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Null Toleranz für die Versammlungsfreiheit? Demonstration „Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat“ am 15. Dezember in Hamburg: Grundrechte mit Polizeistiefeln getreten

Pressemitteilung vom 17.12.2007
„Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“ Auf den Tag genau 24 Jahre vor der Demonstration „Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat“, am 15. Dezember 1983, gab das Bundesverfassungsgericht der Politik diesen Satz als Leitlinie auf. Der Befund am 15. Dezember 2007: auf – nach Polizeizählung – 3.000 Demonstranten kamen 2.500 Polizisten. Zum Auftakt und während des Versuchs, der angemeldeten Route zu folgen, filmten alle 30 Meter Beamte mit der Videokamera. Die Demonstrationsmenge war ab dem Auftakt an der „Roten Flora“ von einer erdrückenden Macht grün und schwarz martialisch ausgerüsteter Polizei umkesselt. Wer da nicht weglief, musste ein ernstes Anliegen haben. Die überwiegend sehr jungen Menschen wandten sich gegen die inzwischen allgegenwärtige Überwachung und gegen eine „Sicherheits“-politik, die Grundrechte täglich missachtet sowie gegen die strafrechtliche Verfolgung linker politischer Opposition mit den Mitteln angeblicher Terrorabwehr und dem § 129 a StGB. Es gibt allen Grund, auf die Straße zu gehen: Rasterfahndung, großer Lauschangriff, Luftsicherheitsgesetz, Feindstrafrecht, Terrorismushysterie, zentrale Schülerdatei, Anti-Terror-Datei; Online-Durchsuchung - Bundestrojaner; Relativierung der Unschuldsvermutung; Telekommunikationsüberwachung; BKA-Gesetzentwurf mit der fast unbegrenzten Befugnis zur präventiven heimlichen Ermittlung, Zollfahndungsgesetz mit Einsatz als Polizeieinheit und Geheimdienstfunktion mit verdachtsunabhängiger Überwachung; Leitlinien zur Zentralisierung von Polizei, Militär und Geheimdiensten, Zentralisierung der Melderegister, Zensus 2011. Ist das noch Demokratie? Anwältinnen und Anwälte für Demokratie und Menschenrechte (RAV) beobachteten die Demonstration vom Auftakt um 13.00 Uhr bis zur vorzeitigen Auflösung am Millerntor gegen 17.00 Uhr und kamen zu folgendem Schluss: Die Wahrnehmung des Rechts auf freie Demonstration wurde am 15. Dezember 2007 von der Polizei verhindert. Die versammelte Menschenmenge wurde von mehreren Reihen uniformierter Polizei angeführt und in einem „Wanderkessel“ eskortiert, aus dem es keinen freien Zu- und Abgang gab. Als weitere Drohkulisse dienten auf die friedliche Versammlung gerichtete Wasserwerfer. Die Möglichkeit für interessierte Bürger, das Thema der Demonstration und die Transparente zu erkennen, war durch die Abschirmung durch Polizei fast genauso ausgeschlossen wie die Möglichkeit, sich dem Zug zustimmend anzuschließen. Dies kommentiert Rechtsanwältin Heinecke (Mitglied im Vorstand des RAV): „Der 15. Dezember in Hamburg war eine unverhältnismäßige, demokratiefeindliche Demonstration von Staatsmacht, die bei Bürgerinnen und Bürgern zu Gefühlen von Ohnmacht und Sprachlosigkeit führen muss. Sie hat nichts mehr mit dem zu tun, was das Bundesverfassungsgericht 1985 in der Entscheidung Brokdorf festgeschrieben zur gesellschaftlichen Bedeutung von Versammlungen festgeschrieben hat: ein „Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie“ zu sein, das geeignet ist, „den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren". Ein Innensenator, der diesen massiven Verfassungsbruch zu verantworten hat, ist eine unmittelbare gegenwärtige Gefahr, der es entgegenzutreten gilt und dessen sofortige Ablösung ein notwendiges und richtiges Signal wäre. Berlin, den 17. Dezember 2007 Nachfragen an Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, RaeHeineckeKoll@web.de, 040-41 35 900 Rechtsanwältin Britta Eder, eder.britta@hamburg.de, 040-32 033 756