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Gerechtigkeit für die ›EL HIBLU 3‹

Pressemitteilung Nr. 4/21 vom 23. März 2021 und Aufruf zur Beteiligung an Kundgebung

Bild: Boris Niehaus

RAV fordert zum zweiten Jahrestag ihrer Seenot-Rettung die Einhaltung internationalen Rechts

In Malta droht drei jungen Migranten aus afrikanischen Ländern eine lebenslange Haftstrafe, weil sie sich dafür einsetzten, nach der Rettung aus akuter Seenot im Mittelmeer nicht mit weiteren Geflüchteten zurück in die Lager Libyens verbracht zu werden. Aus Bedrohten werden Täter und aus Deeskalation wird ›Terrorismus‹.

Was war geschehen? Am 28. März 2019 rettete das Frachtschiff El Hiblu 1 über 100 Menschen – darunter 20 Frauen und mindestens 15 Kinder – aus akuter Seenot. Als die Menschen bemerkten, dass das rettende Schiff Kurs auf Libyen nahm, brach an Bord Verzweiflung und Panik aus. Amnesty International bestätigte seinerzeit, dass die Geretteten zu keinem Zeitpunkt gewalttätig gegen die Besatzung vorgingen. Drei der Geretteten – zwei Minderjährige sowie ein 19-Jähriger – hätten vielmehr für die Schiffsführer gedolmetscht, um die in Panik geratenen Flüchtlinge zu beruhigen. Die Besatzung der El Hiblu 1 beschloss daraufhin, das Schiff in Richtung Malta zu steuern.

Was sind die Folgen? Die drei Teenager wurden von den maltesischen Behörden festgenommen und bis November 2019 in Untersuchungshaft interniert, kamen dann auf Kaution frei. Sie sind seitdem als die ›El Hiblu 3‹ bekannt. Unter Meldeauflagen und strenger Ausgangssperre nehmen sie monatlich an einer Gerichtsverhandlung teil, die Teil des Ermittlungsverfahrens ist. Malta ermittelt gegen sie u.a. wegen ›Terrorismus‹. »Damit werden die Ereignisse vom März 2019 auf den Kopf gestellt und international anerkannte Rechtsstaatsprinzipien in Frage gestellt«, so RAV-Vorstandsmitglied Berenice Böhlo. »Wir beobachten in großer Sorge die Erosion des Rechtsstaats und eine neue Eskalation bei der Kriminalisierung von Geflüchteten«, so Böhlo.

Erst am 4. März 2021 konnte eine der Geflüchteten als Augenzeugin über die Ereignisse vom März 2019 berichten. Die nächste Anhörung ist für den 15. April 2021 angesetzt, und der RAV sowie ihre europäische Partnerorganisation, die Europäischen Demokratischen Anwältinnen und Anwälte (EDA-AED), beobachten den Prozess weiter.

Was sind die Forderungen? Der RAV fordert die Einstellung des Verfahrens. Er verweist in einem Statement (dazu unten) auf die Notwendigkeit, internationale Normen und Vereinbarungen zu respektieren und deren Durchsetzung zu befördern. Das Hantieren mit dem Begriff ›Terrorismus‹ ist dazu kein Beitrag, sondern ein Angriff auf den Rechtsstaat und die Menschenwürde. Die Diffamierung von Menschen, die um ihr Leben und ihre Rechte kämpfen, muss endlich ein Ende haben.


GERECHTIGKEIT FÜR DIE ›EL HIBLU 3‹!
KUNDGEBUNG
26. März 2021, 11:00 Uhr
Maltesische Botschaft
Klingelhöferstraße 7 | 10785 Berlin

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Zum juristischen Hintergrund

Libyen ist unbestritten kein ›sicherer‹ Ort, auch nicht für die Einschiffung von Geflüchteten und Migrant*innen, die auf See gerettet werden. Der RAV erinnert daran: Die Menschenrechtsberichte der UNO und der Europäischen Union dokumentieren systematische Menschenrechtsverletzungen gegen Migrant*innen in Libyen, darunter unrechtmäßige Tötungen, willkürliche Inhaftierungen, Folter und unmenschliche Behandlung, alarmierende Raten von Unterernährung, von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt einschließlich Gruppenvergewaltigung, Sklaverei, Zwangsarbeit und Erpressung.

Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Genfer Flüchtlingskonvention – insbesondere das Prinzip des non-refoulement – und die Verpflichtungen gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention einzuhalten. Der RAV erinnert daran: Das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ist ein notstandsfestes Recht, das unter keinen Umständen einschränkbar ist.

Denklogisch umfasst der Schutz vor Folter das Unterlassen von Anweisungen und Handlungen, durch welche die Betroffenen den Folterern erst zugeführt werden. Mittäter kann auch derjenige sein, der Menschenrechtsverletzungen durch das Verbringen von Menschen in die Herrschaftssphäre der Täter – hier Libyen – erst ermöglicht. Der RAV erinnert daran: Juristisch stellt dies Beihilfe zur Folter dar. Richten sich die Verpflichtungen aus den internationalen und europäischen Abkommen direkt zunächst an staatliche Stellen, gelten diese Handlungs- bzw. Unterlassensnormen über die nationalen Rechtsordnungen auch für Private, d.h. z.B. für die Besatzungsmitglieder nicht-staatlicher Schiffe.

Die Menschen an Bord des Schiffes El Hiblu 1 handelten, um ihre Rechte nach internationalem Recht zu verteidigen, insbesondere ihr Recht, frei von der ernsthaften Gefahr von Folter, Vergewaltigung, Sklaverei und anderer unmenschlicher und erniedrigender Behandlung zu sein, sollten sie gewaltsam nach Libyen zurückgebracht werden. Der RAV erinnert daran: Zwei der ›El Hiblu 3‹ waren zudem zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Handlungen noch minderjährig und sind somit rechtlich als besonders schutzbedürftig anzuerkennen. Ihre speziellen Bedürfnisse und Rechte müssen zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens Berücksichtigung finden.

  • Alle Verpflichtungen, die sich aus dem internationalen und europäischen Recht, den Menschenrechten und dem Flüchtlingsrecht ergeben, müssen vollständig umgesetzt werden.
  • Es muss anerkannt werden, dass es sich bei den Angeklagten um schutzbedürftige Minderjährige mit besonderen Bedürfnissen handelt, die erfüllt werden müssen. Das gilt auch für alle Verpflichtungen, die sich aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes in dieser Hinsicht ergeben, die umzusetzen sind.
  • Zu beachten sind rechtfertigende Gründe für Handlungen, die sich gegen rechtswidrige Befehle und Akte richten, durch die Betroffenen unausweichlich der Folter, Vergewaltigung, Sklaverei und anderen grausamen und unmenschlichen Behandlung ausgesetzt werden.
  • Garantien des Rechts auf ein faires Verfahren sind in vollem Umfang einzuhalten.
  • Angeklagte müssen angemessenen Zugang zum Recht auf Verteidigung ohne jegliche Einschränkung erhalten.
  • Jede Art der Zusammenarbeit mit Libyen im Bereich der Migration und Seenotrettung ist einzustellen, und die Achtung der Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen sind stets zu gewährleisten.
     

PM und Hintergrund als PDF

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Eine weitere Stellungnahme, die von einer Reihe von Organisationen (so auch der RAV) unterstützt wird, findet sich hier auf der Seite der Europäischen Demokratischen Anwältinnen und Anwälte (EDA):

"A reminder of the second anniversary of the rescue and subsequent detention of young migrants called El Hiblu 3" http://www.aeud.org/2021/03/justice-for-el-hiblu-3/