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Verordnungsentwurf des Ministeriums der Justiz des Landes NRW über die verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten für Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz

Stellungnahme des RAV, 7.6.24

Stellungnahme des RAV zum Verordnungsentwurf des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen über die verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten für Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz (AsylZustVO)

Verfasser*innen: Anna Magdalena Busl, Rechtsanwältin; Johannes Palm, Rechtsanwalt; Julia Schulze Buxloh, Rechtsanwältin

Der RAV e.V. lehnt den Entwurf insgesamt ab.

Dieser stellt einen weiteren Schritt der Ausweitung des gesonderten asylbezogenen Prozessrechts dar, das den Zugang zu Recht erschwert (hierzu unter 1.), nicht erforderlich ist und zudem nicht geeignet ist, die Qualität asylgerichtlicher Entscheidungen zu verbessern (hierzu unter 2.).

Nicht das Ziel, Asylverfahren schneller zu „bewältigen“, sollte maßgeblich in einem demokratischen Rechtsstaat sein, sondern die Sicherung der bestmöglichen Qualität von Entscheidungen.

Der Entwurf reiht sich ein in eine bereits seit Jahren erfolgende Verkürzung des Zugangs zu Recht für diejenigen, die bereits aus einer Position der Schwäche agieren müssen. Dies gilt sowohl in sozialer, existenzieller Hinsicht, als auch in Bezug auf ihre rechtliche Stellung,

Umso elementarer ist es, den Zugang zu Recht und effektivem Rechtschutz sowie die Einhaltung der Form als „die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit“ (von Jhering) als wesentlich für den demokratischen Rechtsstaat zu garantieren.

Insbesondere durch die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, die kurzen Rechtsmittelfristen, die regelmäßige Übertragung der Entscheidung auf einen Einzelrichter/eine Einzelrichterin (§ 76 AsylG), die stetige Erweiterung der Begrenzung auf lediglich eine gerichtliche Instanz bzw. die hohe Hürde für die Inanspruchnahme einer Berufungsinstanz (§ 78 AsylG) haben sich bereits folgende Konsequenzen ergeben: Die Überprüfungsmöglichkeit der behördlichen Entscheidung wurde bereits gravierend verkürzt, es entstand notwendigerweise eine einseitigere Spruchpraxis der Gerichte und der Weg einer Korrektur rechtsfehlerhafter Entscheidungen wurde teilweise gänzlich abgeschnitten.

Divergierende Rechtsprechung bedeutet jedoch gegenseitige Kontrolle der verschiedenen Spruchkörper und Gerichte, wodurch eine Auseinandersetzung mit anderen rechtlichen Auffassungen in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht stattfindet. Wo dieses Prinzip der gegenseitigen Prüfung und Kontrolle verlorengeht, geht zwangsläufig auch ein wesentlicher Faktor für die Verbesserung der Qualität von Entscheidungen verloren.

Der Entwurf verschärft diese Entwicklung weiter, indem er, von den allgemeinen Regelungen der gerichtlichen Zuständigkeiten abweicht und eine besondere Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit, eine erneute Erweiterung des gesonderten Prozessrechts für Geflüchtete schafft, ohne die zum Ziel gesetzte Beschleunigung überhaupt zu erreichen.

(1.)

Durch den Entwurf wird der Zugang zum Recht für die Betroffenen weiter eingeschränkt.

Das für einen demokratischen Rechtsstaat grundlegende Recht der anwaltlichen Vertretung würde durch die geplante Zuständigkeitskonzentration massiv erschwert oder verunmöglicht.

Asylsuchende sind in der Regel auf die Beantragung von Beratungs- und Prozesskostenhilfe angewiesen. Prozesskostenhilfe wird jedoch regelmäßig nur unter den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsbeistandes gewährt. Die darüberhinausgehenden Kosten müssten durch die Asylsuchenden selbst getragen werden. Diese würden damit vor die Wahl gestellt werden, einen Rechtsbeistand nahe dem Gericht zu suchen, dann aber mehrfach einen weiten Anreiseweg zu Beratungsterminen auf sich zu nehmen oder eben die Kosten, die nicht von der Prozesskostenhilfe gedeckt werden, selbst zu tragen.

Der aktuelle Regelsatz nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beträgt für eine alleinstehende Person 460 EUR. PKH-Entscheidungen, die regelmäßig erst kurz vor dem Termin der mündlichen Verhandlung getroffen werden und zudem entgegen dem Gesetzeswortlaut oftmals die mehrfach vom BVerfG angemahnte weite Auslegung der Annahme von Erfolgsaussichten missachten, führen dazu, dass die anwaltliche Vertretung von den Geflüchteten (zunächst) selbst zu zahlen ist.

Die geplante Zuständigkeitskonzentration würde zudem für die Asylsuchenden in einem Flächenland wie NRW zu teils enorm langen Anfahrtswegen von mehreren Stunden führen. Sind die Gerichtstermine am Morgen angesetzt und nimmt man die oft abgelegenen Unterkünfte in den Blick, dürfte nicht ausgeschlossen sein, dass auch eine Anreise am Vortrag erforderlich werden würde, die Unterkunftskosten zur Folge hätte.

Personen, die Asylbewerberleistungen erhalten sind zudem immer wieder von (rechtswidrigen) Leistungskürzungen betroffen. Wird wie beabsichtigt die sogenannte Bezahlkarte eingeführt, können höhere Fahrt- und Prozesskosten den Zugang zum Recht vollständig versperren.

(2.)

Unabhängig von der problematischen Situation für den einzelnen Kläger kann auch nicht nachvollzogen werden, welcher Regelungsbedarf hier gedeckt werden soll.

Eine schnellere Sachbearbeitung ist nicht zu erwarten. Entscheidend ist die Auslastung der jeweiligen Kammern. Hat ein Gericht eine hohe Zahl an Klageeingängen dauern die Verfahren lange, gibt es eine niedrige Zahl an Klageeingängen ist die Bearbeitungszeit kurz.

Eine schnellere Bearbeitung aufgrund höherer Spezialisierung ist ebenfalls nicht zu erwarten. Bereits jetzt bestehen bei den Verwaltungsgerichten, wenn es notwendig ist, für die einzelnen Herkunftsländer ausschließlich zuständige Kammern. (vgl.: z.B. Geschäftsverteilungsplan VG Gelsenkirchen veröffentlicht unter https://www.vg-gelsenkirchen.nrw.de/aufgaben/geschaeftsverteilung/index.php).

Soweit der Regelungsbedarf in der Schaffung einer einheitlichen Rechtsprechung gesehen wird, ist hierzu Folgendes zu bedenken: Eine örtlich divergierende Rechtsprechung ist zunächst Ausdruck einer unabhängigen Justiz. Ein rechtsstaatlicher Weg, diese zu vereinheitlichen, wäre die Rückkehr und Verbesserung hin zu einem effektiven Instanzenzug.

Eine weitere Belastung der Gerichte und damit lange Verfahrensdauern ergeben sich zudem aus der hohen Fehlerquote der behördlichen Entscheidungen sowie aufgrund behördlicher Untätigkeit. Noch immer werden im Hinblick auf die bereinigte Schutzquote durchschnittlich mehr als ein Drittel der Entscheidungen des Bundesamtes korrigiert. Bezogen auf einige Herkunftsländer werden sogar zwei Drittel bis hin zu rund 95 % der Bescheide durch die Gerichte aufgehoben (Bt. Drucksache 20/11493).

Eine Entlastung der Gerichte würde hingegen viel wirksamer geschaffen durch eine Qualitätsoffensive beim Bundesamt, durch die Stärkung kostenloser und unabhängiger Asylverfahrensberatungen sowie ein BAMF, das seinen verwaltungsprozessualen Mitwirkungspflichten nachkommt.

Die Reduzierung auf ein zuständiges Gericht ohne die Möglichkeit eines effektiven Instanzenzuges stellt zudem eine hohe Gefahr der Fehlbewertungen von herkunftslandbezogenen Sachverhalten dar. Anstelle der Reduzierung der Zuständigkeit auf ein einzelnes Verwaltungsgericht sollte die Hürde zum Zugang zu Berufungsverfahren deutlich abgesenkt werden, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu erreichen, die sich jedoch zuvor aus einer vielfältigen erstinstanzlichen Rechtsprechung herauskristallisiert hat und dem steten Wandel unterliegen sollte.

Insbesondere fehlt es an der Möglichkeit bei ernsthaften Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils die Berufung zuzulassen sowie an der Möglichkeit der Verwaltungsgerichte selbst, die Berufung bei grundsätzlicher Bedeutung und bei Divergenz in Rechts- oder Tatsachenfragen zuzulassen, wie es in Verwaltungsverfahren sonst vorgesehen ist (vgl. §§ 124, 124a VwGO).

Die gesamte Rechtsprechung zu einzelnen Herkunftsländern würde sich insgesamt auf wenige Kammern eines Gerichtes reduzieren.

Die Verknüpfung aus Defiziten beim Bundesamt, reduzierter Rechtsmittelinstanz, singulärer örtlicher Zuständigkeit und dem Zurücktreten des Kollegialprinzips durch Übertragung auf Einzelrichter*innen führt nach unserem Dafürhalten insgesamt zu Asylverfahren, die hinter der üblichen rechtsstaatlichen Qualität einfacher Verwaltungsverfahren zurückbleibt. Dies ist für einen Rechtsstaat angesichts der existenziellen Folgen für die Betroffenen nicht hinnehmbar.

StN als Download (PDF)