeption internationaler Rechtsprechung in der Deutschen Rechtsprechung zu fehlendem Einfluss deutscher Wissenschaft im internationalen Völkerrecht?
Das so aufgefundene Ergebnis überprüft Ambos anschließend anhand der Kodifikationsbemühungen seit Nürnberg. Dies sind vor allem das sogenannte Genfer Recht, also die vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949, die Genozidkonvention vom 9. Dezember 1948, sowie die Draftcodes der UN-Völkerrechtskommission, sowie schließlich das Rom-Statut des internationalen Strafgerichtshofs von 1998.
Die Ergebnisse der über tausendseitigen Untersuchung können hier noch nicht einmal annähernd wiedergegeben werden. Am spannendsten erscheint der Bereich der individuellen Zurechnung und Täterschaftslehre. Dabei besteht Ambos darauf, dass auch „Kollektivtaten aus individuellen Tatanteilen bestehen“ und wendet sich gegen Modelle kollektiver Verantwortlichkeit, die einem der Hauptziele des Völkerstrafrechts, der „Sichtbarmachung zerstörerischer Makrogeschehnisse“ zuwiderlaufe. Bei der Diskussion um Täterschaft und Teilnahme folgt Ambos der Roxin’schen funktionalen Tatherrschaftslehre und der in den Politbüro-Prozessen relevant gewordenen Figur des mittelbaren Täters kraft Organisationsherrschaft. Dieser Teil der von Ambos entwickelten Dogmatik wird derzeit im übrigen auch in den Strafverfahren gegen argentinische Militärs bei der Staatsanwaltschaft in Nürnberg-Fürth (vgl. dazu den Artikel in diesem Heft) äußerst wichtig für die Frage der Strafbarkeit der Militärjunta-Chefs für Verbrechen ihrer Untergebenen.
Ambos weist mit dem Untertitel des Werkes „Ansätze einer Dogmatisierung“ selbst daraufhin, wie wenig die Strafrechtswissenschaft im allgemeinen und die deutsche im besonderen den Gegenstand durchdrungen hat, aber auch wie sehr das Völkerstrafrecht aktuell im Fluss ist. Wer die Debatte nicht nur auf der rechtspolitischen und der fallpraktischen Ebene verfolgen will, findet jedenfalls für den Anfang genügend Material in diesem Lehrbuch.