Anne Maesschalk

Legal Teams in Brüssel

Anne Maesschalk Am Beispiel des EU Gipfels in Brüssel/Laeken im Dezember 2001.

Veranstaltungen

Der RAV sieht es als wesentliche Aufgabe an, Anwältinnen und Anwälte Fortbildungen gerade in den Bereichen zu gewähren, die kommerzielle Anbieter nicht mehr abdecken, weil sie sich finanziell nicht rentieren. Der Verein ist daher bemüht, gerade jungen Kolleginnen und Kollegen preiswerte Seminare und Fachanwaltskurse anzubieten und bietet konsequent anwaltliche Handlungskompentenz vermittelnde Weiterbildungen an. Die Fortbildungen werden von der Holtfort-Stiftung unterstützt.

Fortbildungen und Fachanwaltskurse sind nicht auf die hier angegebenen Kurse beschränkt sondern orientieren sich an den sich ändernden Bedürfnissen unserer Mitglieder. Bei Interesse an hier nicht aufgeführten Weiterbildungen bitten wir um Ihre Zuschrift.

I. Die Organisation der Legal Teams in Laeken

Das Legal Team gliederte sich in vier Gruppen auf nationalem Niveau:
  • Equipes sur le terrain/Präsenz auf den Straßen
    Diese Gruppe war dafür zuständig unter den DemonstrantInnen Informationen zu verteilen, sowohl schriftlich als auch über Lautsprecher. Sie beobachteten die Ereignisse und sammelten Fakten, wie z.B. die Namen und Berichte von ZeugInnen. Sie übermittelten die Informationen von der Straße zur „Permanence“ und versuchten in Fällen, in denen Rechte der DemonstrantInnen verletzt wurden, zu intervenieren. In jeder dieser Kleingruppen befand sich ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin.

  • Die Permanence/Erste Linie Dauerdienst
    Über eine unter den DemonstrantInnen bekannt gemachte öffentliche Telefon-nummer war diese Gruppe durchgehend erreichbar, sowohl für die DemonstrantInnen als auch für die Beobachtungsgruppe, die Festnahmen und/oder Übergriffe der Sicherheitskräfte meldeten.
    Sie stellten den Kontakt zu den Anwäl-tinnen und Anwälten her.

  • Die Permanence/Zweite Linie, RechtsanwältInnen
    Von 8-20 Uhr war ein weiteres Telefon mit einer nicht öffentlich bekannten Nummer besetzt, unter der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte für die „Permanence“ erreichbar waren.
    Sie gewährleisteten die sofortige juristische Beratung und Einleitung von Maßnahmen, wenn die DemonstrantInnen Repressionsmaßnahmen ausgesetzt waren. Diese Gruppe hatte auch im Vorfeld mit Polizei und Staatsanwaltschaft verhandelt.

  • La colonne „frontière“/Grenzgruppe
    Während des Gipfels durchgehend erreichbar war eine mit Eilanträgen gegen Abschiebungs-, Ausweisungs- und Festnahmemaßnahmen vor den Verwaltungsgerichten an den Grenzen vorbereitete Gruppe. Hier stellte sich vor allem regelmäßig die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, wenn beispielsweise ganze Reisebusse an den Grenzen ohne individuelle Einzelfallprüfung zurückgewiesen wurden.

II. Aufgaben der Legal Teams

Insgesamt waren fast 200 Personen in allen vier Gruppen beteiligt. Die Vorbereitungszeit hat mehrere Monate in An-spruch genommen.
Es wurden Schulungen für die nicht-juristischen Mitglieder des Legal Teams, über die gesetzlichen Grundlagen der Polizei und Staatsanwaltschaft, die Vorbeugemaßnahmen und die Rechte der DemonstrantInnen durchgeführt. Ihre Aufgaben waren: Die Informationsweitergabe an die belgischen und ausländischen Demonstrantinnen über ihre Rechte und ihr Verhalten im Falle von Festnahmen und bei sonstigem Kontakt mit den Ordnungskräften.
Die Unterstützung der DemonstrantInnen gegen die Sicherheitsmaßnahmen, wie die Schließung der Grenzen und Vorbeugegewahrsam.
Die Überwachung der Einhaltung der demokratischen Rechte der DemonstrantInnen und im Falle ihrer Verletzung zu intervenieren, die Anfertigung von Berichten und das Sammeln von (Gegen) beweisen im Falle des Konflikts oder der Festnahme gegebenenfalls die Verteidigung zu organisieren; Überwachung der Haftbedingungen.

III. Nun eine Einschätzung der Arbeit Erfahrungen des Legal Teams in Laeken

  • Untersuchungshaft
    Von insgesamt 212 Festnahmen war dem Legal Team ein Drittel bekannt geworden. Darin zeigte sich, dass die zuvor mit der Staatsanwaltschaft vereinbarte Weitergabe von Mitteilungen über Anzahl und Gründe der Festnahmen in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht eingehalten wurde.
    Im übrigen entwickelte sich jedoch die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft durch die zahlreichen und massiven Interventionen der AnwältInnen so, dass - entgegen der sonstigen Gepflogenheiten in Belgien - den Beschuldigten auch bereits vor der richterlichen Vorführung die Möglichkeit gewährt wurde, mit AnwältInnen in Kontakt zu treten. Dennoch muss diese Zusammenarbeit als verbesserungsbedürftig bezeichnet werden.

  • Administrativhaft
    Das Legal Team musste feststellen, dass in vielen Fällen die Reaktion der Sicherheitskräfte unverhältnismäßig war, und dass gerade im Bereich des Vorbeugegewahrsams willkürliche und lange Freiheitsentziehungen festgestellt werden mussten. Teilweise waren in Gewahrsam genommene Personen über viele Stunden in ungeheizten Zellen; in einigen Fällen wurde bis zu zwölf Stunden Essen und Trinken verweigert; Vernehmungen wurden ohne Dolmetscher durchgeführt; die Festgenommenen wurden ED-behandelt und eine schnelle Entlassung wurde ihnen seitens der Polizei in Aussicht gestellt, wenn sie die Protokolle unterschreiben, die sie teilweise gar nicht verstanden.
    Darüber hinaus fanden systematische Durchsuchungen statt, obwohl nach dem Gesetz nur dann durchsucht werden darf, wenn die Teilnehmer an einer öffentlichen Versammlung eine reale Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen. Dennoch wurden ohne Einzelfallprüfung systematisch durchsucht und Personenkontrollen vorgenommen.
    Solche Haftbedingungen und Maßnahmen verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

  • Einreiseverbote und Ausweisungen
    Obwohl Belgien weder im Vorfeld die Außerkraftsetzung des Schengener Abkommens über die Freizügigkeit des Grenzverkehrs bei der Europäischen Kommission beantragt hatte, noch das Abkommen unmittelbar vor dem Gipfel wegen Gefahr in Verzugs aufgehoben wurde, fand die faktische Außerkraftsetzung statt.
    Eine Gruppe von deutschen DemonstrantInnen erhielt bereits in Deutschland ein Ausreiseverbot, verbunden mit einer täglichen Meldepflicht bei der deutschen Polizei, weil sie nach polizeilicher Einschätzung der Gruppe der GipfelgegnerInnen angehören könnten. Die deutsche Rechtsprechung hob diese Verfügungen in einigen Fällen auf und bestätigte die Anordnungen in anderen.
    Es stellte sich heraus, dass die belgischen Behörden Identitätskontrollen zwar nicht an der Grenze aber auf belgischem Territorium durchführten, um nicht offiziell zu beantragen, das Schengener Abkommen außer Kraft zu setzen. Das heißt, dass die systematischen Kontrollen einfach ins Inland verschoben wurden. In diesen Fällen kam es zu stundenlangen Blockierungen von Bussen und Fahrzeugen.
    Die Arbeit des Legal Teams war in Abschiebungsfällen besonders erschwert, da die Ausländerbehörde keinerlei Informationen herausgab.
    Zahlreiche Ausweisungen wurden angeordnet und teilweise auch direkt durchgeführt. Einige dieser Ausweisungen und Abschiebungen konnten durch den Einsatz des Legal Teams verhindert werden. Obwohl die Ausweisungen in vielen Fällen gleich zu Transporten an und über die Grenze und damit zu Abschiebungen wurden, legte das Legal Team Rechtsmittel ein. Diese Abschiebepraxis widersprach allerdings auch dem belgischen Gesetz, denn bei Staatsangehörigen der Europäischen Gemeinschaft haben Rechtsmittel gegen Ausweisung und Abschiebung aufschiebende Wirkung.
    Andere AusländerInnen, die nicht direkt über die Grenzen zurückgeschoben werden konnten, wurden in geschlossenen Zentren untergebracht.
    In einigen dieser Fälle stellte das Verwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit der Ausweisung und eine Verletzung von Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention fest. Ein Verwaltungsgericht führte aus, dass die Ausländerbehörde keine zutreffende Abwägung zwischen dem Recht sich frei zu bewegen und seine Meinung zu äußern und der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorgenommen hatte.
    Das Legal Team war wie schon dargestellt, mit Eilanträgen vorbereitet und deshalb auch in der Lage, zumindest in den Fällen der namentlich bekannt gewordenen Abzuschiebenden schnell zu reagieren und auch sofort einstweilige Entscheidungen zu erreichen.
    Dies zeigt die Wichtigkeit der Präsenz einer Gruppe des Legal Teams direkt an den Grenzen bzw. den Hauptzufahrtsstraßen.
  Zusammenfassung und Übersetzung von Silke Studzinsky.