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Gesetzentwurf eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung

RAV-Stellungnahme, 17.2.23

Stellungnahme des RAV zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung vom 22.11.2022

Verfasser: Prof. Dr. Helmut Pollähne, Rechtsanwalt; Dr. Lukas Theune, Rechtsanwalt

Vorbemerkung

Der RAV nimmt den vorgelegten Gesetzesentwurf mit Freude zur Kenntnis. Die Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung ist seit langem Ziel der Anwält*innenschaft und in einem modernen Rechtsstaat Standard. Sie wird die Transparenz und damit auch die Akzeptanz strafgerichtlicher Hauptverhandlungen erhöhen. Leidige Diskussionen über den genauen Inhalt der Aussagen von Zeug*innen oder Sachverständigen werden damit endlich der Vergangenheit angehören, was auch dem Rechtsfrieden dient.

Im Einzelnen:

§ 271 StPO

Absatz 1 ist aus systematischen bzw. Klarstellungsgründen begrüßenswert.

Absatz 2 ist als Kernstück der neuen Regelung außerordentlich sinnvoll. Aus Sicht des RAV bedürfte es dabei zunächst nicht einmal der visuellen Aufzeichnung, um das Ziel des Gesetzes zu erreichen; vielmehr genügt jedenfalls in einem ersten Schritt die automatisiert in ein Transkript zu übertragende Audioaufzeichnung. Aussagepsychologisch ist ohnehin bekannt, dass es für die Frage der Glaubhaftigkeit von Aussagen auf Gestik und Mimik von Zeug*innen eher nicht ankommt. Große Vorteile einer Aufzeichnung auch als Video, die den damit verbundenen Aufwand rechtfertigen, sind nicht ersichtlich. Andererseits fielen bei der Video-Aufzeichnung bei weitem größere Datenmengen an als bei der reinen Audioaufzeichnung. Videos mit mehreren Stunden Länge sind jedenfalls derzeit noch kaum händelbar, weil viele Gigabyte groß; ob die automatisierte Transkribierung fehlerfrei möglich sein wird, ist noch unklar, zumal wenn man den derzeitigen mangelhaften Stand der Digitalisierung der Justiz in den Blick nimmt. Der GesE lässt offen, ob das Transkript aus einer Audio-Video-Datei heraus erfolgen soll oder – was technisch eher umzusetzen wäre – aus einer gesonderten Audiodatei. Hinzu kommt, dass Mikrofonanlagen in vielen landgerichtlichen und erst recht oberlandesgerichtlichen Sälen bereits vorhanden sind, sodass der Aufwand für die Steuerzahler*innen sich auch noch einmal deutlich verringert.

Auf der anderen Seite scheint es aus Sicht des RAV aber sinnvoll, auch Berufungsverfahren aufzuzeichnen. Warum diese von der Aufzeichnung ausgenommen sein sollen, überzeugt nicht (dem GesE ist eine Begründung dafür nicht zu entnehmen): Dort wird ebenfalls kein Inhaltsprotokoll wie bei amtsgerichtlichen Hauptverhandlungen geführt. Zudem ist forensisch zu beobachten, dass auch Berufungsverfahren mehrere Hauptverhandlungstage in Anspruch nehmen können, weil der Aufklärungsanspruch auch der sog. kleinen Strafkammern dem der Amtsgerichte regelmäßig überlegen ist. Insofern schlagen wir vor, § 271 Abs. 2 StPO wie folgt zu fassen:

„Eine Hauptverhandlung vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht ist zudem (in Ton) aufzuzeichnen. Die Aufzeichnung ist…“

§ 272 StPO

§ 272 StPO enthält im Wesentlichen keine neuen Regelungen, sondern sortiert bereits bestehende Regelungen; insofern erübrigt sich eine Stellungnahme.

§ 273 StPO

Aus Sicht des RAV entfallen viele der Bedenken im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten, wenn von einer visuellen Aufzeichnung bis auf Weiteres Abstand genommen wird (um erst einmal entsprechende Erfahrungen zu sammeln und zu evaluieren). Abgesehen davon ist Abs. 1 einerseits eine Selbstverständlichkeit, andererseits kaum justiziabel.

Absätze 2 und 3 erscheinen nachvollziehbar und stringent. Allerdings weckt Abs. 3 insofern Missverständnisse, als für „Aufzeichnungen“, die „in anderer Weise gespeichert“ werden, u.a. § 499 StPO gelten soll, für solche, die zur Akte genommen werden, hingegen nicht.

Auch gegen die Regelung in Absatz 4 ist nichts einzuwenden. Eine Erweiterung der Aufbewahrung könnte allerdings das bislang eher stiefmütterlich behandelte Institut der Wiederaufnahme des Verfahrens beleben, da die Voraussetzungen des § 359 StPO eher darzulegen sind, wenn ein Wortprotokoll der ehemaligen Hauptverhandlung existiert, deren Inhalt nun durch neue Beweismittel widerlegt werden kann. Dies könnte beispielsweise auch durch Antragsbefugnisse der Angeklagten ausgestaltet werden. S. 4 könnte lauten:

„Auf begründeten Antrag Angeklagter ist die Speicherung gemäß Satz 3 anzuordnen.“

Absatz 5 ist zu begrüßen, auch wenn kaum nachvollziehbar ist, dass Sachverständige ausgenommen wurden. Allerdings ist S. 2 zu erweitern, denn mit der gewählten Formulierung dürfen die Aufzeichnungen auch in anderen Strafverfahren verwendet werden, was gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen und das Persönlichkeitsrecht Verfahrensbeteiligter verletzen kann. Stattdessen sollte S. 2 lauten:

„Die Aufzeichnungen dürfen mit der Einwilligung sämtlicher Beteiligter auch in anderen Strafverfahren oder anderen gerichtlichen oder behördlichen Verfahren verwendet werden.“

Absatz 6 ist begrüßenswert, wobei sich erst arg. Abs. 8 ergibt, das mit „Zugang“ offenbar „zur Verfügung stellen“ gemeint ist (alles weitere ergibt sich dann in der Tat aus § 32f StPO).

Absatz 7 ist zu weitgehend: Gerade vermeintlich Verletzten, die noch nicht in der Hauptverhandlung als Zeug*innen vernommen wurden, steht zu Recht nicht immer ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht zu (arg. § 406e StPO). Vor ihrer Einvernahme kann ihre Kenntnisnahme etwa vom Wortlaut der Erklärung Angeklagter besorgen lassen, dass der Untersuchungszweck gefährdet ist, weil die vermeintlich verletzte Person ihre Aussage auf die erhaltenen Informationen hin anpassen kann. Aus Sicht des RAV ist Absatz 7 zu streichen. Ungeachtet dessen erscheint die Formulierung „nach jedem Verhandlungstag unverzüglich“ ohnehin unrealistisch, zumindest missverständlich.

Absatz 8 ist grundsätzlich begrüßenswert. Im Hinblick auf die Mandant*innen gerät die Verteidigung allerdings in den Anwendungsbereich des § 201 Abs.1 Nr. 2 StGB: Die „Befugnisse“ müssten insoweit noch klarer gefasst werden. Auch können sich diesbzgl. Sach- und Rechtsfragen bei inhaftierten Angeklagten ergeben, deren Klärung noch aussteht.

§ 274 StPO

§ 274 StPO ist begrüßenswert.

§ 353d StGB

Gegen die vorgeschlagene Erweiterung des § 353d StGB ist nichts einzuwenden.

Bremen und Berlin, 17.02.2023

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