Verteidigt das Demonstrationsrecht! Zu den bundesweiten Durchsuchungen der Polizei Hamburg – SoKo ›Schwarzer Block‹ am 5. Dezember 2017
Wenn der Polizeipräsident der Stadt Hamburg unter Verletzung der Grundsätze der Unschuldsvermutung und der Gewaltenteilung Verdächtige öffentlich als »bekannte Täter« betitelt, ist dies rechtsstaats- und menschenrechtswidrig und geeignet, eine Atmosphäre des Prangers und der Vorverurteilung zu schaffen.
Aktuell führe die Soko ›Schwarzer Block‹ 3.000 Ermittlungsverfahren, mehrere hundert gegen namentlich bekannte Beschuldigte, die Zahl steige kontinuierlich an, erklärte gestern der Hamburger Polizeipräsident Meyer auf einer Pressekonferenz, von einem »in seiner Gesamtheit gewalttätig handelnden Mob« war die Rede. Die inzwischen bekannten und in öffentlicher Hauptverhandlung vor Gericht gezeigten Videos indes sprechen dafür, dass es sich hierbei um eine Falschbehauptung handelt.
Das erste von insgesamt 73 ›Rondenbarg‹-Verfahren wird seit Mitte Oktober 2017 gegen den Italiener Fabio V. verhandelt. Sechs Prozesstage haben zu keinen Erkenntnissen über die Verantwortlichkeit benennbarer Personen für mehrere Würfe mit Steinen, Böllern und ›Bengalos‹ (Pyrotechnik) geführt, die aus den ersten Reihen der ca. 200 Personen zählenden Demonstration erfolgt sein sollen.
Die SoKo ›Schwarzer Block‹ soll aus 165 Mitarbeitern bestehen, davon 63 aus dem Bund bzw. aus anderen Ländern. Der Polizeipräsident trug dazu vor, »nur mit der gemeinsamen Kraftanstrengung« könne und werde es gelingen, Hintergründe und Strukturen von »bekannten Tätern« offenzulegen und damit »ein bisschen näher an den Kern der autonomen Szene heranzukommen«. Ein Recherchetool sei weitestgehend fertiggestellt worden.
Der RAV stellt dazu fest:
Die nunmehr erfolgten Durchsuchungen sind offensichtlicher Vorwand zum Ausspionieren linker Zusammenhänge. Die der Durchsuchung zu Grunde gelegten Beschlüsse sind bereits vor zwei Monaten erlassen worden, die vorgeworfenen Taten stammen von Juli 2017. Hier wird vorrangig Skandalisierung betrieben, mit dem Ziel, das kritisierte, gewalttätige Verhalten der Polizei gegenüber Demonstrierenden zu rechtfertigen. Die Proteste sollen durch die Behauptung einer zentral gesteuerten Militanz diskreditiert werden.
Wenn weiter suggeriert wird, man werde mit dem Mittel der Wohnungsdurchsuchung näher an den »Kern der autonomen Szene« herankommen, und wenn man die Zahl von 3.000 Ermittlungsverfahren bedenkt, wird deutlich, dass sich diese Verdachtskonstruktion und Maßnahmen als ein Schlag gegen das Demonstrationsrecht erweisen. Das erhellt sich auch aus der Ankündigung der Anwendung eines ›Recherchetools‹, das ab Dezember 2017 die Öffentlichkeitsfahndung ermöglichen soll.
Nach Aussagen der Hamburger Polizei wurden während der drei Gipfeltage 25.000 Videodateien mit dem Mittel der Gesichtserkennung gefertigt, was die Möglichkeit der strikt verfassungswidrigen flächendeckenden Katalogisierung demonstrierender Gipfelgegner*innen eröffnet. Der RAV und der Anwaltliche Notdienst (AND) haben bereits während der Gipfeltage das exzessive polizeiliche Abfotografieren und Videografieren ganzer Demonstrationszüge kritisiert und auf die alle staatliche Gewalt bindenden Vorgaben des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfGE 65,1 ff.) hingewiesen:
»Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung […] behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner […] Grundrechte verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl«.
Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, Mitglied des Bundesvorstands des RAV und während G20-Gipfels Pressesprecherin des Anwaltlichen Notdienstes erklärt dazu:
»Wem an dem Erhalt der Demokratie liegt, sollte durch die Erfahrungen während des G20-Gipfels gewarnt sein. Im Juli herrschte in Hamburg polizeilicher Ausnahmezustand mit einer flächendeckenden Aushebelung von Grundrechten für Gipfelgegner. Die Eskalationsstrategie eines Herrn Dudde war provokant, die Folgen bedacht und offenbar gewollt. Die nun erfolgte pauschale Ächtung von Demonstranten als ›Mob‹ ist maßlos. Und der wiederholte Ruf nach dem harten Staat hat bisher nur zu weniger Demokratie, nicht aber Lösungen geführt«.
Kontakt: Rechtsanwältin Gabriele Heinecke ist über die Geschäftsstelle (030.417 235 55) zu erreichen.