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StN des RAV zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes

Stellungnahme vom 1.11.18
Stellungnahme des Republikanischen Anwältinnen und Anwältevereins (RAV) zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes (BT-Drs. 19/4456) für die öffentliche Anhörung am 5. November 2018 vor dem Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages vorgelegt von Rechtsanwältin Berenice Böhlo

1.
Die vorliegende Stellungnahme befasst sich mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes (BT-Drs. 19/4456), welches die Neuregelung des § 73 AsylG und hier insbesondere die Einführung von Mitwirkungspflichten und Sanktionsmechanismen vorsieht.

Aktuelle Rechtslage

Die gegenwärtige Rechtslage sieht vor, dass eine fehlerhafte Anerkennung als Asylberechtigter oder der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter bestimmten Umständen, insbesondere erwähnt das Gesetz hier unrichtige Angaben oder das Verschweigen wesentlicher Tatsachen,  zurückgenommen werden kann (§ 73 Abs. 2 AsylG). Ein Widerruf kann erfolgen, wenn eine grundlegende Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland erfolgt ist (§ 73 Abs. 1 AsylG).

Spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung über den Asylantrag hat die zuständige Behörde nach § 73 Abs. 2a AsylG zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine Rücknahme oder einen Widerruf vorliegen.

Entsprechende Regelungen existieren für die Rücknahme und den Widerruf des subsidiären
Schutzes (§ 73b AsylG) bzw. der Feststellung nationaler Abschiebungsverbote (§ 73c AsylG).

Mitwirkungspflichten im laufenden Asylverfahren sind in § 15 AsylG umfassend geregelt, § 15a AsylG regelt die Auswertung von Datenträgern und § 16 AsylG die Sicherung, Feststellung und Überprüfung der Identität.

Einigkeit besteht, dass diese Mitwirkungspflicht jedenfalls mit Beginn des Asylverfahrens besteht. Eine gesetzliche Regelung, wann diese Mitwirkungspflicht endet, ob sie etwas mit Ende des Asylverfahrens endet, ist zwar nicht normiert worden. Die Formulierung im Tatbestand des § 16 Abs. 1 S.1 AsylG („Die Identität eines Ausländers, der um Asyl nachsucht…“) sowie Sinn und Zweck der Norm sprechen eher dafür, dass eine Rechtsgrundlage für Personen im laufenden Asylverfahren geschaffen werden sollte. Der Zweck der Regelung des § 16 Abs. 1 S. 1 AsylG, die Identität des Asylsuchenden für das Asylverfahren, insbesondere für die Asylanerkennung oder Ablehnung bzw. für aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu sichern und Mehrfachanträge unter jeweils anderen Personenangaben, die Wiedereinreise nach Ablehnung und das Verschweigen eines bereits früheren gestellten Asylantrages, aufzudecken.(1)

Die im Asylgesetz geregelten Mitwirkungspflichten gelten somit nicht für anerkannte Schutzberechtigte. Für die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen setzt der Tatbestand des § 16 Abs. 1 S. 1 AsylG voraus, dass es sich um einen Ausländer handelt, der um Asyl nachsucht.(2)

Der Gesetzgeber müsste hier tätig werden, sollte § 16 AsylG auch als Rechtsgrundlage für identitätsfeststellende Maßnahmen für anerkannte Schutzberechtigte dienen und hätte dies dann auf die – ganz wenigen – Fälle zu beschränken, in denen im ursprünglichen Asylverfahren tatsächlich keinerlei Sicherung, Feststellung und Überprüfung der Identität erfolgt ist.

Darüber hinausgehende Mitwirkungspflichten – wie sie der aktuelle Gesetzesentwurf vorsieht - sind nach Anerkennung bzw. Zuerkennung eines Schutzstatus dieser Systematik grundsätzlich fremd.

Das Unionsrecht sieht Mitwirkungspflichten z.B. in Art. 4 Abs. 1 der QualifikationsRL vor, allerdings in äußerst engen Grenzen.

Soweit es um die Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung des Schutzstatus im Unionsrecht geht, ist dies in Art. 14 Abs. 1 und 19 Abs. 4 der QualifikationsRL geregelt. Auch hier ist bereits normiert, dass im Falle einer falschen Darstellung oder des Verschweigens eine Aberkennung des Schutzstatus erfolgen kann (Art. 19 abs. 3 (b) QualifikationsRL. Das Unionsrecht sieht dabei eindeutig vor, dass die Mitgliedstaaten, die entsprechenden Voraussetzungen nachzuweisen haben.

Art. 44 der AsylverfahrensRL sieht – ohne zwischen Rücknahme und Widerruf zu differenzieren – eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft bei neuen Erkenntnissen vor. Die anlasslose automatisierte und verpflichtende Regelprüfung im deutschen Recht ist dem Europarecht fremd.
2.
Asylverfahrenspraxis in den Jahren 2015/2016

Die schriftlichen Asylverfahren – mit Verzicht auf eine mündliche Anhörung - wurden für Staatsangehörige aus Syrien, Eritrea und religiöse Minderheiten aus dem Irak durchgeführt. Mithin ausschließlich für Schutzsuchende aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von weit über 90 %.

Das schriftliche Anerkennungsverfahren lief ca. von Ende 2014 bis ca. Ende 2016. Anfang 2016 gab es einen Stichtag, danach wurden aber noch Verfahren als schriftliche abgearbeitet, 2015 und 2016 gab es rund 300.000 schriftliche Anhörungen an Hand von Fragebögen. In wie vielen dieser Fälle dann auch eine Entscheidung ohne mündliche Anhörung stattgefunden hat, ist der Verfasserin nicht bekannt.

Auch zu Zeiten der schriftlichen Verfahren gab es jederzeit die Möglichkeit des Übergangs vom schriftlichen Verfahren zu mündlichen Anhörungen, wenn etwa Zweifel an der Identität und Staatsangehörigkeit bestanden. Von dieser Möglichkeit wurde auch regelmäßig Gebrauch gemacht, ca. in einem Viertel der Fälle. Dies bedeutet, schriftliche Asylverfahren wurden in aller Regel nur dann durchgeführt, wenn etwa im Falle von Syrern Personenstandsurkunden, Führerscheine Militärbücher, mithin also eindeutige Angaben zur Identität, vorlagen.

Widerrufspraxis bisher

Überprüfungen haben in der Vergangenheit nur in sehr wenigen Fällen zu Widerrufen geführt. In den Rücknahme-und Widerrufsverfahren, die im ersten Halbjahr 2018 eingeleitet und entschieden wurden, hatte der überprüfte Schutzstatus vielmehr in 99,3% der Fälle Bestand.3 Auch bei der nachträglichen Überprüfung von Identitätsdokumenten Schutzberechtigter wurden nur 0,5% der eingesandten Dokumente als Fälschung identifiziert.

Aktuelle Praxis erkennungsdienstlicher Behandlungen für Sachverhalte vor dem 1.1.2015 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Nach aktuellen Informationen der Unterzeichnenden vom 1.11.2018 sei es gegenwärtige Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass sämtliche erkennungsdienstlichen Behandlungen, die vor dem Stichtag 01.01.2015 stattgefunden haben, wiederholt werden müssten. Eine Rechtsgrundlage bestehe, könne aber auch Nachfrage nicht benannt werden.

3.
Vorgeschlagene Rechtsänderung

Nach § 73 Absatz 3a Satz 2 AsylG– neu erstrecken sich die Mitwirkungspflichten auf die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach § 15 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Nummer 1, 4, 5 und  7 und Absatz 3 AsylG. Nach § 73 Absatz 3a Satz 4 AsylG-neu kann die Mitwirkung per Verwaltungszwang durchgesetzt werden und nach § 73 Absatz 3a Satz 6 AsylG-neu kann eine Nicht-Mitwirkung gewertet werden.

3.1.
Europarechtliche Vorgaben

Entscheidend für die Bewertung dieser Norm ist der vorrangige europäische Rechtsrahmen.

Wie eingangs ausgeführt, findet sich die entscheidende europarechtliche Regelung für die hier interessierenden Rechtsfragen in Art. 14 und 19 der QualifikationsRL. Für die vorliegend interessierende Konstellation des Widerrufs und der Rücknahme ist Art. 11 Abs. 1 e) und Art. 19 Abs.3 b) und Abs.4 der QualifikationsRL zu beachten.

Voraussetzung eines Widerrufs nach 11 Abs. 1 e) QualifikationsRL ist ein Wegfall der Umstände, aufgrund deren eine Person einen Schutzstatus erhalten hat, wobei der Nachweis hierzu von den Mitgliedstaaten zu führen ist gemäß 11 Abs. 2 QualifikationsRL.

Die Aberkennung eines Schutzstatus kann nach Unionsrecht außerdem erfolgen, wenn für die Zuerkennung des Schutzstatus eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen einschließlich der Verwendung falscher oder gefälschter Dokumente ausschlaggebend war.

Art. 19 Absatz 4 der QualifikationsRL stellt fest, dass ein entsprechender Nachweis durch die Mitgliedstaaten zu führen ist.  
Festzuhalten ist somit, dass sowohl für die Konstellation des Widerrufs als auch für die Konstellation der Rücknahme das Unionsrecht die Beweislast auf Seiten der Mitgliedstaaten verortet. Eine Beweislastumkehr wie sie faktisch der Neuregelung des § 73 AsylG zu entnehmen ist, ist nicht europarechtskonform.

Festzuhalten ist weiter, dass ein Widerruf bzw. eine Rücknahme im Rahmen einer Wertung als faktische Sanktion nicht erfolgter Mitwirkung europarechtswidrig ist.

3.2.
Zu erwartende Probleme bei der praktischen Anwendung der Norm:

§ 73 Abs. 3a AsylG-neu normiert zum einen eine Mitwirkungspflicht bei der Aushändigung von Unterlagen und die Duldung erkennungsdienstlicher Maßnahmen.

Liegen Unterlagen aber nicht vor, können sie auch nicht vorgelegt werden.

Liegen sie vor, werden aber nicht vorgelegt werden, liegen dennoch nicht die Voraussetzungen eines Widerrufs oder einer Rücknahme vor, denn es ist weder eine Änderung der Sachlage eingetreten noch lag eine Täuschung vor.  Entsprechendes gilt für die Duldung erkennungsdienstlicher Maßnahmen.

Nicht vorgelegte Unterlagen bzw. die Nicht-Duldung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme können also in keiner denkbaren Konstellation praktisch zu einem Widerruf führen. Eine Wertung zu Lasten des Betroffenen nach § 73 Absatz 3a Satz 6 AsylG-neu, dass auf Grund Nicht-Vorlage oder Nicht-Duldung die Voraussetzungen eines Widerrufs oder einer Rücknahme vorliegen, verstieße gegen Europarecht.

Praxisrelevant dürfte vor allem aber der Verweis auf § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG sein, wonach „erforderliche Angaben“ schriftlich oder mündlich zu erfolgen haben.

Dies bedeutet faktisch, dass nach bereits erfolgter Zuerkennung eine Anhörung zu den Asylgründen erfolgen kann.

Sollte der Betroffene zu dieser Anhörung nicht erscheinen oder keine ergänzenden Angaben machen, führt dies nicht zum Vorliegen der Voraussetzungen eines Widerrufs oder einer Rücknahme. Es liegt nämlich weder ein veränderter Sachverhalt im Vergleich zur ersten Entscheidung vor, noch kam es zu einer Täuschungshandlung oder ähnlichem.

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen müsste dem Betroffenen aber nachgewiesen werden. Die Einführung von Mitwirkungspflichten nach Anerkennung und diese flankierenden Sanktionsmechanismen sollen aber dazu führen, dass durch den Betroffenen selbst Anhaltspunkte für einen möglichen Widerruf oder eine Rücknahme beigebracht werden sollen. „Eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen kann hierbei für das BAMF (…) zusätzliche Erkenntnisse begründen.“(4)

Dies liefe wie bereits auf eine Beweislastumkehr hinaus und ist daher nicht europarechtskonform.

Der Normtext ist nicht hinreichend klar und verbindlich und auch vor diesem Hintergrund nicht mit den europarechtlichen Vorgaben zu vereinbaren.

In § 73 Abs. 3 Satz 6 AsylG heißt es: „Ferner ist zu berücksichtigen, inwieweit der Ausländer seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist.“

Es ist vollkommen unklar, welcher Regelungsgehalt dieser Aussage zukommen soll.

Die gesetzliche Neuregelung verhält sich schließlich auch nicht in ausreichendem Maß zu den erforderlichen Verfahrensgarantien.

Art. 45 Asylverfahrens-Rl enthält weitgehende Verfahrensgarantien, die im Falle eines Widerrufs oder einer Rücknahme zu beachten sind. So hat eine genaue Aufklärung über die Gründe der Überprüfung sowie ausführliche schriftliche Information der Betroffenen zu erfolgen.

3.3.
Angesichts der vorstehenden Ausführungen zur Europarechtswidrigkeit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung, wird nur ergänzend darauf hingewiesen, dass der vorliegende Gesetzesentwurf weder erforderlich, geeignet noch angemessen ist.

Ziel des vorliegenden Gesetzesentwurfs solle die „Befriedung“ der gesellschaftlichen Debatte sein.

Die Gesetzesbegründung bezieht sich auf die Zunahme von geäußerten Schutzbegehren in den Jahren 2015 und 2016, mithin einer historischen Sondersituation. Die Begründung legt dar, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Verfahrensbeschleunigung im Wege der schriftlichen Antragsprüfung entschieden und auf die persönlichen Anhörungen nach § 25 AsylG verzichtet habe. Laut Gesetz habe dieses Verfahren zu einer nicht ausreichenden Prüfung in Hinblick auf die Angaben zu Identität, Staatsangehörigkeit und Fluchtgeschehen geführt. Nur – so insinuiert die Gesetzesbegründung - die vorgeschlagene Gesetzesänderung zu den Widerrufs- und Rücknahmeverfahren könne hier „(…) durch behördliches Handeln entstandene Fehler (…) korrigieren.“

Der vorliegende Gesetzesentwurf führt daher ein Verfahren ein, in dem ohne Vorliegen objektiver Anhaltspunkte (Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland, Hinweise für eine Täuschungshandlung) ein Widerrufs- und Rücknahmeverfahren eingeleitet und der Erkenntnisgewinn ausschließlich auf Angaben der Betroffenen beruhen soll. Diese sollen mit Hilfe der Einführung von Mitwirkungspflichten nach Anerkennung und diese flankierenden Sanktionsmechanismen erfolgen soll.  „Eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen kann hierbei für das BAMF (…) zusätzliche Erkenntnisse begründen.“(5)

Unter Bezugnahme auf das zuvor zitierte Zahlenmaterial ist ein umfassender und weitreichender Handlungsbedarf, wie ihn die Gesetzesbegründung annimmt, nicht erkennbar. Hinzukommt, dass bei einem Großteil der Betroffenen – dies gilt etwa für Syrer, die Verfahren zur Familienzusammenführung betreiben – aus anderen Gründen im weiteren Verlauf die Notwendigkeit besteht, Kontakt zu den Herkunftsbehörden aufzunehmen und Dokumente vorzulegen. In keinem dieser Fälle gab es Anzeichen für Identitätstäuschungen.

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung ist auch nicht geeignet. Sie stellt eine Systemänderung dar, die zwar kaum faktische Auswirkungen haben wird, aber einen enormen Verwaltungsaufwand und massive Belastungen für die Betroffenen nach sich ziehen wird.

Selbst wenn Umstände identifiziert werden sollten, die die Voraussetzungen eines Widerrufs oder einer Rücknahme begründen könnten, muss zunächst geprüft werden, ob diese Umstände auch kausal für die positive Verwaltungsentscheidung waren. Nur dann lägen die Voraussetzungen eines Widerrufs oder einer Rücknahme vor und es käme zu einer solchen. Denn nach altem wie neuem Recht müssen die unrichtige oder die Nichtangabe wesentlicher Tatsachen für die anerkennende Entscheidung ursächlich gewesen sein.

Der Gesetzgeber sieht zur Umsetzung der Norm Verwaltungszwang und Entscheidung nach Aktenlage vor und greift damit empfindlich in die Rechtspositionen der Betroffenen ein.

Die Einleitung der Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren bedeutet nicht einfach nur, dass die Betroffenen einen „Brief“ erhalten, sondern ist mit erheblichem Stress und massiver Sorge für die Betroffenen verbunden. Erfahrungen in den Widerrufsverfahren zeigen, welche Ängste diese bei den Betroffenen auslösen. Für diese stellt es sich nämlich so dar, dass ihr Aufenthalt, ihre Berechtigung als solche in Frage gestellt wird. Für Personen mit Fluchterfahrung, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als besonders schutzbedürftig angesehen werden, entsteht eine Perspektive der Unsicherheit und Angst. Viele Betroffene befinden sich noch lange nach Zuerkennung des Schutzstatus in Heilungsverfahren und therapeutischen Behandlungen. Diese stehen einer Konfrontation mit Vergangenem entgegen, diese stellt sich als kontraindiziert und gesundheitsschädlich dar. Hinzukommen weiter auch ganz praktische Fragen wie Verdienstausfall, Urlaubsregelungen etc.

Die negativen Konsequenzen beziehen sich auch auf die Kinder der Betroffenen und können letztlich auch deren Wohl beeinträchtigen, weil die gesamte Familie in einen permanenten Stress versetzt wird.

Die Verfahren aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass den Betroffenen die Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde gar nicht klar und auch nicht zu vermitteln ist. Dies beschädigt maßgeblich die gesellschaftliche Partizipation, denn die Betroffenen
werden auf ihre Vergangenheit zurückgeworfen, anstatt ihre Energien und Ressourcen nach vorne zu richten. Die Rechtssicherheit ist damit empfindlich getroffen.

Sämtliche der aufgezeigten Konsequenzen sind vor dem Hintergrund eines Verfahrens, das keinen erheblichen Erkenntnisgewinn nach sich ziehen wird, sind gänzlich unangemessen.
Die Gesetzesregelung wird auch das Bundesamt mit einer erheblichen Arbeitsbelastung versehen, ohne dass dies einen erkennbaren Mehrgewinn hätte. Hinzukommen werden unzählige gerichtliche Verfahren, wenn es denn tatsächlich zu Maßnahmen im Rahmen des Verwaltungszwangs oder der Rücknahme bzw. des Widerrufs kommen sollte.

4.
Bewertung

Der Gesetzesentwurf liefert eine spezifische Interpretation und Erzählung zu der Entwicklung der Zugangszahlen im Bereich Asyl in den Jahren 2015 und 2016. Danach habe es 2015 und 2016 eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung und darauf basierende Fehlentscheidungen in nicht unerheblicher Anzahl gegeben. Diese zwei Grundthesen halten einer Überprüfung in tatsächlicher Hinsicht nicht Stand. Die Neuregelung wird in Hinblick auf die Anzahl tatsächlicher rechtskräftiger Widerrufe und Rücknahmen kaum eine Auswirkung haben. Folge der Neuregelung werden unzählige Verfahrensschleifen und Stress für die Betroffenen sein. Im laufenden Prüfungsverfahren verlängert die Ausländerbehörde Aufenthaltstitel nur für ein Jahr, teilweise werden sogar Fiktionsbescheinigungen erteilt. Diese kurzfristigen Aufenthaltstitel erschweren und behindern maßgeblich die Ausbildungs-, Arbeits- und Wohnungssuche.

Die Neuregelung wird in Hinblick auf das proklamierte Ziel ohne maßgebliches Ergebnis bleiben. Im Gegenteil verhindert der Gesetzesentwurf eine Versachlichung der Debatte indem Probleme der Jahre 2015 und 2016 in der Praxis des Bundesamtes für Migration, die es tatsächlich gegeben hat und die es leider bis heute massiv gibt, einseitig als Folge des Fehlverhaltens der damals Schutzsuchenden und heute anerkannten Flüchtlinge bzw. international Schutzberechtigten darstellt werden.

Das Asylrecht und der Flüchtlingsschutz sind wie das Bundesverfassungsgericht betont in besonderer Weise verfahrensabhängige Rechte. Kategorien der „Großzügigkeit“ und Formulierungen wie „Gastland“, die in der Diskussion um den aktuellen Gesetzesentwurf in der Lesung im Parlament auftauchen, verstellen den Blick auf das Wesentliche.

Vorliegend geht es um Rechtspositionen der Betroffenen, die nicht zum Gegenstand eines behördlichen Verfahrens gemacht werden dürfen, das auf einer gesetzlichen Regelung beruht, welche maßgeblich auf einer ideologisch geprägten Interpretation der Ereignisse der Jahre 2015 und 2016 basiert und damit einer willkürlichen Verfahrensgestaltung sehr nahe kommt.

5.
Empfehlung

Der vorgeschlagenen Gesetzesänderung ist nicht zu entsprechen.

Auch die im Zuge des Gesetzgebungsverfahren eingebrachten weiteren Verschärfungen etwa des Bundesrates zur rückwirkenden erkennungsdienstlichen Erfassung von nach Inkrafttreten des Gesetzes über 14 Jährigen oder wie vom Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vorgeschlagen, die  Prüfung der Einleitung eines Widerrufs- bzw. Rücknahmeverfahrens nach fünf statt drei Jahren sind aus den vorstehend genannten Gründen strikt zurückzuweisen.

Berenice Böhlo
Berlin, den 1. November 2018

Fußnoten
(1) AsylG, Gemeinschaftskommentar zum Asylgesetz, § 16 Rd. Nr. 8
(2) VG Halle, Beschluss vom 13.02.2018 - 7 B 64/18 HAL
(3) BT-Drs. BT-Drs. 19/3839.
(4) BT-Drs. 19/4456, S.1.
(5) BT-Drs. 19/4456, S.1. StN als PDF