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Menschenrechtsschutz oder Staatenimmunität? Die Klage Deutschlands gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof

Veranstaltung, Berlin, 3.12.2009
Seit Jahrzehnten verweigern bundesdeutsche Regierungen einem Teil der Opfer von NS-Kriegsverbrechen in ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern Entschädigungsleistungen; Verfahren vor deutschen Gerichten blieben ergebnislos. Dagegen hatten zahlreiche Klagen griechischer und italienischer NS-Opfer und deren Angehöriger vor einheimischen Gerichten Erfolg. Bereits im Jahr 2000 erstritten Überlebende und Angehörige eines Massakers deutscher SS-Truppen im griechischen Distomo vor dem obersten Gericht Griechenlands (Aeropag) ein rechtskräftiges Urteil, demzufolge Deutschland 22 Mio. Euro zu zahlen hat. Nachdem eine Vollstreckung dieser Entscheidung in Griechenland scheiterte, erklärte der italienische Kassationsgerichtshof 2008 die Vollstreckung in Italien für zulässig. Parallel dazu entschied der Kassationsgerichtshof auch in Verfahren italienischer NS-Opfer, dass diese ihre Ansprüche vor italienischen Gerichten geltend machen können. Vor diesem Hintergrund erhob Deutschland am 23. Dezember 2008 gegen Italien Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag mit dem Ziel, die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen aus NS-Kriegsverbrechen zu vereiteln. Zur Begründung beruft sich die Bundesrepublikdarauf, dass die italienischen Gerichte den Grundsatz der Staatenimmunität verletzt hätten. Dieser schließe es kategorisch aus, dass ein Staatvor Gerichten eines Staates verklagt werde. Die griechischen und italienischen Gerichte hatten demgegenüber festgestellt, dassdie Durchsetzung der Menschenrechte vorrangig ist und der Grundsatz der Staatenimmunität jedenfalls bei Kriegsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen keine Geltung hat. Es ist zu befürchten, dass die zu erwartende Entscheidung des IGH nicht nur negative Auswirkungen auf eine Vielzahl von Verfahren nicht entschädigter NS-Opfer zeitigen, sondern darüber hinaus in Zukunft die Durchsetzbarkeit von Entschädigungsansprüchen nach Kriegsverbrechen generell erschweren, wenn nicht vereiteln kann. Zurzeit läuft beispielsweise ein Beschwerdeverfahren von Opfern aus dem serbischen Dorf Varvarin, das im Mai 1999 von NATO-Streitkräften bombardiert wurde, vor dem Bundesverfassungsgericht. Dabei geht es um die Durchsetzbarkeit unmittelbarer Ansprüche auf Entschädigung von Opfern von Kriegsverbrechen gegen die Bundesrepublik Deutschland. Jahrzehntelange internationale Bemühungen, Kriegsverbrechen strafrechtlich, aber auch zivilrechtlich zu sanktionieren drohen in dem auch über den Fall der NS-Entschädigungen hinaus hochbedeutenden IGH-Verfahren konterkariert zu werden. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) laden zu diesem Thema am 03. Dezember 2009 in den Räumen des ECCHR ab 18 Uhr zu einer gemeinsamen Informationsveranstaltung ein. Expertinnen und Experten aus der Menschenrechtsarbeit, der Politikwissenschaft, dem Völkerrecht sowie der Anwaltschaft diskutieren in zwei Podien die Stellung und Durchsetzbarkeit von individuellen Entschädigungsansprüchen nach Kriegsverbrechen. Die möglichen Konsequenzen des Verfahrens vor dem IGH werden ebenso Gegenstand der Veranstaltung sein wie die Entschädigungspolitik Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.   Wir bitten um Anmeldung unter info@ecchr.eu und freuen uns auf Ihr Kommen!3. Dezember 2009, 18:00 bis 21:30 Uhr, ECCHR, Zossener Straße 55-58, Aufgang D, 10961 Berlin  

                            

Programm 18:00 – 19:30: Entschädigungsansprüche von Opfern in bewaffneten Konflikten und deren Durchsetzbarkeit Völkerrechtliche Individualansprüche im Spannungsverhältnis von Recht und Politik (Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano/Universität Bremen) Die Entwicklung und heutige Bedeutung der Staatenimmunität bei schwersten Menschenrechtsverletzungen (Dr. Monika Lüke, Generalsekretärin Amnesty International und Beiratsmitglied des European Center for Constitutional and Human Rights) 20:00 – 21:30: Entschädigung von NS-Verbrechen Ein- und Ausschlüsse von NS-Opfern - Grundzüge der deutschen Entschädigungspolitik (Dr. Anja Hense) Der Fall Distomo - Staatenimmunität als Instrument der Entschädigungsverweigerung (Martin Klingner, Rechtsanwalt)   Moderation: Carsten Gericke (Rechtsanwalt, RAV)