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Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung

Stellungnahme des RAV, 8.3.2023

Stellungnahme des RAV

Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat: Entwurf einer Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung

Verfasser/in: Christoph von Planta, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Migrationsrecht, Andreas Conzelmann, Rechtsanwalt  

I. Vorbemerkung

Aus Sicht des RAV enthalten die Gesetzespakete eine Vielzahl begrüßenswerter Regelungen. Positiv sehen wir insbesondere,  

  • dass die neue Hochqualifiziertenrichtlinie großzügig in das Aufenthaltsgesetz umgesetzt werden soll, dass insbesondere die Gehaltsgrenzen für die Blaue Karte deutlich abgesenkt werden sollen,
  • dass die Blaue Karte EU künftig auch international Schutzberechtigten, die in Deutschland oder einem anderen europäischen Land anerkannt wurden, erteilt werden kann,
  • dass qualifizierte Arbeitskräfte zukünftig jede qualifizierte Arbeit aufnehmen können,
  • dass künftig die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung als Pflegehilfskraft gem. § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 22a BeschV-E möglich sein soll und dass künftig auch Geduldete, die während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet eine staatlich anerkannte Ausbildung in einer Pflegehilfstätigkeit abgeschlossen haben, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19d Abs. 1 erhalten können,
  • dass die Berufserfahrung künftig generell ein wichtigeres Kriterium wird und die Einwanderung zum Zweck der Beschäftigung in nicht reglementierten Berufen künftig auch dann möglich sein wird, wenn ausreichende berufliche Erfahrungen und eine im Ausland anerkannte Ausbildung nachgewiesen werden kann, 
  • dass die Möglichkeiten der Einreise zur Arbeitssuche durch die Einführung einer Chancenkarte deutlich erweitert werden sollen,
  • dass die Bildungsmigration vor allem durch bessere Zuverdienstmöglichkeiten und entfallende Zweckwechselverbote attraktiver werden soll,
  • dass im Ausland qualifizierte Arbeitskräfte über die Einführung einer Anekennungspartnerschaft schon vor der Anerkennung ihres Abschlusses in Deutschland arbeiten können,
  • dass die Einreise zu einem der Erwerbstätigkeit oder Anerkennungsmaßnahmen vorgeschalteten Sprachkurs erleichtert werden soll und eine Nebenerwerbstätigkeit während des Sprachkurses möglich sein soll,
  • die sog. Westbalkan-Regelung entfristet und das Kontingent ausgeweitet werden soll,
  • weitere qualifikationsunabhängige Möglichkeiten der Erwerbsmigration geschaffen werden.  
 

II. Allgemeiner Handlungsbedarf im Erwerbsmigrationsrecht

Trotz der begrüßenswerten Neuregelungen sieht der RAV noch vielfachen Handlungsbedarf. Dies betrifft sowohl die geplanten Neuregelungen als auch das bereits vorhandene Normensystem, bei dem sich in der Rechtsanwendungspraxis immer Klärungs- und Verbesserungsbedarf zeigt:

1. Zugang zum Recht

Der RAV weist darauf hin, dass alle geplanten Regelungen in der Praxis nur dann funktionieren können, wenn gleichzeitig mit Priorität und schnellstmöglich Maßnahmen ergriffen werden, um für sämtliche Migrantinnen und Migranten auch den Zugang zum Recht zu gewährleisten.

Bereits aktuell weisen viele Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen unerträglich lange Wartezeiten auf. Es vergeht oft Monate, bis überhaupt ein Antrag auf Erteilung nationaler Visa gestellt werden kann. Hier sind zwar Bemühungen des Auswärtigen Amts erkennbar, diesem Missstand abzuhelfen (Schaffung des Bundesamts für Auswärtige Angelegenheiten, zunehmende Einschaltung externer Dienstleister, einige Schritte in Richtung der Digitalisierung des Verfahrens). Dennoch sind hier noch viele dringende Maßnahmen erforderlich, um ein effizienteres und nutzerfreundlichereres Einreiseverfahren zu schaffen. Hier ist insbesondere die sichere digitale Datenübermittlung zu erwähnen.  Es dauert noch immer mehrere Wochen, bis der Postsack mit den Antragsunterlagen die zuständige Ausländerbehörde erreicht, wo die Unterlagen dann eingescannt oder abgeheftet werden.  Wichtig ist schließlich auch die Ergreifung aller möglicher Maßnahmen zur Erhöhung der lokalen Kapazitäten der Visastellen. Daneben ist zu hoffen, dass baldmöglichst flächendeckend allen Einwanderinnen und Einwanderern die digitale Visumantragstellung ermöglicht wird. Dabei ist dem RAV der Hinweis wichtig, dass trotz des nachvollziehbaren besonderen Interesses der Bundesrepublik an der Fachkräfteeinwanderung, die Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels nicht zulasten anderer Gruppen von Einwanderinnen und Einwanderer gehen dürfen, die in gleichem Maße auf den Zugang zum Recht angewiesen sind. Im Wege der Familienzusammenführung nach Deutschland nachziehende Menschen haben regelmäßig einen Rechtsanspruch auf Einreise und sind über Art. 6 GG besonders schutzbedürftig.

Katastrophal ist derzeit die Situation in fast allen Ausländerbehörden bundesweit. Oftmals verbarrikadieren sich die Ausländerbehörden aufgrund Überlastung, weder Anrufe noch unangekündigte persönliche Vorsprachen sind möglich, E-Mails und Schreiben bleiben teilweise über Monate oder ganz unbeantwortet, Postfächer laufen voll, Termine sind nicht oder erst viele Monate später buchbar. Dies führt immer wieder dazu, dass qualifizierte drittstaatsangehörige Fachkräfte ihre zugesagten Arbeitsplätze wieder verlieren, und teilweise frustriert das Bundesgebiet wieder verlassen.  Insbesondere in Fällen von privilegierten Staatsangehörigen der in § 41 AufenthV genannten „Best-Friends“-Staaten, die regelmäßig visumfrei einreisen und im Inland Aufenthaltstitel zur Beschäftigung beantragen, führt die Untätigkeit der Behörden oft zu großem Frust, da sie bis zum Vorsprachetermin bei der Ausländerbehörde zur Bestellung des elektronischen Aufenthaltstitels zur Untätigkeit verdammt sind. Den entsprechenden Personenkreis generell auf das nationale Visumverfahren zu verweisen, ist auch keine Lösung und führt vielmehr zur Doppelbelastung der Behörden.

Im Bereich der Fachkräfteweinwanderung entwickeln sich auch beschleunigte Fachkräfteverfahren nach § 81a AufenthG immer wieder zur Farce, weil die Verfahren mangels Zugangs der Arbeitgeber zu den Behörden nicht oder erst nach mehreren Wochen überhaupt eingeleitet werden können. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass § 71 Abs. 1 S.5 AufenthG den Bundesländern die Möglichkeit offen lässt, auf die Schaffung zentraler Ausländerbehörden für die Fachkräfteeinwanderung zu verzichten, was bundesweit zu einem wenig überschaubaren Flickenteppich an für die Fachkräfteeinwanderung zuständigen Ausländerbehörden geführt hat. Die Absicht des Gesetzgebers, ausländerbehördliche Fachkompetenz in jeweils mindestens einer zentralen Ausländerbehörde zu bündeln, um einheitlichere und damit berechenbarere, transparentere und schnellere Entscheidungen zur Gewinnung der benötigten Fachkräfte zu treffen, hat sich bislang jedenfalls nur teilweise realisiert. Es wäre insbesondere im Hinblick darauf wünschenswert, dass das Arbeitsmigrationsrecht durch die vorliegenden Gesetzesnovellen erheblich umfangreicher und komplizierter werden wird, wenn der entsprechende Ansatz im Rahmen der Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung wieder aufgenommen und weiterverfolgt würde.

Die vorhandenen Defizite beim Zugang zum Recht stellen bereits jetzt bei der Fachkräfteeinwanderung einen veritablen Standortnachteil im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte dar. Die neuen Aufgaben, die den beteiligten Behörden durch das geplante Gesetz und die geplante Verordnung künftig auferlegt werden sollen, werden nicht dazu führen, dass die Behörden entlastet werden. Im Gegenteil ist abzusehen, dass u.a. neue Aufenthaltstitel wie die Chancenkarte (§ 20a AufenthG-E), neue Systeme wie das Punktesystem in § 20a AufenthG-E, neue Rechtsinstitute wie die Anerkennungspartnerschaften in § 16d Abs. 4a AufenthG-E zu einer weiteren Belastung der Behörden führen. Auch in der Praxis nicht einmal für Rechtskundige noch verständliche Normen wie die Vorschriften der § 18g Abs. 1 oder § 18g Abs. 2 AufenthG-E tragen nicht dazu bei, den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern bei den Behörden die Entscheidungsfindung zu erleichtern. Der mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2020 eingeschlagene Weg, die Regelungen der Arbeitsmigration systematischer und einfacher zu gestalten, wird in den vorliegenden Entwürfen leider nicht fortgeführt.

2. Beschleunigung und Verschlankung der Verwaltungsverfahren

Insgesamt ist festzustellen, dass sich in dem Gesetz- und im Verordnungsentwurf zu wenige Regelungen finden, die zur Beschleunigung und Verschlankung der Verwaltungsverfahren führen und den neuen Verfahren entgegengesetzt werden, die Verwaltungsmehraufwand schaffen. Dies lässt befürchten, dass dadurch den Rechtssuchenden der Zugang zum Recht noch weiter erschwert wird. Bereits der aktuelle Status Quo ist inakzeptabel. Diesen als Grundlage für die Einführung und die Bemessung des Aufwands neuer Regelungen zu nehmen, ist unseres Erachtens verfehlt. Wir halten es für unabdingbar, gleichzeitig mit der Einführung neuer aufwandverursachender Vorschriften und Verfahren in allen Bereichen des Rechts zu prüfen, wie die Verfahren verschlankt und effizienter gestaltet werden können.

Begrüßenswert in den neuen Vorschriften zur Blauen Karte EU ist in diesem Zusammenhang die Vereinfachung des Arbeitgeberwechsels in den ersten 12 Monaten in § 18g Abs. 4-E AufenthG. Die Regelung, dass die Ausländerbehörde für den Zeitraum von 30 Tagen den Arbeitsplatzwechsel aussetzen und innerhalb dieses Zeitraums die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ablehnen kann, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Blauen Karte EU nicht vorliegen, sollte als Blaupause für die Einführung entsprechender Regelungen im Bereich der Regelungen für Fachkräfte gem. §§ 18a, b und d AufenthG dienen.

Auch die Vermeidung unnötiger Prüfungen der Lebensunterhaltssicherung in § 18g Abs. 6 AufenthG sorgt für Entlastung. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass das aktuelle System grundsätzlich Doppelprüfungen verlangt. Muss ein nationales Visumverfahren betrieben werden, sind sowohl im Visumverfahren gegenüber der Auslandsvertretung und der nach § 31 AufenthV zustimmenden Einreisestellen der Ausländerbehörden als auch nach der Einreise im kurz darauffolgenden Antragsverfahren auf Erteilung des Aufenthaltstitel bei der Ausländerbehörde die mehr oder weniger identischen Unterlagen bspw. zur Lebensunterhaltssicherung einzureichen und zu prüfen. Hier sollte der Gesetzgeber im Sinne der Verwaltungseffizienz die Einführung klarer Regelungen prüfen, die entsprechende Mehrfachprüfungen vermeiden.

Eine deutliche Erleichterung und sehr praxisrelevant ist, dass der Zusammenhang zwischen Qualifikation und Beschäftigung in §§ 18a, 18b AufenthG künftig entfallen wird. Dadurch wird eine Vielzahl praktischer Probleme gelöst. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass auf europäischer Ebene bei der Blauen Karte EU weiterhin die Qualifikationsangemessenheit gefordert wird, was die Zahl der für eine Blaue Karte EU in Betracht kommenden Personen erheblich einschränkt.

Dass für die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Beschäftigung für Fachkräfte (§§ 18a, 18b AufenthG) sowie für die Erteilung einer Blauen Karte EU in Engpassberufen und bei Berufsanfängern (§ 18g Absatz 1 Satz 2 AufenthG-E) zukünftig nicht mehr die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit (BA) erforderlich sein wird, wenn die Fachkräfte im Bundesgebiet eine qualifizierte Berufsausbildung oder ein Hochschulstudium abgeschlossen haben, vereinfacht und beschleunigt im Grundsatz die Verfahren. Allerdings werden den nun ohne Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit zuständigen Behörden im Rahmen ihres Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraums zusätzliche Entscheidungen abverlangt, die möglicherweise im Kompetenzbereich der Bundesagentur für Arbeit besser aufgehoben wären. So sollen die Behörden laut Gesetzesbegründung „in Grenzfällen“ die Bundesagentur für Arbeit fakultativ beteiligen. Es wird sich zeigen, ob die Befreiung vom Zustimmungserfordernis in der Praxis tatsächlich zu einer Verschlankung und Beschleunigung des Verfahrens führen wird oder ob die Entscheidungspraxis der Ausländerbehörden durch die Prüfung entsprechender Grenzfälle gehemmt wird.

3. Möglichkeiten der Verfahrensverschlankung und -beschleunigung

Möglichkeiten, die Verfahren im Erwerbsmigrationsrecht zu beschleunigen und effizienter zu gestalten, sieht der RAV neben der ohnehin dringend notwendigen schnellstmöglichen Schaffung schlanker digitaler Verwaltungsprozesse wie der digitalen Antragstellung und des rechtssicheren Austauschs von Dokumenten zwischen Auslandsvertretung, Ausländerbehörden und Beteiligten in folgenden Maßnahmen:

a. Einführung bindender Fristen, innerhalb derer Anträge zu bescheiden sind. Diese sind mit der Erlaubnisfiktion für den Fall nicht rechtzeitiger Bescheidung zu verbinden. Beispielhaft zu nennen sind hier die im Bereich der Arbeits- und Bildungsmigration bereits existierenden Vorschriften der § 36 Abs. 2 BeschV oder § 31 Abs. 1 S.3 f. AufenthV.

Im Bereich der Blauen Karte EU sollte zumindest die Verfahrensgarantie des Art. 11 Abs. 1 der Hochqualifiziertenrichtlinie RL-EU 2021/1883 in das AufenthG übernommen werden. Die Richtlinie schreibt vor, dass die zuständigen Behörden Anträge auf Erteilung einer Blauen Karte EU möglichst bald, spätestens aber 90 Tage nach Einreichung des vollständigen Antrags schriftlich zu bescheiden haben und die Betroffenen über diese Entscheidung zu informieren sind. Diese Verfahrensgarantie ist deutschen Ausländerbehörden in aller Regel unbekannt. Auch wenn die 90-Tage-Frist in der Praxis nicht wirklich attraktiv ist, würde eine entsprechende Vorschrift aktuell in Visa- und in ausländerbehördlichen Verfahren oft helfen. Auch diese Frist sollte mit der Erlaubnisfiktion für den Fall nicht rechtzeitiger Bescheidung verbunden werden.

b. Einführung von Erlaubnisfiktionen zur Aufnahme einer Beschäftigung.

Wir schlagen vor, die geplante Vorschrift des § 81 Abs. 6a-E, wonach im Rahmen innereuropäischer Migration von Inhabern Blauer Karten EU spätestens 30 Tage nach der Einreichung des vollständigen Antrags auf Erteilung einer Blauen Karte EU die beantragte Beschäftigung ausüben darf, auf alle Verfahren nach Abschnitt 3 und 4 des Kapitels des AufenthG bei möglicher Antragstellung im Inland auszuweiten. Dies würde in Praxis ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Arbeitgebern viel Druck nehmen. Insbesondere in den Fällen von privilegierten Staatsangehörigen der in § 41 AufenthV genannten „Best-Friends“-Staaten, die in der Regel ohne nationales Visum einreisen und im Inland Aufenthaltstitel zur Beschäftigung beantragen (dürfen), führt die aktuelle Untätigkeit bzw. teilweise auch Unfähigkeit der Behörden oft zu großem Frust, da sie bis zum Vorsprachetermin bei der Ausländerbehörde zur Bestellung des elektronischen Aufenthaltstitels zur Untätigkeit verdammt sind. Hier würde eine entsprechende Regelung allen Beteiligten nützen.

c. Änderung des § 81 Abs. 5a AufenthG 

Durch Einführung des § 81 Abs. 5a AufenthG wurde zuletzt eine durchaus sinnvolle Beschleunigungsnorm geschaffen. Für künftige Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 des AufenthG wird die Beschäftigung bereits ab dem Zeitpunkt der Bestellung des elektronischen Aufenthaltstitels und nicht erst ca. 8 Wochen später nach Aushändigung bzw. Übersendung des Aufenthaltstitels erlaubt. Warum diese Erleichterung aber nur für Antragsteller von Aufenthaltstiteln im Bereich der Bildungs- und Erwerbsmigration gelten soll, erschließt sich nicht. So kann bspw. die Bestellerin einer Blauen Karte EU ihre Erwerbstätigkeit sofort aufnehmen, nicht aber ihr begleitender Ehemann. Insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass elektronische Aufenthaltstitel künftig direkt durch die Bundesdruckerei an die Betroffenen verschickt werden sollen und die Ausländerbehörde die Herrschaft über den Aufenthaltstitel mit der Bestellung des elektronischen Aufenthaltstitel vollständig aus der Hand geben wird. Im elektronischen Aufenthaltstitel ist als Tag der Erteilung des Aufenthaltstitels der Tag der Bestellung vermerkt. Arbeiten sollen die Betroffenen aber erst dürfen, wenn ihnen die elektronische Karte vorliegt. Ebenso wenig wie bei Aufenthaltstiteln zum Zweck der Familienzusammenführung macht dies bei der Bestellung von humanitären Aufenthaltstiteln Sinn. Oft liegen bereits zum Zeitpunkt der Bestellung des elektronischen Aufenthaltstitels Arbeitsplatzangebote vor, die dann erst nach Erhalt der Karte begonnen werden können, was häufig die Sozialkassen unnötig für weitere Monate belastet. Oder es muss trotz der bereits erfolgten Bestellung des elektronischen Aufenthaltstitels noch einmal die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit eingeholt werden. Wir regen deshalb dringend an, § 81 Abs. 5a AufenthG so zu formulieren, dass die Erwerbstätigkeit generell ab der Bestellung des eAT erlaubt ist und nicht lediglich für Fälle des Kapitels 2, Abschnitt 3 und 4.

d. Klarstellung und Ausweitung der Ausnahmevorschriften zum Absehen von der Durchführung von Visaverfahren (§ 39 AufenthV)

Bereits jetzt sind in §§ 39 und 41 AufenthV eine Vielzahl von Durchbrechungen der grundsätzlichen Pflicht zur Durchführung eines Visumverfahrens aus dem Ausland geregelt. Auch § 5 Abs. 2 S.2 AufenthG ermöglicht die Durchbrechung der grundsätzlichen Verpflichtung zur Durchführung eines geregelten Einreiseverfahrens. Die geplante Vorschrift des § 18i Abs. 1 S.1 AufenthG-E enthält nunmehr eine weitere Durchbrechung der Pflicht zur Durchführung eines Visumverfahrens. In der Praxis ist Frage des Erfordernisses der Durchführung bzw. Nachholung Visumverfahrens einer der Hauptstreitpunkte des migrationsrechtlichen Verwaltungsverfahrens. In diesem Bereich gibt es weiterhin mehrere umstrittene Regelungen, deren Klärung erheblichen Druck von Betroffenen, Behörden und Arbeitgebern nehmen würde:  

§ 39 Nr. 3 AufenthV

Die Vorschriften der §§ 18b Abs. 2 AufenthG, künftig § 18g AufenthG-E (Blaue Karte EU) und § 18d AufenthG (Aufenthaltstitel für Wissenschaftler, Forscher) sind als Anspruchsfälle formuliert („wird … erteilt“). Viele hochqualifizierte Drittstaatsangehörige sind im Besitz von Schengen-Visa und nutzen die Zeit ihres kurzfristigen Aufenthalts im Bundesgebiet auch zur Arbeitssuche oder zu Vorstellungsgesprächen. Wird in diesen Fällen ein Blaue-Karte-EU-Arbeitsplatz erst nach der Einreise gefunden oder ein entsprechender Arbeitsvertrag erst nach der Einreise verhandelt und geschlossen, ist nach aktueller Rechtslage (§ 39 Nr. 3 AufenthV) die Antragstellung auf Erteilung einer Blauen Karte EU aus einem kurzfristigen Aufenthalt mit Schengenvisum bzw. aus einem rechtmäßigen visumfreien Aufenthalt ohne vorherige Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens zulässig. In der Praxis stellen sich die Behörden trotz der bestehenden mehr oder weniger eindeutigen Regelung bei Antragstellung im Inland von Inhabern eines Schengenvisums regelmäßig quer und verweisen Antragsteller immer wieder auf das Visumverfahren. Oder aber die Anträge werden nicht mit der hier gebotenen Schnelligkeit entschieden. Aufgrund der Vorschrift des § 81 Abs. 4 S.2 AufenthG entfalten entsprechende Anträge aus einem kurzfristigen Aufenthalt mit Schengenvisum keine Fiktionswirkung, so dass den qualifizierten Antragstellerinnen und Antragstellern regelmäßig der Sturz in die Illegalität und damit einer Bestrafung wegen unerlaubten Aufenthalts und die Ausweisung droht. Wenn dann die zulässigen Schengen-Tage ablaufen, ohne dass eine Entscheidung der Behörde erfolgt ist, entsteht die Ausreisepflicht, obwohl nach aktueller Rechtslage ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Blauen Karte EU im Inland besteht. Dadurch, dass hier keine vernünftige Regelung existiert, entsteht für alle an diesen Verfahren Beteiligten, die sich sämtlich rechtmäßig verhalten wollen (ausländische Arbeitnehmer:innen, Rechtsberater:innen, Arbeitgeber, und Behörden) eine unnötige aufenthaltsrechtliche Unsicherheit und allein wegen der Strafbarkeit des unerlaubten Aufenthalts eine ganz erhebliche Drucksituation. Nicht gerade zur Erleichterung beigetragen hat die Tatsache, dass sich die Anwendungshinweise des BMI zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Gegensatz zu den Vorgängerweisungen zur Vorgängernorm des § 19a AufenthG a.F. zu dieser Frage nicht mehr verhalten.

§ 39 Nr. 6 AufenthV

Ebenfalls in Anspruchsfällen können Drittstaatsangehörige einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn sie einen von einem anderen Schengenstaat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzen. Auch wenn davon auszugehen ist, dass der Verordnungsgeber mit der Norm des § 39 Nr. 6 AufenthV allen Inhabern von Aufenthaltstiteln von EU-Mitgliedstaaten in Anspruchsfällen ohne weiteres die Antragstellung im Inland ermöglichen wollte, geht inzwischen wohl die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung davon aus, dass ein für die Antragstellung im Inland erforderlicher rechtmäßiger Aufenthalt im Zeitpunkt der Antragstellung erst gar nicht vorliegt, wenn der oder die Betroffene bereits mit der Absicht der Begründung eines Daueraufenthalts eingereist ist. Aufgrund Art. 21 Abs. 1 SDÜ soll dann bereits die Einreise ins Bundesgebiet rechtswidrig gewesen sein. Selbst wenn in § 39 Nr. 6 AufenthV eine der Vorschrift des § 39 Nr.3 AufenthV vergleichbare Formulierung fehlt, stellt sich dann eine vergleichbare Problematik wie in § 39 Nr. 3 AufenthV. Auch hier kann die Beantragung eines Aufenthaltstitels im Inland faktisch nur dann möglich sein, wenn die Einreise zu kurzfristigen Zwecken erfolgt ist und die Voraussetzung für einen Rechtsanspruch erst nach der Einreise ins Bundesgebiet entstanden ist. In der Praxis werden die Betroffenen aufgrund der entsprechenden obergerichtlichen Rechtsprechung oft grundsätzlich und ausnahmslos auf das Visumverfahren verwiesen und zur Ausreise aufgefordert. Die neue Vorschrift des § 18i Abs. 1 S.1 AufenthG-E wird diesbezüglich jetzt jedenfalls für Inhaber von Blauen Karten EU aus anderen Mitgliedstaaten für Klarheit sorgen. Bei sonstigen drittstaatsangehörigen Fachkräften mit anderen Aufenthaltstiteln aus anderen Mitgliedstaaten verbleibt es auch bei Angeboten für Blaue-Karte-EU-Jobs bei der oft langanhaltenden Unsicherheit, ob ein nationales Visumsverfahren durchzuführen ist oder nicht.  Hier entfalten die Anträge wenigstens Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 AufenthG, was zwar den unerlaubten Aufenthalt verhindert, aber keine Rechtsklarheit schafft.

In beiden genannten Fallgruppen sollte der Gesetzgeber für Klarheit sorgen. Im Hinblick auf das erhebliche Interesse an der Einwanderung von Fachkräften sollte geprüft werden, ob nicht im Rahmen einer Erweiterung des § 39 Nr. 7 AufenthV die Beantragung von Aufenthaltstiteln nach § 18g AufenthG-E sowie der Familiennachzug zu den entsprechenden Personen generell im Inland zugelassen werden kann. Im Hinblick auf die bereits existierende Vielzahl von Durchbrechungen des § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG wäre dies kein großer Schritt und würde für alle Beteiligten Klarheit bringen. Notwendig wäre in diesem Zusammenhang überdies die Einfügung einer Gegenausnahme zu § 81 Abs. 4 S.2 AufenthG für alle Anspruchsberechtigte auf Erteilung eines Aufenthaltserlaubnis bzw. zumindest für Antragsteller:innen auf Erteilung einer Blauen Karte EU bei Vorliegen eines konkreten Vertragsangebots.

In § 39 Nr. 6 AufenthV sollte schließlich klargestellt werden, dass in Anspruchsfällen grundsätzlich die Antragstellung auf Erteilung von Aufenthaltstiteln im Inland zulässig ist. Die Herstellung von Rechtsklarheit würde hier zu einer erheblichen Entlastung führen.

4. Rechtsklarheit bei Mitteilungspflichten

§ 82 Abs. 6 AufenthG

Nach Ansicht des RAV sollten die Mitteilungspflichten in § 82 Abs. 6 AufenthG eindeutiger formuliert werden. In § 82 Abs. 6 AufenthG verpflichtet in der jetzigen Fassung mit dem uneingeschränkten Verweis auf Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beispielsweise auch Inhaber von Niederlassungserlaubnissen nach § 18c AufenthG zur Mitteilung der vorzeitigen Beendigung der Ausbildung oder Erwerbstätigkeit. Dies widerspricht dem Zweck der Norm, nämlich den Ausländerbehörden zu ermöglichen, auf den Wegfall der für die Erteilung des Aufenthaltstitels maßgeblichen Voraussetzungen gemäß § 7 Abs. 2 S. 2 AufenthG zu reagieren, da die Niederlassungserlaubnis eben nicht mehr an eine Ausbildung oder Erwerbstätigkeit geknüpft ist.

Zudem halten wir eine Klarstellung des Wortlauts, auch im Hinblick auf ein drohendes Bußgeld nach § 98 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG, bezüglich des Beginns der zweiwöchigen Mitteilungsfrist für sinnvoll. Unklar ist, ob die Frist erst ab der Beendigung der Ausbildung oder Erwerbstätigkeit beginnt oder, im Fall einer Beschäftigung, schon ab Ausspruch der Kündigung. Ebenso unklar ist der Zeitpunkt der Mitteilungspflicht bei einer anhängigen Kündigungsschutzklage.

5. Einführung einer Vorschrift für sog. „Digitale Nomaden“

Spätestens seit der Corona-Krise und der damit einhergehenden Einführung der Arbeit im Home-Office häufen sich die Sachverhalte, in denen ausländische Arbeitnehmer:innen in Deutschland für Unternehmen tätig sind, die Ihren Sitz außerhalb des Bundesgebietes und keine Betriebsstätte im Bundegebiet haben. Eine aufenthaltsrechtliche Regelung für diese Sachverhalte ist dringend angezeigt.

Zumindest für die Staatsangehörige der sog. „Best-Friends“-Staaten existiert mit § 26 Abs. 1 BeschV bereits eine Regelung, welche diese Sachverhalte abdeckt. In der Praxis gibt es hier allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Die Vorschrift wird von den Ausländerbehörden und der Bundesagentur für Arbeit häufig unterschiedlich interpretiert, was zu willkürlichen und den Antragstellern schwer vermittelbaren Entscheidungen führt. So geht beispielsweise das Landesamt für Einwanderung des Landes Berlin (LEA) in seinen Verwaltungsvorschriften davon aus, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19c in Verbindung mit § 26 Abs.1 BeschV an die dort genannten Staatsangehörigen bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen möglich ist, auch wenn es keine Betriebsstätte im Inland gibt. Im Rahmen der Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit wird die Zustimmung jedoch oft versagt, weil das beschäftigende Unternehmen nicht über eine Betriebsstätte im Inland verfügt. Rechtssicherheit ist so nicht gewährleistet. Eine Klarstellung der Norm, zumindest in den neuen Anwendungshinweisen wäre zu begrüßen.

Wir weisen darauf hin, dass es sich bei der Personengruppe der sogenannten digitalen Nomaden in der Regel um hochqualifizierte Fachkräfte mit sehr guten Einkommen handelt. Für viele Fachkräfte ist das Modell, zunächst vom Home-Office aus für den ausländischen Arbeitgeber weiterzuarbeiten, um so finanziell abgesichert in Deutschland Fuß fassen zu können und dann in ein inländisches Arbeitsverhältnis zu wechseln, eine niedrigschwellige Möglichkeit zum Einstieg in die Fachkräftemigration. Das Risiko, dass diese Personengruppe zur Last für das Sozialsystem wird, ist gering, vielmehr müssen die Betroffenen Beiträge in die Sozialversicherung leisten und sind wirtschaftlich gut integriert. Es wäre zu begrüßen, wenn für diese sog. digitalen Nomaden eine mit § 26 Abs. 1 BeschV vergleichbare Regelung, unabhängig von der Staatsangehörigkeit geschaffen würde.


III. Handlungsbedarf im Fachkräftebereich

Der RAV begrüßt, dass die neue Hochqualifiziertenrichtlinie großzügig in das Aufenthaltsgesetz umgesetzt werden soll. Insbesondere begrüßen wir, dass die Gehaltsgrenzen für die Blaue Karte EU deutlich abgesenkt werden sollen, so dass ein deutlich größerer Personenkreis von den attraktiven Regelungen der Blauen Karte EU profitieren wird. Erfreulich ist auch, dass die Blaue Karte EU künftig auch international Schutzberechtigten, die in Deutschland oder einem anderen europäischen Land anerkannt wurden, erteilt werden kann.

Für besonders praxisrelevant halten wir die Änderungen in §§ 18a und b AufenthG-E, wonach Fachkräften künftig Aufenthaltserlaubnisse für jede qualifizierte Beschäftigung in nicht-reglementierten Berufen erteilt werden kann.

Unerfreulich ist, dass es der Gesetzgeber in § 18 Abs. 4a AufenthG-E für nötig hält, durch die Verpflichtung der Abgabe entsprechender Erklärungen zum konkreten Arbeitsplatzangebot sowohl ausländische Arbeitnehmer:innen als auch Arbeitgeber faktisch unter den Generalverdacht der kollusiven Täuschung zu stellen.  Die entsprechende Vorschrift lehnen wir nachdrücklich ab. 

1. § 18c AufenthG-E (Niederlassungserlaubnis für Fachkräfte) 

Im Bereich des § 18c AufenthG begrüßen wir, dass Inhabern von Aufenthaltstiteln nach §§ 18a, b und d AufenthG mit ausländischen Ausbildung- bzw. Hochschulabschlüssen künftig bereits nach 3 Jahren Niederlassungserlaubnisse erteilt werden kann.

Handlungsbedarf sehen wir bei § 18c Abs. 1 AufenthG. § 18c Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangt für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, dass die Fachkraft seit drei Jahren „im Besitz“ eines Aufenthaltstitels nach den §§ 18a, 18b oder 18d ist. Hier regen wir an, dass für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis zukünftig lediglich die Ausübung einer Beschäftigung nach §§ 18a, 18b, oder 18d nachgewiesen werden muss. Vergleichbar geregelt ist das bereits für Inhaber von Blauen Karten EU in § 18c Abs. 2 S. 1 AufenthG. Die integrative Wirkung resultiert aus der Ausübung der Tätigkeit als Fachkraft und nicht aus dem Besitz des entsprechenden Aufenthaltstitels. Die aktuelle Regel führt zu dem unbilligen Ergebnis, dass beispielweise Inhaber von Aufenthaltstiteln zum Zweck der Arbeitsplatzsuche oder zum Zweck des Familiennachzugs nicht von der Regelung profitieren, obwohl sie eine Beschäftigung als Fachkraft ausüben. Da die Mehrheit der Aufenthaltstitel zum Zweck des Ehegattennachzugs an Frauen ausgestellt werden, führt die aktuelle Regelung insbesondere zu einer erheblichen Benachteiligung von weiblichen Fachkräften und widerspricht dem im Eckpunktepapier genannten Ziel des Gesetzgebers die Erwerbsbeteiligung und Integration von Frauen zu erhöhen.

2. § 18c Abs. 2 S. 2 AufenthG (Niederlassungserlaubnis) 

§§ 18c Abs. 1 Nr. 5 und 18c Abs. 2 S. 2 AufenthG verweisen nicht auf eine entsprechende Anwendung des § 9 Abs. 2 S. 5 AufenthG. Wir regen an, § 9 Abs. 2 S. 5 AufenthG auch entsprechend auf Fachkräfte und Inhabern Blauer Karten EU anzuwenden. Insbesondere für Blaue-Karte-EU-Inhaber ist es bei einer Antragstellung auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis mit Deutschkenntnissen auf Niveau A1 schwer, den in deutscher Sprache zu absolvierenden Einbürgerungstest/ Test Leben in Deutschland zu absolvieren, zumal sie keinen Anspruch auf einen Integrationskurs haben. Abgesehen davon ist bei Fachkräften aufgrund ihrer Qualifikation und der Teilhabe am wirtschaftlichen und sozialen Leben davon auszugehen, dass sie über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügen. Wir wünschen uns hier mehr Vertrauen in die Motivation der Fachkräfte zur Integration und zur Teilhabe an der Rechts- und Gesellschaftsordnung.

3. § 51 Abs. 10 AufenthG (Erlöschen)

Gem. § 51 Abs. 10 AufenthG beträgt die Frist, wann eine Blaue Karte EU erlischt, abweichend von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG für Inhaber Blauer Karten EU und ihrer Familienangehöriger zwölf Monate. Diese Regelung stammt aus der EU-Hochqualifiziertenrichtlinie. Der deutsche Gesetzgeber hat, um die Blaue Karte EU attraktiver zu gestalten, besonders großzügige (nationale) Regelungen zum Erwerb einer Niederlassungserlaubnis eingeführt. Für Inhaber von Niederlassungserlaubnissen gilt die Vorschrift des § 51 Abs.1 Nr. 7 AufenthG. Ihre Niederlassungserlaubnis erlischt nach einer Ausreise von 6 Monaten. Durch den Erwerb der Niederlassungserlaubnis erleidet ein ehemaliger Inhaber einer Blauen Karte EU also einen Rechtsnachteil im Vergleich zum Besitz einer Blauen Karte EU, der sich nur dadurch korrigieren lässt, dass die Niederlassungserlaubnis auf Antrag gleichzeitig zur fortbestehenden Blauen Karte EU erteilt wird. Wir regen an, die Regelung zur längeren Ausreisefrist von 12 Monaten auch auf Inhaber von Niederlassungserlaubnissen und deren Familienangehörige auszuweiten, die zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU waren. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass die entsprechende Personengruppe nach Erhalt der Niederlassungserlaubnis schlechter gestellt sein soll als zuvor. Einer durch einen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet gut integrierten hochqualifizierten Fachkraft sollte die Flexibilität eingeräumt werden, auch nach einem längeren Auslandsaufenthalt ins Bundesgebiet zurückkehren zu können.  Unabhängig davon regen wir an, die längere Ausreisefrist von 12 Monaten auf alle Fachkräfte auszuweiten.

Erforderlich ist schließlich auch eine Klarstellung in § 51 AufenthG, dass die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nicht auf Inhaber von Blauen Karten EU anzuwenden ist. Gemäß Artikel 18 Abs. 3 der Hochqualifiziertenrichtlinie unterbrechen lediglich Aufenthalte außerhalb des ausstellenden Mitgliedstaates von mehr als zwölf aufeinander folgenden Monaten den rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt. Eine Regelung, die ein Erlöschen der Blauen Karte EU bei einer nicht nur vorübergehenden Ausreise vorsieht ist in der Richtline nicht ersichtlich.

4. § 18g Abs. 2 AufenthG-E (Blaue Karte EU)

Erfreulich ist, dass die Blaue Karte EU künftig auch Fachkräften mit Berufserfahrung ohne Hochschulabschluss offenstehen soll. Eine Beschränkung auf Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechologie gibt die Hochqualifiziertenrichtlinie nicht vor. Warum hier nicht entsprechend § 6 BeschV-E eine Erweiterung auf alle Berufsgruppen erfolgt, erschließt sich uns nicht.

Da diese Regelung ausschließlich auf IT-Kräfte abzielt, ist nicht ersichtlich weshalb § 18g Abs. 2 Nr. 1 zunächst ein Gehalt von mindestens 56,6 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung fordert, dann mit einem Verweis auf Abs. 1 S. 2 Nr. 1 wiederum auf die niedrigere Gehaltsgrenze für Beschäftigungen in den Mangelberufen verweist, zu denen auch die Gruppen 133 und 25 gehören.

Zudem ist aus unserer Sicht wichtig, dass für die Prüfung nach § 18g Abs. 2 Nr. 3 lit. b), namentlich, ob die Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten hinsichtlich ihres Niveaus mit einem Hochschulabschluss oder einem Abschluss eines mit einem Hochschulstudium gleichwertigen tertiären Bildungsprogramms vergleichbar sind, transparent und praktikabel umgesetzt wird. Wir befürchten hier für die Antragsteller, Arbeitgeber und die beteiligten Behörden erhebliche Schwierigkeiten bei der Beurteilung, ob eine Vergleichbarkeit vorliegt. Insbesondere im Hinblick auf die häufig intransparenten Entscheidungen der im Antragsverfahren beteiligten Bundesagentur für Arbeit, besteht hier die Gefahr, dass Antragsteller und Arbeitgeber im Voraus nicht einschätzen können, ob eine Chance auf Erhalt der Blauen Karte EU besteht und wie hoch die Aussicht ist, den begehrten Aufenthaltstitel zu erhalten. Diese Unsicherheit schreckt insbesondere kleinere Betriebe, die noch wenig Erfahrung mit ausländischen Angestellten gemacht haben, mangels Planungssicherheit ab, ausländische Kräfte anzustellen.

5. § 18h Abs. 1 AufenthG-E (Kurzfristige Mobilität für Inhaber einer Blauen Karte EU)

Da mit der Regelung zur Nichtbeschäftigungsfiktion in § 30 Nr. 1 BeschV bereits eine Regelung besteht, die eine Geschäftsreise für eine Dauer von 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen ermöglicht, halten wir § 18h Abs. 1 S. 1 AufenthG nicht für notwendig.

6. § 18i Abs. 1 Nr. 1 AufenthG-E (Langfristige Mobilität für Inhaber einer Blauen Karte EU)

Warum die Voraussetzung nach § 18 Abs. 2 Nr.4 AufenthG erst dann als erfüllt gilt, wenn der Ausländer länger als zwei Jahre im Besitz der Blauen Karte EU ist, die der andere Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellt hat, ist nicht ersichtlich. Hier wünschen wir uns vor allem in Hinblick auf eine Verfahrensbeschleunigung und eine einheitliche Erteilungspraxis in den Mitgliedsstaaten mehr Vertrauen in die Prüfung der zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten.

7. § 38 Abs. 3 S.2 AufenthG-E (Aufenthaltserlaubnis für in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union langfristig Aufenthaltsberechtigte)

Nach § 38a Abs. 3 S. 1 Hs. 1 AufenthG in der Fassung seit Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes berechtigt der Aufenthaltstitel nach § 38a Abs. 1 AufenthG dazu, eine Erwerbstätigkeit iSd § 2 Nr. 2 AufenthG auszuüben, wenn die Bundesagentur für Arbeit der Ausübung der Beschäftigung nach § 39 Abs. 3 AufenthG zugestimmt hat. § 39 Abs. 3 AufenthG sieht grundsätzlich eine Vorrangprüfung vor. Nach alter Rechtslage galt hier, dass das Zustimmungserfordernis bzw. das Erfordernis einer Vorrangprüfung nicht eingriff, wenn für die angestrebte Beschäftigung nach den Vorschriften des AufenthG oder der BeschV von vornherein Zustimmungsfreiheit/ Vorrangprüfungsfreiheit gegeben war. Die Änderung durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz führte aber – jedenfalls bei wortgetreuer Auslegung – plötzlich dazu, dass daueraufenthaltsberechtigte Antragsteller, die als Fachkraft im Bundesgebiet arbeiten wollen, einer Vorrangprüfung unterlagen. Die Erteilung einer Blauen Karte EU in Regelberufen, die grundsätzlich nicht der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedarf, bedurfte für in anderen Mitgliedstaaten Daueraufenthaltsberechtigte auf einmal der Zustimmung mit Vorrangprüfung. Dies betrifft in Zukunft auch Inhaber von künftig zustimmungsfreien Aufenthaltserlaubnissen als Fachkraft mit akademischer Ausbildung nach §§ 18a- und b AufenthG-E mit inländischen Ausbildungen bzw. Hochschulabschlüssen. Diese Rechtsfolge war bereits bei der Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes nicht beabsichtigt. Der Verweis auf § 39 Abs. 3 AufenthG erfolgte durch den Gesetzgeber, um darauf hinzuweisen, dass in anderen Mitgliedstaaten Daueraufenthaltsberechtigte auch geringqualifizierte Beschäftigungen zulässig sind, nicht aber um eine Vorrangprüfung einzuführen. In der Gesetzesbegründung weist der Gesetzgeber deutlich darauf hin, dass durch die Neugestaltung keine inhaltlichen Änderungen beabsichtigt sein sollten (s. BT-Drs. 19/8285, S. 107). Hier regt der RAV dringend an, wieder zur Rechtslage vor dem 1.3.2020 zurückzukehren, zumal die mit Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes eingetretene Rechtsfolge weder Sinn macht noch in das System des AufenthG passt. Gem. Art. 14 Abs. 3 RL 2003/109/EG ist ein Verzicht auf die Vorrangprüfung im Übrigen unionsrechtlich zulässig. Durch die beabsichtigte neue Vorschrift des § 38 Abs. 3 S.2 AufenthG-E wird die dargestellte Problematik nicht ansatzweise beseitigt. 

Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass es in der Praxis für in anderen Mitgliedstaaten daueraufenthaltsberechtigte Fachkräfte neben den oben genannten rechtlichen Schwierigkeiten regelmäßig auch praktische Schwierigkeiten beim Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt gibt. So werden Vorabzustimmungsanfragen gem. § 36 Abs. 3 BeschV durch die Bundesagentur für Arbeit regelmäßig zurückgewiesen und darauf bestanden, dass die Ausländerbehörde oder die Auslandsvertretung die Bundesagentur für Arbeit beteiligt. Dies liegt offenkundig daran, dass die „Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis“ nicht auf Dauerhaltsberechtigte im Verfahren zur Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG ausgerichtet ist,  ein anderes Formular nicht existiert und das Verfahren nach § 38a AufenthG bei der Bundesagentur für Arbeit wenig bekannt ist. Hier sollte dafür Sorge getragen werden, dass auch bei der innereuropäischen Mobilität von Drittstaatsangehörigen ein reibungsloser Ablauf der Migration gewährleistet wird.


IV. Bildungsmigration und Chancenkarte

1. § 16a AufenthG-E (Aufenthaltserlaubnis für Berufsausbildung)

Die Abschaffung der Vorrangprüfung für eine Ausbildung mit Aufenthaltserlaubnis nach § 16a AufenthG (geplante Änderung in § 8 Abs. 1 BeschV) ist zu begrüßen. Auch die Lockerung der Zweckwechselverbote im Bereich der Ausbildung sind erfreulich. Allerdings sollte aus einer Ausbildung auch in vorübergehende Beschäftigungen wie beispielsweise den Freiwilligendienst oder in einen Au-Pair-Aufenthalt übergegangen werden dürfen, zumal dies den Auszubildenden die Möglichkeit einer Neuorientierung einräumen könnte. Ebenso begrüßenswert ist die Möglichkeit des Übergangs in eine Niederlassungserlaubnis aus einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ausbildung, wenn zuvor ein Aufenthaltstitel als Fachkraft vorgelegen hat. Dies erhöht die Bereitschaft zur Aus- und Weiterbildung.

Im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 16a Abs. 4 AufenthG ist in der Praxis die flächendeckende Praxis der Verfügung von Erlöschensauflagen zu bemängeln. Aufenthaltserlaubnisse zu Ausbildungs- und Studienzwecken werden durch Ausländerbehörden im gesamten Bundesgebiet ganz regelmäßig – mangels Einzelfall- und Verhältnismäßigkeitsprüfung ohnehin bereits rechtlich zweifelhaft – mit Erlöschensauflagen für den Fall der Beendigung der Ausbildung oder des Studiums versehen. So führt auch die unverschuldete vorzeitige Beendigung einer Ausbildung oder auch der unverschuldete Abbruch des Studiums regelmäßig zu bösen Überraschungen, wenn die Ausländerbehörde bei der Vorsprache des Auszubildenden oder der Studierenden zur Verlängerung des Aufenthaltstitels aufgrund der Annahme des Erlöschens des Aufenthaltstitels plötzlich den Reisepass der/ des Betroffenen einzieht eine Frist zur Ausreise setzt. Die entsprechende Praxis ist vom Gesetzgeber aber gerade nicht beabsichtigt, was dringend klargestellt werden muss. Der Gesetzgeber gibt in § 16a Abs. 4 AufenthG die Möglichkeiten der Behörde im Falle der vorzeitigen Ausbildungsbeendigung eindeutig vor (Rücknahme, Widerruf, zeitliche Befristung). Eine vergleichbare Vorschrift findet sich im Bereich des Studiums in § 16b Abs. 6 AufenthG. Auch diese Norm macht deutlich, dass der Gesetzgeber - in Umsetzung von Art. 21 Abs. 6 REST-RL - im Falle des Studienabbruchs von den dort genannten Möglichkeiten der Aufenthaltsbeendigung als Regelfall ausgeht und im Falle der Studienbeendigung eben nicht ein automatisches Erlöschen beabsichtigt ist. Im Falle des automatischen Erlöschens der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ausbildung bei unverschuldetem Ausbildungsende wäre es der Ausländerbehörde rechtlich aufgrund der damit unmittelbar entstehenden Ausreisepflicht verwehrt, dem Auszubildenden ohne Neueinreise mit nationalem Visum die Chance der erneuten Arbeitsplatzsuche zu geben. Auch im Falle des unverschuldeten Studienplatzverlusts könnte aufgrund der mit dem Erlöschen des Aufenthaltstitels unmittelbar entstehenden Ausreisepflicht die Möglichkeit zur Suche eines neuen Studienplatzes ohne Umweg über § 5 Abs. 2 S.2 AufenthG gar nicht erst eingeräumt werden. Der Gesetzgeber sollte in diesem Zusammenhang deutlich klarstellen, dass entsprechende Erlöschensauflagen sowohl im Bereich der Ausbildung als auch im Bereich des Studiums system- und rechtswidrig sind und vom Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt sind.

Insbesondere im Bereich der Pflegeberufe wird händeringend nach Fachkräften gesucht. Hier sind viele Unternehmen dazu übergegangen, verstärkt potenziell Auszubildende in Drittstaaten anzuwerben und die Fachkräfte in Gesundheitsberufen selbst auszubilden. In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder Probleme mit der Vorschrift des § 38 BeschV. Nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit für eine Beschäftigung zu versagen, die aufgrund einer unerlaubten Arbeitsvermittlung oder Anwerbung zu Stande gekommen ist. Hier ist vor allem das Problem der unerlaubten Anwerbung oder Vermittlung von Gesundheitsfachkräften aus sog. Mangelstaaten zu beachten. In §§ 38, 39 BeschV ist die nichtstaatliche Arbeitsvermittlung von Gesundheitsfachkräften und deren Anwerbung für eine Beschäftigung in Gesundheitsberufen untersagt worden, um dem Verhaltenskodex der WHO Rechnung zu tragen. Der WHO-Kodex sieht vor, keine Gesundheitsfachkräfte aus Staaten anzuwerben, in denen selbst ein Mangel an Personal in den Gesundheitsberufen besteht. Im Anhang zu § 38 BeschV sind 47 Staaten gelistet, in denen nach den Feststellungen der WHO ein Mangel an Gesundheitspersonal besteht. Das in § 38 BeschV geregelte Anwerbungs- und Vermittlungsmonopol der Bundesagentur für Arbeit ist grundsätzlich sinnvoll und unterstützenswert. Wenig überzeugend ist aber, dass das Anwerbungs- und Vermittlungsverbot auch für Anwerbung und Vermittlung zur Aufnahme von betrieblichen Ausbildungen zur/zum Kranken- oder Altenpfleger/in gelten soll, da es sich auch bei betrieblichen Ausbildungen um Beschäftigungen in Gesundheitsberufen handeln soll.  Dasselbe soll für die Anwerbung und Vermittlung zum Zweck der Nachqualifizierung iSd. § 16d AufenthG gelten. Die entsprechende Weisung des BMAS an die Bundesagentur für Arbeit zur Änderung der Verwaltungspraxis hat das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2019 für rechtmäßig, aber keineswegs für zwingend gehalten (s. BVerwG 1 C 41.18). Tatsächlich passt das Braindrain-Argument hier nicht wirklich, da den Gesundheitssystemen in den betroffenen Ländern ja überhaupt keine Gesundheitsfachkräfte entzogen werden. Bevor die Ausbildung erfolgt ist, handelt es sich bei den angeworbenen Azubis noch gar nicht um nicht Gesundheitsfachkräfte, die den entsprechenden Ländern entzogen werden. Vielmehr ist sogar möglich, dass diese irgendwann als ausgebildete Gesundheitsfachkräfte in ihre Heimatländer zurückkehren werden und ihren Staaten damit nutzen. Hier wäre allein die (erneute) Änderung der Weisungslage durch das BMAS ausreichend, um den Gesundheits- und Pflegeunternehmen die Anwerbung von Auszubildenden in Gesundheitsberufen wieder in allen Ländern zu ermöglichen.

2. § 16b AufenthG (Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken)   

Die Einführung einer gesetzlichen Mindestdauer für eine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken ist zu begrüßen. Art. 18 der REST-Richtlinie gibt als Mindestdauer aber ein Jahr zwingend vor, wenn die Studiendauer nicht kürzer als ein Jahr ist. Dementsprechend ist nicht nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber die einjährige Geltungsdauer nur „in der Regel“ vorsieht.   

Auch im Bereich des Studiums ist zu begrüßen, dass die bisher existierenden Zweckwechselverbote vor dem Abschluss des Studiums im Wesentlichen gestrichen werden. Die Erweiterung der Erlaubnis zur Beschäftigung in Abs. 3 ist im Übrigen erfreulich und schafft für Studierende und Arbeitgeber Flexibilität.

3. § 16d AufenthG (Anerkennungsverfahren)

Die neue Möglichkeit in §16d Abs. 3a AufenthG-E, das Anerkennungsverfahren mithilfe eines Anerkennungspartners vollständig in Deutschland durchzuführen ist positiv zu bewerten. Vorausgesetzt wird eine ausländische Berufsqualifikation, die von dem Staat, in dem sie erworben wurde, staatlich anerkannt ist und deren Erlangung eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren vorausgesetzt hat, oder einen ausländischen Hochschulabschluss hat, der von dem Staat, in dem er erworben wurde, staatlich anerkannt ist. Hier ist bislang unklar, welche Stelle hier die Prüfung vorzunehmen hat, ob die ausländische Berufsqualifikation die von dem Staat, in dem sie erworben wurde, staatlich anerkannt ist und deren Erlangung eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren vorausgesetzt hat. Sicherlich erste Adresse hierfür wäre die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB). Allerdings dauert bei der ZAB bereits jetzt die Feststellung der Gleichwertigkeit eines ausländischen Hochschulabschlusses ca. 6 Monate, wenn nicht bereits ein Arbeitsplatzangebot für eine Blaue-Karte-EU-Beschäftigung vorliegt. Wenn nunmehr in großem Umfang Prüfungsanfragen eingehen, ist schnell mit kaum mehr erträglichen Prüfungszeiten zu rechnen.  Es ist deshalb konkret zu befürchten, dass in allen Verfahren, in denen jetzt die neue Voraussetzung eines im Ausland anerkannten, 2-jährigen Ausbildungsabschlusses vorausgesetzt wird, die bisher lange Dauer des Anerkennungsverfahrens durch die lange Dauer der Feststellung der staatlichen Anerkennung einer Ausbildung im Ausland ersetzt wird.

Zwingend muss hier deshalb eine der anabin-Datenbank vergleichbare, frei öffentlich zugängliche Datenbank geschaffen werden. Nur wenn zuverlässige staatliche Systeme zur schnellen Ermittlung der ausländischen Abschlüsse existieren, kann eine entsprechende schnelle Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals durch die Behörden erfolgen. Nur dann kann das neue Rechtsinstitut der Anekennungspartnerschaft Erfolg haben.

4. § 16f Abs. 1 AufenthG (Sprachkurs)

Sehr zu begrüßen ist, dass der Aufenthaltstitel zur Durchführung eines Sprachkurses deutlich attraktiver gestaltet worden ist (Möglichkeit der Nebenbeschäftigung, Zweckwechsel). Hier sollte der Gesetzgeber deutlicher hervorheben und fördern, dass ein Sprachkurs jedem Aufenthaltszweck – auch dem Ehegattennachzug! – vorgeschaltet werden kann.

5. § 16f Abs. 2 AufenthG (Schulbesuch)

Im Gegensatz zu der Regelung des § 16b Abs. 1 aF, die eine Aufenthaltserlaubnis für den Schulbesuch nur in Ausnahmefällen zugelassen hat, kann seit dem 1.3.2020 gemäß § 16f Abs. 2 AufenthG einer ausländischen Person eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Schulbesuchs in der Regel ab der neunten Klassenstufe erteilt werden, wenn die in Absatz 2 genannten Voraussetzungen erfüllt werden. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollte generell mehr Schulkindern der Besuch deutscher Schulen ermöglicht werden (so ausdrücklich BT-Drs. 19/8285, 90 und AH-FEG Nr. 16 f.2.3). Dafür wurde die ehemalige Beschränkung auf Ausnahmefälle in § 16b Abs. 1 S. 1 aF gestrichen. Leider wird die Neuregelung in § 16f Abs. 2 dem erklärten gesetzgeberischen Ziel nicht gerecht. Die beiden nun explizit erfassten Schulgruppen mit internationaler Ausrichtung (Nr. 1) bzw. überwiegend privater Finanzierung (Nr. 2) waren schon vor dem FEG allgemein anerkannte „Ausnahmefälle“ nach Nr. 16.5.2.2.3 und 16.5.2.2.4 AVV-AufenthG. Die Neuregelung hinterlässt mithin offensichtlich planwidrige Regelungslücken, insbesondere in den weiteren bislang anerkannten „Ausnahmefällen“, etwa für Schulkinder aus den sog. „best-friends“-Staaten (vgl. § 41 AufenthV und Nr. 16.5.2.2.1 AVV-AufenthG) oder für Schulkinder mit Begabtenstipendium sowie Hochbegabten, bei denen der Schulbesuch gerade die besondere Begabung fördern soll, weil die allgemeinbildende Schule hier einen besonderen Förderschwerpunkt hat (vgl. VAB Berlin Nr. 16f 2.2). Diese Lücken können aktuell nur durch eine Analogie zu § 16f Abs. 2 geschlossen werden. Wir regen die gesetzliche Klarstellung an.

6. § 17 Abs. 1 AufenthG-E (Ausbildungsplatzsuche)

Dass durch die Altersgrenze für die Erteilung eines entsprechenden Aufenthaltstitels auf 27 Jahre angehoben werden soll, wird die Zahl der in Betracht kommenden Antragsteller:innen aufgrund der weiterhin zu hohen Sprachanforderungen (gute Deutschkenntnisse = B2) nicht erhöhen.

7. § 20a AufenthG-E: Chancenkarte

Mit der Einführung eines Punktesystems wird ein neuer Ansatz im Aufenthaltsgesetz etabliert. Hierfür wird erheblicher Aufwand betrieben. Im Ergebnis ist bei der Chancenkarte in ihrer aktuell geplanten Form jedoch zu befürchten, dass die Chance, die mit der Chancenkarte gewährt wird, durch die Betroffenen nicht in dem erhofften Umfang genutzt werden wird.

Im Vergleich zu den bisherigen - in der Praxis kaum genutzten Aufenthaltstiteln zum Zweck der Arbeitssuche nach § 20 Abs. 1 und 2 AufenthG - handelt es sich bei der Chancenkarte um einen deutlich attraktiveren Aufenthaltstitel. Erfreulich ist zunächst, dass den Berechtigten jetzt ein volles Jahr und nicht nur sechs Monate zur Arbeitssuche eingeräumt werden. Dies ist wichtig, weil es sich in der Praxis gezeigt hat, dass es auch für hochqualifizierte Drittstaatsangehörige schwer ist, in Deutschland eine angemessene Arbeitsstelle zu suchen und zu finden. Hier sollte den Chancenberechtigten durch die Bundesagentur für Arbeit unterstützende Leistungen angeboten werden wie besondere Beratungs- und Vermittlungsleistungen und Bewerbungstrainings.

Begrüßenswert ist auch, dass klargestellt wird, dass die Chancenkarte auch für die Suche nach einer selbstständigen Tätigkeit und zur Durchführung von Anerkennungsmaßnahmen genutzt werden kann. Ebenso begrüßenswert ist, dass die Beantragung im Inland weniger eingeschränkt werden soll.

Auch wenn der Kreis der potenziellen Bewerber durch die großzügigere Behandlung von Fachkräften in Ausbildungsberufen und Bewerber, die die ausreichende Anzahl an Punkten erreichen, deutlich größer ist, ist dennoch zu befürchten, dass die Chancenkarte bei weitem nicht im Umfang genutzt werden wird. Ein erhebliches Defizit ist aus unserer Sicht, dass bislang nicht vorgesehen ist, dass Familienangehörige gemeinsam mit dem Arbeitssuchenden einreisen dürfen. Einwanderungsentscheidungen sind erfahrungsgemäß Lebensentscheidungen, die nicht allein, sondern im Familienkreis getroffen werden. Wenn allein der oder die Chancenberechtigte zur Arbeitssuche einreisen darf, ist unter den aktuellen Voraussetzungen realistischerweise davon auszugehen, dass eine Familie deutlich mehr als ein Jahr, eher aber zwei Jahre getrennt sein wird, bis sich die durch die Bundesrepublik eingeräumte Chance möglicherweise endgültig realisiert haben wird. Bis in Deutschland ein Arbeitsplatz gefunden wird, dauert es für neu einreisende Personen in der Regel 6-12 Monate. Ist der Arbeitsplatz endlich gefunden, ist ein Termin bei der zuständigen – in der Regel überlasteten - Ausländerbehörde zu vereinbaren, die zunächst die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit einholt. Wenn die Zustimmung vorliegt, kann irgendwann die Vorsprache bei der Ausländerbehörde erfolgen, wo der elektronische Aufenthaltstitel bestellt wird. Dieser trifft dann ca. 6-8 Wochen später beim bzw. bei der Betroffenen ein. Erst dann ist realistischerweise für die Familienangehörigen die Beantragung eines Visums zum Zweck der Familienzusammenführung überhaupt möglich. Zu der Problematik, dass es oft Monate dauert bis ein Termin zur Visumsbeantragung bei der zuständigen Auslandsvertretung im Heimatland zur Familienzusammenführung vereinbart werden kann, kommt erschwerend hinzu, dass bei der Familienzusammenführung von einem gesicherten Lebensunterhalt in der Regel regelmäßig erst nach Ablauf der Probezeit (6 Monate) ausgegangen wird, so dass die zuständige Ausländerbehörde die Zustimmung nach § 31 Aufenthaltsverordnung erst dann erteilen wird, weil erst dann prognostisch von einem nachhaltigen Arbeitsverhältnis ausgegangen werden kann. Bis die Familie einreist, kann es danach ohne weiteres 2 Jahre dauern. Und dies auch nur dann, wenn der oder die Chancenberechtigte die Probezeit des ersten Jobs übersteht. In der aktuellen Form ist die Chancenkarte allein deshalb nur für ledige Berufsanfänger oder für Paare, bei denen beide Partner die Voraussetzungen der Chancenkarte erfüllen, attraktiv. Diese sind in aller Regel flexibel, haben (noch) keine Familie und sind auch wagemutig. Die Chancenkarte sollte aber auch auf „etablierte“ Fachkräfte abstellen. Diese haben andere Lebenssituationen. Wenn die Familie nicht auch die Chance bekommt, über die Chancenkarte mit einzureisen, werden die meisten Chancensuchenden sich gegen die Wahrnehmung der Chance mit einer Chancenkarte entscheiden. Es sollte es die Sache der Fachkräfte bzw. Chancensuchenden sein zu entscheiden, ob es der Familie zuzumuten ist, gegebenenfalls nach einem Jahr wieder ausreisen zu müssen.

Nicht ausreichend ist aus unserer Sicht überdies, dass während der Arbeitssuche mit der Chancenkarte nur eine Beschäftigung in Teilzeit möglich sein soll. Eine Halbzeittätigkeit in Deutschland wird in aller Regel nicht ausreichen, sich selbst und die Familie im Heimatland zu unterhalten. Personen, die mit einer Chancenkarte in Deutschland sind, unterscheiden sich nur in geringem Maße von Personen, die in Deutschland im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium nach Arbeit suchen, denen die uneingeschränkte Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erlaubt wird. Wenn tatsächlich ein attraktives Angebot gemacht werden soll, sollte die Erwerbstätigkeit entsprechend den Vorschriften des § 20 AufenthG-E uneingeschränkt erlaubt werden. Sollte die - unseres Erachtens unbegründete - Angst vor Missbrauch überwiegen, sollte den Chancensuchenden zumindest flexiblere Beschäftigungsmöglichkeiten entsprechend den neuen Regelungen zur Beschäftigung für Studierende in § 16b Abs. 3 AufenthG-E eingeräumt werden.

Des weiteren regt der RAV an, § 20a Abs. 2 S.2 AufenthG-E zu streichen. Dass die Chancenkarte nach § 20a AufenthG nicht für Personen anwendbar sein soll, die sich aus anderen Gründen als der Erwerbstätigkeit oder Ausbildung bereits in Deutschland aufhalten – etwa aus familiären oder humanitären Gründen, ist nicht nachvollziehbar. Wenn beispielsweise die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug entfällt, sollte auch eine bereits im Inland befindliche Person, die die Voraussetzung für eine Chancenkarte erfüllt, die entsprechende Chance zur Suche zur Arbeitssuche erhalten können. Es kommt letztlich doch darauf an, ob die Voraussetzungen für die Chancenkarte erfüllt werden und nicht auf die Frage der Qualität des Voraufenthalts. Warum soll beispielsweise eine ins Bundesgebiet im Wege der Familienzusammenführung nachgezogene drittstaatsangehörige Ehefrau, die nach 2 Jahren und 9 Monaten durch ihren deutschen Ehemann verlassen wird und noch nicht die Voraussetzungen eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 31 AufenthG erfüllt, keine Chance durch die Erteilung einer Chancenkarte erhalten können, obwohl sie die Voraussetzungen dafür erfüllt? Bereits im Inland befindliche und bereits sprachkundige und integrierte Menschen können regelmäßig leichter in den Arbeitsmarkt integriert werden, als neu aus dem Ausland zuziehende Menschen. Regelmäßig sind diese Menschen bereits Teil des Arbeitsmarkts. Macht es im Beispielfall Sinn, die vom deutschen Ehemann verlassene Ehefrau ausreisen zu lassen, um ihr vom Ausland aus ggf. wieder die Chance auf eine Chancenkarte zu geben? Im gesamten Aufenthaltsrecht werden im Bereich der Ausländerbeschäftigung Zweckwechselverbote flächendeckend abgebaut. Dass und warum gerade hier ein entsprechender Zweckwechsel vom Familiennachzug in die Chancenkarte nicht möglich sein soll, erschließt sich nicht.

Dies ist im Übrigen - hier ist ein Exkurs zu § 9 BeschV im Zusammenhang geboten - genauso schwer erklärbar wie die Tatsache, dass der verlassenen Ehefrau im Beispielsfall trotz über 2-jähriger Erwerbstätigkeit in der Praxis ein Recht auf zustimmungsfreie Fortsetzung der Beschäftigung mit einem Aufenthaltstitel zur Beschäftigung über § 9 BeschV versagt wird, wenn sie (noch) keine Fachkraft ist bzw. nicht über die BeschV zum Arbeitsmarkt zugelassen werden kann, obwohl die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BeschV dem Wortlaut nach vorliegen. Das BVerwG hat am 21.8.2018 entschieden (BVerwG Urt. v. 21.8.2018 – 1 C 22.17), dass § 9 BeschV nach der Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck nur für Personen gelten soll, die bereits im Besitz einer Blauen Karte EU oder einer Aufenthaltserlaubnis sind, bei der die Ausländerbehörde die Ausübung einer Beschäftigung – mit oder ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit – ausdrücklich zugelassen hat. Nur wenn einer Ausländerin oder einem Ausländer auf diesem Weg der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt eröffnet worden sei, soll es danach nicht der (nochmaligen) Einbeziehung der Bundesagentur für Arbeit zur Prüfung der beschäftigungsrechtlichen Voraussetzungen bedürfen. Inzwischen stellt ein erheblicher Teil der Literatur zu Recht die Frage, ob diese Ausführungen auch nach Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes noch zutreffen. Der VGH Mannheim hat diese Frage zuletzt als offene Rechtsfrage bezeichnet (VGH Mannheim, Beschluss vom 31.1.2022, 11 S 1085 (openjur). Es spricht tatsächlich viel dafür, dass angesichts des klaren Wortlauts des § 9 Abs. 1 BeschV ("Aufenthaltserlaubnis") und des mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Gestalt von § 4a AufenthG herbeigeführten Paradigmenwechsels hin zu einer gesetzlichen Verknüpfung der Erteilung von Aufenthaltstiteln mit der Eröffnung des Zugangs zur Erwerbstätigkeit die argumentative Grundlage für eine restriktive Interpretation von § 9 Abs. 1 BeschV entfallen ist. Der Gesetzgeber sollte das vorliegende Gesetzgebungsverfahren nutzen, um diese Streitfrage abschließend zu klären. Sinnvollerweise sollte hier klargestellt werden, dass eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19c AufenthG i.V.m. § 9 BeschV entsprechend des Wortlauts des § 9 BeschV auch Inhabern von Aufenthaltstiteln außerhalb des Abschnitt 3 und 4 des Kap. 2. des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden kann, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen

8.  Änderung der BeschV

1. § 26 Abs. 2 BeschV

Es ist bedauerlich, dass es bislang nicht gelungen ist, die sog. Westbalkan-Regelung auf weitere Länder auszuweiten. Dass die Regelung des § 26 Abs. 2 BeschV entfristet wird, ist zu begrüßen.

Weshalb weiterhin an einem Kontigent festgehalten wird, erschließt sich uns nicht. Der Bedarf an unqualifizierten Arbeitskräften ist vor allem in der Bau- und Gastrobranche enorm. Eine ungebremste Zuwanderung ist schon wegen der beschränkten Bearbeitungskapazitäten der Auslandsvertretungen nicht zu erwarten.

Es erschließt sich uns weiterhin nicht, warum bspw. eine seit Jahren in Finnland lebende Serbin nicht in Helsinki einen Antrag auf Erteilung eines Visums zur Beschäftigung nach der Westbalkanregelung stellen können soll. Das Problem der Zuordnung zum jeweiligen Länderkontingent sollte sich in Zeiten der Digitalisierung lösen lassen. Deshalb regen wir an, die erstmalige Antragstellung nicht nur in den in S. 1 genannten Staaten zu ermöglichen. Die Möglichkeit der Antragstellung bei der für den aktuellen gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen Auslandsvertretung würde auch die Situation der völlig überlasteten Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen in den in S. 1 genannten Staaten entspannen.

2. § 1 Abs. 2 BeschV / § 18 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG (Gehaltsgrenze für ab 45-Jährige)

Personen, die erstmalig eine Zustimmung der BA für eine Beschäftigung erhalten und 45 Jahre oder älter sind, müssen in bestimmten Fällen ein festgelegtes Mindesteinkommen erzielen. Dies gilt bisher bereits für Personen, die als Berufskraftfahrer (§ 24a BeschV) oder nach der Westbalkanregelung (§ 26 Abs. 2 BeschV) die Zustimmung erhalten. Hinzu kommen künftig Personen mit besonderer berufspraktischer Erfahrung ohne formale Qualifikation (§ 6 BeschV) und Pflegehilfskräfte (§ 22a BeschV).

Die Gehaltsgrenze liegt im Jahr 2023 bei 48.180 Euro brutto jährlich. Die zu erreichende Gehaltsschwelle kommt in den meisten Fällen einem vollständigen Ausschluss von über 45-jährigen Drittstaatsangehörigen gleich. Daran wird auch die minimale Aufweichung der Tatbestandsvoraussetzungen, dass künftig im Einzelfall ein erleichtertes Absehen von dieser Gehaltsgrenze eingeräumt werden, „wenn ein öffentliches, insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Beschäftigung besteht, insbesondere wenn die Gehaltsschwelle nur geringfügig unterschritten oder die Altersgrenze nur geringfügig überschritten wird“ nichts ändern. Tatsächlich gibt es erheblichen Bedarf und sehr viele sehr qualifizierte Menschen im Alter ab 45 Jahren, die hier dringend benötigt würden, gehen dem Arbeitsmarkt schlicht verloren, weil sie nicht über 4.000 € brutto monatlich verdienen können und bis jetzt noch nicht ausreichend vorgesorgt haben. Hier ist es eine Frage von Mut und Vertrauen, das Risiko einzugehen, dass diese Menschen mit 67 Jahren (ergänzend) Leistungen beziehen. Es sind immer Prognoseentscheidungen zu treffen. Auch bei einer Person, die (bei der ersten Zulassung zum Arbeitsmarkt) ein Gehalt in Höhe von rund 4.000 € brutto erhält, ist keinesfalls gewährleistet, dass diese Person mit 67 genügend Beiträge in die Rentenversicherung gelistet hat. Der RAV spricht sich dafür aus, die Begrenzung der Einwanderung von über 45-jährigen Fachkräften (§ 18 Abs. 1 Nr. 5) und für die in § 1 Abs. 2 BeschV genannten Gruppen der BeschV aufzuheben. 

Berlin, 08.03.2023

Christoph von Planta

Die Stellungnahme als PDF