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Proteste gegen die IAA. Anwaltlicher Notdienst kritisiert repressives Vorgehen

Pressemitteilungen des AND in München vom 10. und 12.9.2021

Hier dokumentieren wir zwei Pressemitteilungen des Anwaltlichen Notdienstes (AND), der während der IAA vom 7. bis 12.9.2021 in München im Einsatz war und zu deren Gruppe viele Mitglieder vom RAV kamen. Allen sei gedankt!

PM vom 10.9.21 als PDF

Pressemitteilung des Anwaltlichen Notdienstes zur IAA vom 10.09.2021

Auftakt der Proteste gegen die IAA unter Polizeischikanen - anwaltlicher Notdienst kritisiert repressives Vorgehen

Anlässlich der Protestaktionen der Klimabewegung gegen die Internationale Automobilausstellung (IAA) in München organisieren Rechtsanwält*innen, unterstützt vom Republikanischen Anwaltsverein RAV e.V., einen anwaltlichen Notdienst (AND).

Die Kolleg*innen vom AND sind bei Demonstrationen oder anderen Protestaktionen unmittelbar vor Ort, um Versammlungsteilnehmer*innen bei der Verwirklichung und Durchsetzung ihrer Grundrechte zu unterstützen und notwendigenfalls bei freiheitsentziehenden Maßnahmen zu vertreten.

Nach dem Auftakt der Proteste ziehen die Jurist*innen eine Zwischenbilanz und attestieren der Polizei Versammlungsfeindlichkeit und ein repressives Vorgehen:
Dazu zählen bspw. Personenkontrollen, Durchsuchungen und massenhafte Gewahrsamnahmen wegen Kleinigkeiten. Eine satirische Stadtführung etwa zu den Messeständen in der Innenstadt endete am Mittwochabend direkt in einem Polizeikessel. Sämtliche Personen wurden einer Personalienfeststellung unterzogen.
Der Notdienst beobachtet insbesondere, dass die Polizei versucht, bereits bei geringsten Anlässen Aktivistinnen und Aktivisten während des weiteren Verlaufs der Messe mittels des sog. Unterbindungsgewahrsams nach dem Polizeiaufgabengesetz (PAG) wegzusperren. Z.B. wurden seitens der Polizei Anträge auf Ingewahrsamnahme wegen mitgeführter Sprühkreide oder Klettergurten gestellt.

Nach den Autobahnblockaden am Dienstag wurden neun Personen für fünf Tage bis zum Ende der Messe in sog. Unterbindungsgewahrsam genommen. Dieser Gewahrsam wird in den regulären Justizvollzugsanstalten vollzogen. Unter den Corona-Schutzbestimmungen bedeutet dies Quarantäne für die Betroffenen - und somit faktisch Isolationshaft bis Sonntag.
Das Amtsgericht München wies hingegen in neun weiteren Fällen die polizeilichen Gewahrsamsanträge ab - teils weil die Polizei das Versammlungsrecht missachtete, teils weil schlicht keine ausreichende Gefahrenprognose vorlag.
"So wird mit dem Unterbindungsgewahrsam versucht, unliebsamen Protest und Gegenmeinung unmöglich zu machen", so RAin Antonella Giamattei. "Die Befürchtungen aus den großen Protesten gegen das PAG scheinen sich als wahr zu erweisen."

Das Mobilitätswendecamp, das die Aktivist*innen auf der Theresienwiese nach wochenlangen Verhandlungen mit der Stadt durchsetzen konnten, wird seit seinem Aufbau von der Polizei in einen regelrechten Belangerungszustand versetzt. Rund um das Zeltlager patrouillieren Polizeibusse, immer wieder kommt es in unmittelbarer Nähe des Camps zu
Personenkontrollen und Durchsuchungen.

Wenn die für den Polizeieinsatz politisch Verantwortlichen weiterhin auf Einschüchterung und Kriminalisierung der Proteste setzen, werden sie ihrem grundgesetzlichen Auftrag, versammlungsfreundlich zu agieren, nicht gerecht und werden ein Bild von München zeichnen, das die Klimaproteste zu Gunsten einer Automesse repressiv beschränkt.

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PM des AND vom 12.9.21 als PDF

Pressemitteilung des Anwaltlichen Notdienstes zur IAA vom 12.09.2021

Bilanz des Anwaltlichen Notdienstes zur IAA
„Systematische Missachtung des Freiheitsgrundrechts durch die Polizei“


Unsere Bilanz: Geringste Vorkommnisse wurden von der Polizei vorgeschoben, um stundenlange Freiheitsentziehungen durchzuführen. So wurden drei Personen - ohne richterliche Entscheidung - von Donnerstag morgens bis abends in Polizeigewahrsam festgehalten und widerrechtlich ihrer Freiheit entzogen. Ihnen wurde lediglich vorgeworfen, mit Sprühkreide eine Glasscheibe besprüht zu haben. Missliebige Meinungskundgabe auf einem kritischen Transparent wurde am Freitag mit der Beschlagnahme des Transparents und stundenlanger Festnahme von 2 Personen beantwortet.

Bis Freitag Abend hatte die Polizei insgesamt 20 Anträge auf richterliche Anordnung des Gewahrsams nach PAG bis Messeende (Sonntag 18 Uhr) gestellt, davon zehn beim Amtsgericht Erding und zehn beim Amtsgericht München. Das Amtsgericht München lehnte sämtliche dieser Anträge auf Gewahrsamnahme ab. Lediglich bei einer weiteren Person wurde am Freitag Abend Gewahrsam bis Sonntag Abend angeordnet. Die anfänglichen zehn Anordnungen der Gewahrsamnahme des Amtsgerichts Erding wurden in der Beschwerdeinstanz vom Landgericht Landshut allesamt für rechtswidrig erklärt. Außerdem wurden vier Anträge auf Untersuchungshaft vom Amtsgericht München abgelehnt.

Des Weiteren: Die Polizei missachtete das Versammlungsgrundrecht. Dies begann mit der unzulässigen Kontrolle der Personalien von VersammlungsteilnehmerInnen auf dem Weg zum Camp, setzte sich fort mit Gewaltanwendung gegen eine zwar nicht angemeldete, aber dennoch versammlungsrechtlich geschützte Versammlung am Freitag vormittag. Eine angemeldete Versammlung wurde durch Einsatzkräfte durchgehend einschließend begleitet, so dass die Aussagen der Versammlung nach außen nicht mehr sichtbar waren. Zudem wurde die Versammlung permanent rechtswidrig gefilmt. Polizeibeamte haben sich undercover in die Demonstration eingeschlichen und dafür sogar Overalls der Protestbewegung an sich gebracht.

Aus nichtigen Anlässen kam es bei den angemeldeten Versammlungen am Freitag und Samstag zu Schlagstock- und Pfeffersprayeinsätze ohne Rechtsgrundlage. Eine Versammlungsteilnehmerin, die versuchte, auf einen Baum zu klettern, wurde sogar aus 2 m Höhe zum Absturz gebracht. Die Polizeikräfte nahmen dabei schwerste Verletzungen in Kauf. Die vor Schmerzen schreiende Frau wurde verletzt weggeschleppt, obwohl sie ersichtlich behandlungsbedürftig war.
Unser Fazit:
Die Polizei versuchte, Protest zu verhindern und zu unterbinden und die Protestierenden einzuschüchtern. Während die Gerichte die meisten Freiheitsentziehungen für rechtswidrig erklärten, wurden diese von der CSU bejubelt. Deren Generalsekretär Blume feierte kraftmeierisch die Gewahrsamnahmen im Internet mit den Worten: „Brückenkletterer bleiben bis Messeende eingesperrt! So läuft´s in Bayern!<dazu angespannter Bizepsemoji>“.

Wir sagen dazu: Die CSU hat offenbar nichts dazugelernt. Während anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels 1992 noch der damalige Ministerpräsident Streibl die Prügelorgie der Polizei als „Hinlangen nach bayerischer Art“ feierte, wird nun das rechtswidrige Wegsperren von Protestierenden als bayerische Stärke gefeiert.

Das Recht auf Freiheit ist eines der wichtigsten Grundrechte. Dies macht deutlich, wie wichtig es ist, der systematischen Missachtung der Freiheitsrechte durch die Polizei in Bayern etwas entgegen zu setzen und die Freiheitsrechte zu verteidigen. Hierzu haben wir einen Beitrag geleistet.